Kapitel 33
Auf den Straßen ging es chaotisch zu, der Sturm wurde immer unbarmherziger und wehte mehr und mehr Schnee über den Nordwesten von Montana. Trace und Kacey brauchten über eine Stunde, um Bonzi, den Computer und eine Reisetasche mit den nötigsten Sachen für Kacey aus deren Haus zu holen. Zweimal geriet Trace’ Pick-up ins Schleudern, aber schließlich kamen sie bei dem alten Ranchhaus an, das er sein Zuhause nannte.
Sie hatte das große, kastige Haus, das gut zwanzig Meter von der Landstraße entfernt auf einer Anhöhe stand, noch nie zuvor gesehen. Dicker Schnee lag auf dem Dach, Eiszapfen hingen von den Vorsprüngen, ein bitterkalter Wind blies durch die kahlen Bäume eines kleinen Obstgartens. Trace fuhr in eine offene Garage an der Rückseite des Hauses, wo bereits ein Dodge Pick-up mit der Schnauze zur Straße parkte, eine zehn Zentimeter dicke Schneeschicht auf der Motorhaube. Um das Ranchhaus herum entdeckte Kacey mehrere Nebengebäude; die Außenbeleuchtung verbreitete ein bleiches, fast unheimliches Licht hinter der dichten Schneegardine.
Trace griff nach Kaceys Reisetasche, pfiff nach ihrem Hund, öffnete die Fahrertür und stieg aus. Bonzi sprang hinter ihm her durch die mittlerweile fast einen halben Meter hohe Schneedecke. Kacey kletterte vom Beifahrersitz, nahm ihren Laptop und folgte ihnen einen freigeräumten Pfad entlang zu einer großzügigen Veranda hinten am Haus.
Sie stiegen die drei Stufen hoch, klopften sich den Schnee von den Schuhen und traten durch die unverschlossene Hintertür ins Haus. Wärme, der Geruch nach Holzfeuer und Gewürzen traf sie mit Wucht, als sie ihren Mantel und er seine Fleecejacke auszog. Trace hängte die Sachen an die Garderobenhaken gleich neben der Tür. Bonzi ging sofort auf Entdeckungstour.
»He, Kumpel«, ertönte eine tiefe Männerstimme irgendwo aus dem Inneren des Hauses. »Wer zum Teufel bist du?« Ein Hund bellte, und dieselbe Stimme sagte: »Aus, Sarge. Genug! Sieht aus, als käme dich ein Freund besuchen.« Jemand lachte.
Die Küche bot Platz für einen großen Tisch; über der Arbeitsplatte blickte ein breites Fenster auf die hintere Veranda und die rückwärtigen Nebengebäude hinaus.
»Wie geht’s Eli?«, fragte Trace, als er durch einen offenen Türbogen ins Wohnzimmer hinüberschlenderte. Im Kamin brannte ein Feuer, ein Mann und eine Frau saßen vor einem Fernseher, aus dem in ohrenbetäubender Lautstärke die Nachrichten dröhnten. Die Frau strickte, der große Mann hielt ein Ohr dicht ans Gerät.
»Er ist gleich nach dem Abendessen ins Bett gegangen«, sagte die Frau, stopfte ein flauschiges Garnknäuel in ihre Tasche und musterte Kacey. Dann brüllte sie, an ihren Mann gewandt: »Ed, stell das Ding leiser! Ich verstehe ja mein eigenes Wort nicht mehr!«
Der Mann schnaubte und reduzierte die Lautstärke um mehrere Dezibel, doch es war immer noch sehr laut. Mit einem roten Anzug und einem künstlichen Rauschebart hätte Ed Zukov mühelos als Weihnachtsmann durchgehen können.
Rasch stellte Trace sie einander vor.
»Schön, Sie kennenzulernen«, sagte Tilly zu Kacey, doch es lag nicht viel Wärme in ihrem Lächeln. Ed dagegen stand auf und schüttelte herzlich ihre Hand, dann setzte er sich wieder aufs Sofa und tastete nach der Fernbedienung, die von der Armlehne gerutscht war – ohne Erfolg. Der Fernseher dröhnte weiter.
Tilly warf Ed einen tadelnden Blick zu, doch sie ignorierte nun die Lautstärke. Sie war noch nicht fertig mit ihrem Bericht über Eli, deshalb fuhr sie ein wenig nachdenklich fort: »Der arme kleine Kerl war fix und fertig. Vielleicht von den Medikamenten.«
»Ich werde mal nach ihm sehen«, sagte Trace und eilte durch die offen stehende Wohnzimmertür hinaus in die Diele, wo eine Treppe nach oben führte. Sarge und Bonzi folgten ihm dicht auf den Fersen.
»Netter Hund«, sagte Ed. »Gehört er Ihnen?«
»Jetzt ja. Ich habe ihn gerade aus dem Tierheim geholt.«
Eds weißgraue Augenbrauen schossen in die Höhe. »Ein Wachhund?«
»Nicht unbedingt.« Sie lächelte.
