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Niedergeschlagen trete ich am frühen Nachmittag den Weg zu meinem Golf an. Wieso hat mein Plan nicht geklappt?

In meinem Kopf kreisen wirre Gedanken um den Streit mit meiner Mutter. Sie erpresst mich mit ihrer fixen Idee, ich solle Psychologie studieren und Therapeutin werden. Das sei genau der richtige Beruf für mein einfühlsames Wesen und außerdem eine krisensichere Branche, denn Probleme hätten die Menschen zu allen Zeiten. Besonders die Reichen.

Völliger Quatsch – was mich betrifft. Ich schlafe nämlich ein, wenn jemand monologisiert. Aber ich habe Mama durchschaut. So viel zu meinem einfühlsamen Wesen! Primär sucht sie doch nur eine Nachfolgerin für ihre gut eingeführte Praxis. Aber ich bin doch nicht Anna Freud! Auch unser Familienname Nitsche (nein, wir sind nicht mit dem berühmten Philosophen Nietzsche verwandt!) ist schließlich keine Verpflichtung, sich um das Innenleben anderer Menschen zu kümmern. Mir wäre es peinlich, jemanden auszufragen und so lange zu bohren, bis man glaubt, das Problem erkannt zu haben.

Mein Vater versteht mich. Er weiß, dass ich mich nicht für einen konservativen Beruf eigne. Allein der Kleiderordnung wegen! Leider kann ich ihn aber nicht anpumpen. Er hat mir schon beim Umbau des Studios mit Rat und Tat zur Seite gestanden, hat auch selbst mitgeholfen und zur Eröffnung sogar zwanzig rosafarbene Trainingsmatten spendiert. Außerdem ist er wie jedes Jahr in den Sommerferien verreist.

Es ist zum Verzweifeln! Mir fällt einfach kein legaler Weg ein, wie ich an Geld kommen könnte. Kein Hoffnungsschimmer an meinem düsteren Pleitehimmel. Und am realen Horizont ziehen jetzt auch schon bedrohlich dunkle Wolken auf. Zum Glück habe ich mein Auto gleich erreicht.

Wo steht es denn nur? Ich müsste doch längst da sein.

Suchend laufe ich die Straße entlang. So auffällig schräg, wie ich geparkt habe (aber nur, weil der Sprit für aufwändige Manöver nicht mehr gereicht hätte), kann es doch nicht zu übersehen sein. Es stand zwischen Ku’damm und Lietzenburger Straße. Ungefähr an der Ecke … ja, genau hier 

Mist! Es ist weg. Mein alter Golf wurde geklaut?

O nein! Jetzt sehe ich das Schild: Mein Wagen stand auf einem Behindertenparkplatz! Ich schwöre, vorhin war da noch kein Verbotsschild.

Tja, dann muss er tatsächlich abgeschleppt worden sein.

Mist!

Es wird ein Vermögen kosten, den Wagen auszulösen. Keine Ahnung, wie ich auch die Kohle noch auftreiben soll.

Nach einigen tiefen Atemzügen fällt mir auf, dass ich mir jetzt zumindest keine Sorgen mehr über den leeren Benzintank machen muss. Aber wieso tröstet mich das nicht?

 

Vollkommen durchnässt und erschöpft betrete ich eine halbe Stunde später meinen Wohnblock. Die Regenwolken haben mich auf den letzten Metern erwischt, und ich musste schon wieder rennen. Vielleicht sollte ich tatsächlich beim Stadtmarathon mitlaufen? Zwei volle Trainingseinheiten pro Tag sind kein schlechter Anfang.

Aus dem Briefkasten lugt etwas Gelbes heraus. Eine Sonntagsüberraschung? Es ist eine Plastiktüte, und darin befindet sich, eingewickelt in Klopapier, mein Wohnungsschlüssel.

Auch das noch! Sven muss hier gewesen sein und seine Sachen abgeholt haben. Der Mistkerl hat meine Abwesenheit ausgenutzt, um schnell alles auszuräumen. Und natürlich hat er keine Nachricht hinterlassen. Immerhin warte ich noch auf seinen Anteil an der letzten Miete.

Fluchend schleppe ich mich die vier Stockwerke rauf ins Dachgeschoss.

Im Flur meiner Wohnung stolpere ich dann beinahe über einen Umzugskarton. Ein signalgelber Aufkleber klebt daran:

Hi, Nelly,

die Kiste hat leider nicht mehr ins Auto gepasst.

Ich hole sie demnächst ab.

Wenn sie dich nervt, bring sie einfach in den

Keller.

Sven.

Ist der übergeschnappt? Ich bin doch keine Möbelpackerin!

Verärgert bugsiere ich den Karton mit kräftigen Fußtritten zur Seite und marschiere in die Küche, um zu sehen, ob Sven dort vielleicht seinen Mietanteil hinterlassen hat.

Nichts!

Ist das zu fassen? Seinen Müll lässt er hier, aber kein Wort über meine Kohle.

Wutschnaubend laufe ich durch die jetzt ziemlich leere Wohnung. Ist es tatsächlich erst fünf Monate her, dass wir diese Drei-Raum-Wohnung gemietet haben? Glücklicherweise läuft der Mietvertrag auf meinen Namen, sodass ich hier erst mal beruhigt wohnen bleiben kann. Sven hatte damals kein Geld für die Kaution, dafür besaß er aber Möbel und eine nagelneue Waschmaschine. Dummerweise muss ich feststellen, dass die mit ihm ausgezogen ist.

