19

 

Hogart fuhr durch die Innenstadt und lenkte den Wagen in eine Parklücke, die soeben frei wurde. Er stieg aus dem Auto und sah sich um. Im Rudolfspark spielten Kinder. Kein Polizeiwagen weit und breit. Er wusste nicht, wie viel sein Bruder für die Wohnung in den beiden unteren Etagen des Eckhauses und die angrenzende Praxis löhnte, aber es war bestimmt kein Pappenstiel. Wer hier lebte und arbeitete, musste die entsprechende Summe hinblättern.

Hogart marschierte durch den Torbogen in den Innenhof. Die Haustür war offen. Im Treppenhaus standen Blumentöpfe mit gelben und violetten Oleandersträuchern neben Kurts Eingangstür. Sabina besaß den grünen Daumen, wie man so schön sagte. Von der Decke baumelte ein Hängetopf mit Pelargonien, die wild in alle Richtungen wucherten. Normalerweise lag unter dem Oleander der Wohnungsschlüssel verborgen - falls Tatjana einmal früher von der Schule heimkam und ihren Schlüssel zu Hause vergessen hatte, was öfters vorkam. Hogart hatte ihnen schon hundertmal gepredigt, dass Einbrecher immer zuerst unter Schuhmatten, in Blumentöpfen oder Regensinkkästen nach versteckten Schlüsseln suchten, bevor sie eine Tür aufbrachen, doch Sabina hielt Hogarts Sorge für übertrieben - und Kurt schloss sich wie üblich ihrer Meinung an. Schließlich war sie Lehrerin und er Chiropraktiker, und beide hatten noch nie mit Einbrüchen zu tun gehabt.

Bevor er sich selbst auf die Suche nach dem Reserveschlüssel machte, läutete er. Sabina war tatsächlich zu Hause.

»Keine Schule heute?«, fragte Hogart, als sie in einem ausgewaschenen blauen Jogginganzug die Tür öffnete.

»Ich habe mir freigenommen.« Sabina bedeckte mit der Hand die Sprechmuschel des Handys. »Ich telefoniere seit Stunden mit dem Anwalt, der Kripo und Kurts Patienten«, flüsterte sie. Dann nahm sie das Handy wieder zum Ohr und sprach weiter, während sie durch den Vorraum ging.

Hogart betrat die Wohnung. In der Küche lief das Radio. Der Geruch von Kaffee, Toastbroten und Omelettes lag noch in der Luft. Darüber hing ein Duft, den er nicht genau zuordnen konnte - entweder von Duftkerzen oder Räucherstäbchen.

Hogart streifte die Schuhe ab, da ihn Sabina eigenhändig erwürgen würde, falls er auch nur einen Schmutzkrümel auf dem hellen Perserteppich zertreten hätte. Während Sabina auf der Wohnzimmercouch telefonierte, lief er zum Ende des Vorraums. Die Tür zu Tatjanas Zimmer stand offen. Ein eigenhändig gebasteltes Poster ihrer Band Johnny Depp klebte an der Tür, das sie selbst mit ihrem Künstlernamen Spider signiert hatte.

Hogart sah sich um, bis er das Festnetztelefon auf der Kommode fand. Nachdem der Killer Ostrovskys Video aus seiner Wohnung gestohlen hatte, gab es nur noch eine Möglichkeit, Kurt in dem Mordfall zu entlasten. Hogart wollte das Band des Anrufbeantworters zurücklaufen lassen, doch das Gerät war eine digitale Box mit Speicherkarte. Noch besser! Er drückte den Menüpunkt für die Anrufliste, um sich die aufgenommenen Anrufe vom Freitagabend anzuhören. Einer davon musste von Ostrovsky stammen, der Kurt bat, das versteckte Video in seinem Haus zu finden. Diese Aufnahme würde einerseits beweisen, dass das Video tatsächlich existierte, und zugleich erklären, weshalb sich Kurts Fußspuren und Fingerabdrücke am Tatort befanden.

