KAPITEL 14

Chris nahm die Nachricht gelassen auf. »Na ja, es ist ja keine große Überraschung«, sagte sie. »Nach allem, was Sie gesagt haben, wäre ich schon sehr erstaunt gewesen, wenn es sich als echt herausgestellt hätte. Tja, dann müssen Sie wohl ein anderes Bild für mich ausfindig machen.«

Zufrieden saß sie auf der Terrasse vor dem Zimmer auf einem Adirondack-Stuhl und genoss die Aussicht. Die war so spektakulär wie angekündigt. Die Sonne würde erst eine halbe Stunde später untergehen, aber der Himmel war schon rosig überhaucht und die schräg einfallende Nachmittagssonne tauchte die Felsen in farbiges Licht und modellierte die Schluchten mit scharfen Schatten. Die Luft war klar, sauber und prickelnd – jedoch nicht so kalt – wie an einem sonnigen Januarmorgen mit glitzerndem Neuschnee.

»Es ist wirklich wunderschön hier«, murmelte Alix, während sie die Landschaft bewunderte.

»M-hm.« Chris zeigte auf einen Beistelltisch aus Holz, auf dem ein beschlagener Eiskübel mit einer Flasche Weißwein stand. »Pinot Grigio. Ein guter Tropfen aus Italien. Ich habe auf Reisen immer das Notwendigste dabei. Gläser habe ich aber nicht mitgebracht. Holen Sie sich einen Zahnputzbecher aus dem Bad und setzen Sie sich.«

Dankbar folgte sie der Aufforderung und eine Zeit lang saßen beide da, tranken kühlen, trockenen Wein aus Plastikbechern und ließen die Aussicht auf sich wirken.

»Es war ein ziemliches Abenteuer, was?«, sagte Chris schließlich. »So was Aufregendes habe ich seit Langem nicht mehr erlebt.«

»Mir geht’s genauso. Passiert nicht jeden Tag, dass man mich in die Luft jagen will. Toi, toi, toi.«

»Glauben Sie immer noch, dass es Liz war?«

Alix nahm einen Schluck und sagte: »Ja, dieser Blick und wie sie sagte: ›Was machen Sie denn hier?‹, als wir bei ihr aufkreuzten, das sagt doch wirklich alles.«

»Meinen Sie, sie hatte Angst, dass Sie das Bild als Fälschung entlarven?«

»Ja, genau.«

»Aber sie hätte doch viele andere Möglichkeiten gehabt, ohne Sie gleich umzubringen. Sie hätte einfach sagen können, sie hätte ihre Meinung geändert und es wäre nicht mehr zu verkaufen.«

»Aber Sie hatten einen Vertrag.«

»Ja, aber sie wusste, ich würde nicht drauf bestehen. Und was das betrifft, hätte sie einfach sagen können, sie hielte das Bild für eine Fälschung und sie würde mir vom Kauf abraten. Sie hätte unzählige Möglichkeiten gehabt, aus der Sache rauszukommen. Aber dass sie Sie stattdessen umbringen würde …« Chris schüttelte den Kopf. »Das finde ich nicht sehr logisch.«

»Um ehrlich zu sein, hatte ich nicht den Eindruck, dass es bei ihr mit der Logik weit her war, zumal sie anscheinend dem Alkohol nicht abgeneigt war. Vielleicht konnte sie gar nicht mehr klar denken.«

»Mag sein. Klingt ganz plausibel. Sie war jedenfalls nicht mehr die Liz, die ich mal kannte.«

»Außerdem spricht für meinen Verdacht, dass seit ihrem Tod niemand mehr versucht hat, mich umzubringen.«

»Ja, und das sind immerhin schon zwei ganze Tage. Schenken Sie mir bitte noch etwas Wein nach? Trinken Sie auch noch was.«

»Jetzt bleibt also die Frage, wer Liz umgebracht hat«, sagte Alix, während sie die Gläser füllte.

»Und warum.«

»Und warum«, wiederholte Alix nachdenklich. »Und zu beiden Fragen fällt mir absolut nichts ein, Ihnen vielleicht?«

Chris schüttelte den Kopf. »He, sollten wir nicht Mendoza anrufen und ihm sagen, dass das Bild Ihrer Ansicht nach eine Fälschung ist? Es könnte wichtig sein.«

»Das habe ich schon gemacht, direkt nach meinem Gespräch mit Geoff. Ich habe ihm auch gesagt, wo wir sind. Ich wollte ihn nicht in dem Glauben lassen, wir wären noch in Santa Fe.«

»Und was hat er gesagt?«

»Eigentlich nichts. Er hat mich nur gebeten, morgen zur Wache zu kommen, wenn wir wieder zurück sind.«

