Apologetische Ausflüchte
Überall verbreitete man pathetisch den Unsinn von der providentiellen Leitung der Geschichte. Nach Seuchen und anderen Katastrophen, besonders aber nach siegreichen Schlachten trumpfte man damit auf. Jeden kriegerischen Erfolg verdankte man dem rechten Glauben und der Hilfe Gottes.
Nach dem Gemetzel am Frigidus (394), das der fromme Theodosius, begünstigt durch einen Wirbelsturm, gegen den das Heidentum wieder anerkennenden Eugenius gewann (I 453 ff.), empfand man Kampfausgang und »Bora-Wunder« auf allen Seiten als Zeichen christlicher Überlegenheit, als »Gottesgericht«. Selbst Claudius Claudianus, der »hartnäckige Heide« (Orosius), als letzter bedeutender Dichter des alten Rom schon zu Lebzeiten durch eine Statue auf dem Forum Traianum geehrt, schrieb nach der Schlacht: »Du bist der von Gott über alles geliebte Kaiser ... für den sogar der Äther streitet und zu dessen Fahnen die Winde strömen.« Und ein anderer prominenter Heide, der praefectus praetorio Nicomachus Flavianus, wählte seinerzeit den Freitod.22
Unter den Karolingern werden die entscheidenden Siege häufig dem Beistand St. Peters zugeschrieben. »Jetzt aber sei versichert«, erklärt Pippin dem päpstlichen Legaten Sergius im Kampf gegen die Bayern (S. 328), »daß durch das Einschreiten des heiligen Petrus, des Apostelfürsten, durch das Gottesurteil ... Bayern und die Bayern zur Herrschaft der Franken gehören.« Und selbst geringere Erfolge, die Eroberung einer Festung, ja, schon das Auffinden einer Quelle (im Sachsenkrieg 772) gibt man als große göttliche Wunder aus.23
Hatte man aber Unglück – und wie oft geschah's! –, wurden die Priester auch nie verlegen. Jetzt war das Unheil, die Katastrophe, eine Gottesstrafe, für geringe Gläubigkeit etwa, die herrschenden Laster. Mit dieser Theologie log man sich durch alle Wechselfälle bis heute.
»Unsere Frevel führen die Niederlage der römischen Armee herbei«, klagt 396, während des ersten großen Germanenansturms, Kirchenlehrer Hieronymus. »Weh uns, die wir Gott gegen uns in einer Weise aufgebracht haben, daß er nun die Raserei der Barbaren benützt, um seinen Zorn an uns auszulassen.« Analog erfolgt Roms Eroberung 410 (II 34 ff.), so der spanische Priester Orosius seinerzeit, nur wegen »des sündigen Volkes«, »mehr durch Gottes Zorn als durch die Kraft des Feindes«. Und noch im 20. Jahrhundert floriert dieser Pfaffentrug, heißt es nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg in Deutschland: »Wo hat es also gefehlt? An der Lebendigkeit und Folgerichtigkeit unserer Glaubensüberzeugung« (die man doch vier Jahre lang überschwenglich gepriesen!). Und gleich nach dem verlorenen Zweiten Weltkrieg erklärt der deutsche Jesuit Max Pribilla, in der Jesuitenpostille, Nazismus und Zusammenbruch als Folge der »charakterlichen Untüchtigkeit« der Deutschen; zuvor hatte er, natürlich in derselben Zeitschrift, Hitlers »deutsche Revolution« mit Goebbelszungen gefeiert.24
Der versierte Augustin wieder – der gegen die Heiden, die Roms Fall mit der Preisgabe der Götter, dem Versagen des Christengottes begründen, nicht weniger als 22 Bücher schreibt (II 37 ff.) – meint vorsichtig, der Ausgang eines Krieges beweise noch nicht dessen Gerechtigkeit. Gottes Pläne seien rätselhaft, jedermann verborgen. Darauf rekurrierte man gern nebst passenden Psalm- und sonstigen Bibelworten, sobald Gottes Entscheidungen proheidnisch, widersinnig, ungerecht erschienen. Immer aber und ohne Risiko konnte man den Endsieg Christi prophezeien und pries diesen Endsieger dann mit sich nur so jagenden, der alten Kirche zumeist unbekannten Ruhmestiteln: »Obherr der Himmel«, »Herr der Glorie«, »Gottkönig«, »der allmachtvolle Gott«, der »Siegruhmwalter«, »Siegesheld« usw.25