15. KAPITEL

Terrence studierte sein Spiegelbild und suchte nach Spuren des Mannes, der er einmal gewesen war. Er wusste nicht, ob er sich etwas vormachte. Vielleicht redete er sich auch nur ein, dass der nicht mehr existierte, weil er es nicht ertrug, in der Haut dieses Mannes zu stecken.

Er berührte sein Gesicht, strich über die hängenden Wangen. Da war diese flüchtige Erinnerung an seinen Vater, dem er ein wenig ähnlich sah, auch wenn die Augen völlig anders waren. Sein Vaters hatte einen viel zügelloseren Eindruck gemacht. Er war ein Mistkerl gewesen, doch so sehr Terrence ihn auch hasste und so sehr er versucht hatte, anders zu sein als er, war er so wie sein Vater geworden.

Nicht ein Tag verging, an dem er bereute, was er Amelia angetan hatte. Genauso wenig konnte er Marcus’ hasserfülltes Gesicht vergessen, als der in seine Wohnung gekommen war. An manchen Tagen konnte er mit diesen Dingen klarkommen, aber dieser Abend war einer von den Momenten, in denen er sich wünschte, Marcus hätte ihn zu Tode geprügelt.

Hinter sich hörte er ein Geräusch. Er musste nicht hinsehen, sondern wusste auch so, dass es Carolyn war. Als sie im Spiegelbild auftauchte, bemerkte er ihre Tränen. Er hasste es, wenn sie weinte.

“Nicht”, sagte er, drehte sich zu ihr um und streckte seine Arme aus.

“Du bist ein guter Mann, Terrence Sealy.”

Er stieß einen Seufzer aus, als er sie an sich zog. “Du bist die Einzige, die so denkt.”

“Du hast es nicht mit Absicht getan. Du warst verletzt, und du hattest getrunken.”

Nachdrücklich schüttelte er den Kopf. “Ich habe die Verlobte meines Cousins vergewaltigt, einen Tag vor ihrer Hochzeit. Wäre es dir egal gewesen, wenn es nicht ihr, sondern dir zugestoßen wäre?”

“Ich liebe dich, Terry. Ich habe dich immer geliebt, und ich werde dich immer lieben”, erwiderte sie.

“Ich weiß … und dafür danke ich Gott jeden Tag, doch das ändert nichts daran, wie ich mich selbst sehe.”

“Wir hätten nicht zurückkommen sollen. Es ist alles meine Schuld, weil ich unbedingt herkommen wollte. Ich habe nicht darüber nachgedacht, was es für dich bedeuten könnte.”

“Nein, sag so etwas nicht. Wir hatten keine andere Wahl, und das weißt du. Wir konnten Marcus das nicht allein durchstehen lassen.” Dann sah er Carolyn tief in die Augen. “Weißt du etwas?”

“Wissen? Was soll ich wissen?”

“Ob Michael eine Affäre hatte, meine ich.”

Sie legte die Stirn in Falten. “Nein … jedenfalls … ich glaube nicht.”

“Wie meinst du das?”

Carolyn lehnte sich gegen Terrence und genoss den Trost, den seine Umarmung ihr spendete. “Ein- oder zweimal habe ich Kay weinen sehen. Damals dachte ich mir nichts dabei. Du weißt schon … ein Ehestreit. Aber ging es doch um mehr.”

“Was wirst du der Polizei sagen?”

Sie zuckte mit den Schultern. “Die Wahrheit, was sonst?”

Rose saß bei ihrer Schwester im Wohnzimmer und versuchte, die laute, aufdringliche Stimme ihres Schwagers zu ignorieren. Bis zum heutigen Tag konnte sie nicht verstehen, warum ihre Schwester diesen Mann geheiratet hatte. Als Kinder waren sie die Lieblinge der Familie gewesen, als Jugendliche hatten ihnen so viele Möglichkeiten offengestanden, und nun? Sie war die Köchin eines reichen Mannes, ihre Schwester musste sich mit einem Säufer abgeben.

