Kapitel 24
Kacey schaute auf die Uhr über dem Küchentresen. Vor einer halben Stunde war sie nach Hause gekommen, hatte Bonzi gefüttert und eine kleine Runde mit ihm gedreht. Jetzt hörte sie Radio, wartete auf Trace und stellte ein paar Online-Recherchen bezüglich Gerald Johnson an.
Es war nicht schwer, ihn zu finden: Innerhalb kürzester Zeit fand sie heraus, dass er einen Großteil seines Lebens in Helena, Montana, verbracht hatte, bevor er nach Missoula umgezogen war. Er war ein ziemlich berühmter Herzchirurg gewesen, genau wie ihre Mutter gesagt hatte, der eine eigene Firma zur Entwicklung von Stents – medizinischen Implantaten zur Aufdehnung von Gefäßen – für Herzpatienten gegründet hatte. Soweit sie ersehen konnte, arbeitete er dort noch immer, zusammen mit mehreren seiner Kinder.
Da er in Helena eine lokale Berühmtheit gewesen war, stieß sie mühelos auf Bilder von seiner Familie. Seine Frau Noreen hatte ihm sechs Kinder geboren, zwei Töchter und vier Söhne, doch eines der Mädchen war vor zehn Jahren gestorben. Kacey druckte die Todesanzeige von Kathleen Enid Johnson aus, die nur wenige Monate vor ihrer Hochzeit einem Skiunfall zum Opfer gefallen war. Sie war ein hübsches Mädchen gewesen, zweiundzwanzig, und sie hatte dieselbe Kinnlinie, dieselben Wangenknochen und Augen wie Gerald Johnson. Die meisten seiner ehelichen Kinder schlugen nach ihm, dachte sie, als sie ein Foto aus der Vergangenheit betrachtete.
Gerald Johnsons Kinder sahen ihr ähnlich, genau wie die toten Frauen. Mein Gott, war das tatsächlich möglich?
Ja. Es konnte gar nicht anders sein.
Oder?
Sie starrte auf eine besonders gut getroffene Aufnahme von Gerald und Noreen, Mann und Frau, Seite an Seite bei einer Wohltätigkeitsveranstaltung vor ein paar Jahren. Beide hatten sich groß in Schale geworfen, er im Smoking und mit weißer Fliege, sie in einer glänzenden silbernen Robe. Beide hatten volles, silbergraues Haar; er hatte kein Gramm zu viel, seine Haut war leicht gebräunt, um seine Augenwinkel zeigten sich Krähenfüße.
Vielleicht ein Golfspieler, der viel Zeit draußen in der Sonne verbrachte.
Seine Frau war blasser, trug dezentes Make-up; ihre Züge waren markant und klar definiert. Groß und schlank, war Noreen Johnson eine Schönheit für sich, wenngleich ihr genetisches Erbe in ihren Kindern nur schwer zu entdecken war – vielleicht im lockigen Haar ihrer Tochter Clarissa; auch ein Sohn, Thane, der Drittälteste, hatte Locken.
Gerald Johnson hatte eine ganze Schar von Kindern gezeugt.
Sogar mehr, als er ahnte, wenn ihre Theorie stimmte.
Sie sah Trace’ Scheinwerfer auf ihr Haus zukommen, hörte das Dröhnen seines Pick-ups. Als Bonzi ein lautes, aus tiefer Kehle kommendes Knurren anstimmte, trat sie hinaus auf die Veranda. »Sei still!«, befahl sie dem Hund, der noch ein letztes Bellen von sich gab. Trace stellte den Motor ab.
Sie spürte, wie ihr Puls in die Höhe schnellte, was einfach albern war. Bonzi stand neben ihr und wedelte freudig mit dem Schwanz, was auch den Rest ihrer Hoffnung zunichtemachte, in ihm könne ein guter Wachhund stecken.
Ein treuer Gefährte, ja. Aber ein guter Verteidiger? Unwahrscheinlich.
Er hatte bereits seinen großen Kopf gesenkt, um sich tätscheln zu lassen, als Trace, warm eingepackt in seine dicke Fleecejacke, in jenem sportlich federnden Cowboy-Gang den verschneiten Rasen überquerte, den sie nie auch nur annähernd attraktiv gefunden hatte.
