KAPITEL 5
»Roland de Beauvais, Kunstankauf, Boston«, las Liz laut von der Leinenstruktur-Visitenkarte mit Prägedruck ab, die Michael, einer ihrer beiden Assistenten, ihr auf den Schreibtisch gelegt hatte. Darunter stand eine Telefonnummer. Das war alles. Teurer Leinenkarton, schlichte, schwarze Schrift, kein Logo. Dezent, aber stilvoll. Sie legte die Karte wieder auf den Schreibtisch und konnte sich ein zufriedenes Lächeln nicht verkneifen. Der Fisch hatte ziemlich schnell angebissen. Sie hatte angenommen, er würde erst am nächsten Tag vorbeikommen.
»Ich habe ihm gesagt, dass du in einer knappen Stunde eine Ausstellungseröffnung hast«, berichtete Michael, »und vorher noch eine Verabredung, und er hat gesagt, wenn er ungelegen käme, würde er morgen wiederkommen.«
»Nein, nein, lass ihn nicht gehen. Hol ihn sofort rein«, sagte Liz und stellte ihr halb leeres Champagnerglas ab. Sie würde ihn nicht entwischen lassen, nur damit jemand anderes sich ihn an Land ziehen konnte. Außerdem war der Zeitpunkt ideal. Gerade erst hatte sie das O’Keeffe-Bild auf einer Staffelei aufgebaut. Das würde ihn sicher schwer beeindrucken. Sie schob die Staffelei aber ein wenig zur Seite, damit es nicht so aussah, als wollte sie ihn beeindrucken, sondern als stände das Bild nur ganz zufällig da. Als wäre so ein Bild in ihrer Galerie nichts Ungewöhnliches. Total normal.
Sie brachte ihren Schreibtisch in Ordnung, kippte den Rest ihres Champagners hinunter, stellte Glas und Flasche in den Kühlschrank, warf einen kurzen Blick in den Spiegel, bemühte sich vergebens, mit einem angefeuchteten Finger ein paar störrische Haarsträhnen zu ordnen, korrigierte mit demselben Finger die Konturen ihres verschmierten Lippenstifts, und gerade als sie sich wieder hinter den Schreibtisch setzte, ging die Bürotür auf und er kam herein.
Er trug wieder die Sonnenbrille, hatte sich aber umgezogen. Im Santacafé hatte er ein Kaschmirsakko, ein weißes Hemd und Jeans getragen – sportlich-leger. Jetzt, da es langsam Abend wurde, war er immer noch lässig-elegant, aber einen Hauch förmlicher: blauer Blazer, blasslila Hemd mit offenem Kragen und Umschlagmanschetten – unter den Jackenärmeln lugten goldene Manschettenknöpfe hervor – und graue Hose. Die braunen Gucci-Slipper hatte er gegen schwarze Guccis mit Troddeln ausgetauscht. Das ist schon ein cooler Typ, dachte sie, während sie sich quasi die Lippen leckte, und vor allem ein ganz schön reicher Typ.
»Ich werde Sie nicht lange aufhalten«, sagte er, allerdings mit dem typischen Akzent der Bostoner Oberschicht: affektiert, etepetete und strotzend von übermäßigem Selbstwertgefühl. Gott, er sprach wie Thurston Howell III, der Millionär aus Gilligans Insel. »Ich habe mich heute Nachmittag zufällig mit Ms Goudge unterhalten, die zufällig erwähnte, dass Sie mir eventuell behilflich sein könnten, ein paar Bilder aufzutreiben, an denen meine Kunden interessiert sind.« Dann ließ er kurz ein Lächeln aufblitzen, das alles Mögliche bedeuten konnte.
Dieser Typ war nicht nur cool und reich, dachte Liz, sondern genauso aalglatt wie er aussah. Wie er in seiner kurzen Rede zweimal das Wort »zufällig« untergebracht hatte – »ich habe mich zufällig mit Ms Goudge unterhalten, die zufällig erwähnte« – und das Wort beide Male fast unmerklich betont hatte: Das sollte sich einerseits ganz unverfänglich anhören, aber andererseits wollte er damit signalisieren, dass er von ihrer Vereinbarung mit Doris wusste, ihn in ihre Galerie zu lotsen, und dass es ihm überhaupt nichts ausmachte.
So was brachte nicht jeder fertig, dachte sie bewundernd. Hier stand ein betrügerischer Kunsthändler vor ihr und gab vor, hochanständig zu sein, aber gleichzeitig sendete er Signale aus, dass er genau wusste, was los war, und dass es ganz an ihr lag, wie die Sache lief. Nicht einfach, aber er hatte es gemeistert wie ein Profi, der er offenbar auch war. Sie spürte – und bei so etwas täuschte sie ihr Instinkt selten –, dass sie wunderbar miteinander auskommen würden, trotz seines nervigen Akzents.