»Jagdhund?«
Kacey schüttelte den Kopf. »Bonzi? Das bezweifle ich, aber vermutlich werde ich das nie erfahren.«
Als hätte er seinen Namen gehört, kam Bonzi die Treppe herunter, sprang hinter den Couchtisch und legte seinen Kopf auf die Sofalehne neben Eds Hand. »Ja, du bist ein guter Junge«, lobte ihn der ältere Mann. Nun kehrten auch Sarge und Trace ins Wohnzimmer zurück. Sarge, der seinen Trichter noch um den Kopf trug, rollte sich auf einem kleinen Teppich vor dem Feuer zusammen.
»Sieht er nicht albern aus?«, murmelte Ed und lachte leise.
Tilly tätschelte ihrem Mann das Knie. »Wir sollten jetzt besser aufbrechen, Ed. Der Sturm wird immer schlimmer.«
Ed kämpfte sich hoch und reckte sich, dann schnitt er eine Grimasse und folgte seiner Frau, die zielstrebig durch die Küche eilte. »Ich werde auch nicht jünger«, gab er zu, als sie ihre Sachen zusammensuchten und in ihre Jacken schlüpften, die ebenfalls an den Garderobenhaken neben der Hintertür hingen. Beide banden sich einen dicken Schal um den Hals.
Als sie dick eingepackt war, sagte Tilly zu Trace: »Im Kühlschrank steht Brathähnchen, dazu gibt es Kartoffelpüree, grüne Bohnen und Bratensoße.«
»Tilly macht die besten Brathähnchen der Welt«, erklärte Ed schmunzelnd, wofür er von seiner Frau mit einem freundlichen Klaps belohnt wurde.
»Ich prahle nicht gern, aber er hat recht.« Tilly strahlte. »Es ist die Paprika. Da können die bei Kentucky Fried Chicken ruhig elf verschiedene Kräuter oder Gewürze oder was weiß ich nehmen – ich nehme Paprika!«
»Danke, dass ihr euch um Eli gekümmert und die Tiere versorgt habt«, sagte Trace.
»Gern geschehen«, erwiderte Tilly lächelnd, obwohl ihr Lächeln etwas schief wurde, als ihre Augen Kaceys begegneten. Während Ed damit beschäftigt war, seine Stiefel anzuziehen, stülpte sie sich eine Mütze über die graue Dauerwelle, zog Trace zur Seite und flüsterte ihm etwas zu. Dann wandte sie den Kopf und blickte Kacey skeptisch an.
»Komm, Mutter, lass uns fahren«, drängte Ed und öffnete die Tür. Ein Schwall kalter Luft wehte herein. »Ach herrje, es wird Zeit, dass wir nach Hause kommen. In den Nachrichten haben sie gesagt, der Sturm würde wahrhaft höllisch, und ausnahmsweise sieht es so aus, als würden sie recht behalten. Besser, du lässt Wasser in die Badewanne und die Spülbecken laufen, nur für den Fall, dass hier draußen der Strom ausfällt.«
Sie traten hinaus in die Kälte, hinter ihnen fiel mit einem Knall die Tür ins Schloss. Durchs Fenster sah Kacey die Äste der Bäume im Wind tanzen. Schneeflocken wirbelten durch die Luft. An den Seiten des Hauses und der Nebengebäude bildeten sich bereits Schneeverwehungen.
Ed hatte recht. Das sah nach einem höllischen Sturm aus, selbst für Montana-Verhältnisse.
Als das alte Ehepaar in den Dodge gestiegen und die Auffahrt hinuntergefahren war, schloss Trace die Hintertür und sperrte ab. Kacey war bereits dabei, die Reste von Tillys Abendessen aus dem Kühlschrank zu holen. »Lass mich raten«, sagte sie und spähte über die Kühlschranktür. »Tilly hat dich beiseitegenommen, um mit dir ein Wort über mich zu wechseln, stimmt’s? Ich wette, sie findet, dass ich deiner Ex-Frau ein bisschen zu ähnlich sehe.«
Trace zuckte die Achseln. »Und Jocelyn.«
»Hm.« Sie knallte die Tür zu. »Dann passe ich ja ins Schema.« Sie stellte die Behälter mit dem Essen auf die Anrichte und bereute ihre Worte sogleich, als sie an Jocelyn Wallis dachte und daran, wie sie ums Leben gekommen war. Ihr wurde klar, wie müde, hungrig und angespannt sie war, deshalb sagte sie: »Entschuldige. Schätze, das ist ein wunder Punkt.«
»Tilly ist beeindruckt, dass du Ärztin bist.«
»Nun, das ist ja großartig.« Sie zuckte zusammen, als sie merkte, wie bissig ihre Worte klangen. »Ich bin wohl hungriger und griesgrämiger, als ich dachte.«
»Vielleicht liegt’s am Arsen«, entgegnete er trocken.