Es kam nur selten vor, dass Rose über die Vergangenheit nachdachte. Dabei war alles so gut gelaufen. Da war ein Mann gewesen, der sie liebte – jedenfalls hatte sie das geglaubt –, das Versprechen auf ein glückliches Leben. Wahr geworden war davon nichts.

Sie faltete die Hände und legte sie in den Schoß, dann wartete sie lächelnd darauf, bis ihr Schwager eingeschlafen war, der ein Stück weit von ihr entfernt in seinem Sessel saß. Rose war bestürzt über das, was geschehen war. Sie hatte Mr. Marcus versichert, Anna unter Kontrolle zu haben. Kaum aber drehte sie der Frau den Rücken zu, steckte die das Haus in Brand. Am liebsten hätte sie geheult. Sollte man ihr kündigen, wäre sie am Boden zerstört. Doch so war Mr. Marcus nicht, sagte sie sich. Man würde ihr nicht die Schuld geben für das, was diese verrückte Frau getan hatte.

Rose wippte mit dem Schaukelstuhl sanft vor und zurück, der bei jeder Bewegung leise knarrte. Eine der Holzstreben saß locker und musste geleimt werden. Sie selbst hätte das längst erledigt, und sie verstand nicht, warum ihre Schwester so nachlässig war. Doch dann wanderte der Blick zu ihrem Schwager, der schief in seinem Sessel hing und schnarchte. Wenn sie mit einem solchen Mann hätte leben müssen, wäre ihr ein knarrender Schaukelstuhl vielleicht auch egal gewesen.

“Rose … das Essen ist fertig! Kommst du?”

Sie zuckte zusammen. Ihre Schwester musste nicht so laut rufen, schließlich befand sie sich im Nebenzimmer. Doch Rose konnte froh sein, hier untergekommen zu sein, da wollte sie sich nicht auch noch beklagen. Sie stand auf und ging in die Küche, während sie versuchte, jeden Gedanken an die Frau zu verdrängen, die ihre Welt in Brand gesteckt hatte.

Trey war seit Stunden auf und ging immer wieder jedem Detail über das tote Baby nach. Er hatte recherchiert, was es über den Kofferhersteller zu erfahren gab, war auf die Suche nach Künstlern gegangen, die mit Holz arbeiteten und einen Hang zum Religiösen aufwiesen, und er hatte die Akte über Foster Lawrence durchforstet.

Die Ermittlungen hatten ergeben, dass Lawrence das jüngste von fünf Kindern gewesen war. Wie es schien, hatte die alleinstehende Mutter ihren Lebensunterhalt dadurch bestritten, dass sie Kinder zur Welt brachte, denn mit jedem Baby machte die staatliche monatliche Unterstützung einen deutlichen Sprung nach oben.

Das erste Kind war ein Junge namens James, der mit sechzehn bei einem Bandenkrieg umkam. Es folgte ein Mädchen namens Cheryl, mit zweiundzwanzig Jahren durch eine Überdosis ins Koma gefallen und seitdem in einer Einrichtung in Cleveland untergebracht. Die nächsten beiden Kinder waren Zwillinge, Laree und Sheree. Was mit ihnen nach dem achtzehnten Lebensjahr geschehen war, wusste er nicht. Foster war der jüngste Sohn, der sich bis auf ein paar kleine Ausreißer in seiner Jugend nie etwas zuschulden hatte kommen lassen. Bis zur Sealy-Entführung.

Für Trey ergab das keinen Sinn. Entführung war ein Kapitalverbrechen. Wer sich als Krimineller auf so etwas einließ, konnte üblicherweise auf ein langes Vorstrafenregister zurückblicken. Dass jemand aus heiterem Himmel ein solches Verbrechen begeht, war keineswegs normal – es sei denn, er rutschte tatsächlich irgendwie hinein. Bisher hatte er noch keine Erklärung für dieses seltsame Verhalten gefunden.

Manchmal kam es vor, dass ein Elternteil das eigene Kind entführte, das nach der Scheidung dem anderen Partner zugesprochen worden war. Doch jemand wie Foster Lawrence würde sich nicht in eine solche Sache hineinziehen lassen, wenn es nur um das Geld ginge. Trey musste ihn dazu bringen, ihm alles zu sagen.

