KAPITEL 3
Der Mann war groß, schlank, gut aussehend und gleichmäßig gebräunt. Mitte dreißig. Er hatte etwas Schurkiges an sich, aber das lag vielleicht einfach an der Rundum-Pilotenbrille und der gelassen arroganten Art, wie er sich auf seinem Stuhl fläzte. Liz Coane hatte ihn beim Reinkommen sofort bemerkt und ihn seitdem beobachtet – natürlich diskret aus dem Augenwinkel. Er schien Geld zu haben. Nicht dass er es zur Schau stellte, aber man konnte sehen, dass es ihm gut ging. Liz hatte einen Blick dafür. Sie sah es an seiner Kleidung: Gucci-Slipper aus weichem Leder, siebenhundert Dollar das Paar, und ein wunderbar weiches, kaffeebraunes Kaschmirsakko aus der aktuellen Brioni-Herbstkollektion, das locker dreitausend Dollar gekostet haben musste. Aber er hatte die Sachen ganz schlicht mit einem weißen Hemd mit offenem Kragen und verwaschenen Jeans kombiniert (Designer-Jeans, klar, aber natürlich verwaschen wie früher, nicht etwa »acid-washed«). Seine dunklen Haare hatte er sich auch nicht beim Friseur an der Ecke schneiden lassen. Einen so akkuraten, wunderbar gestuften Caesarschnitt bekam man dort einfach nicht. Mindestens zweihundert Mäuse.
Er war nicht ihr Typ, viel zu glatt und gestylt. Männer mit Ecken und Kanten waren ihr lieber. Aber er war auf jeden Fall … interessant. Sie konnte förmlich riechen, dass bei ihm Geld zu machen war. Und das brauchte Liz Coane gerade ganz dringend, noch dringender als sonst.
Er saß ein paar Tische weiter ausgerechnet mit Doris Goudge zusammen, der hohlköpfigen Alten, der die Kitschgalerie Avanti auf der Gallisteo Street gehörte. Die beiden waren tief in ein Gespräch über Kunst vertieft. Nicht dass sie nah genug dran gewesen wäre, um mitzuhören, aber worüber sollten sie sonst reden? Es war schließlich Freitagnachmittag und sie saßen im Santacafé. Es war quasi ein ehernes Gesetz: Gingen an einem sonnigen Freitagnachmittag in Santa Fe ernsthafte Kunstgeschäfte über die Bühne, dann stets im von Bäumen beschatteten und von Lehmmauern umgebenen Innenhof des Santacafé.
Alle Tische waren besetzt und an jedem saßen zwei oder drei Leute – Kunsthändler, Sammler, etablierte Künstler und andere, die den Durchbruch suchten –, alle widmeten sich mit zusammengesteckten Köpfen dem Kunstgeschäft: kaufen und verkaufen, werben und schwindeln. Herrje, wenn ahnungslose Touristen, die über die Küche und die gepflegte Atmosphäre des hundertfünfzig Jahre alten Etablissements gelesen hatten, an einem Freitagnachmittag hier hereinspazierten und ein vernünftiges Essen erwarteten, dann mussten sie sich auf eine herbe Enttäuschung gefasst machen. Der Kunsthandel hatte in Santa Fe immer Vorrang. Davon lebte die Stadt. Was die Bevölkerungszahl amerikanischer Städte anging, kam Santa Fe nach der letzten Volkszählung auf Platz 508. Trotzdem gab es hier den drittgrößten Kunstmarkt der USA. Den drittgrößten! Nur in New York und Los Angeles wurde mehr Geld mit Kunst gemacht.
Im Restaurant kannte natürlich jeder jeden – oder fast jeden –, aber Liz hatte diesen Typ mit der Sonnenbrille noch nie gesehen. Allerdings hatte sie so eine Ahnung, wer er sein könnte, und wollte sie gern bestätigt haben. Sie nippte noch einmal an ihrer Margarita und stellte ihr Glas ab. »Cody Mack, weißt du, wer das da ist?«, fragte sie ihren Begleiter. »Da drüben. Der Typ, der sich mit Doris unterhält.«
Cody Mack mampfte weiter seine Hähnchen-Enchilada und sah sich um.
