19. KAPITEL

Es wurde bereits dunkel, als Trey zu Hause ankam. Ella war im Garten und goss die Geranien, und als er sie in roter Hose und Bluse dort stehen sah, musste er innerlich grinsen. In ihrer Aufmachung passte sie perfekt zur Farbe der Blumen, um die sie sich kümmerte.

“Hallo, Schönheit”, rief Trey ihr zu, nachdem er ausgestiegen war.

“Auch hallo”, gab sie zurück und drehte den Gartenschlauch, um ihn aufrollen zu können. “Ich habe einen Braten gemacht, der noch im Backofen steht. Im Kühlschrank steht ein Bananenkuchen, außerdem der Salat zum Braten. Sie müssen bei Gelegenheit wieder Milch kaufen, und die Eier sind fast aufgebraucht. Ich habe eine Einkaufsliste angefangen, sie liegt auf dem Tresen.”

“Meine Güte, Ella. Ich wollte Sie nicht als meine Haushälterin einstellen, Sie sollten doch nur Livvie etwas Gesellschaft leisten, bis sie wieder bei Kräften ist.”

Ella schürzte die Lippen, während sie die Hände in die Hüften stemmte. “Ich habe nur getan, was ich tun wollte. Außerdem habe ich mich schon seit Jahren nicht mehr so nützlich gefühlt. Das tut gut, also verderben Sie’s mir nicht.”

Trey grinste. “Schon kapiert, aber arbeiten Sie bitte nicht so viel, okay?”

“Wie Sie meinen”, murmelte sie. “Ihre Süße ist hinten im Pool, und ihr Großvater war auch da.”

“Marcus? Ist er noch hier?”

“Nein, er ist gegangen, nachdem ich ihn beim Poker ausgenommen habe.”

“Sie haben wieder gepokert?”

“Ja.”

“Um Streichhölzer? Wie immer?”

“Also bitte! Natürlich um Geld.” Sie klopfte auf ihre Hosentasche. “Ich habe ihm fast zweihundert Mäuse abgeknöpft. Natürlich habe ich ihm noch genug gelassen, damit er das Taxi für die Heimfahrt bezahlen konnte, ich bin ja schließlich nicht völlig herzlos.”

“Unfassbar”, meinte Trey.

“Was?”

“Ich bin Cop, und Sie spielen in meinem Haus um Geld. Eigentlich ist das überhaupt nicht in Ordnung, aber ich bin zu erschlagen, um mich jetzt noch damit zu befassen.”

Ella rümpfte die Nase. “Nun kriegen Sie sich mal wieder ein. Das wird schon nicht wieder vorkommen, allerdings vor allem aus dem einen Grund, dass ich Marcus Sealy nicht für einen Dummkopf halte. Einmal habe ich ihn geschlagen, aber den Fehler wird er nicht noch mal machen.”

“Der Grund ist mir egal”, sagte Trey. “Hauptsache, mein Haus wird nicht zu einem Spielcasino.”

“Nun, dann gehe ich jetzt nach Hause. Gleich kommt meine Lieblingsserie. Schönen Abend noch, und sagen Sie Olivia, dass ich morgen wieder herkomme.”

“Okay, und nochmals danke.” Dann eilte er ins Haus, während Ella den Garten verließ. Drinnen roch es nach dem Braten, unter dessen Aroma sich der Geruch von Möbelpolitur mit Zitronenzusatz mischte. In der Luft hing eine Energie, die bis zu Olivias Ankunft immer gefehlt hatte – fast so, als hätte erst sie das Haus mit Leben erfüllt. Doch Trey wusste, dass diese Energie nicht nur von den Menschen ausging, die hier lebten, sondern vor allem von der Liebe zu Livvie, die ihm das Gefühl gab, wirklich daheim zu sein.

Er schloss die Tür hinter sich, hängte sein Jackett auf einen Haken und legte das Schulterhalfter zusammen mit der Waffe in die Schreibtischschublade. Als er aus dem Küchenfenster sah, entdeckte er Olivia, die auf einem aufgepumpten Reifenschlauch im Pool trieb. Von dem schwarzen Bikini, den sie trug, konnte er nicht viel erkennen, doch es genügte, um ihn anzutreiben, damit er sich zu ihr gesellte. Ein paar Minuten später kam er in eine Badehose gekleidet aus dem Schlafzimmer.

