15

 

Hogarts Herz pochte bis zum Hals. Er ließ die Hände in den Hosentaschen verschwinden, wo er den Schlüssel zwischen den Fingern der rechten Hand spürte. Während einer der Polizisten seine Personaldaten aufnahm, kümmerte sich ein weiterer um die Einbruchspuren auf dem Türrahmen und schoss Fotos. Der Rest der Mannschaft klopfte wegen der Befragung an die anderen Wohnungstüren. Eine Minute später tauchte Garek keuchend auf. Er gab Hogart nicht die Hand, sondern schlug ihm nur auf die Schulter. Hogart ließ die Hände in den Hosentaschen.

»Hog, wie siehst du denn aus? Hat dich deine Mutter wieder mal vermöbelt?« Garek blickte in Hogarts Gesicht und kniff dabei die Augenbrauen zusammen, als beschere ihm der bloße Anblick der aufgeplatzten Lippe und der blauen Flecken Schmerzen.

»Bin gestolpert.«

Garek nickte, als habe er verstanden. »Das Veilchen hat dir wohl der Einbrecher verpasst, nachdem er deine Wohnung verwüstet und dir dieses angebliche Videoband geklaut hat?«

Hogart antwortete nicht. Es war wohl naiv zu glauben, dass Garek nicht mit Eichinger oder Gomez redete. Solche Geschichten sprachen sich schneller herum, als man Piep sagen konnte.

Sie standen im Treppenhaus, während die Beamten von der Spurensicherung mit ihren Taschen und Lampen die Wohnung betraten. Erst wenn alles fotografiert und ein Trampelpfad durch die Räume abgesteckt worden war, würden sie Garek hineinlassen.

»Hör zu.« Der Ermittler kam auf Tuchfühlung heran. »Mir ist vollkommen egal, was du treibst, ob du dich vermöbeln lässt oder nicht …« Seine Stimme wurde zu einem Flüstern. »… aber falls du dir die Unterlagen des Falls auch klauen lässt und die Sache rauskommt, weil die Papiere irgendwo auftauchen, buchten sie uns beide ein. Also tritt ein bisschen kürzer, verstanden?«

»Solange ihr Kurt in der Mangel habt, kann ich das nicht.«

Garek fuhr sich mit der Hand über das unrasierte Kinn. »Du hast dich in den Fall verbissen, was? Du gibst erst auf, wenn du die Lösung gefunden hast? Aber ich sage dir was: Du irrst dich. Dein Bruder sagt immer noch nichts - und das sieht verdammt düster aus, denn ohne dieses ominöse Videoband ist deine Mein-Bruder-geht-mal-schnell-zur-Ostrovsky-Villa-um-ein-Video so wackelig wie meine alte Großmutter auf ihrem Stock. Im Moment hockt er in der Polizeiverwahrungsstelle auf der Rossauer Lände, wo er stündlich einem anderen Beamten zum Verhör vorgeführt wird. Falls sich die Indizien gegen ihn erhärten, wird er dem Gericht überstellt, wo die offizielle Untersuchungshaft beginnt.«

Hogart schwieg. Er wusste, diese Haft konnte mitunter Wochen dauern. »Ich muss weitermachen«, sagte er schließlich.

»Hartnäckig und ausdauernd wie ein Marder.« Garek schüttelte verständnislos den Kopf. »Dann kommen wir mal zu dir: Was hast du hier eigentlich zu suchen?«

»Kannst du dir das nicht denken?«

»Du bist wegen der Überstellungsprotokolle hier, die Faltl abgesegnet hat? Du glaubst doch nicht ernsthaft, dass diese Bohmann im Rollstuhl etwas mit der Sache zu tun hat?«, fragte Garek.

»Oder ihre Schwester.«

»Ich nehme dir nur ungern die Illusion, aber unsere Leute haben Madeleine Bohmann am Nachmittag in der Galerie Grimbaldi besucht. Auch sie hat bestätigt, dass sie und ihre Schwester weder Ostrovsky noch Dornauer kannten … ich sehe dir förmlich an, was du denkst.« Garek musterte ihn scharf. »Aber überleg doch mal: Weshalb sollte Bohmann ausgerechnet in Dornauers privater Reha-Klinik gewesen sein? Die Anlage ist doch der reinste Schrotthaufen. Da gibt es bessere Therapien im Weißen Hof oder auf dem Rosenhügel, die sogar von der Krankenkasse bezahlt werden.«

Hogart ließ die Schultern sinken. Was hatte es für einen Sinn, Garek zu verklickern, dass er Linda und Dornauer zusammen auf dem Video gesehen hatte. Sogar Kurt konnte es bestätigen, doch der war im Moment der Letzte, dem sie glauben würden.