»Nein, das kann nicht sein. Selbst wenn sie es in meinem Kaffeepulver nachweisen sollten – ich habe in letzter Zeit zu Hause nicht oft Kaffee gekocht. Was ist mit dir? Du hast heute Morgen eine Tasse getrunken.«
Er schüttelte den Kopf. »Entweder merke ich nichts, oder es war gar nichts drin.«
»Das ist doch ein Grund zu feiern«, sagte sie eifrig.
»Da hast du recht.« Er grinste, und ihr Herz machte einen kleinen Satz. »Ich werde das hier warm machen«, sagte er und griff nach dem Brathähnchen.
»Stört es dich, wenn ich auch mal kurz nach Eli sehe?«
»Nein. Bitte. Geh nur. Ich zeige dir sein Zimmer.«
Trace ging ihr voran in die Diele und wies die alte Treppe mit ihrem massiven Treppengeländer hinauf. »Die zweite Tür links«, sagte er, dann warf er einen Blick auf die Uhr und kehrte in die Küche zurück. Es war jetzt eine gute halbe Stunde her, seit er das letzte Mal nach seinem Sohn gesehen hatte.
Kacey streifte ihre Schuhe ab und eilte die fünf Stufen zum Treppenabsatz hinauf. Bonzi, der im Erdgeschoss mittlerweile jeden Winkel erkundet hatte, wollte seinem Frauchen folgen, doch als sie »Bleib!« sagte, kehrte er zu dem duftenden Hähnchen, Trace und Sarge in die Küche zurück. Hoffentlich würden die beiden Hunde nicht in Streit geraten, sollte Trace versehentlich ein Stück Hähnchen auf den Boden fallen lassen, dachte Kacey. »Sei bloß artig!«, rief sie ihm hinterher, dann stieg sie die restlichen Stufen hinauf und stand in einem Flur, von dem mehrere Türen abgingen. Die Tür zu ihrer Linken war nur angelehnt, und sie stieß sie ein Stückchen weiter auf, um einen Blick hineinzuwerfen. Das Flurlicht fiel auf unbenutzte Möbel, Plastikbehälter und aufeinandergestapelte Kisten; ein Schlafzimmer, das offenbar als Abstellraum diente.
Am Ende des Flurs befand sich ein Badezimmer, wie Kacey durch die weit offen stehende Tür erkannte; eine Spielzeugspur zog sich von dort zu der angelehnten Tür zwischen Bad und Abstellraum – Elis Zimmer. Bevor sie hineinging, richtete sie ihre Aufmerksamkeit auf die Tür auf der rechten Seite. Vorsichtig drückte sie die Klinke hinunter und spähte hinein. Dieser Raum war der größte hier oben. Ihr Blick fiel auf ein ordentlich gemachtes großes Bett und eine Kommode, über der ein Flachbildfernseher hing. Ganz offensichtlich Trace’ Zimmer.
Kacey zog leise die Tür zu und drehte sich zu Elis Zimmer um. Vorsichtig schob sie seine Tür weiter auf, damit mehr Licht hineinfallen konnte, und erblickte Trace’ Sohn unter der zerwühlten Bettdecke, das Gesicht im Kopfkissen vergraben. Er atmete schwer und schwang seinen Gipsarm zur Seite. Sie trat näher, sorgfältig darauf achtend, nicht auf eines der am Boden liegenden Spielzeuge zu treten. Eine Bodendiele knackte. Eli stöhnte leise und drehte sich auf den Rücken. Dann blickte er blinzelnd zu ihr auf und verzog verwirrt das Gesicht.
»Mommy?«, fragte er mit schlaftrunkener Stimme.
Kacey schnürte sich die Kehle zusammen. »Nein.« Sie setzte sich auf seine Bettkante und berührte die Finger, die aus seinem Gipsverband ragten. »Nein, mein Schatz, ich bin’s, Kacey. Dr. Lambert. Erinnerst du dich an mich?«
Er betrachtete sie prüfend, und selbst im dämmrigen Licht bemerkte sie, wie die Hoffnung auf seinem Gesicht schwand.
Ihr brach fast das Herz, doch sie zwang sich zu einem Lächeln und strich ihm das Haar aus der Stirn.
Er blickte auf den Kleiderschrank, der dunkel ins Zimmer ragte, die Tür fest geschlossen, dann zum Fenster, als müsse er sich erst zurechtfinden. »Aber –«
»Ist schon gut«, sagte sie, als sie seine Enttäuschung bemerkte. Er schluckte und biss sich auf die Unterlippe, um nicht in Tränen auszubrechen.
Kacey spürte, wie ihre eigenen Augen zu brennen anfingen. »Also … wie fühlst du dich?«
»Es geht schon.«
»Brauchst du etwas?« Etwas anderes als deine Mutter?
»Nein.« Er schüttelte den Kopf und ließ sich zurück in die Kissen sinken.