Liz verdrehte die Augen. »Mensch, doch nicht so auffällig!«
»Nein, kenne ich nicht«, sagte Cody Mack und fügte dann mürrisch hinzu: »Was interessiert dich der Typ überhaupt?«
Oh Gott, steht da etwa ein Wutausbruch bevor?, dachte Liz. Der Wunderknabe ist doch nicht etwa eifersüchtig?
Besagter Wunderknabe war Cody Mack Burley, Liz’ neuster Schützling auf ihrer allzu langen Liste von Wunderknaben und Schützlingen – oder besser gesagt, ihr baldiger Ex-Schützling. Als Künstler gerade mal mittelprächtig, war er im Bett eine Kanone, wenn auch nicht übermäßig sensibel oder einfallsreich, und da er und Liz schon seit sechs Monaten zusammen waren und sie es nie länger mit einem Typ aushielt, würde er in Kürze den Laufpass bekommen. Eigentlich hatte sie ihn schon längst abserviert, er wusste es nur noch nicht, denn ihr graute vor der unvermeidlichen öden Szene, die ihr bevorstand, wenn er erfuhr, dass auch der schönste Körper, der sinnlichste Südstaatenakzent und die animalischste Geilheit auf die Dauer langweilig wurden, wenn sie nicht mit Grips oder Charakter einhergingen. Wenn Cody Mack doch wenigstens eine dieser Eigenschaften besessen hätte …
Auch mit seinem Wahrnehmungsvermögen war es nicht weit her. Liz hatte schon seit mehr als zwei Wochen etwas mit seinem Ersatzmann und Cody Mack hatte nicht das Geringste gemerkt. Selbst die Tatsache, dass der nachdenkliche, intelligente und atemberaubend gut aussehende polnische Künstler Gregor Gorzynski an diesem Abend in der Galerie Blue Coyote eine Vernissage hatte, konnte Cody Macks eintöniger Selbstverliebtheit nichts anhaben. Natürlich war auch Gregor kein großer Künstler und es war schon ziemlich großzügig, ihn überhaupt Künstler zu nennen. Er nannte sich »postminimalistischer Konstruktivist« und verwendete ausschließlich Zahnstocher, M&M’s, Bindfaden, Nudeln und Sekundenkleber. Liz war der Meinung, das Zeug gehörte auf den Müll, aber Müll verkaufte sich dieser Tage ganz gut, deshalb hielt sie sich mit ihrer Kritik zurück.
»Mach dir keine Sorgen, er ist nicht mein Typ.« Aber sie konnte es sich nicht verkneifen hinzuzufügen: »Und um Gottes willen, mach doch beim Kauen den Mund zu.« Das kam davon, dachte sie, wenn man sich mit Vierundzwanzigjährigen abgab. Wann würde sie das endlich begreifen? (Immerhin war Gregor schon siebenundzwanzig.)
Cody Mack zog ein Gesicht. »Ich habe nicht mit offenem Mund gekaut.«
Doch, hast du, dachte Liz, aber was soll’s.
Er sah sie weiter böse an. Warum war ihr vorher nie aufgefallen, dass er, wenn er schmollte, aussah wie ein tumber, finster dreinschauender Neandertaler? Die vorstehende Stirn, dieser gemeine Zug um die fleischigen Lippen …
»Und glaub bloß nicht, ich weiß nicht, dass das da eine doppelte Margarita ist.«
»Was zum Teufel geht es dich denn an, was ich …«, begann sie, verstummte dann aber plötzlich und sah sich um. Niemand sah zu ihnen herüber. Gut. Hier war nicht der richtige Ort für eine Szene. Das ist dein letztes Essen auf meine Kosten, Freundchen, dachte sie. Deine Henkersmahlzeit. Ich werde mein Glück mit einem anderen versuchen. Wieso in drei Teufels Namen hatte sie überhaupt mit diesem Typ was angefangen? Cody Mack … Was war das überhaupt für ein Name für einen Künstler? Und seit wann gab es Künstler in Mississippi?