Bis jetzt.
In einer seiner behandschuhten Hände hielt er einen Laptop, was das Bild ein wenig veränderte.
»Wolltest du mir das zeigen?«, fragte sie, als er die Stufen hinaufkam und in den Lichtkegel der Verandalampe trat.
»Ja. Etwas, was ich darauf gespeichert habe.« Er blieb stehen, um Bonzi zu streicheln, dann folgte er ihr ins Haus und in die Küche, wo er den Computer auf den Tisch stellte und öffnete. »Gibt es hier WLAN?«
»Hm, hm.«
»Sicherheitscode?«
Als sie den Kopf schüttelte, sagte er: »Wir sollten dir einen einrichten.« Er grinste sie schief an und zog sich mit dem Fuß einen der Bistrostühle heran. »Nur um auf der sicheren Seite zu sein.«
Sie widersprach nicht. Nicht bei alldem, was momentan passierte. »Kann ich dir etwas anbieten? Ich habe Kaffee und Tee da und« – sie spähte in den Kühlschrank, während er die Internetverbindung herstellte – »Cola light und – oh – alkoholfreies Bier.«
»Bier, bitte«, sagte er, ohne aufzublicken. »Okay, das haben wir. Dann lass uns mal sehen.«
Sie öffnete zwei Flaschen, reichte ihm eine und setzte sich neben ihn. Mehrere Fotos erschienen auf dem Monitor. Zunächst dachte sie, es handele sich um Aufnahmen von ein und derselben Frau, doch als er sie einzeln anklickte, erkannte sie die Unterschiede. Ihre Finger schlossen sich um die langhalsige Flasche, und sie spürte, wie sich ihr Magen verkrampfte. »Was ist das?«, flüsterte sie, doch im Grunde wusste sie es bereits.
»Fotos von Frauen, die ich kenne und die einander sehr ähnlich sehen. Hier bist du«, sagte er und klickte ein Bild auf der Website der Poliklinik an, dann eins mit Jocelyn Wallis und ihrer Grundschulklasse.
Die dritte Frau kannte Kacey nicht. Sie war aus größerer Entfernung fotografiert und offenbar eingescannt worden. »Das ist Leanna«, erklärte Trace. Seine Lippen bewegten sich kaum. »Elis Mutter.« Er zoomte sie heran, damit ihr Gesicht, wenngleich verschwommen, etwas besser zu erkennen war.
Kacey gefror das Blut in den Adern, als sie die vertrauten Züge betrachtete. »Du warst mit ihr verheiratet, als du ein Verhältnis mit Jocelyn angefangen hast …« Sie blickte ihn entsetzt an.
»Du ziehst dieselben Schlussfolgerungen, wie die Cops es tun werden, doch ich habe nichts mit dem Ganzen zu tun«, sagte er und schüttelte nachdrücklich den Kopf. »Ich fühle mich zu einem bestimmten Frauentyp hingezogen, aber das ist auch schon alles.«
»Wo ist sie? Leanna, meine ich?«, fragte Kacey.
»Ich habe keine Ahnung.«
Etwas an seinem Ton ließ Kacey aufhorchen. »Du denkst, sie könnte tot sein«, flüsterte sie wieder. Das Ticken der Uhr drang plötzlich überlaut in ihr Bewusstsein. Bonzi schnarchte leise im Wohnzimmer.
Trace hatte die Kiefer aufeinandergepresst, die Anspannung in seinem Gesicht war deutlich zu erkennen.
Mit steifen Fingern fuhr er sich durch sein ohnehin zerzaustes Haar. »Um die Wahrheit zu sagen, ich weiß nicht, was ich denken soll, doch ich bin mir ziemlich sicher, dass ich der letzte Mann war, mit dem sich Jocelyn getroffen hat, und dann bin ich auch noch in ihre Wohnung gegangen, um nach ihr zu sehen, nachdem mich die Schule angerufen hatte. Die Polizei wird mich sowieso schon auf dem Radar haben. Wenn sie dann Fotos von Leanna finden, die ganz offensichtlich verschwunden ist … werden sie ihre Schlüsse ziehen.« Er lehnte sich auf seinem Stuhl zurück. »Andererseits wäre es gut, wenn sie Leanna ausfindig machten und sehen würden, dass alles in Ordnung ist. Ich kann sie einfach nicht erreichen, und Eli vermisst sie.«
Erstaunt, dass er mit jemandem verheiratet gewesen war, der ihr so ähnlich sah, starrte Kacey auf das Foto auf dem Bildschirm. Das Ganze war ziemlich verrückt, und ein Teil von ihr konnte sich des Gefühls nicht erwehren, dass sie langsam durchdrehte, die Paranoia überhandnehmen ließ, doch sie war nicht die Einzige, die ihre unleugbare Ähnlichkeit mit den anderen Frauen, inklusive Trace’ Ex, erkannte.