Hogart fand keine Einträge auf dem Display. Schließlich betätigte er die Wiedergabetaste und lauschte, doch das Gerät schaltete sich nach wenigen Sekunden wieder aus. Es war zum Verrücktwerden! Bis auf den vorgesprochenen Ansagetext befand sich keine Nachricht auf der Speicherkarte. Schließlich lief er ins Wohnzimmer, wo Sabina mit angezogenen Knien auf der Couch saß, soeben das Handy weglegte und sich durch die Haare fuhr.

»Warum ist keine Nachricht auf dem Anrufbeantworter?«

»Ich habe alle vor einer halben Stunde gelöscht«, murmelte sie, ohne aufzusehen.

Hogart wurde übel. »Warum?«

»Was heißt warum’?« Sie sah auf. Sorgenfalten zierten ihre Stirn, ihre Augen waren rot gerändert. »Weil die Karte voll war. Sie hat nur ein Speichervolumen von fünfzehn Minuten. Ständig läutet das Telefon. Ich musste Kurts Patienten zurückrufen, um die Termine abzusagen. Danach habe ich alle Nachrichten gelöscht.«

Wie zur Bestätigung läutete das Telefon im Vorraum. Der Anrufbeantworter schaltete sich ein und Tatjanas Stimme war zu hören. »Die Hogarts sind nicht zu Hause …«

»Was machst du eigentlich hier?«, fragte sie.

Hogart lehnte den Kopf an den Türrahmen und schloss für einen Moment die Augen. Wäre er doch nur eine Stunde früher gekommen. »Lassen sich die Nachrichten irgendwie wiederherstellen?«

Sabina lachte auf. »Gelöscht ist gelöscht. Verrätst du mir nun, was du hier willst?«

»Die Kripo kommt in Kürze vorbei. Die Ermittler haben einen Durchsuchungsbefehl.«

Sabinas Rücken versteifte sich. Sie saß starr auf der Couch mit einem versteinerten Gesichtsausdruck. »Niemand kommt mir in diese Wohnung!«

Hogart seufzte. »Du wirst es nicht verhindern können. Besser du lässt sie rein, sie durchsuchen alles, finden nichts und ziehen wieder ab.«

Da nun die Idee mit dem Anrufbeantworter wie eine Seifenblase zerplatzt war, blieb ihm nur noch eine einzige Chance, Kurt so schnell wie möglich aus der Sache rauszuholen. Er musste sein Alibi preisgeben.

»Ich gehe in Kurts Praxis«, sagte er.

»Was willst du dort?«

»Ich …«

Wieder läutete das Telefon und Sabina verdrehte die Augen. Während sie mit einem von Kurts Klienten telefonierte, nahm Hogart den Praxisschlüssel vom Bord neben der Eingangstür und verließ die Wohnung.

 

In der unteren Etage des Nebengebäudes lag die Praxis. Auf der Milchglasscheibe klebte ein Blatt Papier mit dem Aufdruck Vorübergehend geschlossen - nähere Informationen unter … darunter stand Sabinas Handynummer.

Hogart sperrte die Tür auf und trat ein. Die typische Geruchsmischung aus Tigerbalsam und verschiedensten Massageölen empfing ihn. In dem länglichen Gebäude folgten nach der Kleiderablage und einer Toilette Kurts Sprechzimmer und ein Büro. Dahinter lagen zwei Massagekabinen mit gepolsterten Liegen. Durch die breite Glasfront zur Straße fiel grelles Licht ins Büro, doch in den Kabinen waren die Rollos heruntergezogen. Hogart setzte sich hinter Kurts Schreibtisch. Möglicherweise hatte Ostrovsky gar nicht in Kurts Wohnung, sondern in seiner Praxis angerufen. Doch an das Telefon auf dem Tisch war kein Anrufbeantworter angeschlossen. Hogart lehnte sich im Stuhl zurück und starrte auf die Plakate an der Wand. So sahen sie also aus, die Reflexzonen, Nervenbahnen und Dutzenden Akupunkturstellen. In der Ecke stand eine menschengroße Puppe, ähnlich jener, die er in Ostrovskys Badezimmer gesehen hatte. Irgendwie musste er die Adresse der Patientin herausfinden, mit der Kurt den Freitagabend verbracht hatte, während Sabina und Tatjana bei Hogarts Mutter zu Besuch gewesen waren.

