5

 

Hogart und Tatjana standen vor Bohmanns Schreibtisch. Nachdem der Rektor sie vorgestellt hatte, verschwand er wieder nach draußen und schloss die Tür.

Das Büro war klein, aber fein säuberlich aufgeräumt. Damit entsprach es überhaupt nicht dem Klischee, das Hogart von Kunstdozenten hatte, die er gern mit anderen Chaoten oder schmuddeligen Typen in eine Schublade steckte. Mit den modernen Gemälden an den Wänden erinnerte der Raum eher an ein Wohnzimmer. Fehlten noch der Kamin und das Fernsehgerät. Durch das hohe Fenster sah er auf den Springbrunnen und den mit Kieselsteinen bedeckten Parkplatz, wo sein Wagen unter der Linde stand.

Linda Bohmann saß hinter ihrem Schreibtisch und lächelte Tatjana zu. Hogart erkannte sie sofort als jene Frau, die er auf dem Video gesehen hatte, nur dass er sie mittlerweile zehn Jahre älter schätzte. Noch mehr als auf dem Video erschien sie ihm jetzt als Dame, wahrhaft als Lady: dezent geschminkte Wimpern, mandelfarbene Augen, eine schmale Lesebrille mit einem Lederband, das brünette Haar zu einem Knoten gebunden. Links und rechts fielen ihr ein paar Strähnen ins Gesicht. Sie trug einen cremefarbenen Pullover mit Zopfmuster und eine einfache holzfarbene Modeschmuckkette um den Hals.

Bohmann legte einen Kugelschreiber beiseite und kam hinter dem Schreibtisch hervor. Sie saß in einem Rollstuhl, den sie händisch bediente und geschickt um die Kurve lenkte. Über ihren Beinen lag eine Decke. Als Tatjana das Gefährt sah, zuckte sie merklich zusammen. Hogart war ein Idiot. Er hätte ihr davon erzählen sollen, bevor sie die Akademie betreten hatten, doch jetzt war es zu spät.

»Willkommen in der Abteilung für moderne Kunst. Wir haben etwa vierzig Minuten Zeit, bevor mein nächstes Seminar beginnt.« Bohmann reichte zuerst Tatjana, danach Hogart die Hand.

Die harten, aufgerauten Finger und der kräftige Händedruck überraschten ihn. Doch als er ihre starken Oberarme sah, die sich unter dem Pullover abzeichneten, wurde ihm klar, dass die Frau damit lebte, sich ständig aus dem und in den Rollstuhl zu hieven.

Bohmann füllte drei Gläser mit Traubensaft aus einer Karaffe, während sie über die Akademie erzählte. Wolfram Priola war seit fünfzehn Jahren der Rektor dieser Kunsthochschule. Das Studium dauerte acht Semester und gliederte sich in zwei Studienabschnitte mit jeweils einer Diplomprüfung. Zwar standen nur drei Studienzweige zur Auswahl, doch ergänzend wurden Exkursionen angeboten, Projektarbeiten, freie Wahlfächer, künstlerischer Einzelunterricht und Auslandspraktika, deren Teilnehmerzahl allerdings beschränkt war. Nach erfolgreicher Diplomarbeit wurde das Studium mit einem Mag. art. abgeschlossen.

Professor Bohmann reichte Tatjana eine Mappe mit den aktuellen Lehrveranstaltungen und sämtlichen Anmeldeformularen.

»Die nächste Zulassungsprüfung findet im September statt. Dazu benötigen wir eine Werkmappe mit Arbeitsproben, um Ihre kreative Begabung und künstlerische Eignung festzustellen. Danach folgt eine Klausurarbeit mit abschließendem Gespräch. Nachdem Sie auch das bestanden haben, brauchen wir von Ihnen einen Staatsbürgerschaftsnachweis, Meldezettel, einen Lichtbildausweis, ein Reifezeugnis und zwei Fotos für die Anmeldung an der Akademie.«

Und eine Urinprobe, fügte Hogart in Gedanken dazu.