Olivia hörte das Gartentor knarren, wollte aber nicht die Augen öffnen. Egal, was es war, Ella würde es ihr schon sagen.

Als sie dann aber hörte, wie das Wasser im Pool hochschlug, befürchtete sie, Ella könnte ausgerutscht und hineingefallen sein. Sie drehte sich auf dem Reifen um, da tauchte auf einmal Trey neben ihr aus dem Pool auf und grinste sie breit an.

“Hey, du”, sagte sie und spritzte ihm ausgelassen etwas Wasser ins Gesicht.

“Selber hey”, gab er zurück und schob ihren Reifen an den Poolrand, damit er neben ihr stehen konnte.

Olivia wollte ihn eigentlich nicht anstarren, doch ihr Gehirn gehorchte ihr nicht. Sie konnte nicht anders, als seine breiten Schultern, die muskulösen Arme und den flachen Bauch zu bewundern. Immer wieder hatte sie sich gefragt, wie sich wohl der Körper des Jungen entwickelt haben mochte, als er zum Mann geworden war. Jetzt kannte sie die Antwort darauf.

Während ihr Blick zurück zu Treys Gesicht wanderte, lächelte sie noch, doch dann sah sie seine besorgte Miene. Prompt wurde sie ernst und legte eine Hand über die Schusswunde an ihrer Schulter.

Trey nahm ihre Hand aber und drehte sie derart, dass er ihre Innenfläche so intensiv küssen konnte, bis sie lustvoll aufstöhnte.

Sie wollte ihn. Als Siebzehnjährige hatte sie den Jungen kennen gelernt, doch noch viel lieber wollte sie jetzt den Mann erobern.

“Trey …”

“Schhht”, machte er und drehte den Reifen so, dass sie ihm den Rücken zuwandte.

Sie fühlte seine Lippen in ihrem Nacken, dann am Ohr. Langsam wanderte er mit dem Mund weiter bis zu der Stelle an ihrer Schulter, an der die Kugel eingedrungen war. Er hielt inne, und sie hörte, wie er heftig einatmete. Dann legte er seine Arme um sie und ließ die Stirn auf ihrem Kopf ruhen.

“Trey?”

“Noch nicht”, sagte er mit zittriger Stimme.

“Mir geht es gut”, fuhr sie leise fort.

“Lieber Gott, Livvie! Aber mir geht es nicht gut, verstehst du? Lass mich dich einfach nur festhalten.”

Sie legte den Kopf in den Nacken, bis sie seine Brust berührte, dann schloss sie die Augen. Auch wenn sie ein Trauma davongetragen hatte, würde ihr nie Leid tun, dass es geschehen war. Erst recht nicht, wenn dadurch Trey in ihr Leben zurückgekehrt war.

Trey schluckte, um gegen die Emotionen anzukämpfen, die ihm einen Kloß im Hals bescherten. Der Anblick der Wunde an ihrer Schulter war für ihn wie ein Schlag ins Gesicht, der den Zorn auf Dennis Rawlins wieder in ihm hochsteigen ließ.

Schließlich bewegte er sich, und Olivia spürte ein Schaudern, das sich auf ihren Körper übertrug. Während er tief durchatmete, lehnte sie sich weiter zurück, bis sie ihn kopfüber ansehen konnte.

“Du siehst witzig aus, wenn ich dich so von unten betrachte”, meinte sie lachend.

“Du auch”, gab er zurück. Er wusste, sie scherzte nur, um seine Laune zu bessern.

“Willst du ein Wettschwimmen?” fragte sie.

“Was ich will, hat mit dem Pool absolut nichts zu tun.”

Olivia setzte eine ernstere Miene auf, dann ließ sie den Blick über seinen Oberkörper wandern. Von der Taille abwärts war er durch das Wasser nur verzerrt zu sehen.