»Habt ihr wenigstens Madeleines Fingerabdrücke genommen?«, fragte Hogart.

»Was denkst du denn, Schlaumeier? Die ist dabei förmlich ausgerastet.«

Hogart konnte sich gut vorstellen, wie Madeleine in der Galerie einen Tobsuchtsanfall bekam. »Und?«

»Was und?«, echote Garek. »Hausers Frau studiert Malerei in Linda Bohmanns Kurs. Die beiden Schwestern kennen Hauser besser als Eichinger oder ich. Madeleine hat ihn sofort auf dem Handy angerufen.«

Hogart stieß die Luft geräuschvoll aus den Lungen. »Das ist doch lächerlich. Wie kann ein Staatsanwalt in dieser Sache intervenieren, ohne die Sachlage zu kennen? Falls er sich trotzdem für Madeleine verbürgt und es stellt sich heraus, dass sie Dreck am Stecken hat, kostet ihn das den Kopf.«

»Hauser ist kein Idiot. So einfach haben die das nicht gedreht«, widersprach Garek. »Offensichtlich hat er ihr den Tipp mit dem ärztlichen Attest gegeben. Als die Beamten am späten Abend in die Ausstellung in den Michaelerkeller kamen, legte sie ihnen ein Attest von ihrem Hausarzt vor. Madeleine ist schwer herzkrank, und damit ist ihre Befragung vorerst einmal eingestellt.«

Das war wohl ein schlechter Scherz! Madeleine und herzkrank. Hogart hatte selten eine so kräftige, amazonengleiche und gut trainierte Frau gesehen. Er traute ihr sogar zu, dass sie genug Kraft besaß, um mit einem Stemmeisen eine Sicherheitstür aufzubrechen, ihn niederzuschlagen oder den alten Faltl an den Haken des Badezimmers aufzuknüpfen.

»Du musst die Spur zu den Bohmann-Schwestern trotzdem weiterverfolgen!«, redete er auf Garek ein.

»Wie denn?«, fuhr der Beamte ihn an. »Wir haben nicht ein einziges Indiz gegen sie. Die Spur ist vorerst auf Eis gelegt, da sie nur auf deinem Mist gewachsen ist. Und das hilft deinem Bruder nicht gerade weiter.«

Hogarts Hände steckten immer noch in den Hosentaschen. Seine Kiefer mahlten, während er Garek verbissen betrachtete.

»Außerdem haben wir im Moment keine Männer dafür«, sagte Garek. »Eine Gruppe Polizeischüler wurde abkommandiert, um herauszufinden, welche Unterlagen aus Dornauers Zentrum gestohlen wurden. Die vergleichen seit Stunden die verbliebenen Original-Unterlagen mit den Mikrofiches. Eichinger nimmt ständig neue Verdächtige fest. Wir überprüfen sämtliche Personen in Ostrovskys und Dornauers Dunstkreis, ihre Freunde und Bekannten, ihre Ehefrauen, die gesamte Verwandtschaft. Vielleicht geht es um eine Erbschaftsstreitigkeit, vielleicht sind die Morde aber auch politisch motiviert. Vielleicht haben sie auch gar nichts miteinander zu tun. Der Mord an Ostrovsky weist ziemlich viele Parallelen zum Attentat auf Stadtrat Nittel auf. Einige Spuren verweisen auf die jüdische Kultusgemeinde.« Garek nickte zur Tür. »Und mit dieser Wohnung haben wir einen dritten Tatort am Hals. Und da sollen wir uns um die beiden Schwestern kümmern?«