»Morgen? Morgen sind wir doch in Taos.«

»Heißt das, Sie wollen trotzdem nach Taos? Aber wozu denn noch?«

»Sind Sie denn gar nicht neugierig? Wollen Sie nicht das Haus von Mabel Dodge Luhan sehen?«

Schon zum zweiten Mal innerhalb kurzer Zeit hielt man ihr mangelnde Neugier vor. »Natürlich bin ich neugierig«, sagte sie gereizt. »Aber Sie bezahlen schließlich für alles, deshalb dachte ich, Sie würden jetzt lieber drauf verzichten.«

»Auf gar keinen Fall. Wollen Sie nicht das Badezimmer sehen, in dem D. H. Lawrence die Fenster übermalt hat? Wo gibt’s so was schon?«

»Der Schriftsteller?«

»Genau der. Der war auch schon mal bei Mabel zu Gast, wie alle Kreativen, die sich in die Gegend verirrt haben. Er war anscheinend schockiert darüber, dass man durch die Fenster des Badezimmers im ersten Stock hineinsehen konnte, also hat er sich ein paar Eimer Farbe besorgt und die Fensterscheiben mit irgendwelchen seltsamen Motiven bemalt. Das würde ich schon gern sehen.«

»Ist das der Lawrence, der Lady Chatterley geschrieben hat? Der hat sich darüber aufgeregt, dass man durch die Badezimmerfenster sehen konnte?«

»Ja, privat soll er ein bisschen prüde gewesen sein. Vielleicht auch ein wenig paranoid, denn er hatte Angst, jemand würde auf die Terrasse vor dem Badezimmer klettern und hineinschauen. Er wollte auch Mabel überreden, sich nicht mehr nackt oben auf dem Flachdach zu sonnen. Da hatte er allerdings kein Glück. Mabel tat, was sie wollte. Sie hatte auch eine heiße Affäre mit einem Tewa-Indianer, einem Mystiker, und hat ihm erlaubt, sein Tipi unten an der Außentreppe aufzubauen, die zu ihrem Schlafzimmer führte. Da war sie noch mit Sterne, ihrem dritten Mann, verheiratet. Aber später ließ sie sich von ihm scheiden und hat den Indianer geheiratet. Daher hatte sie auch den Namen Luhan. Aber zurück zu dem Badezimmer: Robinson Jeffers’ Frau hat dort versucht, sich zu erschießen, weil er eine Affäre …«

»Chris, woher wissen Sie denn das alles?«

»Ach, die Frau, mit der ich wegen der Reservierung geredet habe, die wusste einfach alles. Und sie wollte überhaupt nicht mehr aufhören zu reden.«

Alix lächelte. »Ja, ich kenne auch jemanden, der so sein kann. Ich würde gern eine Nacht in dem Haus verbringen, Chris. Also wenn Sie wirklich wollen, bin ich dabei. Wir können direkt nach dem Frühstück losfahren. Hier bleibt für uns sowieso nichts mehr zu tun.«

»Also, um ehrlich zu sein, habe ich noch einen anderen Grund«, sagte Chris ein bisschen zögerlich. »Ich möchte nicht, dass …«

»… dass Craig denkt, Sie kommen einen Tag früher nach Santa Fe zurück, weil Sie es nicht abwarten können, ihn wiederzusehen«, beendete Alix den Satz für sie.

Chris antwortete mit ihrem typischen Augenrollen. »Ich werde mich wohl dran gewöhnen müssen, dass Sie Gedanken lesen können.«

»Ich kann keine Gedanken lesen«, sagte Alix und ihr Lächeln wurde noch breiter. »Ich lerne Sie nur langsam besser kennen.«

»Also, das macht mir jetzt wirklich Sorgen«, sagte Chris und stand auf. »Kommen Sie, ich sterbe vor Hunger. Gehen wir runter zum Küchenwagen oder Lagerfeuer oder wo man hier sein Essen kriegt.«

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Eddie Sierra war zwar nicht der Hellste, aber auch nicht der Dümmste, und er hatte sich lange Gedanken darüber gemacht, wie er die Sache beim nächsten Mal angehen würde. Als schließlich der Anruf kam – er hatte gewusst, der Typ würde anrufen –, da war er gut vorbereitet.

»Ich fürchte, diesmal wird’s ein bisschen teurer«, sagte er, nachdem Harry erklärt hatte, was er tun sollte.

»Warum das denn?«, wollte Harry wissen. Eddie kannte Harrys Nachnamen nicht. Wahrscheinlich war Harry sowieso nicht sein richtiger Vorname, aber das war auch egal, solange er zahlte.

