14. Kapitel
Die »Konstantinische Schenkung«
»... die Fälschung, der freilich nicht ›Kriminelles‹ anhaftet.«
Der Theologe Kantzenbach1
»Die Urkunde ist wohl in römischen Kreisen angefertigt worden, vielleicht anläßlich der Reise Stephans II. ins Frankenreich, vielleicht erst im Frankenreich, um König Pippin zu den erhofften Landschenkungen in Italien geneigt zu machen.«
Die katholischen Papsthistoriker Seppelt/Schwaiger2
»Unter der unverkennbaren Leitung Gottes, ohne Unrecht und Gewalt, ohne List und Betrug entstand für das Haupt der Kirche ein unabhängiger, weltlicher Besitz: der materielle Untergrund und die äussere Sicherstellung seiner geistlichen Weltherrschaft.« Dieser ungeheuerliche, allen Tatsachen dreist ins Gesicht schlagende Satz hat einen der größten Gegner des römischen Katholizismus und Papsttums zum Verfasser, den Jesuiten Graf Hoensbroech – allerdings in seiner katholischen Zeit. Heute äußert sich kein Papstknecht mehr so.3
Das Fälschen ist stets die besondere Domäne der Priester gewesen, aller Priester wohl, speziell aber der römisch-katholischen. Pius XI., einer der erfolgreichsten Förderer von Mussolini, Hitler und Franco, nennt zwar in seinem Rundschreiben über die christliche Erziehung der Jugend die katholische Kirche »Säule und Grundfeste der Wahrheit«. Doch das stellt, wie da üblich, die Wahrheit auf den Kopf. Es soll ja gerade verbergen, daß die Papstkirche, die christliche Kirche überhaupt, eine Säule und Grundfeste der Lüge ist – eine der stärksten ohne Zweifel.4
Das katholische Mittelalter – ein Eldorado klerikaler Fälschung
Man hat im Christentum immer gefälscht, von seinem Beginn, vom Neuen Testament an – wie schon im Alten (beides auf über dreihundert Seiten dargelegt und belegt: III 1. und 2. Kap.). Doch wie das christliche Altertum die heidnische Zeit an Fälschungen übertrifft, so wieder das christliche Mittelalter die christliche Antike. Am meisten freilich fälschte man nicht zufällig in jener Epoche, die als besonders katholisch, besonders gläubig gilt, die jedenfalls am meisten vom Klerus beherrscht gewesen war, im Mittelalter, »zu dessen Merkmal die zahlreichen Fälschungen und ihre Wirksamkeit gehören«. »In keinem Zeitalter der europäischen Geschichte dürften Fälschungen eine größere Rolle gespielt haben« (Fuhrmann). Nach den Versicherungen moderner Forscher sind diese Fälschungen »zahllos«, sind zumal die gefälschten Urkunden, Heiligenviten und Mirakelberichte »Legion«, hat diese »typisch christliche Gesellschaft die Fälscherwerkstatt zur Ordnungsinstanz von Kirche und Recht erhoben« (Schreiner).5
Das fromme Mittelalter war ein derartiges Eldorado der Fälscher, daß man nicht nur behaupten konnte, es habe fast ebenso viele unechte Urkunden, Annalen, Chroniken gegeben wie echte, sondern daß der Mediävist Robert Lopez geradezu erklärt, man halte alle diese Dokumente bis zum Echtheitsbeweis erst einmal für falsch. »We regard them guilty until proved innocent ...«
Wann diese hohe Kunst des Fälschens kulminierte, können wir auf sich beruhen lassen. Der deutsche Altphilologe Wolfgang Speyer, ein christlicher Kenner der Materie, meint: »Im griechischen Osten gehörte während des sechsten bis achten Jahrhunderts das Fälschen recht eigentlich zum Beruf des Theologen.« Wilhelm Levison hielt das 9. Jahrhundert, Drögereit das 12. Jahrhundert für »die Blütezeit der Fälschungen«, während Marc Bloch der ganze Zeitraum vom 8. bis zum 12. Jahrhundert als besonders ergiebig erschien für die »Massenepidemie« des Fälschergeschäfts.6