»Vermisst du sie?«, erkundigte sie sich.
»Leanna?« Er schnaubte. »Wohl kaum. Nicht dass ich meinem Kind den Kontakt mit der Mutter verwehren möchte, aber Leanna … Sie ist gegangen und hat uns mehr als deutlich gezeigt, dass sie mit uns nichts mehr zu tun haben möchte.« Ein Muskel an seinem Kinn zuckte. »Ich nehme sie nur beim Wort.«
»Du musst sie finden«, sagte Kacey plötzlich. Vielleicht war Leanna O’Halleran das fehlende Bindeglied, die Person, die wusste, was hier vor sich ging. Sie könnte der Schlüssel zu alldem sein.
»Wenn sie sich ausfindig machen lässt. Glaub mir, ich habe mich bereits nach Kräften bemüht.« Er nahm einen kräftigen Schluck Bier, und Kacey befand, dass es an der Zeit war, ihn mit weiteren schlechten Nachrichten zu konfrontieren.
»Leanna und Jocelyn sind nicht die einzigen Frauen, die mir ähnlich sehen.«
»Nun, Leanna wird wohl kaum etwas zugestoßen sein«, wiegelte er ab, »sie ist viel zu … durchtrieben, um zu sterben.« Kacey versuchte, einen neutralen Gesichtsausdruck zu bewahren, doch er musste ihr etwas angemerkt haben, denn er fragte: »Es gibt noch andere?«
Konnte sie ihm vertrauen? Ihn in ihre unausgegorene Theorie einweihen? Er hatte recht: Die Polizei hatte ihn mit Sicherheit auf dem Radar, doch ihr selbst wollte es einfach nicht gelingen, in ihm einen Verdächtigen zu sehen. Er war nicht gefährlich; sie hatte doch gesehen, wie rührend er sich um seinen Sohn kümmerte.
Sie musste sich entscheiden.
Trace starrte sie durchdringend an, und sie beschloss, ihm einen Vertrauensvorschuss zu gewähren. »Ich hole mal schnell meine Handtasche.« Eilig ging sie in die Küche, nahm die Tasche und zog die Fotos heraus, die sie ihrer Mutter nur wenige Stunden zuvor gezeigt hatte. Sorgfältig breitete sie sie auf dem Tisch aus, auf dem ihre Großmutter so viele Mahlzeiten serviert hatte.
»Das ist Shelly Bonaventure«, erklärte sie.
»Die Schauspielerin, die vor kurzem gestorben ist. Sie sieht Jocelyn und dir ähnlich. Soweit ich weiß, hat sie Selbstmord begangen.«
»So lautet zumindest die offizielle Version.«
»Und du glaubst, dass auch sie mit drinsteckt? Im Ernst?« Er blickte skeptisch drein. »Was gibt es noch für eine Verbindung, von ihrem Äußeren mal abgesehen?«
»Sie wurde in Helena, Montana, geboren, genau wie Jocelyn Wallis und ich.« Kacey deutete auf das Foto, das sie von Elle Alexanders Facebook-Seite ausgedruckt hatte. »Das ist Elle Alexander –«
»Die Frau, die gestern Nacht von der Straße abgekommen ist?«
»Ja, und diese Frau hier ist noch am Leben und arbeitet im hiesigen Fitnessstudio.« Sie schob ihm eine Broschüre des Fit Forever zu. »Eine Trainerin namens Gloria Sanders-O’Malley.«
»Kommt sie auch aus Helena?« Er nahm das Faltblatt zur Hand und betrachtete mit zusammengekniffenen Augen Glorias Foto.