»Erstens, weil ich es schon morgen machen soll, Mann. Ich habe keine Zeit zu planen, keine …«

»Planen? Was gibt’s da schon groß zu planen? Mach es einfach genauso wie beim letzten Mal.«

»Ja, aber ich habe noch andere Sachen zu erledigen. Dann muss ich total umdisponieren.« Zum Beispiel könnte er seine Wäsche erst am Montag zu seiner Mutter bringen. »Diesmal kostet es sechstausend.« Gespannt hielt er den Atem an.

»Okay, sechstausend«, sagte Harry.

Scheiße. Er wusste doch, er hätte mehr verlangen können. »Und tausend für den Schaden an meinem Pick-up vom letzten Mal«, fügte er noch schnell hinzu. »Das hat mich zwölfhundert Kröten gekostet.« Na ja, es hätte zwölfhundert gekostet, wenn er ihn zu einer richtigen Werkstatt gebracht hätte anstatt zu Gus, der ihm nur ein paar Ersatzteile berechnet hatte, die er Gott weiß woher hatte. »Das ist mein letztes Wort.«

Darauf kam erst mal gar keine Antwort. Oh, Mist! Eddie verfluchte sich schon selbst, aber dann sagte Harry: »In Ordnung, siebentausend, aber keinen Cent mehr. Treib’s bloß nicht zu weit. Zur Not finde ich auch jemand anderen.«

Siebentausend Dollar! Eddie jubelte innerlich. Natürlich müsste er Joey zweitausend geben (der glaubte, er bekäme die Hälfte von allem), aber trotzdem immerhin fünftausend Dollar! Das war mehr, als er in einem halben Jahr an Stütze bekam, selbst wenn man die Lebensmittelgutscheine mitrechnete.

»Diesmal ist es ein Wagen mit zwei Frauen«, sagte Harry. »Sie fahren Richtung Süden und irgendwann im Laufe des Morgens werden sie an den Chama kommen. Wann genau, weiß ich auch nicht, also wartest du am besten schon ab Sonnenaufgang dort auf sie.«

Eddie hätte beinah ganz automatisch protestiert, weil er so früh los sollte, hielt sich aber zurück. Für fünf Riesen konnte er auch einmal im Leben vor Morgengrauen aufstehen. »Und woran erkenne ich sie?«

»Woran … Sag mal, Eddie, wie viele Autos kommen denn da so vorbei? Zehn am Tag vielleicht? Und wie viele mit zwei Frauen drin? Hör zu, die beiden fahren Richtung Süden. Beide sind um die dreißig. Die eine sieht sehr gut aus und ist blond, die andere ist ganz passabel und hat dunkle Haare …«

»Moment mal, die Dunkelhaarige, ist das so eine ganz Große?«

»Ja, eins fünfundachtzig vielleicht.«

»Die habe ich gesehen!«, rief Eddie. »Gestern, hier in Española. Vorm Taco Bell. Die sind auf dem Highway 84 nach Norden gefahren.«

»Das waren sie bestimmt. Die waren unterwegs zur Ghost Ranch. Gut, dann weißt du ja, wie sie aussehen.«

»Die fahren einen Lambo«, sagte Eddie, plötzlich gedämpft. »Mein Gott, was für eine Schande, dass der als Schrotthaufen enden soll.«

»Was fahren die?«

»Einen Lambo. Alter, weißt du nicht, was ein Lambo ist?«

»Lass mich raten … Ein Auto?«

Eddie kicherte. »Ein Auto, ja, aber einen Lambo Auto zu nennen, ist, als würde man einen … einen …« Aber Vergleiche waren nicht seine Stärke und seine Fantasie ließ ihn im Stich. »Na, du musst doch schon mal was von einem Lambo gehört haben. Das ist eine Abkürzung. Steht für … ich weiß nicht mehr, Lambogonia, Lamburgeroni, irgend so was.«

»Lamborghini? Das ist doch ein Sportwagen, oder? Fährt der nicht dreihundert Stundenkilometer?«

»Über dreihundert, Mann.«

»Ach, du großer Gott.«

»Gibt’s ein Problem?«

»Ob es ein Problem gibt? Bist du … Wie zum Teufel wollt ihr zwei Hohlköpfe in euren Rostlauben denn mit so einem Wagen mithalten? Die hängen euch doch problemlos ab.«

Da musste Eddie lauthals lachen. »Ich habe gesehen, wie die fahren. Hast du schon mal so eine alte Frau mit lila Haaren in einem dicken alten Lincoln Continental gesehen, die kaum übers Lenkrad gucken kann und höchstens zwanzig fährt, weil sie bei mehr Tempo einen Herzinfarkt kriegen würde? So fahren die beiden auch in ihrem Lambo. Das wird ein Kinderspiel, das kannst du mir glauben, Alter.«

»Das werden wir ja sehen«, sagte Harry.