Hogart bekam ein flaues Gefühl im Magen. Sobald die Kripo Dornauers Verhältnis zu seiner Sekretärin aufgewühlt hatte, würden sie eine neue Verdächtige in dem Fall haben. Doch Carmen Scholl, die ältere Dame mit der schwarzen Pagenfrisur und der Beinprothese, hatte ebenso wenig mit den Morden zu tun wie Kurt, die jüdische Kultusgemeinde oder die Mörder von Stadtrat Nittel. Die Beamten verschwendeten ihre Zeit. Aber falls es Hogart gelang, eine Verbindung zwischen Linda Bohmann und der Dornauer Klinik herzustellen, konnte er den Recherchen in diesem Fall eine Wendung geben. Carmen Scholl und sein Bruder wären vorerst aus der Schusslinie. Doch wie sollte er das schaffen? Während Garek weiterredete, erinnerte er sich plötzlich an einen Satz des Beamten. Es gibt bessere Therapien im Weißen Hof oder auf dem Rosenhügel, die sogar von der Krankenkasse bezahlt werden. Natürlich! Garek hatte ihn auf eine Idee gebracht! Bei der Wiener Gebietskrankenkasse mussten die Unterlagen über Linda Bohmann liegen. Ihre Besuche und Therapien in der Dornauer-Klinik und …Im gleichen Moment dachte er an den Brand im Archiv der Krankenkasse. Sämtliche Unterlagen waren samstagmorgens um vier Uhr früh vernichtet worden. Die Kripobeamten vom Branddezernat hatten die Angelegenheit als Unfall zu den Akten gelegt, angeblich wegen einer lecken Gasleitung im Keller. Aber wenn Magister Kohlschmied und Frau Domenik von der Medeen & Lloyd-Versicherung recht behielten und es sich tatsächlich um Brandstiftung handelte? Hogart hätte schon längst in der Sache aktiv werden müssen. Ihm liefen abwechselnd ein kalter und ein heißer Schauer über den Rücken. Er glaubte nicht an Zufälle. Womöglich hatten die Morde und der Brand etwas miteinander zu tun. Hogart war zu sehr in Gedanken versunken, als dass er der Litanei von Aufgaben aufmerksam folgte, in der sich Garek verlor.

»… sitzen nicht herum und drehen Däumchen. Wir arbeiten rund um die Uhr. Hauser macht uns ganz schön Druck und …«

»Hauser?« Schlagartig war Hogart wieder bei der Sache.

»Was denkst du denn? Er ist unser Staatsanwalt in diesem Fall.«

»Ausgerechnet, so eine Scheiße!« Hogart lachte auf. »Da ist doch etwas faul!«

»Halt die Klappe!« Garek sah sich nach der offenen Wohnungstür um, als er Schritte hörte. »Das ist sein Zuständigkeitsbereich.«

Einer der Beamten trat ins Treppenhaus, ein langer Kerl mit Wuschelkopf und’ einer John-Lennon-Brille, der ziemlich verschlafen aus der Wäsche schaute.

Garek runzelte die Stirn. »Mann, Krajnik, ich hoffe, du hast da drin nichts angefasst.«

»Witzig. Du kannst jetzt in den Vorraum kommen. Der Tote ist im Badezimmer - sieht übel aus.«

»Kann nicht übler aussehen als bei dir zu Hause.«

»Leck mich!« Der Beamte verschwand wieder in der Wohnung.

Garek grinste. »Die Typen von der Spurensicherung verstehen keinen Spaß.« Er wurde wieder ernst und starrte auf Hogarts Hände, die er immer noch tief in den Taschen vergrub. »Hast du etwas in der Wohnung gefunden, von dem ich wissen sollte?«

Hogart versuchte, so gelassen wie möglich zu wirken, während er den Schlüssel umklammerte. Gleichzeitig dachte er an Staatsanwalt Hauser, die angeblich lecke Gasleitung in der Krankenkasse und Ostrovskys Angst, bestimmte Informationen der Kripo zukommen zu lassen. Je mehr er über den Fall wusste, desto undurchsichtiger wurde die Sache. Schließlich schüttelte er den Kopf. Solange er nicht wusste, was sich in Faltls Schließfach befand, wollte er verhindern, dass der Schlüssel womöglich als Beweismittel aus der Sache verschwand.

Garek nickte. »Du kannst deinem Bruder nur helfen, indem du dich aus den Ermittlungen raushältst.« Er klopfte Hogart erneut auf die Schulter und verschwand in der Wohnung.

Hogart atmete tief durch und lief die Treppe hinunter. Als er durch das Haustor in den Innenhof trat, nahm er die Hände aus den Hosentaschen. Er trug immer noch die Latexhandschuhe. Seine Finger waren schweißnass. Er streifte sich die Gummihandschuhe ab und stopfte sie zu dem Schlüssel in die Hosentasche. Dann ging er zu seinem Wagen.

Gruber, Andreas - Peter Hogart 2
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