»Keine Ahnung«, gab Kacey zu. »Aber ich werde mit ihr reden oder zumindest auf den Social-Networking-Sites wie Facebook oder Twitter nachsehen. Viele Leute geben ihren Geburtsort dort an oder wo sie überall gelebt haben. Und wenn sie keine entsprechende Seite hat, dann werde ich sie eben direkt fragen.«
»Und wie?«
»Darüber habe ich noch nicht so richtig nachgedacht«, gab Kacey zu.
»Hm. Tja. Wie willst du ihr klarmachen, dass du davon ausgehst, dass sie als Nächste auf der Liste irgendeines durchgeknallten Psychopathen steht, vor allem, wenn du noch keine wirkliche Verbindung hergestellt hast?«
»Ich arbeite daran; außerdem finde ich gerade heraus, ob Elle mir falsche Informationen gegeben hat oder wirklich nicht wusste, wo sie auf die Welt gekommen ist.«
»Ich weiß nicht so recht«, sagte Trace nach einem langen Moment des Schweigens.
»Du bist derjenige, der hierhergekommen ist, um mir etwas zu zeigen«, erinnerte sie ihn. »Du hattest Fotos von Jocelyn und Leanna bei dir. Findest du es nicht merkwürdig, dass so viele Frauen gleichen Typs und gleichen Alters ums Leben kommen?«
»Doch … schon … aber was willst du wirklich damit sagen? Dass du glaubst, ein Serienmörder hat es auf eine ganz bestimmte Sorte Frauen abgesehen? Dass der Kerl seine Opfer nicht zufällig gewählt hat? Dass er ihnen auflauert, sie verfolgt? Dass er sie womöglich sogar gekannt hat, als sie noch in Helena lebten?«
»Unwahrscheinlich«, gab sie entmutigt zu. »Shelly hat Helena schon sehr früh verlassen, und falls Elle tatsächlich schon einmal dort war, erinnert sie sich nicht daran. Ihre Geburtsurkunde wurde in Idaho ausgestellt.«
Er rückte ihr Foto von den anderen ab. »Dann unterscheidet sie sich also von den anderen.«
»Zumindest in diesem Punkt, ja. Doch jetzt ist sie hier. Ach, ich weiß es nicht.« Wieder betrachtete sie das Bild der Frau, die Trace einst geheiratet hatte. »Was ist mit Leanna?«
Er zog eine Grimasse. »Sie hat erzählt, sie habe mal in der Umgebung von Helena gelebt, aber sie konnte sich nicht besonders gut daran erinnern. Ich glaube, ihre Eltern haben sich scheiden lassen, aber um ehrlich zu sein, weiß ich nicht sehr viel über sie. Sie wollte es so. Sprach nicht gerne über ihre Kindheit.«
»Du weißt nicht, wo sie zur Schule gegangen ist? Wer ihre Freunde waren?«
Er rutschte unbehaglich auf seinem Stuhl herum. »Ich habe sie in einer Bar kennengelernt, wir hatten eine heiße Affäre, und am Ende war sie schwanger. Ein paar Wochen später haben wir geheiratet. Dann hat sie das Baby verloren und sich aus dem Staub gemacht.«
»Und Eli bei dir gelassen?«
»So ist sie eben. Und ich war froh darüber. Wenn sie versucht hätte, mir Eli wegzunehmen, wäre ich dagegen angegangen, hätte bis zum Schluss um den Jungen gekämpft.« Ein weiterer Schluck aus seiner Bierflasche. Kacey sah zu, wie sich sein Adamsapfel beim Schlucken bewegte, dann wandte sie sich wieder den Fotos zu.
Noch eine Frau Mitte dreißig, die aussah wie sie, die in der Nähe von Montanas Hauptstadt gelebt hatte, vermutlich sogar dort geboren war. Jetzt war diese Frau verschwunden.