»Gut. Dann leg dich wieder schlafen. Ich werde später noch einmal nach dir sehen. Einverstanden?«
Offensichtlich war er zu müde, um zu widersprechen. Er schloss die Augen, kuschelte sich tiefer unter die Decke, und auch wenn sich seine Stirn ein, zwei Sekunden verwirrt in Falten legte, war er bald wieder tief und fest eingeschlafen. Vermutlich träumte er davon, dass seine Mom bei ihm wäre. Einen Augenblick betrachtete sie den schlafenden Jungen und schwor sich insgeheim, dass sie Leanna den Hals umdrehen würde, sollte sie ihr je über den Weg laufen.
Hör auf damit! Woher willst du wissen, ob sie nicht tot ist? Das könnte erklären, warum Trace nichts von ihr gehört hat, warum sie sich nie mehr bei ihrem Sohn gemeldet hat. Vielleicht ist sie genau wie die anderen Frauen einem Unfall zum Opfer gefallen, und ihr Leichnam ist nur noch nicht gefunden worden?
Sie fröstelte; dennoch war sie voller Unmut darüber, dass diese Frau so einfach ihr Kind im Stich gelassen hatte.
Als Eli tief und fest schlief, ging sie wieder nach unten, wo es wunderbar nach Tillys weltbestem Brathähnchen duftete.
Ihr Magen knurrte laut, als sie die Küche betrat.
Trace, der vorsichtig eine Schüssel aus der Mikrowelle nahm, blickte über die Schulter. »Wie geht’s ihm?«
»Er ist aufgewacht und war ziemlich durcheinander. Hat mich für Leanna gehalten«, sagte Kacey. »Ganz ähnlich wie Tilly.« Sie zwang sich zu einem Lächeln, nahm die Teller, die Trace auf die Anrichte gestellt hatte, und deckte den Tisch. »Bei deinem Sohn verstehe ich das. Er nimmt Medikamente und ist noch ein Kind. Aber Tilly … ich weiß nicht.«
»Sie wird sich schon wieder einkriegen«, sagte er und stellte das Essen auf den Tisch.
Kacey nahm auf einem ramponierten Küchenstuhl Platz, der aussah, als wäre er mindestens fünfzig Jahre alt. Sie musste zugeben, dass Tillys weltbestes Brathähnchen tatsächlich besser schmeckte als alles, was sie seit ihrem Thanksgiving-Dinner mit Maribelle zu sich genommen hatte; wenn sie ehrlich war, stellte es selbst die Kochkünste des Chef de Cuisine in der Seniorenresidenz in den Schatten.
Sie aßen schweigend. Das Hähnchen war saftig, die Bohnen gewürzt mit Sojasoße und Knoblauch. Das Kartoffelpüree, das leicht nach Butter und Sauerrahm schmeckte, zerging auf der Zunge und wäre ohne Bratensoße genauso phantastisch gewesen.
»Ja«, gab Kacey zu, als sie ihren Teller fast geleert hatte. »Sie kann kochen. Und stricken. Und sagtest du nicht, sie könne auch Dame spielen?«
»Sie kann noch viel mehr. Gib ihr eine Chance.«
»Wenn sie mir eine gibt.«
»Das kann ich dir nicht versprechen«, neckte er sie. »Ich gehe jetzt raus und sehe nach den Tieren. Bei dem Wetter möchte ich sichergehen, dass alle Luken dicht sind. Willst du mitkommen?«
Sie sah aus dem Fenster. Gerade in dem Augenblick rüttelte ein Windstoß an den Blendläden. »Ich glaube, da passe ich lieber«, sagte sie. »Ich bleibe bei Eli und räume die Küche auf.«
»Wenn das kein Angebot ist!«
Sie sah ihm zu, wie er seine Jacke anzog. Was um alles auf der Welt fand sie so attraktiv an ihm? Sie, die sie sich immer nur für beruflich erfolgreiche Großstädter interessiert hatte.
Männer wie JC? Oder Anzug- und Krawattenträger, versnobt wie die Söhne von Gerald Johnson?
»Nein«, sagte sie laut.
Trace war bereits zur Hintertür hinaus, die beiden Hunde auf den Fersen, um seinen spätabendlichen Rundgang zu den Rindern und Pferden zu machen. Kacey räumte die Küche auf, dann machte sie es sich auf der Couch mit ihrem Laptop gemütlich. Der Fernseher, in dem ein Nachrichtensender lief, war immer noch laut genug gestellt, um einen dauerhaften Hörschaden zu verursachen, also tastete sie unter den Sofakissen und in den Sofaritzen nach der Fernbedienung, doch da war nichts. Ihr Blick fiel auf den Fußboden neben der Armlehne, und endlich entdeckte sie das verflixte Ding und stellte den Ton leiser.
Ein Meteorologe stand vor einem großen Bildschirm, auf dem Teile von Montana, Idaho und Kanada gezeigt wurden. Er machte eine ausladende Geste mit dem Arm und erklärte, wie die arktische Luft von Saskatchewan und Alberta hereinströmte und innerhalb der nächsten achtundvierzig Stunden zwischen einem halben und einem Meter Schnee mit sich bringen würde. »Sieht so aus, als wäre die weiße Weihnacht dieses Jahr ein paar Wochen zu früh angebrochen«, sagte er fröhlich, dann wurde zu einer Reporterin an der Interstate geschaltet, die bibbernd über die Auswirkungen des eisigen Wetters berichtete. Hinter ihr donnerten Sattelschlepper über den Highway.