Als er sich im Lederstuhl zurücklehnte, die Füße auf dem Schreibtisch, aus dem Fenster starrte und nachdachte, hielt ein Wagen vor dem Haus. Gomez und einige Kollegen in Zivil stiegen aus. Unter ihnen war auch der lange Kerl mit dem Wuschelkopf und der John-Lennon-Brille. Die verschwendeten keine Minute. Die Tinte von Hausers Unterschrift auf dem Durchsuchungsbefehl war noch nicht einmal trocken, und die Ermittler stürmten bereits wie eine Horde Elefanten ins Haus, um jeden Quadratzentimeter der zweistöckigen Wohnung umzukrempeln. Wenn die sich in den Kopf gesetzt hatten, dass in ihrer Untersuchungshaftzelle der richtige Mann saß, brachte sie nichts und niemand von dieser Idee ab. Es war nur eine Frage der Zeit, bis die Truppe in der Praxis auftauchen würde, um auch hier alles auf den Kopf zu stellen.

Hogart nahm die Beine vom Tisch und zog die Schubladen auf. Er wusste, dass sein Bruder keinen Computer besaß. Er wühlte sich durch Briefe, Fotos, Stadtpläne, Büromaterialien und Bänder mit Entspannungsmusik. Nach längerem Suchen fand er zwei längliche schwarze Kassetten, in denen sich die handschriftlichen Karteikarten der Patienten befanden.

Hogart erinnerte sich daran, was sein Bruder gesagt hatte. Er würde sich mit der Frau nicht in seiner Praxis treffen. Sie wohnte in Alt-Erlaa. Neben dem modernen Wohnpark stand ein Motel. Die große Wohnsiedlung! Hogart blätterte etwa fünfhundert Karten durch, widmete jedoch nur den weiblichen Patientennamen seine Aufmerksamkeit. Schließlich hatte er die Karten von fünf Frauen herausgezogen, die im Wohnpark Alt-Erlaa und den angrenzenden Straßen wohnten. Drei davon schieden aus, da sie über sechzig Jahre alt waren, ebenso ein Mädchen in Tatjanas Alter mit einer Gelenkskrankheit. Übrig blieb eine gewisse Victoria Berger, geboren 1969 und somit ein Jahr jünger als Kurt. Die Festnetznummer auf der Karteikarte war bis zur Unkenntlichkeit durchgestrichen. Darunter befand sich eine Handynummer. Ohne lange zu überlegen, wählte Hogart direkt von Kurts Apparat aus die Nummer.

Eine interessant klingende Frauenstimme meldete sich mit Hallo.

»Guten Morgen«, sagte Hogart. Im Hintergrund hörte er ein Radio und Autogeräusche. Vermutlich war sie gerade mit dem Wagen unterwegs.

»Hallo? Wer spricht bitte? Ist das ein Scherz?«

Sie klang verwirrt. Vermutlich hatte sie Kurts Nummer auf ihrem Display gesehen und war nun überrascht, dass sich ein Mann mit einer fremden Stimme meldete.

»Ich bin Kurts Bruder«, erklärte er. »Ich weiß nicht, ob Sie es schon wissen, doch Kurt ist seit gestern Mittag in Untersuchungshaft, weil in einem Mordfall gegen ihn ermittelt wird.«

Sie hörte aufmerksam zu, ohne ihn zu unterbrechen. Allein die Tatsache, dass sie wusste, wer mit Kurt gemeint war, bestätigte ihm, dass er die richtige Frau am Apparat hatte.