»Da ist noch etwas«, fügte sie hinzu. »Ich habe gerade eben erfahren, dass der Mann, den ich für meinen Vater gehalten habe, gar nicht mein Erzeuger ist. Meine Mutter hatte eine Affäre mit einem Arzt in Helena, und selbst als mein Vater das herausgefunden hat, hat er mich großgezogen, als wäre ich sein eigen Fleisch und Blut.«
»Und?«
»Diese Frauen sehen sich nicht nur ähnlich. Manche von uns könnten glatt als Doppelgängerinnen durchgehen. Die Belegschaft von St. Bart hat mich mit Jocelyn verwechselt, als sie in die Notaufnahme eingeliefert wurde.«
»Dann glaubst du also, du bist mit diesen Frauen verwandt? Dass der Typ euch alle gezeugt hat, und jetzt … tja, jetzt macht er was? Euch umbringen?« Er sah sie an, als hätte sie den Verstand verloren.
»Ich weiß, das klingt verrückt, aber es lässt sich nicht leugnen, dass da ein Zusammenhang besteht. Ich bausche das nicht auf. Komm mit ins Arbeitszimmer …« Sie schob ihren Stuhl zurück und ging hinüber zum Computer, wo sie die Daten aufrief, die sie von Riza bekommen hatte, und druckte sie aus.
Trace überflog die Seiten, betrachtete die Führerscheinfotos, las die Todesanzeigen und runzelte nachdenklich die Stirn. »Wie bist du da drangekommen?«
»Eine Freundin hat sie mir besorgt. Das meiste ist öffentlich zugänglich.«
Er ging die Seiten ein zweites Mal durch. »Wenn du recht hast – was ich mir nicht vorstellen kann … Auf alle Fälle ist das ziemlich makaber. Es könnte aber auch nur Zufall sein. Sie sind alle bei Unfällen ums Leben gekommen.« Er hielt einen Stapel Sterbeurkunden in die Höhe.
»Die meisten. Eine Bibliothekarin aus Detroit, eine Skilehrerin aus Vail, eine alleinerziehende Mutter und eine Hausfrau und Mutter aus San Francisco. Zwei weitere aus Seattle und drei … aus Boise. Und das sind nur die, von denen wir wissen. Ich denke, wir kratzen lediglich an der Oberfläche.«
»Noch wissen wir gar nichts. Nur dass diese Frauen innerhalb der letzten zehn Jahre ums Leben gekommen sind.« Er schüttelte abwehrend den Kopf, doch seine Augen blieben auf die Seiten geheftet. »Lass mich noch einmal klarstellen: Du glaubst, dass eine Person hinter diesen Todesfällen steckt, die einfach unglaublich geduldig ist. Sich Zeit lässt, selbst über Jahre hinweg, und jetzt auf einmal wie verrückt zuschlägt?«
»Er gerät außer Kontrolle«, sagte sie. »So etwas kommt vor.«
»Aber das weißt du doch gar nicht.«
»Wir wissen vieles nicht, doch wie du schon gesagt hast: Irgendwas ist hier ganz gewaltig faul, und jetzt häufen sich plötzlich diese ›Unfälle‹.«
Als er immer noch nicht überzeugt wirkte, fügte sie hinzu: »Ich glaube nicht an eine zufällige Ähnlichkeit. Ich glaube, dass wir alle miteinander genetisch verwandt sind. Um das zu beweisen, lasse ich gerade ein DNS-Profil von einer der Frauen erstellen, doch leider dauert das seine Zeit.«
»Im Ernst?« Er klang skeptisch.
»Ja. Elle Alexander war eine Patientin von mir.« Sie deutete auf das Foto der Frau. »Ich habe angeordnet, ihr Erbgut mit meinem vergleichen zu lassen. Wir haben beide die Blutgruppe B negativ, so viel weiß ich schon, und das ist alles andere als gängig, also ist es schon mal ein Anfang. Kein Beweis, aber immerhin etwas.«
»Und was ist, wenn du etwas Konkretes herausfindest?«
»Dann werde ich – oder wir – zur Polizei gehen. Im Augenblick ist es dafür noch zu früh. Man würde mich für übergeschnappt halten. Genau das tust du doch auch, du kannst es ruhig zugeben.«
»Ich bin vollkommen offen und unbefangen«, widersprach er, obwohl er nicht überzeugt wirkte. Nachdenklich trank er sein Bier aus und ging noch einmal alles durch, was Riza geschickt hatte.