Der Fremde war aufgestanden und im Lokal verschwunden. »Bleib hier«, sagte sie zu Cody Mack. »Ich bin sofort wieder da.«
»Was soll ich denn …«
»Bleib einfach da sitzen. Und halt die Klappe. Und mach beim Kauen den Mund zu.«
Cody Mack wurde knallrot und warf seine Gabel hin. »He, du kannst mich doch nicht rumkommandieren. Du bist doch nicht meine verd…«
»Ach, lass es gut sein, verdammt noch mal.«
Sie ging um den alten, original spanischen Brunnen herum, der, frisch restauriert und mit hübschem Dach versehen, das Prunkstück des Innenhofs darstellte, und bahnte sich ihren Weg durch die Menge, wobei sie auf Schritt und Tritt Leuten zunickte, sie anlächelte und mit gespielter Begeisterung begrüßte. Als sie Doris’ Tisch erreichte, setzte sie sich.
Doris sah von ihrem Apfelkuchen auf. »Ach, hallo Liz. Entschuldige, ich bin in Begleitung. Er ist nur mal kurz rausgegangen, weil sein Handy geklingelt hat. Die dicken Lehmmauern stören den Empfang.«
»Ich weiß, Doris. Ich bleibe auch nur eine Minute. Ich wollte nur fragen, wer dein Freund ist.«
»Er ist nicht wirklich ein Freund von mir. Ich habe ihn erst gestern kennengelernt. Er ist in den Laden gekommen. Ein Kunsthändler aus Boston. Er heißt Roland de Beauvais. Aber sein Spitzname ist Rollie«, sagte sie mit einem affektierten Lächeln.
»Roland de Beauvais«, wiederholte Liz. »Oh, là, là. Etwa Franzose?«
»Nein, nur französischer Abstammung. Ein typischer Bostoner«, sagte sie, wobei sie den Bostoner Akzent nachahmte. »Er ist erst seit ein, zwei Tagen hier.« Während sie redete, verschlang Doris gierig und geräuschvoll ihren Kuchen. Liz musste wegsehen. Gott, bin ich die Einzige in Santa Fe, die beim Kauen den Mund zumacht? »Gary Selway hat ihn zu mir geschickt, aber ich weiß nicht, ob ich ihm helfen kann.«
»Ja, ich habe gehört, dass ein Kunsthändler von der Ostküste sich hier umsieht. Wonach sucht er denn?«
»Amerikanische Moderne.«
»Amerikanische Moderne?«, wiederholte Liz und zog die Augenbrauen hoch. Das lief ja besser als erhofft. »Ich bekomme diese Woche einen Chadwick in Kommission und ich bin sicher, dass ich noch mehr auftreiben kann. Marsden Hartley auch. Vielleicht sogar …« Sie zögerte, denn sie wollte nicht zu dick auftragen. Andererseits hatte sie es mit Doris Goudge zu tun, da war Subtilität unangebracht. »Und vielleicht sogar das ein oder andere Bild von Georgia O’Keeffe«, sagte sie abschließend.
»Nun, so was habe ich nicht zu bieten«, sagte Doris resigniert, doch dann schaute sie sie mit einem leicht gierigen Funkeln in den Augen an. »Soll ich ihn an dich vermitteln?«
»Hat er eine Ahnung, was so was kostet?«
»Oh ja, er kennt sich ganz gut aus. Außerdem habe ich den Eindruck, das Geld keine Rolle spielt.«
»Na, dann würde ich mich doch freuen, wenn du ihn mir vermittelst.« Genau darauf hatte sie es abgesehen. Sie schenkte Doris ihr charmantestes, dankbarstes Lächeln. Da die mit ihrem Kuchen fertig war, konnte sie ihr wieder ins Gesicht sehen.