»Wie wär’s mit einem Glas Champagner, Mr de Beauvais?«, fragte sie. »Ich wollte gerade eine Flasche aufmachen. Vor einer Ausstellungseröffnung trinke ich gern schon ein Glas. Warum sollen schließlich nur die Gäste Spaß haben?«
»Ja, gern«, sagte Ted. »Aber sicher doch.« Wieder dieser Akzent …
»Hoffentlich mögen Sie Moët et Chandon.«
»Wenn Sie keinen Dom Perignon haben«, sagte er und beide fingen an zu lachen.
Er schätzte, ihr Zustand war irgendwo zwischen angeschwipst und stockbetrunken. Deshalb war er schneller zur Sache gekommen. Sie hatten nur ein paar Minuten gebraucht, um sich gegenseitig einzuschätzen und die Spielregeln festzulegen. Ted hatte erklärt, er vertrete mehrere extrem wohlhabende Kunden aus dem Ausland, die alle ungenannt bleiben wollten. Sie seien an Künstlern der amerikanischen Moderne interessiert, insbesondere Marsden Hartley, Arthur Dove und Georgia O’Keeffe. Liz hatte dann erwähnt, dass sie vielleicht, aber nur vielleicht ein paar Bilder dieser Künstler auftun könnte, und zwar zu attraktiven Preisen. Allerdings könnte es ein paar Probleme – geringfügige, irrelevante Probleme – mit der Provenienz der Bilder geben, also was Unterlagen über ihre Entstehung und vorherige Besitzer anging, und außerdem mit den Echtheitsgarantien. Ob ihm das etwas ausmachen würde.
Aber keinesfalls, hatte Ted gesagt, er habe sowieso nie viel von Provenienz und Echtheitsgarantien gehalten. Die seien zu leicht zu fälschen, und überhaupt bräuchte jemand, der sich auskennt, keinen Papierkram, um zu bestimmen, ob ein Gemälde echt war. Da sollte man sich auf seine Erfahrung und Intuition verlassen können. Ob sie ihm da nicht zustimmen würde. Oh ja, sagte Liz ganz ernst, sie stimme ihm hundertprozentig zu. Sie sei ganz seiner Meinung.
»Also das O’Keeffe-Bild auf der Staffelei da«, sagte Ted. »Es ist wahrscheinlich aussichtslos, aber ist das noch zu haben?«
»O’Keeffe?«, fragte Liz mit hochgezogenen Augenbrauen. Sie drehte sich um. »Ach, das da. Das hatte ich ganz vergessen. Ist es nicht wunderbar, Mr de Beauvais?«
»Rollie.«
»Rollie. Aber das ist leider schon verkauft. Es ist erst vor Kurzem aufgetaucht, wissen Sie, deshalb gibt es, ähm, noch keine Unterlagen für das Bild.«
»Das ist ja interessant.«
»Ja, interessant.« Es entstand ein gar nicht peinliches Schweigen, während das Wort »interessant« mit all seinen Assoziationen im Raum hing. »Es ist eins von mehreren«, fuhr sie fort. »Es gehört zu einer Serie aus der Abiquiu-Periode, aber keins der Bilder wurde damals verkauft. Möglicherweise wurde die ganze Serie zusammen verschenkt. Was für ein Geschenk, was? Vielleicht fand sie sie nicht gut genug. Obwohl man sich das kaum vorstellen kann. Ist es nicht wunderschön?«
»Ja, sehr schön«, stimmte Ted ehrlich zu. »Also … diese anderen Bilder …sind die zufällig auch zu verkaufen?«
»Ja, ich könnte das arrangieren. Natürlich weihe ich nicht jeden in diese Sache ein. Nur meine Freunde …« Sie hob ihr mit Lippenstift verschmiertes Glas und lächelte. »… Und Leute, denen ich bedingungslos vertraue. Diskretion ist ein absolutes Muss. Ich brauche Ihnen ja nicht zu sagen, was mit den Preisen passiert, falls rauskommt, dass noch ein Dutzend Bilder von Georgia O’Keeffe entdeckt worden sind. Angebot und Nachfrage, Sie verstehen …«
»Natürlich verstehe ich das.« Er stieß mit ihr an. »Ihre Freunde und die Leute, denen Sie bedingungslos vertrauen … Hoffentlich zähle ich wenigstens zu einer dieser Kategorien, vielleicht noch nicht jetzt, aber bald.«
Sie trank ihren Champagner aus und schürzte die Lippen. »Wir werden ja sehen«, sagte sie leicht lallend und mit einem verstohlenen Kichern. Bald würde sie voll sein wie eine Strandhaubitze.
»Liz, können Sie mir ein paar ungefähre Zahlen nennen? Sagen wir mal, ich würde gern vier Bilder kaufen – oder vielleicht fünf. Wie viel würden Sie verlangen?«
Er konnte quasi sehen, wie die Dollarzeichen über ihre Augäpfel ratterten. Ihre Stimme war plötzlich belegt. »Na ja, das kommt drauf an.« Sie griff nach der Flasche und schenkte ihnen beiden Champagner nach. »Also gut«, sagte sie mit einem verschwörerischen Lächeln, »wie viel bieten Sie denn?«