“Hast du nicht gesagt, du trägst keine Badehose, wenn du schwimmen gehst.”

“Das lässt sich schnell ändern”, erwiderte er.

Ihr fehlte der Mut, auf diesen Bluff einzugehen. Als sie wieder hochsah, war sein Gesicht ausdruckslos.

Chaos regierte in diesem Moment in Treys Kopf. Er wollte sie lieben, doch für mehr als leidenschaftliche Küsse war sie nicht in der Verfassung. Dann aber überraschte sie ihn mit ihrer Frage.

“Das, was du willst … hat das irgendetwas mit einem Bett zu tun?”

“Das ist nicht witzig”, erwiderte er.

“Lache ich etwa?”

“Wir können nicht … noch nicht.”

“Wieso nicht? Er hat mir in die Schulter geschossen, nicht in den Hintern.”

Trey stutzte, da sie ihn schon wieder überrascht hatte.

“Weißt du, Livvie, seit damals hast du dich doch ein wenig verändert.”

“Wenn du damit meinst, dass ich jetzt sage, was ich denke, dann liegst du richtig. Du warst so gut, mir eine zweite Chance zu geben. Ich will alles, was mit dieser zweiten Chance zu tun hat – auch mit dir schlafen.”

“Mein Gott, Livvie. Meinst du, ich will das nicht? Aber einer von uns beiden muss noch einen Rest von Vernunft bewahren. Wenn du wieder völlig gesund bist, wirst du dir vielleicht wünschen, du hättest dieses Feuer nie wieder entfacht.”

“Ich bin gesund … jedenfalls gesund genug.” Dann glitt sie aus dem Reifen und ging auf Trey zu. “Siehst du? Ich stehe vor dir, fest auf beiden Beinen, und ich bettele dich schamlos an.”

“Du musst nicht betteln.”

“Wirklich nicht?”

Er schüttelte amüsiert den Kopf. “Also gut, Frau, du hast gewonnen. Beweg deinen begnadeten Körper aus meinem Pool und ab ins Haus mit dir. Ich gebe dir zwei Minuten, um es von der Hintertür bis ins Bett zu schaffen.”

Olivia stieg ein Stück weit auf der Leiter am Beckenrand nach oben und griff nach ihrem Handtuch, als er seine Finger unter den Verschluss ihres Bikinioberteils schob und ihn öffnete. Der wenige Stoff begann zu rutschen, noch ehe sie davon etwas bemerkte.

Sie drehte sich um und bedeckte reflexartig ihre Blöße, während sie ihn mit großen Augen ansah. Die Leidenschaft in seinem Blick war für einen kurzen Moment erschreckend, dann aber erregte sie sie.

“Nur noch eine Minute”, sagte er.

Nachdem sie kurz auf das Oberteil gesehen hatte, das auf dem Boden gelandet war, lief sie los zur Hintertür. Kaum war sie im Haus, hörte sie, wie hinter ihr die Tür zugeworfen und abgeschlossen wurde. Bevor sie wusste, wie ihr geschah, war er bereits bei ihr.

Im Flur zögerte sie kurz, da sie nicht wusste, in welches Schlafzimmer sie gehen sollte.

“Die Zeit ist um”, rief er, schnappte sie und trug sie in sein Schlafzimmer. Er setzte sie kurz ab, um ihr den Slip auszuziehen, dann schlug er die Decke zur Seite und legte Olivia mitten auf sein Bett.

“Trey, alles wird doch nass!”

“Na und? Mich stört’s nicht.” Er streifte seine Badehose ab und ließ sie einfach auf dem Boden liegen.

Sekundenlang starrte Olivia seinen Körper an, der von feinen Wassertropfen überzogen war.

“Nicht bewegen”, sagte er leise und legte sich zu ihr ins Bett.

Ihr stockte der Atem, als er näher kam, und sie wollte nach ihm greifen.

“Verdammt, Livvie … ich sagte doch, du sollst dich nicht bewegen.”

“Trey Bonney! Ich will dich berühren und dich halten, ich will wissen, was das für ein Gefühl ist, wieder von dir geliebt zu werden.”