Stöhnend lasse ich mich im Schlafzimmer auf meinem lindgrünen Bett mit den Rosenranken nieder. Wenigstens das ist mir geblieben. Doch statt der ersehnten Erholung nagen weiter trübsinnige Gedanken wie blutrünstige Piranhas an mir: Kann ich mir diese Wohnung alleine überhaupt leisten? Werden mich die Erinnerungen an Sven depressiv machen? Sitze ich dann nur noch heulend in der Ecke? Sollte ich vielleicht ein Zimmer untervermieten? Andererseits – was hält mich eigentlich noch hier? Also, besser gleich umziehen?

Ich könnte mich verkleinern. Billiger wäre es auf jeden Fall, und für meine wenigen Möbel, die Bücher und das bisschen Nippes genügt eigentlich ein kleines Apartment.

Aber Moment mal … Vermieter wollen doch immer eine Schufa-Auskunft, oder? Und mit meinen Bankschulden dürfte die nicht gerade vertrauenerweckend aussehen. Also bleibt nur eine WG. Am besten in Studionähe, dann könnte ich auch mein Auto verkaufen.

Dummerweise muss ich vorher aber noch ein winziges Problem lösen: Um das Auto verkaufen zu können, muss ich es erst mal wiederhaben und dann auch noch auftanken.

 

Diese hinterhältigen Wegelagerer haben meinen Wagen nach Schmargendorf geschleppt! Das hat mir jedenfalls der Mann vom Abschleppdienst erklärt, den ich nach langem Herumtelefonieren endlich an der Strippe hatte. Warum nicht gleich nach Potsdam? Und für diese Gemeinheit kassieren die auch noch kräftig ab: knapp zweihundert Euro für die sogenannten Umstellkosten (so heißt das korrekt, wie mir eben am Telefon erklärt wurde) und zwanzig Euro Standkosten pro Tag! Das bringt meine gesamte Kalkulation durcheinander. Dazu kommen dann noch die Kosten für einen vollen Benzinkanister, um von Schmargendorf auch wieder wegzukommen.

Was tun?

Kopfstand!

Als mir das Blut in den Kopf läuft, erinnere ich mich an mein Notgroschenschwein. Warum ist mir diese kleine rosa Sau nicht früher eingefallen? Das liegt vermutlich nur daran, dass sie seit der Eröffnung meines Studios nicht mehr gefüttert wurde. Dementsprechend ausgehungert blickt sie mich an.

Einhundertachtzig Euro und dreiundzwanzig Cent sind die Ausbeute der Schlachtung.

Mir ist klar, dass meine lausige Barschaft nicht genügt, um den Wagen auszulösen. Doch ich habe bereits die Lösung: Ich werde den Golf in Zahlung zu geben. Und wenn ich clever verhandle, könnte sogar noch ein nettes Plus dabei rauskommen.

Erneut greife ich zum Telefon.

«Den Witz kenne ick noch nicht», poltert der Chef der Umstellfirma los, als ich ihm meinen Wagen zum Kauf anbiete. «Letzte Woche war een Pyrotechniker aus Babelsberg hier, wa. Hat nach eem roten Auto mit hübschen Rostlöchern jesucht. Der hätte een juten Preis für den ollen Spritfresser jelöhnt. Du könntest den Schädling aber och über eBay in die Mongolei verticken. Hahaha!»

Er scheint sich prächtig auf meine Kosten zu amüsieren. Aber ich lasse mir meinen Frust nicht anmerken.

«Der Wagen ist tipptopp in Ordnung und der TÜV erst ein halbes Jahr alt. Für eine alte Rostlaube hätte ich sicher keine Plakette bekommen.»

Die Verhandlung zieht sich etwas, aber letztlich lässt er sich dann doch auf den Deal ein.

«Die geblümten Schonbezüge passen jut zu meinem Hawaiihemd», erklärt er lachend und bestellt mich für den nächsten Tag zu ihm, um den Kaufvertrag gegen die Wagenpapiere auszutauschen.

Obwohl ich so sehr gehofft hatte, es würde nach Abzug der Umstellkosten mindestens ein Tausender übrig bleiben, ist der Autodeal ein Plus-minus-null-Geschäft. Ich fürchte, ich werde lange auf dem Kopf stehen müssen, bis ich diesen Pleitesonntag vergessen habe.

Phillip darf von diesem peinlichen Minusgeschäft natürlich nichts erfahren, sonst verhöhnt er mich wieder als miserable Geschäftsfrau.

Aber wozu dem alten Golf nachtrauern? Der Typ von der Abschleppfirma hat schon ganz recht: Eigentlich kann ich froh sein, die Dreckschleuder los zu sein. Ich wundere mich sowieso, warum es nicht schon längst Autos gibt, die mit Wasser fahren. Eigentlich ein fauler Witz, dass die Dinger immer noch mit Benzin betrieben werden und die Umwelt verpesten! Also, wenn ich Autokonstrukteur wäre, würde mir dazu bestimmt etwas einfallen. Im Grunde ist es doch ganz einfach. Man nehme etwas, das es im Überfluss gibt … Meerwasser, zum Beispiel. Oder Abwasser. Oder meinetwegen auch Urin.

Ha! Das wäre überhaupt die Lösung! Niemand würde mit seinem Gefährt mehr auf halber Strecke liegenbleiben oder falsch parken müssen, weil der Sprit alle ist. Männer könnten direkt in den Tank pinkeln.

Eigentlich unverständlich, dass noch kein Mann auf diese superpraktische Idee gekommen ist!