In der Nacht hatte er sogar von dem Fall geträumt und überlegt, welchen Grund es geben könnte, dass ein halbwegs anständiger Kerl wie Foster Lawrence in einen Fall von Mord und Entführung verstrickt wird.

Dieser Gedanke beschäftigte Trey, als er aufwachte. Er wusste nur, was mit einer Schwester und einem Bruder geschehen war, über die Zwillinge lag ihm dagegen nichts vor. Wenn Foster mit ihnen den Kontakt aufrechterhalten hatte, wussten sie womöglich etwas über seinen damaligen Umgang. Das konnte die Spur sein, die ihn vielleicht weiterbringen konnte. Gerade schlug er die letzte Akte zu, da klingelte der Wecker.

“Oh verdammt”, murmelte er, als ihm klar wurde, dass es Zeit war, einen neuen Tag in Angriff zu nehmen – einen neuen Tag, an dem er Livvie nach Hause holen würde.

Die Müdigkeit war verflogen, noch bevor er sich duschen ging.

Olivia wartete bereits fertig angezogen, als sie Treys Schritte im Flur hörte. Erwartungsvoll stand sie auf, aber nicht nur, weil sie endlich das Krankenhaus verlassen würde, sondern weil Trey herkam, um sie mit zu sich nach Hause zu nehmen. Während ihrer Zeit auf der High School hatte sie sich stets gewünscht, das würde geschehen, doch es war nie dazu gekommen.

Damals hatte er eine Familie gehabt, die noch so fehlbar sein mochte, dennoch war sie immer neidisch darauf gewesen. Treys Vater hing der Ruf an, ein starker Trinker zu sein, trotzdem liebte Trey ihn. Seine Mutter, die er verehrte, war Kellnerin in einem Restaurant und bezahlte von den Trinkgeldern die Stromrechnung. Er hatte zwei ältere Brüder, einer war beim Militär, der andere Feuerwehrmann in Houston, beide prahlten sie damals mit ihrem kleinen Bruder, dem Football-Star. Die Bonneys hätten die Hypothek für ihr Haus von dem zurückzahlen können, was Olivia in einem Jahr für Kleidung ausgab. Sie hatten Olivia nicht an Treys Seite sehen wollen, und Marcus war genauso dagegen gewesen, dass Trey sich mit seiner Enkelin abgab. Und nun, elf Jahre später, waren sie doch wieder zusammen. Für Olivia war es ein Traum, der damit Wirklichkeit wurde.

Ihr Blick war gebannt auf die Tür gerichtet, und als sie endlich geöffnet wurde, hielt sie unwillkürlich den Atem an. Dann sah sie Trey als Silhouette in der Tür stehen, doch ein paar Tränen sorgten dafür, dass sein Anblick einen Moment lang verschwommen war.

“Hey, du bist ja schon fertig”, stellte Trey fest und nahm sie behutsam in die Arme, beugte sich leicht vor und küsste sie auf den Mund.

Olivia stöhnte leise auf, während er eine Hand auf ihren Hinterkopf legte und sie an seine Brust drückte.

“Bist du bereit?” fragte er.

“Ich muss an der Schwesternstation nur noch irgendwelche Papiere unterschreiben, dann können wir gehen.”

“Ist das da drüben dein Rollstuhl?” Er deutete zur Wand.

“Ja, sie wollen nicht, dass ich zu Fuß das Krankenhaus verlasse”, erklärte sie.

“Kein Problem, ich werde die Regeln befolgen.” Trey nahm sie am Arm und führte sie zum Rollstuhl. “Deine Kutsche steht bereit, meine Liebe.”

“Bin ich das, Trey?” fragte sie, während sie sich setzte.

“Bist du was, Livvie?” Er hockte sich hin und klappte die Fußstützen um.

“Deine Liebe?”

“Oh ja, das bist du.”

“Findest du nicht, dass das alles viel zu schnell geht?”

“Findest du es denn?”