Danach folgten weitere Nachrichten, und ein Foto von Elle Alexander erschien auf der Bildfläche. »Das Büro des Sheriffs von Pinewood County bittet um Ihre Mithilfe bei der Aufklärung eines tödlichen Unfalls auf der Straße nach River Falls«, sagte eine Nachrichtensprecherin. Der entsprechende Straßenabschnitt wurde eingeblendet, direkt vor der North Fork Bridge, wo Blumen und Kerzen im Schnee die Stelle markierten, an der Elle Alexander ihr Leben gelassen hatte. »Da die Polizei Fremdeinwirkung nicht ausschließt, werden Zeugen gesucht, die den Unfall beobachtet und eventuell ein Fahrzeug bemerkt haben, welches den Dodge Minivan von der Straße in den Grizzly River gestoßen haben könnte.«
Dem folgte ein Bericht über den Tod einer »einsamen Langläuferin«, deren Name noch nicht bekanntgegeben wurde, da man die nächsten Angehörigen noch nicht informiert hatte.
Sie holte tief Luft, dann stellte sie den Ton ab und lauschte auf den Sturm, der draußen tobte. Der Wind heulte, ein Ast schlug dumpf gegen eine Hauswand. Kacey blickte auf die Uhr und stellte fest, dass Trace vor fast einer halben Stunde hinausgegangen war. Er müsste eigentlich bald zurück sein. Sie ging in die Küche, blickte aus dem Fenster und versuchte, sich zu entspannen. Ihre Augen suchten dem freigeschaufelten Pfad zu den Nebengebäuden ab.
Ein weiterer schmaler Trampelpfad führte um das Haus herum und war schon fast wieder zugeschneit.
Seltsam.
Nun, Tilly und Ed hatten sich um Eli und Sarge gekümmert. Vielleicht war einer von ihnen mit dem Hund kurz draußen gewesen …? Wohl eher Tilly, denn der Pfad war sehr schmal und konnte kaum von Eds Stiefeln Größe sechsundvierzig stammen.
Vielleicht täuschte sie sich auch, und der viele Neuschnee verwischte die Spuren.
Hm.
Sie ermahnte sich, sich keine Sorgen zu machen, nicht an die Unfälle, ihr verwanztes Haus oder an das Gift zu denken, das man ihr vermutlich in den Kaffee gemischt hatte. Hier war sie in Sicherheit. Bei Trace.
Trotzdem hatte sie Angst, ein Gefühl, dass irgendetwas nicht stimmte. »Das ist nur die neue Umgebung«, flüsterte sie und wünschte sich, einer der Hunde wäre bei ihr und Eli im Haus geblieben. Sie warf einen letzten Blick auf den immer weniger zu erkennenden Trampelpfad, dann kehrte sie ins Wohnzimmer ans brennende Kaminfeuer zurück. Ihr Unbehagen schwand ein wenig. Sie nahm ein Scheit aus dem Feuerholzstapel, legte es auf und machte es sich wieder auf dem Sofa gemütlich. Dann klappte sie ihren Laptop auf und stellte weitere Nachforschungen über Gerald Johnson, seine Firma und seine Familie an.
Dein Vater. Deine Halbgeschwister. Deine Familie.
»Nie im Leben«, sagte sie laut. In diesem Augenblick flackerte das Licht. Ein Ast donnerte so heftig gegen eine Außenwand, als wolle er gewaltsam ins Haus eindringen.
Wieder schaute sie auf die Uhr und wünschte sich, Trace würde endlich zurückkommen. Die Geräuschkulisse, hervorgerufen durch den Sturm, war unheimlich: Balken knackten, das alte Haus ächzte und stöhnte, draußen rieben quietschend und knarzend Äste gegeneinander. Dir gehen die Nerven durch, sagte sie sich und unterdrückte eine aufsteigende Panikattacke. Um sich abzulenken, googelte sie sämtliche Mitglieder der Johnson-Familie und rief sich ihre persönlichen Eindrücke von Gerald und seinen Kindern ins Gedächtnis.
Ihr Vater war ihr ein Rätsel. Stark. Klug. Gebildet. Knallhart. Ein Mann, der Probleme löste und Widrigkeiten entgegentrat.
Skrupellos?
Wahrscheinlich.
Clarissa, seine Erstgeborene, war leichter zu durchschauen, zumindest schien das auf den ersten Blick so. Unerschrocken und arrogant, aggressiv und offenbar ziemlich gehässig, war sie verheiratet mit Lance, der Kacey an den nordischen Donnergott Thor erinnerte. Die beiden passten zueinander: Beiden schien jegliche Wärme, jeglicher Sinn für Humor abzugehen, und trotzdem hatten sie Kinder. Kacey hatte Mühe, sich jemand weniger Mütterliches als Clarissa Johnson Werner vorzustellen, aber sie hatte sie schließlich nur aufgeregt erlebt. Vermutlich verbargen sich hinter Clarissas bissigem Auftreten andere, tiefer gehende Gefühle.