»Der Mord passierte Freitagnacht, und ich weiß, dass Kurt den Abend mit Ihnen verbracht hat«, sprach Hogart weiter. »Ich weiß genauso gut wie Sie, dass er unschuldig ist. Das Problem ist, dass er sein Alibi nicht preisgibt und …«

»Hören Sie!«, unterbrach sie ihn. »Ich bin mit meinem Mann unterwegs zum Einkaufen. Ich weiß nicht, was Sie von mir wollen, und ich habe keine Zeit, mich länger mit Ihnen zu unterhalten.«

Hogart starrte aus dem Fenster. Es war knapp nach elf Uhr vormittags. Was für eine Frechheit von ihm, so einfach inmitten eines netten Familieneinkaufs hereinzuplatzen! Soeben raste Tatjana auf ihrer Aprilia die Straße hinunter und hielt mit quietschenden Reifen vor dem Haus.

»Sie sind Kurts einzige Chance auf ein Alibi«, sagte Hogart mit bemüht sanfter Stimme. »Ich weiß, es ist eine verzwickte Situation, aber falls Sie nicht mit der Kripo reden, um auszusagen, bleibt Kurt für längere Zeit in Untersuchungshaft.«

Die Frau schwieg eine Weile. Hogart konnte förmlich hören, wie die Rädchen hinter ihren Schläfen auf Hochtouren liefen. Bestimmt zermarterte sie sich das Gehirn, wie er dahintergekommen war, dass sie ein Verhältnis mit ihrem Chiropraktiker hatte, ohne die Möglichkeit zu haben, ihn danach zu fragen. Schließlich hörte Hogart im Hintergrund zwei zankende Kinder, dann eine Männerstimme. Wer ist dran, Schatz?

»Keine Ahnung, ein Verrückter!«

»Nicht auflegen!«, rief Hogart. »Wir finden einen Weg, wie …«

»Ich kann Ihnen nicht helfen«, unterbrach sie ihn. Danach hörte er nur noch das Besetztzeichen in der Leitung.

Victoria Berger kämpfte genauso um ihre Ehe wie Kurt. Hogart würde sie nie zum Sprechen bringen. Während er den Kopf auf die Hände stützte und die Augen schloss, um nachzudenken, öffnete sich die Tür zur Praxis.

Tatjana stürzte aufgeregt herein. Sie hielt noch den Schlüsselbund und den Motocross-Helm in der Hand. »Mama sagte mir, dass du hier bist, und ich soll nachsehen, was du hier treibst …«

Hogart trommelte mit den Fingern auf die Tischplatte. »Ich denke nach.«

»Die Polizei durchsucht gerade unsere Wohnung. Kannst du nichts dagegen unternehmen?«

»Mach dir keine Sorgen. Was sollen die schon finden? Dein Vater hat nichts mit den Morden zu tun. Allein der Gedanke daran ist lächerlich …«

Hogart verstummte. Tatjanas Gesichtsausdruck strafte seine Aussage Lügen. Er fuhr vom Ledersessel hoch. »Was haben die gefunden?«

»Ich habe gesehen, wie sie etwas aus dem Wohnzimmerschrank in Plastiktüten gepackt haben und anschließend sofort zu den Handys griffen. Mutter bekam einen Nervenzusammenbruch.«

»Was haben sie gefunden?«, wiederholte Hogart.

»Ich habe sie am Handy darüber reden hören. Eine Schachtel mit fünfzig Milligramm Botox von der Firma Allergan, einige Pfeilspitzen und ein Blasrohr.«

»Scheiße!« Hogart fegte die Papiere vom Schreibtisch.

»Wie ist das in unsere Wohnung gekommen?« Tatjanas Stimme kippte.