Sie schüttelte den Kopf und legte eine Hand auf Treys Wange. “Keinesfalls. Aber mein Leben wäre fast viel zu schnell vorüber gewesen. Das hat mir einen großen Schreck eingejagt. Als ich wieder wach wurde und merkte, dass ich immer noch atme, da nahm ich mir vor, keinen Tag etwas bereuen zu müssen. Darum öffne ich dir mein Herz, Trey. Als ich um eine zweite Chance bat, da meinte ich das ernst. Wir haben eine Menge nachzuholen, aber ich bin bereit, das in Angriff zu nehmen.”

“Ich auch, Livvie, ich auch”, erwiderte er, stand auf, hängte sich ihre Tasche über die Schulter und schob den Rollstuhl vor sich her. “Lass uns von hier verschwinden.”

“Ja, bitte.”

Nach nicht ganz einer Stunde bog er in die Auffahrt zu seinem Haus ein. Ihm gefiel sein Haus, da es ihm allen Komfort bot, der ihm wichtig war. Doch einen Moment lang fragte er sich, wie Olivia es wohl empfinden würde.

Der Flachbau aus roten Ziegelsteinen war mittlerweile rund zwanzig Jahre alt, seit fast zehn Jahren wohnte Trey dort. Im Lauf der Jahre hatte er eine Veranda angebaut und hinten im Garten einen Pool angelegt. Immergrüne Büsche ersetzten den Gartenzaun, und Olivia konnte den schweren, süßlichen Duft der Blüten wahrnehmen, als er ihr die Tür öffnete.

“Das sieht wunderschön aus”, sagte sie anerkennend. “Hast du den Garten angelegt?”

Er zuckte mit den Schultern. “Ich habe mir Mühe gegeben. Hinter dem Haus rund um den Pool gibt es noch mehr von der Art.”

“Einen Pool hast du auch? Das ist hervorragend. Der Arzt hat gesagt, Schwimmen wäre gut für meine Schulter.” Sie betrachtete ihn und grinste. “Und dich in einer Badehose zu sehen, dürfte auch nicht so schlecht sein.”

Trey beugte sich vor, bis sein Mund nur noch ein paar Zentimeter von ihren Lippen entfernt war. “Wenn ich schwimme, trage ich keine Badehose”, flüsterte er.

Sie sah ihn mit großen Augen an. “Und was ist mit den Nachbarn?”

“Der Zaun ringsum ist hoch genug.”

“Aha.”

“Jetzt komm, Livvie, es wird Zeit, dich ins Bett zu bringen.”

“Ist ja typisch”, murmelte sie. “Bloß keine Zeit mit dem Vorspiel vergeuden.”

Trey machte eine finstere Miene. “Ich bringe dich ins Bett, damit du dich ausruhen kannst.”

“Ich weiß, ich wollte dich nur auf die Probe stellen.”

Er schrieb ihren Sarkasmus der Tatsache zu, dass sie nervös war.

“Komm schon, Livvie, entspann dich. Du musst nach drinnen und die Beine hochlegen. Ella kommt rüber, sobald ich sie anrufe. Das heißt, du wirst nicht allein sein, wenn ich weg muss.”

Olivia kam sich ein wenig verwundbar vor und wusste nicht, was sie davon halten sollte, den Tag mit einer fremden Frau zu verbringen. Allerdings war das die letzte Woche im Krankenhaus nicht anders gewesen.

“Ja, okay”, lenkte sie ein. “Ich fühle mich auch etwas erschöpft.”

Kaum war sie ausgestiegen, hob er sie hoch und trug sie zum Haus. Dort setzte er sie gerade so lange ab, dass er aufschließen konnte, dann brachte er sie nach drinnen.

Aus dem Augenwinkel nahm sie große, weite Zimmer wahr, einen großen Fernseher, bequeme Polstermöbel, Parkettboden und einen Schreibtisch, auf dem ein Computer stand, neben dem sich Aktenberge türmten.

“Das ist dein Zimmer”, erklärte er, als er sie auf ein großes Bett setzte und die Tagesdecke wegzog. “Mein Zimmer ist direkt gegenüber, du musst nur rufen, dann bin ich sofort für dich da.”