Er stützte sich auf Händen und Knien ab, damit sein Gewicht nicht auf ihr ruhte. “Oh, Sweetheart, das werde ich dir schon zeigen, das und noch viel mehr. Schließ die Augen und genieße es einfach.”

Olivia tat, was er sagte.

Zunächst merkte sie gar nichts, außer dass er sein Gewicht auf der Matratze verlagerte. Dann spürte sie etwas Warmes an ihren Brustspitzen, aber keine Berührung. Sie wusste, es war sein Atem. Er war ihr ganz dicht, doch er berührte sie noch immer nicht. Ihr war, als würde ihr Herz stehen bleiben.

Der warme Hauch wanderte weiter bis zu ihrem Bauch, und dann musste sie unwillkürlich aufstöhnen, als seine Zunge ihren Bauchnabel berührte. Er bewegte sich noch ein Stück weiter nach unten. Sie spürte die Hitze, die von seinem Körper ausging, und automatisch versuchte sie sich ihm zu öffnen, damit er in sie eindringen konnte.

Wieder flüsterte er ihr etwas zu. “Olivia … nicht bewegen.”

Ihr lief ein wohliger Schauer über den Rücken, sie wollte ihn berühren … sie wollte sich berühren. Doch beides war nicht möglich.

Jetzt spürte sie seinen heißen Atem auf ihren Oberschenkeln, an ihren Knien. Als er ihre Knöchel umfasste, musste sie einen Aufschrei unterdrücken.

“Langsam”, hauchte er ihr zu. “Lass es geschehen.”

Er hielt ihre Knöchel umfasst, lockerte den Griff dann so sehr, dass seine Hände bis zu ihren Knien wandern konnten. Sie kehrten zu den Knöcheln zurück, strichen aber so sanft über ihre Haut, dass Olivia wusste, er war noch da.

Sie zitterte am ganzen Leib. “Trey … Trey.”

“Schhht.”

Seufzend konzentrierte sie sich wieder darauf, was er tat. Langsam streichelte er ihre Beine, fuhr mit den Händen auf und ab, bis sie sich in einer trügerischen Sicherheit wähnte, was er als Nächstes machen würde.

Dann jedoch packte er erneut ihre Fußknöchel und spreizte ihre Beine.

Abermals schnappte sie nach Luft. Endlich war es so weit.

Doch er nahm sie nicht, noch nicht.

“Hör auf damit”, wisperte sie.

“Willst du das?” fragte er. “Soll ich wirklich aufhören?”

“Oh Gott, nein, so meine ich das doch nicht.”

Sie glaubte, sein Lachen zu hören, doch das Blut rauschte so laut in ihren Ohren, dass sie sich auch irren konnte.

Seine Hände befanden sich nun auf ihren Oberschenkeln und strichen weit genug nach oben, dass er sie dort hätte berühren können, wo sie es unbedingt wollte, aber er ließ sich weiter Zeit.

Wieder ließ er sie in dem Glauben, zu wissen, was als Nächstes kommen würde, doch völlig überraschend hob er ihre Beine hoch und winkelte ihre Knie an. Ehe sie verstand, was mit ihr geschah, spürte sie auf einmal, wie sein Daumen ihren empfindlichsten Punkt berührte.

Sie wollte sich gegen ihn drücken, um das Gefühl ganz auszukosten, doch Trey ließ es nicht zu, sondern sagte so leise, dass sie Mühe hatte ihn zu verstehen: “Ich sagte es doch, Livvie. Beweg dich nicht.”

Stattdessen bewegte er sich, oder besser gesagt: seinen Daumen. Olivia hielt vor Lust den Atem an, was ihr erst auffiel, als er sie aufforderte, sie solle atmen, wenn sie nicht ohnmächtig werden wolle.

Trey erhöhte nur langsam das Tempo, doch für sie gab es längst kein Halten mehr. Sie wollte mehr, brauchte mehr. Sie flehte ihn an, bis sie nicht mehr in der Lage war, ein vernünftiges Wort über die Lippen zu bringen.