Hogart dachte an den Schlüssel, der stets unter einem der Oleanderstöcke verborgen lag. Einmal im Treppenhaus, hatte der Killer nicht mal die Tür aufbrechen müssen, um in die Wohnung zu gelangen und die belastenden Beweise zu verstecken. Tausende Gedanken schossen Hogart durch den Kopf. Woher wusste der Killer, dass die Kripo Kurts Wohnung durchsuchen würde?

»… hörst du mir zu?«

»Was?« Hogart sah auf.

»Ich sagte, Mutter hat einen Nervenzusammenbruch und Oma ist auf dem Weg hierher.«

»Welche Oma? Meine Mutter?« Tatjana nickte.

Seine Mutter konnte er jetzt am allerwenigsten brauchen. »Mein Vater ist doch kein Mörder, oder?« Tränen standen in Tatjanas Augen.

»Nein, das ist er nicht, aber er steckt verdammt tief in der Klemme.« Hogart biss sich auf die Lippe. Er konnte ihr unmöglich erzählen, dass ihr Vater ein Verhältnis mit einer anderen Frau hatte. Der Killer war einfach zu clever. Er besaß die Möglichkeit, an Informationen ranzukommen, und spielte sie gegen Kurt aus. Schon bald würde nicht einmal Victoria Bergers Aussage für Kurts Alibi ausreichen.

»Worum geht es bei den Morden?«, fragte Tatjana.

»Es ist zu kompliziert, dir das alles zu erklären.« Hogarts Gedanken überschlugen sich.

»Wie kann ich dir helfen?«

Er schüttelte den Kopf. »Kleine, leider kannst du mir nicht …« Er hielt inne. Plötzlich kam er auf eine Idee. Er griff in die Hosentasche und holte den Schlüssel hervor, den er in Alfred Faltls Wohnung gefunden hatte.

»Ich muss herausfinden, zu welchem Schließfach der passt.« Er legte den silberglänzenden Schlüssel mit der Nummer 816 auf den Tisch. »Und zwar so rasch wie möglich.«

Tatjana sah ihn fragend an.

»Ich vermute, es befinden sich brisante Beweise in dem Schließfach und der Mörder ist hinter diesen Informationen her. Aber es ist unmöglich herauszufinden, was damit geöffnet werden kann.«

»Frag doch denjenigen, dem der Schlüssel gehört.«

»Der ist leider tot.«

»Was war er von Beruf?«

Hogart lief durch den Raum. »Es dauert zu lange, dir das alles zu erklären.«

Demonstrativ setzte sich Tatjana auf die Kante des Schreibtischs und sah Hogart fragend an. »Du hättest schon längst zu erzählen beginnen können.«

Hogart seufzte. »Doktor Faltl war etwa fünfundsechzig Jahre alt und schon seit einiger Zeit im Ruhestand. Er war Oberarzt der Unfallchirurgie im Kaiserin-Elisabeth-Spital, hatte Spielschulden auf der Trabrennbahn, besaß kein Auto, fuhr ohne gültigen Fahrschein mit der U-Bahn und wohnte in einer miesen Gegend. Er war geschieden, hatte aber eine Tochter und ein Enkelkind. Das war’s.« Hogart hob die Augenbrauen. »Und er wusste etwas, das den Mörder belasten könnte.«

Tatjana drehte den Schlüssel zwischen den Fingern. »Dieses Schließfach ist an einem Ort, an dem es zumindest mehr als achthundert Möglichkeiten gibt, etwas aufzubewahren. Die Kleiderkabine in einem Freibad?«

Hogart schüttelte den Kopf. »Der Schlüssel lag mehrere Jahre lang in einer Staubzuckerpackung versteckt.«

»Die Bibliothek einer Universität?«, vermutete Tatjana.