“Okay.”

Er legte eine Hand an ihr Gesicht. “Entspanne dich, Livvie. Wir haben noch unser ganzes Leben vor uns, um diese etwas seltsame Phase zu überwinden. Im Moment will ich nur, dass du wieder gesund wirst.” Liebevoll schaute er ihr in die Augen.

“Ich weiß. Ich will das ja auch.”

“Soll ich dir dein Nachthemd raussuchen?”

“Ich würde ja lieber mein altes T-Shirt tragen, aber das liegt zu Hause. Da werde ich mich wohl mit dem Nachthemd begnügen müssen.”

“Was ist an diesem T-Shirt so besonders?”

“Nichts, es ist einfach nur weit, alt und flauschig.”

“Warte mal”, sagte Trey und verließ das Zimmer. Als er zurückkam, schien er in einer Hand einen großen weißen Lappen zu halten. “Versuch das mal”, schlug er vor und breitete es auf dem Bett aus. Auf der Vorderseite stand DPD geschrieben, darunter das Logo des Dallas Police Department.

Olivia grinste. “Seit wann hast du das denn schon?”

“Seit der Polizeiakademie … also mindestens seit zehn Jahren.”

“Und du hast nichts dagegen, wenn ich es anziehe?”

“Honey, die Polizei von Dallas und ich würden sich geehrt fühlen, wenn du es trägst.” Er sah zu ihrer Schulter und fragte ernsthaft: “Brauchst du Hilfe beim Umziehen?”

“Nein, ich glaube, das kriege ich hin.”

“Gut, dann hole ich deine Tasche aus dem Wagen. Mach es dir in der Zwischenzeit bequem.”

Er zwinkerte ihr zu, während er sich abwandte und aus dem Zimmer ging. Olivia verspürte den Wunsch, sich zu kneifen, um aus diesem absurden Traum aufzuwachen. Noch vor einem Monat war sie mit Grampy in Europa unterwegs gewesen und hatte sich mit einem Leben als Single abgefunden. Und nun hatte sich in so kurzer Zeit so viel geändert. Am unglaublichsten von allem war, dass sie nun in Trey Bonneys Haus war.

Vorsichtig zog sie sich aus und streifte sein altes T-Shirt über, dessen weicher, stellenweise verschlissener Stoff sich sanft um ihren Körper legte. Sie genoss dieses Gefühl und ließ sich auf das Bett sinken, dann zog sie die Decke über sich und wand sich einen Moment lang, bis sie die ideale Position gefunden hatte. Die Laken und der Kissenbezug verströmten einen schwachen Duft, der sie an die Hecke vor dem Haus erinnerte.

Minuten später kam Trey zurück, brachte die Tasche sowie ein Glas Wasser mit. Er zog die Schmerztabletten heraus, gab ihr die verschriebene Dosis und reichte ihr das Glas.

“Hier, Honey, damit wirst du besser schlafen.”

Sie schluckte die Tabletten und ließ sich wieder auf das Kissen sinken. Diesmal spürte sie, wie anstrengend die Fahrt vom Krankenhaus gewesen war.

“Danke”, sagte sie leise.

“Gern geschehen, Baby. Ich rufe Ella an, damit sie herkommt. Ihr beide könnt euch ja später immer noch miteinander bekannt machen. Du kannst dich ausruhen, und du weißt, dass jemand hier ist, wenn du Hilfe brauchst.”

Olivia sah Trey an, der über das Bett gebeugt stand. “Mach dir um mich keine Sorgen. Geh du lieber und leg ein paar Verbrechern das Handwerk. Ich warte hier auf dich, bis du zurückkommst.”

Überwältigt von seinen Gefühlen wurden ihm die Knie weich. Er konnte einfach nicht fassen, dass Olivia wirklich in seinem Bett lag. Er wollte glauben, dass etwas Gutes dabei herauskommen würde, dass sie beide für den Rest ihres Lebens zusammen sein würden, doch ein Teil von ihm ermahnte ihn daran, dass er sich schon einmal die Finger verbrannt hatte. Es würde sich erst noch zeigen müssen, ob die Erinnerung an ihre damalige Liebe stark genug war, um mehr als nur Leidenschaft zwischen ihnen wiederaufleben zu lassen.