Dann war da Judd, der Nächste in der Reihe, ruhiger, aber genau der Typ Mensch, bei dem einem unwillkürlich das alte Sprichwort »Stille Wasser sind tief« in den Sinn kam. Wer wusste schon, was er dachte oder wozu er fähig war? Er war Anwalt, genau wie Thane, aber Judd war definitiv der Konservativere, Regelkonformere von beiden, und – wie sie einem Bericht über ihn entnehmen konnte – er war von einer Frau geschieden, die nach Portland gezogen war. Kinder hatte er keine.
Thane war ihr – genau wie Gerald – ein Rätsel. Ebenfalls still. Freundlicher als die anderen, leicht amüsiert. Das schwarze Schaf der Familie, das nicht ganz ausgebrochen war. Ein Einzelgänger, aber eben doch nicht. Derjenige, der nicht unter der Fuchtel seines Vaters stand. Zumindest nicht komplett. Nie verheiratet. Von ihren Halbgeschwistern derjenige, mit dem sie am ehesten reden könnte. Der am wenigsten Reservierte. Sie machte sich eine Notiz.
Bei den Zwillingen wusste sie überhaupt nicht, woran sie war. Cameron hatte sich während des Meetings mehrmals das Haar glatt gestrichen und war ihr mit offener Feindseligkeit begegnet. Colt allerdings hatte sie auch nicht gerade mit offenen Armen empfangen. Das Lächeln, mit dem er sie bedacht hatte, war kalt gewesen, als hätte er sich über einen Scherz auf ihre Kosten amüsiert. Oder hatte sie sich das eingebildet?
Keiner der Zwillinge hatte je geheiratet, zumindest wusste sie von keiner Ehe, aber sie wusste ohnehin sehr wenig über die beiden, nur dass sie im Vertrieb für die Firma ihres Vaters arbeiteten und dass sie ihre Aufgaben durch ganz Amerika bis nach Kanada führten.
War es möglich, dass sie die Täter waren? Vielleicht arbeiteten sie zusammen? Einer verschaffte dem anderen ein Alibi, während sie quer durchs Land flogen. Konnten die zwei so pervers, so abgedreht sein?
»Unwahrscheinlich«, murmelte sie, doch sie nahm sich vor, noch ein wenig tiefer zu graben, einen Weg zu finden, ihre Geschäftsreisen zu überprüfen und herauszufinden, ob ihre Routen mit anderen unglückseligen »Unfällen« von Gerald Johnsons Reagenzglas-Töchtern übereinstimmten.
»Das ist doch Unsinn«, redete sie sich ein und konzentrierte sich auf Robert Lindley, den Außenseiter, der aus einer weiteren außerehelichen Liaison des berühmten Herzchirurgen hervorgegangen war. Er war älter als sie und hatte offenbar ebenfalls nie geheiratet. Auch Robert war ihr gegenüber feindlich aufgetreten; sie hatte sein Misstrauen gespürt, gleich nachdem er das Sitzungszimmer betreten hatte.
Fühlte er sich immer noch als Randfigur, obwohl er offiziell Teil der Familie war, zumindest, was die Firma anbelangte?
Doch Gerald Johnsons Kinder waren nicht komplett versammelt gewesen: Zwei seiner drei Töchter fehlten – ums Leben gekommen bei verschiedenen Unglücksfällen, Aggie als Kind, Kathleen kurz vor ihrer Hochzeit.
Was hatte das nur zu bedeuten?
Unfälle.
Augenscheinlich fielen fast alle weiblichen Nachkommen von Gerald Johnson Unfällen zum Opfer.
Außer Clarissa. Sie hat überlebt. Die rechte Hand ihres Vaters. Was für einen Sinn machte das?
»Gar keinen«, sagte Kacey laut. Der Wind peitschte ums Haus, das Licht flackerte erneut. Kaceys Haut kribbelte, und sie musste das Gefühl niederkämpfen, dass da draußen jemand oder etwas lauerte, etwas Böses, Hinterhältiges, das nur darauf wartete, endlich zuzuschlagen.
Was für ein höllischer Sturm! Er rüttelte an den alten Blendläden, pfiff durch die Dachbalken der Scheune und machte die Rinder nervös. Auch die Hunde waren angespannt und jaulten. Bonzi, so tough er auch aussah, erwies sich als echter Hasenfuß.
»Es ist ja bald vorbei«, beruhigte Trace die Tiere, »wir sind hier drinnen in Sicherheit.«
Aber Bonzi kniff den Schwanz ein, als ein weiterer Windstoß um die Scheune fuhr. Trace beachtete ihn nicht weiter und fing an, freiliegende Leitungsrohre zu umwickeln, die einzufrieren und dann zu platzen drohten. Das würde einige Zeit in Anspruch nehmen, aber er wollte sichergehen, dass die Rinder weiterhin Wasser bekamen.