Tatjana hörte aufmerksam zu, bis sie schließlich auf ein wuchtiges Gemälde deutete, das hinter Bohmann an der Wand hing. »Haben ,%das gemalt?«

»Die anderen schon, doch das stammt von meiner Schwester«, antwortete Bohmann, ohne sich umzudrehen. »Öl auf Leinwand. Es ist eines ihrer älteren Werke. Ich habe schon lange nichts mehr gemalt. Der Unterricht hält mich auf Trab, und die Sommermonate brauche ich, um mich zu entspannen.«

Hogart betrachtete das Gemälde. Durch den breiten verschnörkelten Rahmen wirkte es doppelt so groß. Das Bild sah überhaupt nicht wie ein Exemplar der modernen Kunst aus. Es zeigte einen von Knorpeln überwucherten alten Baumstamm, der schräg durch das Bild wuchs und mit Tausenden schweren Nägeln beschlagen war. Hinter dem düsteren Monument waren nur dunkle Farbtöne zu erkennen, die von blau über grau bis schwarz reichten und sowohl als Wald, aber auch ebenso gut als die Silhouette einer mittelalterlichen Stadt gedeutet werden konnten.

»Das Gemälde stellt den Stock im Eisen dar. Kennen Sie die Legende?«

Hogart nickte, doch Tatjana schüttelte den Kopf, worauf Bohmann ihr die alte Wiener Sage aus dem sechzehnten Jahrhundert erzählte, in der es, wie damals so oft, um eine Wette mit dem Teufel ging. Ein hitzköpfiger Schmiedgeselle meinte, er sei in der Lage, ein Schloss zu schmieden, das der Teufel unmöglich öffnen könne. Der Geselle legte einen eisernen Ring um einen Baum, hing ein Schloss daran und warf den Schlüssel in die Donau. Nächtelang arbeitete der Teufel vergebens an dem Metallband, worauf er zornig wurde und den Gesellen mit sich in die Hölle riss. Seitdem war es keinem gelungen, den Ring zu entfernen - nicht einmal dem geübtesten Schlosser. Es hieß, dass keine menschliche Hand das Schloss öffnen könne. Daher wurde es Brauch, dass jeder Geselle, der nach Wien kam, den Stock besuchte und zum Andenken an den vom Teufel geholten Kameraden einen Nagel in den Stamm schlug, bis er völlig mit Eisen bedeckt war.

»Der Stock steht in der Wiener Innenstadt, am Graben«, beendete Bohmann ihre Erzählung. »Aufgrund des Kupferplättchens eines Eisenstifts wissen wir, dass der letzte Nagel 1832 eingeschlagen wurde. Das Gemälde stammt übrigens aus einem älteren Werkzyklus meiner Schwester über den Wiener Volksglauben.« Unwillkürlich deutete sie mit dem Kopf zum Schreibtisch.

Dort stand ein gerahmtes Bild, das Linda Bohmann im Rollstuhl zeigte. Hinter ihr erhob sich eine hochgewachsene Frau in einer schwarzen Stola, die Bohmann eine Hand auf die Schulter legte. Das Foto besaß eine unheimliche Ausstrahlung, als stünde der Leibhaftige hinter dem Rollstuhl.

»Ist sie das?« Hogart zeigte auf das Bild. »Sie sehen sich ausgesprochen ähnlich.«

»Wie das bei Zwillingsschwestern üblich ist.« Für einen Augenblick wurde Bohmann ernst. »Gestern Abend war übrigens Madeleines Vernissage der Galerie Grimbaldi. Ihre Gemälde werden täglich ab 18.00 Uhr ausgestellt. Falls Sie daran interessiert sind, wie Kunst in der Praxis aussieht, und was einem nach dem Studium erwartet, gehen Sie doch heute Abend mit Ihrer Tochter hin.«

»Die Galerie Grimbaldi?« Ein merkwürdiger Name für einen Gemäldeaussteller.