Doris zögerte. »Äh, Standardbeteiligung? Fünf Prozent von allem, was er bei dir kauft?«
Liz’ Augen verengten sich. »Bei mir gibt’s keine Standardbeteiligung, Doris«, sagte sie kalt. »Zwei Prozent.«
»Aber … aber alle machen …«
»Aber ich nicht. Nun, ich könnte mich auch direkt an ihn wenden, aber das möchte ich lieber nicht. Wenn du es allerdings so …«
»Nein, nein«, sagte Doris hastig. »Zwei Prozent sind in Ordnung. Ich meine, wenn das deine übliche Kommission ist.«
Liz lächelte. »Danke, Doris«, sagte sie herzlich. »Ich weiß deine Hilfe sehr zu schätzen.«
»Ich werde sehen, was ich für dich tun kann, Liz …« Sie zögerte, anscheinend besorgt und hin- und hergerissen, und sagte schließlich: »Ich sollte vielleicht noch sagen … Nun, ich wäre ein bisschen vorsichtig. Ich glaube … Also, ich glaube, er ist vielleicht … nicht ganz koscher, weißt du? Ich möchte nicht, dass du Schwierigkeiten bekommst.«
»Nicht ganz koscher! Wie kommst du darauf?« Die Sache wurde von Minute zu Minute interessanter.
Doris zuckte mit den Schultern. »Er hat nichts Schlimmes gesagt oder getan. Es ist nur so ein Gefühl.« Sie sah sich um, um sich zu vergewissern, dass er nicht gerade zurückkam. »Er wirkt irgendwie … durchtrieben.«
Liz beugte sich vor und runzelte die Stirn. »Durchtrieben?«
»Im Sinne von unmoralisch. Ich glaube, es ist ihm völlig egal, woher die Bilder stammen oder wie sie hier gelandet sind.«
»Hat er das gesagt?«
»Nein, es ist eher, was er nicht gesagt hat. Kein Wort darüber, dass ihn die Provenienz interessiert, auch nichts über Katalogeinträge oder Verkaufsunterlagen, verstehst du? Das kam mir etwas seltsam vor.« Wieder zuckte sie mit den Schultern. »Aber da war noch was. Ich weiß auch nicht, aber er kommt mir einfach irgendwie komisch vor. Zu glatt vielleicht. Richtig aalglatt und zu selbstbewusst. Du wirst ja sehen. Jedenfalls wollte ich dich vorwarnen. Aber du hast wahrscheinlich mehr Menschenkenntnis als ich.«
Da könntest du recht haben, Herzchen, dachte Liz, und je mehr ich über diesen bestimmten Menschen höre, desto besser gefällt er mir. Rollie de Beauvais schien ihr jemand zu sein, mit dem sie ins Geschäft kommen könnte. »Danke, Doris, ich passe schon auf mich auf. Und noch mal danke für die Hilfe. Ich gehe jetzt besser wieder zurück an meinen Tisch.«
Als sie zurückkam, war Cody weg. Auf dem Tisch fand sie nur einen Teller mit angetrockneter Chilisoße und die unbezahlte Rechnung, mit der Rückseite nach oben, auf der in großen Lettern stand: FICK DICH.
Sehr nett.