Das Feuer, das er mit der ersten Berührung in ihr entfacht hatte, wurde zu einer Explosion der Lust, zu einem Feuerwerk der Sinne, wie sie es noch nie erlebt hatte. Sie bäumte sich auf, und gerade als sie losschreien wollte, presste er seinen Mund auf ihre Lippen und hielt sie fest. Erst als er merkte, dass die letzten Wogen ihres Höhepunkts abebbten, rutschte er ein Stück höher und drang behutsam in sie ein.

Olivia lag reglos da, während er sich vor und zurück bewegte. Sie war nicht imstande, eine aktive Rolle zu übernehmen, und konnte nur das genießen, was folgte.

Er war größer gebaut, als sie es in Erinnerung hatte, doch sobald er sich bewegte, war es, als würde sie von Seide berührt werden. Alles war wieder so wie damals, sie beide passten einfach perfekt zusammen. Mit jeder Faser ihres Körpers fühlte sie ihr Glück. Sein Rhythmus stand im vollkommenen Einklang mit ihrem Herzschlag.

Als er kam, schrie sie lustvoll auf, auch wenn sich ein wenig Wehmut darunter mischte, weil sie so viele Jahre verloren hatten, ehe sie wieder an diesem Punkt angelangt waren.

Eben noch hatte Trey in tiefem Schlaf im Bett gelegen, Olivia an sich gedrückt. Im nächsten Moment saß er aufrecht da, ohne den Grund zu kennen. Er lauschte aufmerksam auf die Geräusche im Haus und versuchte sich zu erinnern, ob er etwas Ungewöhnliches gehört hatte.

Alles war ruhig.

Er sah auf den Wecker. Kurz nach zwei.

Olivia drehte sich zu ihm um, sah ihn verwundert an und fragte mit heiserer Stimme: “Was ist los? Stimmt etwas nicht?”

“Nein, Baby, es ist alles in Ordnung. Schlaf weiter.”

Während sie die Augen wieder schloss, stand Trey auf.

Seine Badehose lag noch da, wo er sie hingeworfen hatte. Er hob sie auf, ging ins Badezimmer und legte sie auf den Beckenrand, damit sie trocknen konnte. Vom Haken an der Tür nahm er eine Shorts und zog sie an, dann machte er sich auf einen Rundgang durchs Haus. Er war instinktiv aufgewacht, und er würde erst Ruhe finden, wenn er wusste, dass alles in Ordnung war.

Im Haus war alles ruhig, und das galt auch für die Straße. Kein Fenster und keine Tür war aufgebrochen worden, dennoch holte er seine Waffe aus der Schublade und sah sich im Garten um. Als er nichts finden konnte, wollte er ins Haus zurückgehen, doch in diesem Moment bemerkte er aus dem Augenwinkel, dass bei Ella noch Licht brannte. Das war sehr ungewöhnlich.

Er zog die Haustür zu und ging hinüber. Gerade hatte er Ellas Garten zur Hälfte durchquert, als er den Schatten eines Mannes sah, der von der Zimmerbeleuchtung an den Vorhang geworfen wurde. Verwundert blieb er stehen. Ella war Witwe, ihr einziger Sohn lebte in Florida. Dann erinnerte er sich daran, dass sie einen Teil ihrer Zeit mit diesem Kerl verbrachte, dem eine Kette von Beerdigungsinstituten gehörte. Es würde sicher peinlich sein, wenn er glaubte, einen Einbrecher zu überwältigen, und dabei die beiden zusammen zu ertappen.

Trey wollte den Rückzug antreten, da sah er, wie der Mann den Arm hob und etwas zu werfen schien. Fast im gleichen Moment hörte er Glas splittern, dann schrie Ella auf.

Mit dem bloßen Fuß trat er die Hintertür ein und stürmte mit vorgehaltener Waffe ins Haus. Flüchtig sah er Ella im Nachthemd und gefesselt auf dem Boden liegen. Die Küche wirkte wie ein Schlachtfeld. Er machte eine Bewegung am Rand seines Gesichtsfelds aus, und im nächsten Moment kam hinter der Tür ein Mann hervor, der eine Waffe auf Treys Kopf gerichtet hielt.