»Das ist der Veranstalter, doch die Räumlichkeiten dort sind zu eng. Madeleines Gemälde sind einfach zu groß. Die Sonderausstellung ihrer Werke findet im Gewölbe der Michaeiergruft statt.«

»Werden Sie heute Abend auch dort sein?«

»Bestimmt nicht. Meine Schwester legt keinen Wert auf meinen Besuch.« Lächelnd wandte sie sich von Hogart ab und Tatjana zu. »Aber für Ihre Werkmappe müssen Sie keine derartig schweren Ölgemälde anfertigen. Falls Sie es wünschen, können Sie nächste Woche gern an einigen Vorlesungen als Gasthörerin teilnehmen - sofern Ihre Eltern damit einverstanden …«

»Oh, mein Vater ist geschieden«, unterbrach Tatjana sie.

Bohmann warf Hogart einen längeren Blick zu und zum ersten Mal hatte er das Gefühl, dass sie ihn von oben bis unten musterte. Während er noch überlegte, ob die Dozentin ledig, verheiratet oder mit einem Lebensgefährten liiert war, sprudelten aus Tatjana haarsträubende Details, die sie über sich und ihre Familie erfand.

»Nachdem meine Mutter uns verlassen hatte und mit ihrer Freundin nach Amsterdam gezogen war, um dort einen Laden für Duftöle, Skulpturen und Holzmarionetten zu eröffnen, war ich mit Vater allein … das ist jetzt sechs Jahre her.«

»Tatjana, bitte!«

Sie winkte ab. »Möglicherweise fließt in meinen Adern das künstlerische Blut meiner Mutter. Schon als Mädchen wusste ich, dass ich mehr aus meinem Leben machen wollte, als beispielsweise in einem Büro als Sekretärin zu enden. Sie verstehen das sicher, wenn der Drang in einem steckt, etwas Produktives aus seinem Leben zu machen, Ideen umzusetzen, Dinge zu schaffen, die es nicht gäbe, würde man sie nicht kreieren.«

Bohmann lächelte. Bestimmt hörte sie diese euphorischen Worte einer Jugendlichen nicht zum ersten Mal.

»Mein Vater ist Mechaniker, er restauriert Oldtimer«, sprudelte es weiter aus Tatjana hervor. »In gewisser Weise ist auch er kreativ, aber da gibt es einen Unterschied, wenn Sie verstehen, was ich meine.«

»Tatjana!« Hogart packte sie am Arm. »Es genügt!« Nie mehr würde er dieses Luder irgendwohin mitnehmen.

»Lassen Sie Ihre Tochter ausreden.« Bohmann warf Hogart einen amüsierten Blick zu. »Es ist gut, wenn junge Leute voller Ideen und Tatendrang stecken. Vieles von dieser Euphorie wird ihnen im Lauf des Lebens sowieso genommen - zum Teil auch hier an der Akademie, denn selbst die Malerei ist ein Handwerk ähnlich der Restauration eines Oldtimers: ein Drittel Inspiration - zwei Drittel Transpiration. Viele, die als freie Künstler zu uns kommen, verlassen die Akademie vorzeitig, weil sie an der harten Arbeit verzagen.«

Bohmann holte ein großes Foto von ihrem Schreibtisch, das sie Tatjana reichte. »Das ist eine Aufnahme des Akademieballs vom letzten Jahr. Zu Beginn des Herbstsemesters bestand mein Seminar noch aus zwanzig Teilnehmern. Mittlerweile haben acht davon das Handtuch geworfen.«

Das Bild zeigte eine Gruppe Menschen aus den unterschiedlichsten Altersklassen, jeder Einzelne davon entweder in einem Anzug oder Abendkleid. In der Mitte der vorderen Reihe saß Linda Bohmann in einem Cocktailkleid mit Spaghettiträgern. Neben ihr stand eine Frau, die Hogart kannte.