Der große Mann mit der Brioni-Jacke und den Gucci-Slippern war nicht wirklich draußen auf der Straße, um zu telefonieren. Sein Handy hatte zwar geklingelt, aber auf dem Weg ins Lokal hatte er nur hastig hineingemurmelt: »Ich rufe dich in einer Minute zurück.« Dann hatte er es zugeklappt, und anstatt auf die Washington Avenue hinauszugehen, hatte er an der Theke haltgemacht, von wo aus er unentdeckt durch eine Glastür den Innenhof überschauen konnte. Die Barfrau war auf ihn zugekommen, aber er hatte nur gelächelt und den Kopf geschüttelt. Er hatte seine Pilotenbrille abgenommen und man konnte seine stechend blauen Augen sehen, die in überraschendem Kontrast zu seinem dunklen Haar standen. Sein Blick war auf den Tisch gerichtet, von dem er gerade aufgestanden war, und heimlich beobachtete er Liz Coane mit ebenso viel Interesse wie sie ihn zuvor (ebenso heimlich, aber nicht unbemerkt).
Diese Frau war ein interessantes Studienobjekt: Mit ihren zweiundvierzig (er wusste, wie alt sie war und noch viel mehr) setzte sie schon etwas Fett an und ließ sich gehen: Backen und Kinnpartie sackten und ihre zu stark blondierten, zu jugendlich stachelig geschnittenen Haare zeigten einen dunklen Ansatz. Ihre Kleidung war reinster Santa-Fe-Look wie aus einer Modezeitschrift. Sie trug schön geschnittene Bluejeans mit Schlag. Die Beine waren entlang der Außenseite mit eleganten Stickereien verziert, ebenso wie ihre kurze Jacke. Ein bisschen mexikanisch angehaucht, dachte er, und es stand ihr nicht einmal schlecht. Der tiefe Ausschnitt ihrer weichen, weißen Seidenbluse wurde von einer silbernen Navajo-Kette mit Türkisen betont. Den Ausschnitt fand er ein bisschen gewagt, denn dazu war sie zu vollbusig. Alles in allem war sie aber ganz gut beieinander und musste mal eine Schönheit gewesen sein. Sie sah auch intelligent aus. Das gefiel ihm. Er würde seinen Spaß mit ihr haben.
Er setzte die Sonnenbrille wieder auf und ging auf die Straße hinaus. Er stellte sich in den Schatten der Veranda, die sich den ganzen Block entlang erstreckte, lehnte sich gegen die Lehmmauer des Restaurants und klappte sein Handy auf. Er drückte die Kurzwahltaste. Das Telefon surrte und wählte brav die Nummer: 202-324-3447.
202 war die Vorwahl für Washington, D. C.
322-3447 war der Telefonanschluss, der zur Adresse »935 Pennsylvania Avenue, NW« gehörte.
Und dort befand sich das J. Edgar Hoover Building, die Zentrale des Federal Bureau of Investigation.
Er hieß gar nicht Roland de Beauvais, war auch nicht französischer Abstammung oder Kunsthändler. Er stammte tatsächlich aus Boston, aber das war auch so ziemlich das Einzige, was an seiner Geschichte stimmte. Er hieß Ted Ellesworth und gehörte einer kleinen Eliteeinheit des FBI an. Die offizielle Bezeichnung seiner Einheit war »Art Crime Team«, aber sie war allgemein als »Art Squad« bekannt und bestand aus dreizehn Special Agents, drei Strafverteidigern und einem Operations Specialist. Ted war Special Agent und einer von nur zwei verdeckten Ermittlern. Der Anruf war von seinem unbezahlbaren Operations Specialist Jamie Wozniak gekommen. Jamie war für »Ermittlungsunterstützung« zuständig, ein schwammiger Begriff, der ihre Computerkenntnisse, ihre Spürnase und ihr Talent, bürokratische Hürden zu überwinden, nur sehr unzureichend beschrieb.