Er wirbelte herum und zog ab, der Mann begann zu schwanken, dann fiel er der Länge nach zu Boden.

Trey trat gegen die Waffe, die quer durch das Zimmer rutschte, dann zerrte er das Stromkabel aus dem Toaster und fesselte den Fremden, bevor der das Bewusstsein wiedererlangen konnte. Er sah zum Telefon, musste aber erkennen, dass das Kabel aus der Wand gerissen worden war.

Ella stöhnte auf, und er eilte zu ihr. Sie hatte einen blauen Fleck im Gesicht, und ihre Lippe war blutig. Nachdem er sie losgebunden hatte, stand sie auf, war aber noch etwas unsicher auf den Beinen.

“Ganz langsam, Honey”, beruhigte Trey sie und half ihr, sich hinzusetzen. “Was ist passiert? Sind Sie noch irgendwo verletzt?”

“Nein, mir ist nur ein bisschen schwindlig. Und ich bin verdammt sauer.”

Treys Anflug von Panik legte sich gleich wieder. Dass Ella sauer war, passte zu ihr. Wäre sie verängstigt gewesen, hätte er Grund zur Sorge gehabt.

“Der Kerl ist hier eingebrochen. Ich hatte etwas gehört und stand auf, aber bevor ich am Telefon war, kam er in mein Schlafzimmer, um mich auszurauben. Er wollte mein Bargeld haben.” Sie stockte kurz. “Ich zeigte ihm, wo die Handtasche liegt, und ich wollte ihm auch das Geld geben, das ich von Marcus gewonnen hatte. Aber er wollte es gar nicht anrühren, sondern redete irgendwelches wirres Zeug und wischte sich übers Gesicht, so als … ja, als würde ihm etwas im Gesicht kleben.”

“Trey?”

Er wandte sich um und sah Olivia in der Türöffnung stehen. Sie trug eine Jogginghose und eines seiner T-Shirts, das ihr viel zu weit war.

“Bleib du bei ihr”, sagte er rasch. “Ich muss telefonieren.”

“Er hat alle Kabel aus der Wand gerissen”, erklärte Ella.

Olivia betrachtete den Mann auf dem Boden und erschrak, als sie Ellas Gesicht sah. “Oh nein!” rief sie und lief zu ihr.

“Mir geht’s gut”, murmelte die alte Frau. “Nur ein bisschen ramponiert.”

Der Mann auf dem Boden stöhnte leise. Trey konnte die beiden Frauen nicht mit diesem seltsamen Kerl allein lassen, auch wenn der angeschossen und gefesselt war. Nach allem, was Ella gesagt hatte, schien der Typ high zu sein.

“Ich hab’s mir anders überlegt”, sagte er zu Olivia. “Geh rüber und bring mir mein Mobiltelefon. Es liegt im Flur.”

Olivia lief los und war schneller zurück, als er es erwartet hätte. Sie reichte ihm das Telefon und setzte sich zu Ella.

Es vergingen einige Minuten, dann fuhren zwei Rettungswagen und mehrere Streifenwagen vor dem Haus vor.

Der Mann wurde festgenommen und ins Krankenhaus gebracht, Ella wurde an Ort und Stelle behandelt. Sie wollte zu Hause bleiben, aber Trey ging darauf nicht ein. Er wies die Sanitäter an, sie mitzunehmen, damit sie auf innere Verletzungen und auf eine mögliche Gehirnerschütterung hin untersucht wurde.

Ella wollte sich mit ihm anlegen, doch dieses eine Mal war sie zu schockiert dafür. Dennoch brachte sie es fertig, auf Olivia zu zeigen und zu sagen: “Sie gehen zurück ins Haus und legen sich hin. Sie sind ganz blass.”

Am liebsten hätte Olivia gelacht, doch ihr kamen die Tränen. Sie beugte sich vor und gab Ella einen Kuss auf die Wange, als die Sanitäter sie aus dem Haus trugen. Wie schnell hatte sie diese beeindruckende Frau liebgewonnen.

