KAPITEL 40

King und Michelle betraten den Korridor, schoben sich durch den schweren roten Vorhang und klopften der Reihe nach an die Türen. Mehrere Zimmer waren unverschlossen und leer. Aus den anderen kam eine Abfolge von Schimpfworten oder verschlafenes Murren. Jedes Mal, wenn eine Tür aufgeschlossen und geöffnet wurde – stets von einer dürftig bekleideten jungen Frau mit müden Augen –, stellte Michelle die gleiche Frage, während King den Blick abwandte.

»Hab sie nicht näher gekannt«, lautete der allgemeine Refrain. Doch an der vorletzten Tür wurde Michelle zum Eintreten aufgefordert. Als sie ein paar Minuten später wieder herauskam, wirkte sie aufgewühlt.

»Alles in Ordnung?«, fragte King.

»Ich habe gerade ein recht eindeutiges Angebot von einer eins achtzig großen, völlig nackten Frau namens Heidi erhalten.«

»Wenn du möchtest, kann ich draußen im Wagen warten.«

»Halt die Klappe!«

»Muss an deinem Mädchen-von-nebenan-Charme liegen.«

Die letzte Tür wurde von einer jungen Frau geöffnet, die einen langen Morgenmantel trug, der ihre vollen Rundungen und ihren üppigen Busen jedoch nicht vollständig verhüllte. Ihr blond gefärbtes Haar hatte sie zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden, und sie war barfuß. Sie nahm einen Schluck aus einer Tasse mit schwarzem Kaffee und stellte sich nur mit dem Namen Pam vor. Nachdem sie ihr gesagt hatten, was sie wollten, wurden sie zum Eintreten aufgefordert.

Sie nahmen an einem kleinen Tisch mit vier Stühlen Platz. Das Zimmer wirkte gemütlich, doch King erwischte sich dabei, wie er auf das zerwühlte Bett in einer Ecke und den Haufen Unterwäsche starrte. Als er den Blick abwandte, bemerkte er, dass Michelle ihn durchdringend musterte.

»Sie haben Rhonda also gekannt?«, fragte King.

»Ja, Sir.«

King musterte sie. Die Frau sah so jung aus, dass er wahrscheinlich eine Decke über sie geworfen und ihren Vater angerufen hätte, damit er sie abholte, wenn er gesehen hätte, wie sie sich halb nackt an einer Stange rieb. »Hat die Polizei schon mit Ihnen gesprochen?«

»Ja, Sir. Das heißt, eigentlich das FBI. Jedenfalls haben sie gesagt, dass sie vom FBI sind.«

»Können Sie uns dasselbe sagen, was Sie denen gesagt haben?«

»Ja, sicher, Sir.«

»Sie müssen mich nicht Sir nennen, Pam. Ich bin Sean, und das ist Michelle.«

Pam blickte auf ihre kurzen Zehen mit dem abgeblätterten Nagellack und legte einen Fuß über den anderen. »Entschuldigung. Ich bin wohl ein bisschen nervös, Sean.«

Michelle tätschelte ihre Hand. »Es gibt keinen Grund, nervös zu sein.«

»Ich meine, weil Rhonda ermordet wurde und so. Ich glaube, es hätte jede von uns erwischen können, obwohl Rhonda Risiken eingegangen ist, zu denen ich niemals bereit gewesen wäre.«

»Was für Risiken?«, fragte King.

»Wir haben in mehreren Clubs zusammengearbeitet. Sie ist manchmal mit Männern losgezogen, von denen sie überhaupt nicht wusste, ob sie nett zu ihr sein würden. Ich mache das erst seit wenigen Jahren, aber selbst mir ist klar, dass man so was nicht tun sollte. Aber Rhonda ist jedes Mal zurückgekommen.« Pam wischte eine Träne weg. »Nur dieses Mal nicht.«

»Haben Sie eine Ahnung, mit wem sie weggegangen ist?«, fragte Michelle.

»Nein. Wie ich schon den anderen erzählt habe, manchmal hat sie mir Bescheid gesagt, wenn sie gegangen ist, manchmal nicht. Und diesmal nicht.« Sie nahm einen Schluck Kaffee und wischte sich mit einer zitternden Hand über die vollen Lippen. King bemerkte, dass auch ihre lackierten Fingernägel abblätterten.

»Wann haben Sie Rhonda zum letzten Mal gesehen?«

»Ein paar Wochen bevor man sie gefunden hat. Unsere Verträge für diesen Club waren abgelaufen, aber ich habe für einen weiteren Monat unterschrieben. Mir gefällt es hier. Die Bezahlung ist gut, und die Leute sind sehr nett zu uns. Nicht überall bekommt man ein Zimmer und Mahlzeiten und so.«

»Und es gibt keine Gäste, die Sie hier belästigen, wie ich hörte«, sagte King.

»Nein, Sir, das kommt nicht in Frage«, sagte sie. »Darauf wird in diesem Club großen Wert gelegt.«

»Haben Sie Rhonda jemals mit einem Mann gesehen, den Sie nicht kannten? Hat sie jemanden erwähnt, mit dem sie sich getroffen hat?«

»Nein. Tut mir Leid.«

Er reichte ihr eine Visitenkarte. »Falls Ihnen noch irgendetwas einfällt, rufen Sie uns an.«

King und Michelle hingen ihren Gedanken nach, als sie zu ihrem Wagen gingen.

King sah sich auf dem vollen Parkplatz um. »Kaum zu glauben, dass so viele Leute tagsüber Zeit haben, hierher zu kommen.«

»Ich finde das ziemlich krank, wenn du mich fragst«, sagte Michelle. Ihre Stirn war immer noch gerunzelt, als sie sich hinters Lenkrad setzte. »Wusstest du, dass man einundzwanzig Jahre alt sein muss, um Stripperinnen zuzuschauen, aber schon mit achtzehn als Stripperin arbeiten kann? Was soll daran sinnvoll sein?«

King ließ sich auf dem Beifahrersitz nieder. »Das ist wirklich lächerlich und entwürdigend. Hast du deswegen so schlechte Laune?«

»Nein. Das legendäre Aphrodisia war völlige Zeitverschwendung. Das ist der Grund.«

»Wie kannst du so etwas sagen? Du hast nicht nur ein Jobangebot als Tänzerin bekommen, was sehr nützlich sein könnte, wenn sich die Auftragslage für unsere Firma verschlechtern sollte, du hast obendrein mit Heidi eine wahre Freundin gefunden.«

Im nächsten Moment rieb King sich den Arm, wo Michelle ihn geschlagen hatte. »He, das hat wehgetan!«, beklagte er sich.

»Und es wird noch viel mehr wehtun, wenn du so weitermachst.«