Im Laufe des 7. Jahrhunderts wurden die drei Reichsteile Austrien, Neustrien, Burgund zunehmend selbständig. Ein Zeichen für diese Entwicklung ist auch das Auftreten der drei für das 7. und 8. Jahrhundert charakteristischen Ländernamen. Jedes Teilreich hatte eigene Gesetze, und der Adel zwang den König, keine höheren Beamten aus anderen Reichsteilen zu ernennen.4
Zeitweise schien sogar deren Auflösung in Adelsanarchien nahe. Keiner der vielen Herrscher erreichte das reife Mannesalter. Doch in den mörderischen Auseinandersetzungen zwischen den Teilreichen, den Hausmeiern, dem Adel schob sich das austrische Majordomat immer mehr an die Spitze. Und während das Hausmeieramt weder in Neustrien noch in Burgund erblich wurde, setzte sich die Tendenz dazu im Osten allmählich durch.
Blutiger Auftakt unter Bischof Kunibert, Pippin des Älteren Sohn Grimoald und dem hl. Sigibert
In Austrien hatte seit 622 Hausmeier Pippin das Heft in der Hand. Als freilich Dagobert I. Alleinherrscher geworden und 631 von Metz nach Paris übergesiedelt war, wurde der Hausmeier in Metz entmachtet, zum Erzieher des Königssohnes degradiert und der dreijährige Sigibert III., Heiliger der katholischen Kirche, als König von Austrien eingesetzt. Der eigentliche Regent aber, neben dem Herzog Ansegisel – dem Sohn des hl. Arnulf, Bischofs von Metz –, war bereits Bischof Kunibert von Köln (623–663). Als Archidiakon der Trierer Kirche »durch den Hl. Geist, die Synode und den Befehl des Königs« natürlich wider seinen Willen Bischof geworden, spielte Kunibert, wie so viele seinesgleichen ein »political saint« (Wallace-Hadrill), im späten Merowingerreich eine große Rolle. Er führte Krieg mit den Wenden. Er bekam von Dagobert das eroberte Castell Trajectum (Utrecht) zu eigen, mit der Auflage, von hier aus die Friesen zu bekehren. Und als Dagobert 639 stirbt, fördert Bischof Kunibert den Aufstieg der Karolinger.
Unter Sigibert III. nämlich wird Pippin sofort wieder austrischer Hausmeier. Und Bischof Kunibert, zwischen Trier und Metz aufgewachsen, wo Pippins Güter liegen, und daher seit frühen Tagen mit ihm bekannt, schließt mit ihm einen »ewigen Freundschaftsbund«. Auch sichern sich beide, da sie alle »leudes« geschickt und »mit Süße« behandeln, deren dauernde Ergebenheit. Beide partizipieren an der Teilung des Königsschatzes. Beide regieren zusammen. Und nach Pippins Tod (640) steigt sein Sohn Grimoald I. (der Ältere) als Protegé Bischof Kuniberts und gestützt auf seine große materielle und noch größere politische Macht, in Austrien zum Hausmeier auf. Dabei versucht er als deren erster die Merowingerdynastie zugunsten des eigenen Geschlechts zu entthronen, womit allmählich die Erblichkeit des Majordomats entsteht; allerdings nur im Ostreich, wo man den Hausmeier im 7. Jahrhundert auch schon »Frankenfürst« nennt, »Unterkönig«.5
Freilich war der Machtübergang vom Vater auf den Sohn nicht ganz unblutig verlaufen. Rivalisierten damals doch vor allem zwei Gruppen.