Das Licht flackerte einmal, dann noch einmal … Na prima, dachte er, und er hatte noch nicht mal einen Pfad zu den Pferden einen Stall weiter freigeschaufelt. Das Letzte, was er jetzt gebrauchen konnte, war ein Stromausfall.
Bonzi hockte sich hin und winselte, doch Trace fuhr damit fort, die Rohre zu isolieren, dann wollte er sich auf den Weg zum Pferdestall machen.
Jetzt war jeder für sich. Perfekt.
Aus seinem Versteck blickte er mit seinem Nachtsichtgerät über die verschneite Landschaft zum Haus. Die alten Leute waren bereits aufgebrochen. Er beobachtete Trace O’Halleran, der mit beiden Hunden im Schlepptau zur Scheune stapfte. Acacia war allein im Haus, von dem Kind einmal abgesehen.
Mit dem Jungen würde er fertig werden.
Nach dem Schrecken von heute Nachmittag schienen sich die Dinge endlich zu fügen. Wieder hatte er das Gefühl gehabt, beobachtet zu werden. Er hatte den BMW gesehen, der ihn seiner Meinung nach gestern Nacht verfolgt hatte. Alles Einbildung, hatte er sich gesagt, seine Paranoia gewann langsam die Oberhand, trotzdem: Er hätte schwören können, dass heute jemand hinter ihm her gewesen war.
Reiß dich zusammen! Hast du jemanden bemerkt? Gehört? Den verdammten BMW wiedergesehen?
Nein!
Du bist bloß nervös, weil heute die Nacht aller Nächte ist. Heute ist es so weit. Zeit, Rache zu nehmen. Bald, so bald schon wird Acacias Leben in deinen Händen liegen.
Trotz der Kälte und des Windes, der an den vereisten Ästen der umliegenden Bäume rüttelte, spürte er, wie sein Schwanz zuckte bei der Vorstellung, wie sie unter ihm lag, zitternd vor Angst, die Augen auf das Messer gerichtet, mit dem er ihr die Kehle durchschneiden würde …
Nein! So funktioniert das nicht. Hier geht es nicht um Sexuelles, und ein Messer darfst du auch nicht nehmen … Es muss aussehen wie ein Unfall. Genau wie bei den anderen. Halt dich an deinen Plan … sie ist eine von ihnen, von diesen geistesschwachen weiblichen Abkömmlingen von Gerald Johnson. Geisteskrank, das sind sie alle … vermutlich sogar Clarissa. Auch sie kann nicht verschont werden, selbst wenn sie eine Verbündete ist. Auch sie wird sterben müssen … Aber jetzt konzentrier dich. Als Erstes musst du sie außer Gefecht setzen, dann musst du O’Halleran ausschalten, zurück ins Haus schaffen und den Tatort inszenieren. Es muss so aussehen wie Mord mit anschließendem Selbstmord. Zum Schluss brennst du das Haus bis auf die Grundmauern nieder. Wenn die freiwillige Feuerwehr eintrifft, wird es längst zu spät sein.
Er richtete den Blick auf die Fenster und das Licht hinter den Blendläden; ab und an sah er sie durchs Haus gehen. Jedes Mal, wenn er sie entdeckte, wurde ihm trotz der Kälte heiß vor Vorfreude; er musste nicht mehr lange warten. Jetzt war Acacia in der Küche und schaute aus dem Fenster, genau in seine Richtung. Sein Herz setzte einen Schlag aus.
Dann wurde ihm klar, dass sie ihn durch den dichten Schneevorhang auf keinen Fall entdecken konnte, außerdem ahnte sie nicht, dass er sie ganz aus der Nähe beobachtete und die Details ihres Todes plante. Mach bloß nicht alles zunichte, indem du deiner eigenen Paranoia zum Opfer fällst, schalt er sich. Du hast eine Mission zu erfüllen. Lass dich nicht von Lust oder Angst ablenken … Du musst stark sein, reiß dich zusammen!
Er zog scharf die Luft ein, fühlte, wie die Kälte in seinen Lungen brannte, und zwang sich, einen klaren Kopf zu bewahren. Seine Gedanken zusammenzunehmen. Dann sah er wieder, wie sie in die Nacht hinausblickte, und neue Kraft beflügelte ihn. Es war, als könne er auf telepathischem Wege mit ihr kommunizieren.
Du wolltest das so, du Miststück. Du wolltest mich ausfindig machen … Er spürte, wie seine Mundwinkel nach oben zuckten, als er das alte Ranchhaus mit dem Giebeldach betrachtete. Die meisten Fenster waren dunkel, im oberen Geschoss brannte kein Licht. Er wechselte sein Gewehr von der einen in die andere Hand, dann wurde ihm plötzlich klar, wie er im Einzelnen mit ihr verfahren würde.
Eine weitere heftige Windbö prallte gegen ihn und brachte die Lichter im Haus zum Flackern. Wieder sah sie in seine Richtung, das schöne Gesicht sorgenvoll verzogen. Oh, wenn sie nur wüsste …
Mach dich bereit, Acacia, dachte er grimmig und stapfte durch den Schnee zum Vordereingang des Hauses, wo die Veranda im Dunkeln lag. Ich komme.