»Schließfächer an Unis werden in den Sommerferien geleert und zu Semesterbeginn neu vergeben.«

»Das Fach in einem Busbahn- oder Schnellbahnhof, einer zentralen U-Bahnstation oder einem anderen großen Verkehrsknotenpunkt.«

»Das trifft es wohl eher.«

»Zeig mir, wo dieser Faltl wohnte und wo das Krankenhaus liegt, in dem er arbeitete.« Tatjana senkte verschwörerisch die Stimme. »Wenn er seit einigen Jahren im Ruhestand war, er den Schlüssel aber schon davor besaß und stets mit der U-Bahn zum Dienst gefahren ist, handelt es sich womöglich um einen Bahnhof, der auf dem Weg zur Arbeit liegt.«

Rasch öffnete Hogart die Schreibtischschublade und zog zwischen den Fotos und Büromaterialien Kurts Stadtplan hervor. Er faltete das Papier auf dem Tisch auseinander. In diesem Moment hörten sie Schritte vor der Tür.

»Schnell, zeig mir, wo er wohnte«, zischte Tatjana. »Hier in Meidling liegt die alte Wohnhausanlage am Schöpfwerk … und dort im fünfzehnten Bezirk das Kaiserin-Elisabeth-Spital.«

»U3 und U6 verbinden die beiden Orte.«

Hogart fuhr mit dem Finger den Weg der U-Bahnlinie entlang. Über der Markierung des Westbahnhofs hielt er inne. »Hier musste er umsteigen.«

»Der Westbahnhof… «, flüsterte Tatjana.

Die Tür zur Praxis wurde aufgerissen. Gomez trat mit zwei Kollegen von der Polizei ein. Der kleine Beamte mit der platten Nase und dem schwarzen Kinnbart klatschte in die Hände. »Alle Mann raus hier! Wir haben einen Durchsuchungsbefehl.«

Wie feinfühlig. »Das wissen wir, mach nicht so einen Lärm«, murrte Hogart.

Gomez baute sich vor den beiden auf. »Raus hier! Aber der Stadtplan bleibt hier.«

 

»Es ist besser, du bleibst bei deiner Mutter«, sagte Hogart, als sie auf der Straße vor dem Eckhaus standen.

»Oma kommt jeden Moment, die wird sich um Mama kümmern …« Tatjana sah zu Boden. »Außerdem hatten wir gestern Abend noch einen heftigen Streit.«

Hogart sperrte seinen Wagen auf. »Weswegen?«

»Wir haben beide keine Ahnung, was Papa an den Abenden treibt, wenn er weggeht. Ich weiß nur, dass er nicht in seiner Praxis arbeitet und auch nicht mit dir unterwegs ist.«

Willkommen im Club! Ähnliche Gedanken gingen vermutlich auch Victoria Bergers Mann durch den Kopf. Hogart bekam ein flaues Gefühl im Magen.

»Mama glaubt, dass Papa ein Verhältnis mit einer anderen hat. An den Abenden, an denen wir allein zu Hause sind, ist sie unausstehlich. Und wenn Papa daheim ist, streiten sie fast immer. Im Moment geht unser ganzes Leben den Bach hinunter.«

Hogart sah die Straße zur nächsten Kreuzung hinauf. Von Weitem sah er seine Mutter über den Zebrastreifen stolzieren - wie üblich mit knöchellangem Rock, schwarzer Stola und breitkrempigem Hut, der sie wie eine trauernde Witwe aussehen ließ. Was für eine erbärmliche Heuchlerin.

»Mutter ist im Anmarsch«, stellte er trocken fest. Es wurde Zeit, von hier zu verschwinden. Er wollte sich keine neuerlichen Tiraden darüber anhören, dass sogar die Geschichte mit dem Blasrohr auf sein Konto ging.

»Steig ein«, sagte er zu Tatjana. »Wir fahren zum Westbahnhof.«

Gruber, Andreas - Peter Hogart 2
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