“Kommen Sie schnell wieder auf die Beine.”

Ella verzog den Mund. “Und wer soll jetzt auf Sie aufpassen?”

“Wenn Sie zurück sind, passen wir gegenseitig auf uns auf”, erklärte Olivia.

Ein schwaches Lächeln umspielte Ellas Lippen, dann zog Trey Olivia zur Seite, kurz darauf fuhr der Rettungswagen ab. Zwei Detectives stiegen aus ihrem Wagen und kamen zum Haus. Sie erkannten Trey sofort. “Hey, Bonney, wohnst du hier?” rief einer der beiden.

“Nein, nebenan.”

“Kannst du uns erzählen, was hier los war?”

Trey nickte. “Ja, ich bringe nur schnell Livvie zurück ins Haus.”

“Ich kann allein rübergehen”, erklärte sie, als er sie am Ellbogen fasste.

“Ich weiß, aber ich muss Gewissheit haben, dass es dir gut geht. Ich kann nicht zulassen, dass meine beiden liebsten Mädchen außer Gefecht gesetzt werden.”

Olivia seufzte und lehnte sich gegen ihn, während er sie zu seinem Haus brachte. Erst als sie im Garten waren, merkte sie, wie ihre Beine zitterten.

“Ich hatte den Schuss gehört”, sagte sie.

Trey ging weiter. “Ja.”

“Den Schuss, der mich traf, habe ich nicht gehört”, fuhr sie fort. “Aber ich empfand die gleiche Panik.”

“Es tut mir Leid, Honey.”

“Trey?”

“Ja?”

“Woher hast du das gewusst?”

“Was meinst du?”

“Dass der Mann dort war … dass etwas nicht stimmte?”

Er blieb stehen und sah sie an. “Ich weiß es nicht. Ich bin aufgewacht, und ich wusste es.”

Olivia legte die Arme um seine Taille. “Du hast ihr das Leben gerettet, Trey Bonney. So wie du mir das Leben gerettet hast.”

“Ja, das war aber nur …”

“Du bist ein guter Mann, Trey. Es wird schwer werden, es mit jemandem wie dir aufzunehmen.”

“Du sollst es ja gar nicht mit mir aufnehmen, Darling. Verbring einfach den Rest meines Lebens mit mir.”

“War das ein Heiratsantrag?” fragte sie.

“Ja.”

“Dann nehme ich ihn an.”

Trey versuchte ein Lächeln, doch im Moment war er von seinen Gefühlen überwältigt. “Ich habe lange warten müssen, ehe ich dir einen Antrag machen konnte. Aber weißt du was?”

“Was?”

“Ich habe nie geglaubt, du könntest nein sagen. Ist das nicht eigenartig?”

Sie legte ihren Kopf an seine Brust und drückte sich an ihn. “Nein, das ist gar nicht eigenartig, Trey. Es ist nur der Beweis dafür, dass deine Instinkte dich nie im Stich lassen.”

“Tja … jetzt aber ab ins Bett mit dir. Ich gebe noch schnell zu Protokoll, was passiert ist. Das wird nicht lange dauern, außerdem brauche ich noch etwas Schlaf, bevor ich mich wieder meiner Arbeit widme.”

“Wieso? Gibt es etwas Besonderes?”

Erst da wurde Trey bewusst, dass er ihr nichts von Sheree Collier und dem Gespräch mit Foster Lawrence erzählt hatte. Doch das war auch nicht nötig. Er musste Olivia nicht an die offenen Fragen erinnern, die ihre Identität betrafen – erst recht nicht, wenn die Fakten fast schon zum Greifen nah waren.

“Nur weitere Besprechungen und Fragen, die alle das tote Baby betreffen”, antwortete er.

Olivia nickte. “Ich werde auf dich warten”, sagte sie und ging ins Haus.

Er sah hinter ihr her und dachte über ihre Worte nach.

Sie würde auf ihn warten.

Etwas Besseres konnte er sich nicht vorstellen.