»Das ist doch die Gattin von Staatsanwalt Hauser?«

Bohmann sah ihn überrascht an. »Sie kennen Friedhelm Hauser?«

»Er ist …« Hogart unterbrach sich. »Seine Frau lässt ihren Wagen in meiner Werkstatt reparieren.«

»Wie klein die Welt doch ist.« Bohmann schmunzelte. »Rektor Priola hat es sicherlich erwähnt, da er so viel Wert darauf legt: Unter den Studenten befinden sich nicht nur zur Kunst Berufene, wie ich sie bezeichne, sondern auch einige Mitglieder prominenter Familien. Anne Hauser ist eine davon. Sie besucht meine Kurse schon seit vielen, vielen Jahren.«

Anne Hauser? Hieß die Frau tatsächlich so? Jetzt durfte er sich keinen Patzer erlauben. »Die Akademie hat einen guten Ruf«, versuchte er Bohmann zu schmeicheln.

»Ach was!« Sie machte eine wegwerfende Handbewegung. »Es ist viel eher so, dass die Malerei nun mal ein faszinierendes und anziehendes Metier ist, gleichgültig woher man stammt.«

»Wie sind Sie zur Malerei gekommen?«, unterbrach Tatjana sie.

»Ich möchte Sie nicht langweilen, mein Kind - nur so viel: Ich verspürte einen ähnlichen Drang wie Sie, nur ging es mir nie darum, eine Karriere anzustreben oder Werke für andere zu erstellen, sondern etwas aus mir herauszulassen. Die Motivation war eine andere als bei Ihnen: Mir ging es nicht um den kreativen Schaffensprozess, sondern um Befreiung. Der Unterschied ist schwer zu erklären. Jedenfalls studierte ich Kunst, schrieb eine Dissertation über Dali, nahm einen Assistentenjob an der Akademie an und hatte bis zu meinem dreißigsten Lebensjahr alles an Ideen und Eindrücken aus mir herausgeholt, um - wie ich es immer bezeichne - einen runden Menschen aus mir zu machen. Mit den Jahren ging der Drang zu malen verloren und ich widmete mich mehr und mehr den Studenten.«

»Hatten Sie das Gefühl, Sie seien ausgebrannt?«, fragte Tatjana.

»Ausgebrannt?« Bohmann dachte nach. »Das ist nicht das richtige Wort - viel eher war ich innerlich leer. Allerdings leer im Sinne von vollendet. Kennen Sie den Ausspruch: Malen, um zu leben? Mit dreißig waren alle Baustellen abgeschlossen. Ich hatte alle Themen abgehakt, die mich ein Leben lang beschäftigten, und nun waren sie von der Bildfläche verschwunden. Wie hat es Schönberg so treffend formuliert? Kunst kommt nicht von Können, sondern von Müssen. Und ich musste nicht mehr malen. Was übrig blieb, war die Gelegenheit, meine Erfahrungen, die ich gesammelt hatte, in Form von Vorlesungen, Seminaren, Kursen und Übungen an meine Studenten weiterzugeben.«

Hogart merkte an Tatjanas unschlüssigem Blick, dass sie nicht wusste, ob sie etwas darauf sagen durfte oder nicht - doch Bohmann nahm ihr die Entscheidung ab. »Fragen Sie ruhig.«

»Ich bin mir nicht sicher, aber für mich hört es sich ein wenig an, als seien Sie verbittert darüber, dass Sie die Notwendigkeit des Malens verloren haben.«

Bohmann lachte, und in diesem Lachen hörte Hogart, dass diese Frau keinerlei Verbitterung in sich trug, und das, obwohl sie ihr Leben in einem Rollstuhl fristete.