“Ich liebe dich, Baby”, flüsterte er.

Sie hatte bereits die Augen geschlossen, doch nach einem wohligen Seufzer erwiderte sie: “Ich liebe dich auch.”

Trey wartete, bis sie eingeschlafen war, erst dann ging er hinaus, um Ella anzurufen.

Nach dem ersten Klingeln meldete sie sich: “Bin schon auf dem Weg.”

“Woher wussten Sie, dass ich das bin?”

“Anruferkennung”, erwiderte sie mit einem spitzbübischen Tonfall und legte auf.

Lächelnd ging Trey zur Tür. Als er sie öffnete, stand Ella bereits auf der Veranda. Sie trug eine rosafarbene Jogginghose und ein dazu passendes T-Shirt.

“Ich bin Ihnen wirklich dankbar”, sagte er, während er versuchte, nicht ihre riesigen silbernen Ohrringe anzustarren.

“Hey, ich bin froh, wenn ich meinen Teil dazu beitragen kann, dass Sie endlich unter die Haube kommen”, gab Ella zurück und fuhr sich durch ihr weißes Haar, das sie hochgefönt hatte. “Wie finden Sie meine neue Frisur?”

“Ziemlich scharf”, antwortete er grinsend. “Sie sehen aus, als hätten Sie es auf jemanden abgesehen. Wer ist denn der Glückliche?”

“Hershel Mynor. Ihm gehört ein Beerdigungsinstitut, genauer gesagt sogar eine Kette. Ziemlich praktisch, was? Vielleicht komme ich auf die Tour kostenlos unter die Erde.”

“Meine Güte, Ella. Darüber machen Sie sich Gedanken?”

“Na, so sind Leute in meinem Alter nun mal. Wir können ja nicht unsere Kinder alles erledigen lassen. Außerdem lässt der Geschmack meiner Schwiegertochter sehr zu wünschen übrig. Die würde garantiert einen Sarg aussuchen, der so geschmückt ist, dass ich am Ende aussehe wie die Siegerin bei irgendeiner Pferdeshow.”

Trey musste lachen, dann umarmte er Ella. “Gute Frau, wenn ich etwas älter wäre, müssten Sie sich vor mir schwer in Acht nehmen.”

“Da muss ich Sie enttäuschen, Cowboy. Sie sind nämlich nicht mein Typ. Und jetzt zeigen Sie mir das Mädchen.”

“Sie schläft”, sagte er.

“Schon okay, ich will ja nicht mit ihr reden. Ich will nur wissen, wie die Frau aussehen muss, die Ihnen den Kopf verdreht.”

Gemeinsam gingen sie durch den Flur, dann warf sie einen Blick in das Schlafzimmer, in dem Olivia lag.

Ella sah sie an, dann Trey. Sein Gesichtsausdruck verriet ihr, dass er sein Herz wirklich an diese Frau verloren hatte. Zurück im Wohnzimmer erklärte sie: “Ich sage dazu nur, dass sie Sie besser gut behandeln sollte. Ich möchte nur ungern jemanden ohrfeigen müssen, der so viel durchgemacht hat wie sie.”

“Gehen Sie behutsam mit ihr um, Ella. Sie hat eine schreckliche Woche hinter sich.”

“Ich weiß, ich habe es in den Nachrichten gehört.” Sie hielt einen Moment lang inne. “Reich und berühmt zu sein, ist wohl auch nicht immer so toll, nicht wahr, Junge?”

“Nein, Ma’am, das ist es wirklich nicht.”

“Gut, dann machen Sie jetzt mal Ihre Arbeit. Wir werden hier auf Sie warten.”

Er gab ihr einen Kuss auf die Wange und erwiderte: “Sie haben was bei mir gut.”

“Sie können im Herbst an meinem Haus die Regenrinnen sauber machen”, schlug sie vor und lachte, als sie ihn entsetzt aufstöhnen hörte, während er zur Tür ging.