Er sah sich auf der Straße um. Niemand in Hörweite. Gut. Er war froh, den dick aufgetragenen Bostoner Akzent für eine Weile ablegen zu können. »Hi Jamie, was ist los?«
»Wie läuft’s denn so?«, fragte sie zurück. »Hast du schon Kontakt mit der Zielperson aufgenommen?«
»Bin kurz davor. Wenn ich mich nicht irre, versucht Ms Coane gerade in diesem Augenblick, Kontakt zu mir zu knüpfen. Ich bin sicher, dass sie sich morgen bei mir meldet. Vielleicht sogar schon heute Nachmittag.«
»Mann, wieso hast du so lang dafür gebraucht? Du bist doch schon mindestens einen Tag da.«
»Muss an der Höhenluft liegen. Ich fühle mich ein bisschen schlapp.«
»Im Ernst, läuft alles glatt?«
»Wie geschmiert.«
Es lief wirklich gut. Liz Coane stand im Mittelpunkt der Ermittlungen in einer Betrugsserie, bei der extrem teure Kunstfälschungen an Käufer aus Asien und dem Nahen Osten verkauft wurden. Da die meisten Bilder die Galerie Blue Coyote durchliefen, musste Liz zwangsläufig eine Hauptrolle dabei spielen. Es war aber nicht sicher, ob sie selbst an kriminellen Handlungen beteiligt war oder ob sie nur benutzt wurde. Ted vermutete, dass sie mit drinsteckte, und er war als der elegante, aber aalglatte Roland de Beauvais nach Santa Fe gekommen, um die Wahrheit herauszufinden.
Bei einem solchen Einsatz musste man die Zielperson in dem Glauben lassen, dass sie selbst den Kontakt hergestellt hatte. An seinem ersten Tag in der Stadt hatte er bei verschiedenen Galerien reingeschaut – nur nicht in der Galerie Blue Coyote –, damit sich in der Kunstszene rumsprach, dass ein Neuer da war, ein Geschäftsmann mit jeder Menge Geld, der offenbar nicht großartig von moralischen Bedenken gequält wurde. Auf einen Hinweis von Jamie hin (wie fand sie so was nur immer raus?) hatte er sich mit Doris in dem Lokal zum Mittagessen verabredet, wo sich freitagnachmittags alles einfand, was im Kunstbetrieb von Santa Fe Rang und Namen hatte. Und es hatte einfach wunderbar funktioniert. Liz Coane hatte offenbar schon von ihm gehört (in der Kunstszene sprach sich anscheinend alles fast so schnell rum wie im Knast). Er hatte sich kaum hingesetzt, da merkte er schon, wie sie ihn abcheckte.
»Aber sag mal«, fragte er, »warum hast du denn angerufen? Gibt’s was Neues?«
»Oh ja«, sagte Jamie begeistert. »Du erinnerst dich doch noch an Geoffrey London, oder?«
»Wie könnte ich den vergessen? Wegen dem bin ich ja zu dieser merkwürdigen Spezialeinheit gekommen.«
Das war neun Jahre zuvor gewesen. Damals war er erst seit einem Jahr beim FBI und arbeitete in der New Yorker Dienststelle, wo er sich auf Wirtschaftskriminalität spezialisierte. Die Art Squad in Washington hatte Unterstützung von einem Agenten angefordert, der sich in der New Yorker Kunstszene auskannte. Ted kam dafür am ehesten in Frage, denn er wusste ziemlich gut über Kunst Bescheid. Sein Vater hatte 1962 auf der Newbury Street in Boston den Kunst- und Antiquitätenhandel Ellesworth eröffnet und diesen bis 2004 geführt. Ted hatte dort drei Jahre lang während seines Studiums gearbeitet. Damit war er mehr als qualifiziert für die Art Squad und wurde sofort für eine kurzzeitige verdeckte Ermittlung herangezogen. Er spielte in der London-Affäre keine besonders wichtige Rolle, war aber fasziniert von der Welt, die sich ihm da auftat. Als er zwei Jahre später von einer freien Stelle bei der Art Squad erfuhr, bewarb er sich darum. Und seitdem war er dabei. Er war mit seinem Beruf verheiratet, klagte seine Mutter manchmal, da ihr gut aussehender Sohn anscheinend keine feste Partnerin fand (und auch nicht wirklich suchte).