»Verbittert ist der falsche Begriff«, sagte Bohmann. »Aber Sie sprechen eine Nuance an, die nur wenige an mir bemerken. Auch wenn es auf den ersten Blick nicht so wirkt, aber ich bin ein Mensch, der nur schwer Vertrauen zu anderen fassen kann. Die Eigenschaft, ungern Kompromisse einzugehen und immer alles infrage zu stellen, bringt ebenfalls einige Schwierigkeiten mit sich.«

»Aber wenn etwas nicht passt, muss es raus«, pflichtete Tatjana ihr bei.

»Natürlich. Viele Kolleginnen - einsame und introvertierte Künstler - schleppen ihr gesamtes Leben mit sich herum und nehmen es am Ende mit ins Grab. So gesehen bin ich die atypische Vertreterin an dieser Akademie.«

Tatjana schmunzelte. »Ich glaube, wir kämen gut miteinander aus.«

Bohmann zwinkerte ihr zu. »Bestimmt sogar.«

Hogart war nicht nur beeindruckt, weil er eine derart souveräne Frau kennengelernt hatte, die mit ihr Unbekannten so offen und unkompliziert über sich selbst sprechen konnte, sondern auch, weil er eine völlig neue Seite an Tatjana bemerkte. Wenn er sie so betrachtete, war sie viel mehr als nur die gepiercte Bassistin in einer Punkband, die am Sandsack trainierte und ein Motocross-Moped fuhr. Mit einem Mal wirkte sie so erwachsen.

Für einen Moment herrschte tiefes Schweigen. Linda Bohmann warf einen Blick zur Wanduhr. Ihre Zeit war beinahe um. Sie sah die beiden fragend an, doch es gab nichts mehr zu besprechen. Schließlich fuhr Bohmann zur Tür, als wolle sie ihre Gäste hinausbegleiten, doch ein Klopfen von draußen ließ sie in der Bewegung verharren.

Ein junger Mann betrat das Büro.

»Die Post«, murmelte er knapp und legte der Dozentin einen Stapel Briefe und Broschüren in den Schoß. Obenauf lag die gefaltete Ausgabe der Morgenzeitung. Primär Abel Ostrovskys Bild und die Schlagzeile über den bestialischen Mord erinnerten Hogart daran, weshalb sie eigentlich hier waren. Der Botengang des Jungen hätte zu keinem besseren Zeitpunkt erfolgen können.

»Eine schreckliche Sache.« Hogart deutete auf die Zeitung.

Bohmann sah ihn fragend an, dann schlug sie das Blatt auf und las die Überschrift.

»Angeblich war Ostrovsky einer der besten Neurochirurgen«, fügte Hogart hinzu, doch auf ihrem Gesicht zeigte sich keine Regung.

»Die Welt ist verroht, aber wenn sie klar wäre, gäbe es keine Kunst.« Linda Bohmann klappte die Zeitung wieder zu und reichte ihnen die Hand. Mehr würden sie im Moment nicht aus ihr herausbekommen.

 

Als sie durch den Korridor zum Ausgang marschierten, sah Hogart seine Nichte schief an. »Etwas Besseres als Automechaniker ist dir nicht eingefallen?«

»Restaurator von Oldtimern«, korrigierte sie ihn. »Worüber regst du dich eigentlich auf? Wir haben doch einiges herausgefunden!«

»Sag bloß, dieser Gemäldequatsch interessiert dich wirklich.«

•»Tu nicht so!« Tatjana kniff die Augenbrauen zusammen. »Ich finde cool, was die macht. Nicht so ein Barockscheiß, sondern echte, intellektuelle Kunst.«

»Cool? Warst du schon mal auf einer Vernissage?«

»Nein.«

»Da laufen nur Spinner rum.« Hogart rümpfte die Nase. »Flache Gespräche bei Kaviarbrötchen und Cocktails, Fototermine für die Presse, Interviews für die Kulturnachrichten, Küsschen auf die Wange.«