An der Spitze der Pippiniden stand Pippins Sohn Grimoald, verbunden, neben anderen, mit Bischof Kunibert, mit den Söhnen Arnulfs von Metz, dem Herzog Bobo von der Auvergne, dem Alemannenherzog Leuthari. Die andere Gruppe führte ein gewisser Otto an, dessen Vater, der domesticus Uro, noch Dagobert I. zum Erzieher seines Sohnes Sigibert III. gemacht hatte. Otto, Vormund des minderjährigen Königs, beanspruchte gegen Pippins Sohn Grimoald die Nachfolge im Hausmeieramt. Zu Otto standen der Thüringerherzog Radulf und der Agilolfinger Fara. Sein Vater Chrodoald war bei Dagobert, »auf Anstiften« des hl. Bischofs Arnulf von Metz und Pippins, in Ungnade gefallen und 625 auf königlichen Befehl in Trier ermordet worden. Um den Vater zu rächen, schloß Fara sich dem Thüringerherzog Radulf an. Von Dagoberts hl. Sohn Sigibert (später als »Wetterherr« verehrt, Reliquien in Nancy, Fest: 1. Februar) um 640 in einer »wilden Schlacht« vermutlich zwischen Mainz und Vogelsberg geschlagen, wobei Fara umkam, konnte der verfolgte Radulf dennoch in Thüringen an der Unstrut den Sieg für sich buchen. »Man sagt, es seien dort viele Tausende Männer durch das Schwert gefallen« (Fredegar). Otto freilich wurde auf Betreiben Grimoalds, Bischof Kuniberts engem Freund (in amiciciam constringens), 642 oder 643 von dem Alemannenherzog Leuthari ermordet. Jetzt stand Grimoalds Hausmeieramt nichts mehr im Weg; etwa 14 Jahre lang beherrschte er Austrien.
König Sigibert, zunächst kinderlos und unter Grimoalds Kuratel, mußte nun dessen Sohn adoptieren, der den merowingischen Königsnamen Childebert (III.) erhielt, eine in tiefes Dunkel gehüllte Regierungszeit, etwa zwischen 660 und 662. Doch bekam Sigibert selbst noch einen Sohn, Dagobert II. Und als der hl. König (der sich dem gleichfalls hl. Papst Martin I. bei der Bekämpfung des Monotheletismus [S. 337 ff.] verweigerte, auch den Bischöfen Synoden ohne königliche Genehmigung verbot) im Januar 656 tödlich erkrankte, trafen sich Grimoald und Bischof Dido von Poitiers im pippinischen Familienkloster Nivelles und stellten die Weichen für den Todesfall.6
König Sigibert, am 1. Februar 656 mit 27 Jahren bereits sterbend, hatte zwar sein unmündiges Kind der Obhut Grimoalds anvertraut. Doch der ehrgeizige Majordomus über Austrien unternahm nun seinen sogenannten Staatsstreich, den ersten Versuch, die Pippiniden auf den fränkischen Königsthron zu bringen. Durch Bischof Dido ließ er den noch unmündigen Merowingerprinzen Dagobert II. zum Mönch scheren, um seinem eigenen Sohn Childebert (III.) die Krone zu sichern. Absprachegemäß nahm Bischof Dido den rechtmäßigen Thronfolger Dagobert zunächst zu sich nach Poitiers und steckte ihn 660/661 in ein Kloster nach Irland, um ihn für immer zu beseitigen. Freilich mißlang dies sowohl durch mächtige austrische Oppositionelle wie vor allem durch den Widerstand der neustrischen Franken, die ihren eigenen, noch immer unmündigen König Chlotar III. zum Gesamtherrscher machen wollten. So wurde Grimoald in eine Falle gelockt, der neustrischen Dynastie ausgeliefert und in Paris gefangengesetzt. Dort endete er um 662 wegen Dagoberts II. Exilierung auf dem Schafott. Auch sein Sohn Childebertus adoptivus fiel vermutlich mit ihm, starb jedenfalls. Statt seiner wurde Childerich II. (662–675), ein jüngerer Bruder Chlotars III., Königin Balthildes jüngster, erst sieben Jahre alter Sohn, in Austrien König.
Schon nach drei Generationen war 662 der Mannesstamm der Pippiniden erloschen. Einen König und zwei Hausmeier hatten sie hervorgebracht. Jetzt lebten nur noch zwei Schwestern Grimoalds, die Äbtissin Gertrud von Nivelles und Begga, seit etwa 635 mit Ansegisel verheiratet, dem zweiten Sohn des hl. Arnulf von Metz. Das pippinidische Erbe zwischen Kohlenwald und Maas ging auf die moselländischen Arnulfinger über, deren Güter um Metz, Verdun, Tongern, vielleicht auch um Trier lagen. Der Sohn Ansegisels und Beggas, nach seinem Großvater mütterlicherseits Pippin genannt (Pippin II., der Mittlere), und seine Nachkommen verfügten damit über den gewaltigen Besitz von Arnulfingern und Pippiniden, ihre Hausgüter im Maas- und Moselraum – ein geschichtemachendes Herrschaftspotential.7