Wo zum Teufel steckte Trace? Wie lange mochte es dauern, nach den Pferden und Rindern zu sehen, die Ed bereits gefüttert hatte?
»Nun komm schon zurück«, sagte sie laut und überlegte, ob sie Mantel und Stiefel anziehen und sich auf den Weg zu den Nebengebäuden machen sollte. Aber sie wollte Eli nicht allein lassen. Was, wenn er wieder aufwachte und nach seiner Mutter rief?
Sie kam sich vor wie eine Idiotin, als sie zum Handy griff, um ihn anzurufen, trotzdem tippte sie seine Nummer ein und wartete.
In der Küche klingelte ein Telefon, und sie fuhr erschrocken auf. Dann wurde ihr klar, dass es Trace’ Handy war. Er hatte das verdammte Ding auf dem Küchentresen liegen lassen.
Es ist alles in Ordnung bei ihm. Ganz bestimmt!
Wieder flackerte das Licht. Diesmal beschloss Kacey zu handeln. Sie erinnerte sich an Eds Rat und ließ Wasser in die Badewanne laufen, dann holte sie Eimer und eine Taschenlampe aus der Küche. Das Feuer im Wohnzimmer brannte hell, neben dem Kamin war noch genügend Holz aufgestapelt.
Klonk!
Von oben hörte sie ein Geräusch.
»Eli?«, fragte sie mit hämmerndem Herzen. Sie ging zur Treppe und hatte gerade zwei Stufen genommen, als überall das Licht ausging. Schlagartig war es stockdunkel, nur der flackernde rot-goldene Schein des Kaminfeuers, der durch die offen stehende Tür des Wohnzimmers fiel, warf zuckende Schatten.
Zuvor hatte sie das Gluckern der Heizung oder das Brummen des Kühlschranks gar nicht bemerkt, doch jetzt war alles totenstill, eine unheimliche Ruhe, die nur unterbrochen wurde von dem Heulen des Windes und dem verflixten Ast, der unablässig gegen die Hauswand krachte. Sie wartete in der Hoffnung, ein Generator würde anspringen und für Notstrom sorgen, aber vergeblich.
Nichts. Was nun?
Sie verspürte eine Eiseskälte. Ihre Haut kribbelte, als sie an all die Dinge dachte, die in der Dunkelheit passieren konnten, wenn draußen ein durchgeknallter Killer herumlief …
»Hör auf damit«, sagte sie entschlossen.
Sie tastete sich zurück in die Küche, wo sie die Taschenlampe hatte liegen lassen, und stieß sich das Knie. Einen saftigen Fluch unterdrückend, griff sie automatisch nach dem Lichtschalter, dann zog sie die Hand zurück und tastete nach der Taschenlampe auf dem Tresen. Sie schaltete sie an, und ein schwaches, gelbliches Licht zeigte ihr, dass die Batterien fast leer waren.
Eli.
Er würde wissen, wo Trace neue Batterien aufbewahrte; außerdem würde sie ihn sowieso ins Wohnzimmer bringen und ihm ein Bett am Kamin machen müssen, damit er es ohne Heizung warm hatte.
Sie blickte hinaus in die Dunkelheit. Die Außenbeleuchtung war erloschen, die Nebengebäude lagen im Stockdunkeln. »Komm schon, Trace!«, flüsterte sie. Bestimmt wäre er gleich wieder hier.
Währenddessen würde sie …
Sie folgte eben dem dünnen Strahl der Taschenlampe die Treppe hinauf, als sie ein weiteres Geräusch vernahm.
Klonk!
Was war das?
Eli?
Sie unterdrückte ihre Furcht, rannte polternd die restlichen Stufen hinauf, den Flur entlang und stieß die Tür zu Elis Zimmer auf.
Das Bett war leer; Decken und Laken lagen auf dem Fußboden verstreut. »Eli!«, schrie sie und schwenkte suchend den Strahl der Taschenlampe durch den Flur. »Eli!« Sie riss die Schranktür auf, doch dahinter hingen nur Klamotten. Auch im Bad und in Trace’ Zimmer war keine Spur von dem Jungen zu entdecken. Die Taschenlampe wurde schwächer. »Eli!« O Gott, o Gott! Wo mochte er bloß stecken?
Voller Panik spürte Kacey, wie ihr trotz der Kälte der Schweiß ausbrach, angstvoll zog sich ihr Herz zusammen. Sie durchsuchte das dritte, zum Abstellraum umfunktionierte Schlafzimmer, sah unter den abgehängten Möbeln nach, hinter dem Sammelsurium von Kisten und Bildern, die rund ums Bett standen. »Eli!«, rief sie wieder, und dann, weil sie davon ausging, dass er genauso verängstigt war wie sie: »Ich bin’s, mein Schatz, Kacey. Wo steckst du nur?«
Doch sie bekam keine Antwort.