»Sonst hast du keine Vorurteile, oder?« Tatjana warf ihm einen unmissverständlichen Blick zu. »Dabei wurde uns soeben erklärt, dass Malerei genauso viel mit Kunst wie mit Handwerk zu tun hat. Außerdem sagte Bohmann, die Ausstellung ihrer Schwester sei in der Michaeiergruft. Wir waren mal mit der Schule dort. Da verirrt sich bestimmt kein High-Society-Reporter hin. Nimmst du mich heute Abend mit?«

Hogart blieb abrupt stehen. »Wer sagt, dass ich hingehe?«

»Ich kenne dich doch! Bei deiner offensichtlichen Abneigung willst du mich nur loswerden, um allein hinzugehen.«

»Du kleines …« Hogart verstummte, als Priola ihnen entgegenkam.

»Und? Waren Sie zufrieden?«, rief der Rektor von Weitem.

»Professor Bohmann ist eine tolle Frau«, sagte Hogart rasch, bevor Tatjana wieder ihre Geschichte mit der lesbischen Exfrau und dem Marionettenladen in Amsterdam anbringen konnte. Im Geiste sah er Linda Bohmann vor sich. In diesem Moment merkte er, dass seine Gefühle Linda gegenüber mehr als ambivalent waren. Einerseits wurde er das Gefühl nicht los, dass sie etwas verheimlichte, andererseits würde er keine Sekunde zögern, dieser Frau seine Nichte für eine geeignete Berufsausbildung anzuvertrauen, selbst wenn es sich dabei nur um das brotlose Gewerbe der Malerei handelte.

»Sie hat uns viel über sich erzählt«, ergänzte Tatjana mit einer Spur Stolz in der Stimme, als strebe sie danach, Professor Bohmanns Karriere nachzueifern.

»Tatsächlich?« Priola sah sie verwundert an. »Seit der Sache mit ihren Eltern spricht sie selten von sich.«

Plötzlich ging Hogart ein Licht auf. »Ihr Vater war doch nicht etwa Ernest Bohmann, der Verleger?«

»Doch, Inhaber des Bohmann-Verlags. Juristische Bücher und Fachzeitschriften. Sie kannten ihn?«

»Nur aus der Presse.« Hogart versuchte, sich zu erinnern. »Er starb vor etwa drei Jahren …«

»In der Silvesternacht 2004.« Priola seufzte. »Er war ein einflussreicher Mann, der die Anliegen der Akademie stets gefördert hat.«

»Unterrichtet Linda Bohmanns Schwester auch an der Akademie?«, fragte Hogart.

»Nein.« Priola lächelte milde. Seine Stimme wurde leiser, sodass sie nicht länger durch den Gang hallte. »Madeleine ist aus einem ganz anderen Holz geschnitzt. Sie ist Malerin …« Er hob die Schultern. »… erfolglose Malerin, wenn Sie mich fragen. Um zu unterrichten, ist sie zu eigenbrötlerisch und lebt zu sehr zurückgezogen in ihrer Welt. Ich hoffe, Sie entwickeln sich einmal besser, junge Dame, denn es würde mich freuen, Sie im Herbst hier begrüßen zu dürfen.« Priola lächelte Tatjana an.

»Ich werde mir Mühe geben.«

Priola hob die Hand zum Gruß und eilte weiter in den Gang.

 

Nachdem Tatjana ihren Helm aufgesetzt und mit zwei zu einem Victory-Zeichen gespreizten Fingern den Parkplatz verlassen hatte, stand Hogart allein bei seinem Wagen.

Er sah Tatjana nach, wie sie mit der Aprilia eine Runde um den Springbrunnen drehte und so viel Gas gab, dass der Schotter spritzte. Dann war sie endlich weg.

Im gleichen Moment klingelte Hogarts Handy. Es war Lisa, seine Kontaktfrau bei der Telekom.

Gruber, Andreas - Peter Hogart 2
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