»Also … wusstest du, dass er schon seit einiger Zeit wieder auf freiem Fuß ist?«
»Nein.«
»Und dass er eine Tochter hat?«
»Auch nicht.«
»Und dass die Tochter in Europa bei einigen der Besten ›Restaurierung‹ studiert hat?«
»Ach, du meinst, sie tritt in die Fußstapfen ihres Vaters? Dass sie sich auf eine Verbrecherlaufbahn vorbereitet hat?«
»Ja, das ist mir durch den Kopf gegangen«, sagte Jamie. »Und wusstest du, dass besagte Tochter auf dem Weg nach Santa Fe ist? Und noch dazu in einem Privatflugzeug?«
»Jamie«, antwortete er geduldig, »wenn ich nicht wusste, dass er eine Tochter hat, woher soll ich denn dann wissen, wohin sie gerade unterwegs ist?«
»Sei doch nicht so. Ich versuche doch nur, ein bisschen Pep in dein Leben zu bringen und die Spannung zu steigern.«
»Das ist dir gelungen. Ich bin total verspannt.«
»Großartig. Möchtest du auch erfahren, warum sie gerade in diesem Augenblick nach Santa Fe düst?«
»Ja, schon, aber könntest du auch ein bisschen auf die Tube drücken? Ich muss nämlich wieder zurück.«
»Ach so, na gut. Und zwar düst sie deshalb gerade in diesem Augenblick nach Santa Fe, weil sie jetzt als ›Kunstberaterin‹ arbeitet – frag mich nicht, was das ist – und in Santa Fe die ›Echtheit‹ eines Bildes, das angeblich von Georgia O’Keeffe stammt, bestätigen soll, das anscheinend ganz plötzlich aus dem Nichts aufgetaucht ist. Keine Angaben zur Provenienz, keine Verkaufsunterlagen, keine …«
»Das ist ja alles ganz interessant, aber ich glaube nicht …«
»Noch interessanter ist, welche Galerie dahintersteckt. Dreimal darfst du raten.«
»Volltreffer.«
»Jetzt bin ich aber doch interessiert«, sagte er. »Wer hat sie denn engagiert? Liz Coane selbst oder der potenzielle Käufer?«
»Das weiß ich nicht. Es gibt einen potenziellen Käufer, aber ich weiß nicht, wer das ist.«
»Wie? Das weißt du nicht? Ich bin schockiert, Jamie.«
»Was soll ich sagen? Ich bin eben auch nicht perfekt – noch nicht. Keine Sorge, das finde ich schon raus, aber ich würde erst mal davon ausgehen, dass sie für den Käufer arbeitet. Warum sollte Ms Coane für teures Geld jemanden aus Seattle holen, noch dazu in einem Privatflugzeug? In Santa Fe wimmelt es wahrscheinlich von Kunstsachverständigen.«
»Ja, aber wimmelt es auch von unehrlichen Kunstsachverständigen?«, fragte Ted nachdenklich. »Vielleicht hat Liz im Vorfeld irgendetwas mit ihr abgesprochen. Es ist doch schon seltsam: Mal ganz abgesehen davon, was es kostet, jemanden aus Seattle einzufliegen, warum sollte jemand, der noch alle beisammen hat – Käufer oder Händler –, sich solche Mühe machen, um ausgerechnet Geoffrey Londons Tochter zu engagieren? Da ist doch was faul. Meinst du nicht?«
»Tja, ich weiß auch nicht. Das ist zu hoch für mich.«
»Wie heißt seine Tochter denn, Jamie? Ich nehme an, sie hat ihren Nachnamen geändert.«
»Nein, sie heißt Alix London.«
»Alix London«, wiederholte Ted. »Ich schreibe es mir auf. Und sieh zu, was du sonst noch rauskriegen kannst.«