Während der Unterschied zwischen Franken und Galloromanen allmählich schwand, aber nicht die unterschiedliche Gesetzgebung, blieben die äußeren Grenzen des Merowingerreichs, wie sie waren, und zwar bis zum Ende der Merowingerzeit. Gewiß gab es politische Verwicklungen, einige Attacken der Awaren in Thüringen, der Westgoten in Südfrankreich, auch ein paar fränkische Ausfälle, Raubzüge jenseits der Grenzen. Aber nicht mehr um Expansion nach außen ging es vor allem, um Erweiterung des Gesamtreiches, das Unterwerfen und Schröpfen fremder, ferner Nachbarn, sondern die Könige, vier wieder, und ihre vielen Nachfolger suchten ihren Besitz, ihre Teilreiche, auf Kosten der anderen Teilreiche zu vergrößern und diese nahezu ununterbrochen und auf jede Weise zu schädigen, zu schwächen; kurz, jeder erstrebte die Vorherrschaft.
So kam es im späteren 6. und frühen 7. Jahrhundert, als fast alle Merowingerfürsten vorzeitig und gewaltsam starben, zu fortgesetzten Brutalitäten und Übergriffen großen Ausmaßes im Reich, wüteten fast unaufhörlich Bürger- und Beutekriege, immer neue Orte wurden eingeäschert, ganze Landstriche verheert, ungezählte Plünderungen, Verstümmelungen, Morde begangen, dazu kamen Seuchen, Hungersnöte. Die Bauern verkrochen sich in den Wäldern und raubten auf eigene Faust. Alle Mittel waren in diesem tobenden Hexenkessel den Kämpfenden recht, versprachen sie nur Aussicht auf Erfolg.3
Die Chlodwig-Enkel
Nach dem Ableben Chlotars I. wurde das Frankenreich in vier Teilreiche geteilt, nach dem frühen Tod seines ältesten Sohnes in drei, nach dem Tod seines zweiten Sohnes in zwei.
Zunächst teilten 561, wie schon ein halbes Jahrhundert früher nach Chlodwigs I. Abtritt, vier Erben das Reich, Chlotars I. Söhne (nach dem Alter angeführt):
Charibert I. von Paris, der schon Ende 567 starb, nachdem er seine Frau, Königin Ingoberga, verstoßen und sich mit den beiden Schwestern Meroflede und Marcovefa, einer Nonne, verbunden und in vierter Ehe Theodechilde, die Tochter eines Schafhirten, geheiratet hatte.
Guntram von Orléans (561–592), der das frankoburgundische Teilreich abwechselnd von Chalons an der Saône und von Orléans aus regierte. Von ihm ist der erste mittelalterliche Befehl zur Sonntagsheiligung (588) erhalten. Auch hat er gelegentlich – so daß man ihn »für einen Bischof des Herrn hätte halten können« (Gregor) – Bettage, Fasten (nur Wasser und Brot), Nachtwachen befohlen und überhaupt die Kirche sehr beschenkt, angeblich sogar sich selbst kasteit, freilich auch Mätressen sich gegönnt. Seine Konkubine Veneranda entließ Guntram, um Marcatrude, Tochter eines gewissen Magnachar, zu heiraten, die er aber gleichfalls verstieß, da sie Venerandas Kind vergiftet hatte. Darauf nimmt er Austrichilde, eine Magd Magnachars, dessen zwei Söhne er der »Ehre« seiner Gattin wegen umbringen und deren Güter er »für den Kronschatz« einziehen läßt. Und ihr, Austrichilde, verspricht der fromme Fürst, der voller »Wunderkraft« und »Herzensgüte« war (Gregor) und schon zu Lebzeiten als Heiliger galt, die Hinrichtung der Ärzte, die sie nicht heilen konnten – und erfüllte auch, was er versprochen (S. 129 f.). Und wurde später als Heiliger verehrt! (Fest: 27. März)
Die politische Szene beherrschten Sigibert I. von Reims (561–575), der König des fränkischen Ostreichs, und der Jüngste, Stiefbruder der drei andern, Chilperich I. von Soissons (561–584), deren Frauen Brunichild und Galswintha, Schwestern aus dem westgotischen Königshaus, bei ihrer Verehelichung zum Katholizismus überwechselten.4
Da Charibert I., der älteste Chlodwigenkel und König von Paris, schon 567 starb, wurde sein Gebiet, fast die ganze Westhälfte Galliens, aufgegliedert und kassiert. Anstelle der Vierteilung trat so eine neue Teilung, die nun im wesentlichen fortdauernde Dreiteilung des Frankenreichs in Austrien, Neustrien – beide die »Francia« im weiteren Sinn – und Burgund. (Auch in der Langobardenzeit hieß das östliche Oberitalien Austria, das westliche Neustria.)
Auster, Austrien (Ostland), meist Austrasien genannt und von Sigibert regiert, bestand aus den Gebieten um Maas und Rhein sowie etlichen noch weiter ostwärts davon, mit einem größeren germanischen Anteil; die Residenz war erst Reims, dann Metz. Zu Neustrien (Niwister, Neu-Westland) gehörte der westliche Teil und der politische Kern des Merowingerreiches, den die Franken seit dem 5. Jahrhundert erobert hatten, also weitgehend das einstige Herrschaftsgebiet des Syagrius, von der Loire bis zur Seine und nach Flandern reichend. Diese »Francia« im engeren Sinn, mit überwiegend romanischer Bevölkerung und den Hauptstädten Soissons, später Paris, fiel an Chilperich I.; die Neustrier selber nannten sich auch lieber Franci, ihr Land Francia. Burgund war gegenüber dem alten Burgund wesentlich erweitert, Chalon-sur-Saône bevorzugter Königssitz Guntrams. Geteilt wurden aber auch Aquitanien und die Provence.
Die Zerstückelung des Chariberterbes hatte eine Kette weiterer Bürgerkriege um die Vorherrschaft zur Folge. Die blutigen Konflikte zwischen den Brüdern rissen nicht ab bis zum Tod Sigiberts, der seinerzeit auch heidnische Haufen, »die Wildheit der Völker« vom rechten Rheinufer, gegen das gute katholische Neustrien führte. Seit 562, als Sigibert erste Auseinandersetzungen mit den Awaren in der Nähe der Elbe banden, machte Chilperich, der in Soissons residierende jüngste und vielleicht wendigste der Brüder, Einfälle in das Ostreich und versuchte Reims, Tours und Poitiers zu gewinnen, »indem er alles verheerte und zugrunderichtete« (Gregor von Tours); während Sigibert, ein Förderer des hl. Medardus, des Bistums Soissons Schutzpatron, die Reichsgutbezirke von Soissons und Paris angriff, die meisten Dörfer um Paris plündern, einäschern, die Bewohner in Gefangenschaft fortschleppen ließ und vergeblich seine Hand nach der provenzalischen Hauptstadt Arles ausstreckte, die Bruder Guntram gehörte. Doch Ortsbischof Sabaudus, ein würdiger Hirte des Herrn, legte Sigiberts Heer herein, lockte es hinterlistig wieder vor die Tore, so daß es »im Rücken von den Speeren der Feinde getroffen und von vorne mit Steinwürfen von den Städtern zugedeckt wurde ...« (Gregor von Tours)5
Der Kampf zwischen den Brüdern Chilperich und Sigibert verschärfte sich noch durch eine familiäre Tragödie, die in die Nibelungensage einging.