Kacey schaltete währenddessen den Fernseher ein. Aus den Nachrichten erfuhren sie, dass womöglich ein weiterer Wagen in den Unfall von Elle Alexander verwickelt gewesen war. Das Büro des Sheriffs hatte eine entsprechende Stellungnahme herausgegeben und die Bevölkerung um Mithilfe gebeten. Sollte jemand den Unfall beobachtet haben, möge er sich bitte auf dem Department melden.
»Sie nehmen an, dass es Fahrerflucht war«, sagte Kacey, als der Wetterbericht folgte.
»Trotzdem könnte es schlicht und einfach ein Unfall gewesen sein«, gab Trace zu bedenken.
»Könnte«, räumte sie ein.
»Ich will doch nur sagen, ihr könnte jemand hinten draufgefahren sein, ihr Auto ist auf dem Eis ins Schleudern geraten, der Fahrer des anderen Wagens hat Panik gekriegt und dann die Kurve gekratzt.«
»Damit hätte er sich strafbar gemacht.«
»Trotzdem bringt es ihn nicht zwangsläufig mit den anderen Todesfällen in Verbindung.«
»Dann glaubst du also wirklich, das alles ist Zufall?«
»Ich spiele lediglich den Advocatus Diaboli.«
»Denkst du etwa, ich hätte nicht auch versucht, mir diese … bizarre Situation schönzureden?«, fragte sie ein wenig ungehalten. »Ich wünschte wirklich, ich würde mich täuschen, aber ich glaube, das ist nicht so.«
Sie stellten die Nachrichten aus. Trace lehnte ein zweites Bier ab und machte sich daran, einen Sicherheitscode für ihren Computer und die kabellosen Netzwerkverbindungen einzurichten. »Das ist das mindeste, was ich tun kann«, sagte er, als sie einwandte, sie wolle nicht zu viel von seiner Zeit in Anspruch nehmen. »Bei allem, was du für Eli getan hast.«
Sie widersprach nicht; wenn sie ehrlich war, war sie dankbar für seine Hilfe. In der College-Zeit hatten ihr Riza und andere technikbesessene Freunde geholfen, und während ihrer Ehe hatte sich JC, der sich in allen Bereichen des Lebens für brillant hielt, um ihr Computerequipment gekümmert. Doch seit sie nach Grizzly Falls in ein Haus gezogen war, das nur unzureichend mit Steckdosen ausgerüstet war, geschweige denn mit Elektronik, musste sie alles allein machen oder jemanden kommen lassen wie bei der kaputten Heizung, dem undichten Rohr im Badezimmer oben und der neuen Außenbeleuchtung an der Garage.
Als Trace den Schreibtisch von der Wand zog und sich vorbeugte, um die elektrischen Anschlüsse zu begutachten, musste sie sich sehr zusammenreißen, um nicht auf seine Jeans zu starren, die sich über seinem Hintern spannte. Sein Pulli rutschte ein Stück hoch, und sie warf einen verstohlenen Blick auf seinen nackten, muskulösen Rücken.
Rasch wandte sie die Augen ab und schalt sich insgeheim, dass sie sich benahm wie ein verliebter Teenager.
»Das sollte funktionieren«, sagte er, als er sich wieder aufrichtete. »Ich zeige dir jetzt, wie du den Code eingibst.« Dann griff er zu ihrem Schrecken nach ihrem Handgelenk und zog sie an sich. Seine andere Hand umfasste ihren Nacken. »Ich glaube, du bist verwanzt«, flüsterte er ihr ins Ohr.
»Wie –«, stieß sie hervor, doch er drückte sie noch fester an sich.
»So schwer ist das gar nicht«, sagte er laut. »Du musst nur ein paar winzig kleine Änderungen vornehmen.« Doch er ließ sie nicht los. Mit kaum hörbarer Stimme fügte er hinzu: »Wir müssen so tun, als hätten wir keine Ahnung, was hier vorgeht, okay? Lass mich nur machen.« Er legte den Kopf zurück und schaute ihr fest in die Augen.
Sie nickte langsam.
»Was soll ich denn für einen Code verwenden?«, fragte sie, als er sie losließ.
»Irgendetwas, woran du dich leicht erinnerst, ohne dass ein anderer daraufkommt. Komm, ich zeige dir, wo du das Passwort eingeben musst …«