Der Anfang vom Ende der Agilolfinger oder Bayern gerät ins römische Netz
Die Bayern wurden schon in ältester Zeit von den Agilolfingern beherrscht. Deren Stammesherkunft ist ebenso unsicher wie Beginn und Form ihrer Herrschaft: sicher – und bezeichnend – ihr Ende: 788 (S. 481 ff.). Mehrfach wird fränkische Abstammung bezeugt; doch erwog man auch eine von den Burgundern, den Langobarden, mit denen sie enge Beziehungen pflegten. Die Lex Baiuvariorum, im früheren 8. Jahrhundert aufgezeichnet, die zuerst Angelegenheiten des Klerus behandelt, dann des Herzogs, zuletzt des Volkes, schreibt: »Der Herzog aber, der dem Volke vorsteht, war immer aus dem Geschlecht der Agilolfinger und muß es immer sein.«
Der erste urkundlich faßbare Bayernherzog aus der Familie der Agilolfinger ist Garibald I. (ca. 550–590). Er suchte sich gegenüber den Franken durch politische und verwandtschaftliche Bindungen an die Langobarden zu sichern. Selbst, wenn auch erzwungenermaßen, mit der Langobardenprinzessin Waldarada, Chlotars I. verstoßener Gattin, verehelicht, gab er eine Tochter dem Langobardenherzog Ewin von Trient, 589 eine andere, Theudelinde, dem Langobardenkönig Authari, nachdem ihm eine Verständigung mit den Franken mißglückt war. Diese aber, die in den siebziger, achtziger Jahren die Langobarden bekriegt, schlössen, nach einem wenig erfolgreichen weiteren Zug gegen sie 590, im folgenden Jahr Frieden (S. 130 f.) und setzten 592 Tassilo I. in Bayern ein.15
Nun orientierte man sich wieder mehr an den Franken. Doch versickern die Nachrichten aus Bayern, und auch die fränkischen Quellen schweigen zwischen etwa 630 und 680 über den Stamm ganz. Er löste sich allmählich mehr und mehr vom Frankenreich – wie ja auch andere, die nicht unbedingt unter fränkischem Joch leben wollten, Sachsen, Thüringer, Alemannen oder die einst in Aquitanien eingewanderten Basken. In Bayern aber drängte Pippin der Mittlere wieder auf stärkeren Einfluß über die christliche Mission, die das alte Heidentum restlos ausrottet. Und als Herzog Theodo um 716 eine selbständige bayrische Kirche erstrebt, interveniert schließlich Karl Martell. 725, unter Theodos Sohn Grimoald, verwüstet er das Land, macht große Beute und führt Grimoalds Frau mit fort, die Herzogin Pilitrud, und deren Nichte Swanahilt, die spätere Mutter seines Sohnes Grifo, den man 741 einkerkern, dessen Mutter Swanahilt man ins Kloster Chelles stecken wird (S. 369).
Und bereits 728 führte der Franke einen weiteren Feldzug gegen die aufbegehrenden Bayern, wobei Grimoald, damals in Freising residierend, vielleicht einem Meuchelmord erlag, jedenfalls brutal durch »Feinde« umkam. Ende der dreißiger Jahre aber, als Karl die Araber in Südfrankreich bekämpfte, konnte der von ihm selbst eingesetzte Herzog Odilo sich erneut der fremden Herrschaft ziemlich entziehen. Doch wurde seit Karls Kriegen mit Bayern das neue Bistum Eichstätt zu einem kirchlichen Stützpunkt fränkischer Macht.16
Bonifatius hatte Bayern erstmals 719 auf seiner Reise von Rom nach Thüringen berührt, länger dort aber 736, vielleicht auch mehrfach in den beiden folgenden Jahren »gewirkt«, besonders wider einen sonst nicht weiter bekannten Eremwulf, einen Schismatiker, in »ketzerischen Wahn« versunken. Natürlich wurde der verdammt, ausgestoßen, das Volk von der »verkehrten götzendienerischen Irrlehre« befreit.
Bei seinem dritten und letzten Romaufenthalt 738 bekam Bonifatius den Befehl zur Reorganisierung der Kirche in Bayern (und Alemannien). Gregor III. rief – wiederum »das Hundertfache« und »das ewige Leben« versprechend – alle ihm liebwerten fränkischen Bischöfe, alle ehrwürdigen Priester und gottesfürchtigen Äbte auf: »teilt ihm Helfer zu aus Eurem Schafstall« (ex vestro ovile) – ein da gern gebrauchtes Bild. Auch Nachfolger Zacharias spricht von »unserer Gemeinschaft in einem Schafstall«; und es trifft ja auch zu.17
Allerdings sollte Bayern schon zwei Jahrzehnte früher zu einer ganz von Rom abhängenden Landeskirche werden und selbstverständlich zu einer päpstlichen Schutzmacht jenseits der Alpen. Denn bereits Herzog Theodo war als »der erste seines Stammes« nach Rom geeilt »mit dem Wunsch zu beten« (Liber Pontificalis). Nach Rom pilgert man immer nur zum Gebet. Natürlich trägt es Früchte. So erteilte Gregor II. schon am 15. Mai 716 eine Instruktion für die Errichtung von Bistümern und befahl die Schaffung einer Bayrischen Landeskirche in Übereinstimmung mit dem Bayernfürsten. Jeder suchte dabei seinen Vorteil: der Herzog die Lösung seines Landes vom fränkischen Einfluß, der Papst eine Kirche, in der er, und nur er allein, den Ton angab, weshalb die bayrischen Priester auch auf ihre »Rechtgläubigkeit«, das heißt Romhörigkeit, überprüft werden sollten.18
Doch damals wurde aus den päpstlichen Wünschen offensichtlich wenig oder nichts. So kam es zu einem neuen und nun erfolgreichen Versuch unter Gregor III. (731–741) mit Bonifatius. Wieder war die Errichtung einer bayrischen Kirchenprovinz im Einvernehmen mit dem bayrischen Herzog geplant, aber nicht mit dem fränkischen Hausmeier. Denn Odilo ging es natürlich um seine Selbständigkeit. Und die richtete sich (indirekt) gegen Karl Martell. Er hatte eine Bistumsorganisation für das Frankenreich »in keiner Weise gefördert« (Reindel). Deshalb ließ sich auch die von Rom beabsichtigte Einbeziehung des schwäbischen Herzogtums, Alemanniens, in die bonifatianische Reform nicht realisieren. Der Einfluß des fränkischen Staates wie der fränkischen Kirche war hier schon zu groß.19
Nach seiner dritten Romreise nun teilte Bonifatius 739, in Anknüpfung an den römischen Organisationsplan von 716, im Einvernehmen mit Herzog Odilo und Gregor III., Bayern in vier Bistümer. Dabei lehnte er sich bezeichnenderweise an die bereits bestehenden herrschaftlichen Zentren an: Regensburg, Salzburg, Freising und Passau. Nur in Passau beließ er den vom Papst geweihten Bischof Vivilo. Die übrigen Bischöfe aber, »die Zerstörer der Kirchen und die Verderber des Volkes« (Vita Bonifatii), vertrieb er und bestimmte drei andere: Gaubald für Regensburg, Johannes für Salzburg und Erembert für Freising.20