Karls Blutgesetze
Während seines Kampfes erließ der König drakonische Gesetze; jeweils dann offenbar, wenn er glauben mochte, die Sachsen endgültig unterjocht zu haben und zur »Ordnung« übergehen zu können: vor allem die Capitulatio de partibus Saxoniae (782) und das Capitulare Saxonicum (797). Und da die Übertritte zum Christentum durch Massentaufen erzwungen worden waren, das sächsische Volk aber insgeheim weithin am Heidentum festhielt und den Klerus verabscheute, drang Karl auf restlose Ausrottung des alten Glaubens und seiner Riten, auf die Zwangstaufe aller Sachsen, die vollständige ideologische Umerziehung. Von den vierzehn die Todesstrafe verhängenden Bestimmungen der Capitulatio betreffen zehn allein Vergehen gegen das Christentum. Er hatte zuvor auch den Rat des Papstes eingeholt und orientierte sich zudem ganz offensichtlich an jener Missionsmethode der Fuldaer Mönche zur Vertilgung des Heidentums, die mit rücksichtslos durchgeführten Massentaufen und vollständiger Vernichtung seiner Heiligtümer begann.
Mit einem stereotypen »morte moriatur« wird alles bedroht, was die Verkünder der Frohen Botschaft ausmerzen wollten: das Berauben und Zerstören von Kirchen, die Verbrennung Toter, das Verweigern der Taufe, das heimliche Umgehen der Taufe, die Verhöhnung des Christentums, die Schmälerung kirchlichen Besitzes, das Darbringen heidnischer Opfer, die Ausübung paganer Bräuche etc.
»3. Wenn jemand gewaltsam in eine Kirche eindringt und in ihr etwas raubt oder stiehlt oder die Kirche in Brand steckt, so sterbe er des Todes.
4. Wenn jemand das heilige vierzigtägige Fasten aus Mißachtung des Christentums nicht hält und Fleisch ißt, so sterbe er des Todes ...
7. Wenn jemand nach heidnischer Sitte den Leib eines verstorbenen Menschen durch Feuer verzehren läßt und seine Gebeine zu Asche brennt, so sterbe er des Todes.
8. Wenn jemand künftig im Sachsenvolk ungetauft sich verstecken möchte und unterläßt, zur Taufe zu kommen, weil er Heide bleiben will, so sterbe er des Todes ...
10. Wenn jemand gemeinsam mit Heiden etwas gegen Christen plant und mit ihnen in Feindschaft gegen die Christen zu verharren sucht, so sterbe er des Todes. Und wenn jemand diesem selben Verbrechen gegen den König und das christliche Volk zustimmt, so sterbe er des Todes.«
Sogar die Übertretung des Fastengebotes zog die Todesstrafe nach sich! (Karl selbst war das Fasten zuwider; es sei seinem Körper, klagte er, nicht zuträglich.)
Befohlen wurde: Taufe im ersten Lebensjahr, Kirchenbesuch an allen Sonn- und Feiertagen, Ablegen des Eides in den Kirchen, ja sogar die Einhaltung der kirchlichen Ehegesetze. Man forderte, wie schon Alkuin rügte, »strenge Bußen für die leichtesten Vergehen«. (Am Hof Karls aber vögelte man bei Gelagen, an denen auch seine Töchter teilnahmen, ganz schön durcheinander, sollen auch Geistliche manchmal »gestrauchelt« sein.)
Da dem zwangsbekehrten Sachsenvolk wenig oder nichts am Christentum lag, mußte es weiter mit Gewalt zur Erhaltung der Kirche genötigt werden. Jedermann, Adelige, Freie, Liten, hatte den Zehnten vom Ertrag des Grundbesitzes und von allem Erwerb der Kirche zu geben. Außerdem mußte jede Kirche zwei Hufe, also zwei Bauerngüter, erhalten, sowie von je 125 Einwohnern einen Knecht und eine Magd, wodurch die Masse der Sachsen noch stärker ausgebeutet wurde als je zuvor.29
Der Christ Johannes von Walter fragt angesichts der grauenhaften Sachsengesetze scheinbar arglos: »Hat Karl hier im Sinne der Vertreter der Kirche gehandelt? Es ist kaum anzunehmen, daß sein Vorgehen viel Beifall fand.« So viel Falschheit, Verlogenheit in zwei Zeilen! Doch gefragt wird in dem Band »Die Nation vor Gott. Zur Botschaft der Kirche im Dritten Reich«. Gefragt wird 1934. Dabei hatte Karl diese jahrzehntelangen Sachsen- (und sonstigen) Gemetzel mit dem engsten Beistand der Kirche betrieben und natürlich auch ganz und gar in deren Interesse. »Das Entscheidende war für die Kirche der Kampf für das Christentum, den Karl in Sachsen und Spanien so sichtbar führte. Durch den Heidenkrieg entsprach seine Tätigkeit der kirchlichen Auffassung vom christlichen Imperium ...« (Zöllner).30
Nichts ist mehr evident. Und Einhard, dessen Berichten über Karl besondere Bedeutung zukommt, bemerkt einmal, der so viele Jahre währende Kampf sei erst beendet worden unter der Bedingung, daß die Sachsen ihrem »Teufelskult« (daemonum cultu) abschwören, daß sie den christlichen Glauben und die heiligen Sakramente annehmen und mit den Franken zu einem Volk vereint würden. Klarer, überzeugender kann man Karls Kriegsziel kaum benennen: Vernichtung des Heidentums, Ausbreitung des Christentums und Annexion.
Im (katholischen) »Handbuch der Kirchengeschichte« stehen die Sachsenkriege unter der Überschrift: »Die Abrundung des fränkischen Großreichs«.31 So läßt sich das auch betiteln, gewiß, ohne jede Spur von Barbarei, von Blut. Einfach und sauber! »Die Abrundung« – klingt glatt, beinah elegant. Es hat was Spielerisches, fast Artistisches. Als ging's um ein Kunstwerk, ein Staatskunstwerk. Und für ein Großreich, ist da nicht ohnedies alles erlaubt? Jedenfalls solang es »glückt«?