Man fälschte von der französischen Atlantikküste bis tief in den byzantinischen Osten und von England bis nach Italien. Bei den (noch nicht kritisch edierten) Merowingerurkunden rechnet man mit einem Fälschungsanteil von rund 50 Prozent. Und von den erhaltenen Urkundentexten des Frühmittelalters überhaupt sind »bis zu 50 % und mehr gefälscht oder verfälscht« (Herde). Wobei Herde mit Recht betont, daß ein vom heutigen verschiedener Wahrheitsbegriff des Mittelalters schwer postuliert werden könne, »daß auch im Mittelalter ein fundamentaler Unterschied zwischen echt und wahr, unecht und falsch bestand«. Dieser aber wurde eben durch Fälschungen aller Art überbrückt, »um der ›höheren Wahrheit‹ willen« (Gawlik). Und bis ins Hochmittelalter waren die Fälscher im Abendland fast ausnahmslos Geistliche. Denn wie das Töten zu den Hauptaufgaben des christlichen Adels gehörte, so das Fälschen fast zu den Standespflichten der christlichen Geistlichkeit – weniger eine »Aporie«, wie man flau formulierte, als eine Konsequenz: wo alles Wesentliche auf Lug und Trug steht, kann Lug und Trug nur weiterhelfen.7
Klerus und Fälschen gehören im Mittelalter zusammen. »Es ist richtig, daß die Fälscher fast nie Laien waren«, schreibt Bosl. Und T.F. Touts erklärt geradezu: »It was almost the duty of the clerical class to forge«; die Obliegenheit eines Lügnerhaufens, der freilich das Lügen anderer in Gegenwart eigener Experten als freches Sakrileg betrachtet hat – eine besondere Art Heuchelei dieser geistlichen Ganoven, die schon in der Antike aus Fälschen und Heucheln, zumal auch aus den alttestamentlichen Betrugsmanövern, eine Tugend machen konnten, eine heilsgeschichtliche Funktion. (Noch widerlicher sind ihre modernen, ach so einfühlsamen Verteidiger.)
Frommer Betrug, Doppelzüngigkeit, Verstellung waren im Christentum ja gerade deshalb von Anfang an erlaubt, weil hier der Zweck die Mittel heiligt, weil Lügen, Täuschen um des Seelenheils, der Heils- und Sieghistorie willen, eben kein Lügen mehr und Täuschen war, sondern ein Verdienst. Die »pia fraus« mußte nur »cum pietate«, nur der hl. Kirche, des hl. Glaubens, des hl. Gottes wegen, mußte »instinctu Spiritus Sancti« oder »per inspirationem Dei« geschehen, und schon war alles gut. Denn dann ist Fälschen, nach Origenes, bloß ein »ökonomisches«, ein »pädagogisches« Lügen. Oder, so der hl. Kirchenlehrer Erzbischof Johannes Chrysostomos, eine »edle List«, eine »treffliche Lüge« (III 181 ff.). Oder, wie der hl. Augustinus lehrt, »keine Lüge, sondern Mysterium«, nicht »fictio« (Erdichtung), sondern »figura« (Ausdruck) der Wahrheit. Zu den Lügen der alttestamentlichen Patriarchen entwickelten frühscholastische Moralisten und Glossatoren dann gleich eine ganze »reiche Kasuistik« (Schreiner).8
Übrigens war das vom Klerus so geliebte Geschäft nicht eben sonderlich riskant. »In große Gefahr begab man sich mit einer Fälschung nicht; normalerweise wurde sie nicht erkannt« (Drögereit).
Schon deshalb fälschten nicht irgendwelche Subalternen der »Grundfeste der Wahrheit« (es sei denn im Auftrag), sondern die erlauchtesten Äbte und Oberhirten: Hilduin etwa, der Abt von Saint-Denis (814–840) und weiterer Klöster, der Erzkaplan Kaiser Ludwigs des Frommen und Erzkanzler Kaiser Lothars I., auch designierter Erzbischof Kölns. Oder der Erzbischof Hinkmar von Reims (845–882), der u.a. in einem fingierten Brief des Papstes Hormisdas seinem Vorgänger, Remigius von Reims, die kirchliche Obergewalt im Reich Chlodwigs, das päpstliche Vikariat, übertragen läßt. Oder der Bischof Pilgrim von Passau (971–991), der auch persönlich fälschte, darüber hinaus aber durch einen Notar in der Kanzlei Kaiser Ottos II. sich nützliche Legenden von Quirin und Maximilian erdichten und überhaupt zur Erweiterung seiner Macht und Förderung seiner Karriere eine ganze Serie falscher Urkunden in Rom präsentieren ließ, besonders unechte Pallienurkunden der Päpste Symmachus, Eugen II., Leo VII., Agapet II. und Benedikt VI. Oder Papst Calixt II. (1119–1124), der mit apostolischer Autorität jene Fälschungen bestätigte, die er kurz zuvor als Erzbischof von Vienne hatte fabrizieren lassen – »... denn der heilige Geist ›flieht den Trug und den Lügner‹, wie es in einer Urkunde Papst Hadrians III. (a. 885) ... heißt.« Und die Kirche ist die »Säule und Grundfeste der Wahrheit« (Pius XI.).9