Es war schon spät. Die Geisterstunde war vorüber.
Der Innenhof zwischen der Rückseite des Hotels und dem Kutscherhäuschen war auf allen Seiten von Gebäuden oder hohen Mauern umgeben. Honeys Schritte hallten aus sämtlichen vier Ecken wider.
Irgendetwas ließ sie auf halbem Weg stutzen. Sie schaute zu dem Tor, das ihren Privatbereich von der Rasenfläche und dem für Hotelgäste reservierten Patio abtrennte.
Die Kletterpflanzen an den Mauern sahen unverändert aus. Ebenso die Kübel mit Petersilie, Rosmarin, Salbei und Lavendel. Das war das Tolle an einem Innenhof: Kein Jäten. Kein Rasenmähen. Man zupft nur ab und zu mal ein Unkraut aus und schneidet die Pflanzen ein wenig zurück. Fertig.
In einer Ecke wucherte, halb im Schatten verborgen, eine üppige Kletterrose. Sie bewegte sich leise in der abendlichen Brise. Honey schaute sie genauer an. Hatte ein Rosenzweig im Abendhauch gezittert, oder hatte sich da ein Schatten bewegt?
Nur mit der Ruhe. Logisch denken. Es hätte auch ein Vogel sein können. Aber waren denn mitten in der Nacht Vögel unterwegs?
Ein anderer, Besorgnis erregender Gedanke wollte sich einfach nicht vertreiben lassen. Sah sie da unten an der Rose etwa zwei Gummistiefel stehen?
Bei Tageslicht hätte sie sich keinen Deut darum geschert. Aber bei Nacht war es schon etwas ganz anderes.
Mit rascher werdenden Schritten steuerte sie auf ihre Haustür zu und pfiff »Wer hat Angst vorm bösen Wolf?« vor sich hin.
Endlich fiel die Tür mit einem dumpfen Knall hinter ihr ins Schloss. Das war das Wunderbare an alten Türen: Sie hatten Substanz |185|und Charakter. Das Beste war allerdings ihr massives, dickes Holz. Für diese Tür hatte man damals eine Eiche oder Ulme gefällt. Mit klopfendem Herzen lehnte Honey sich dagegen. Die Tür fühlte sich gut an. Stark und solide.
Zuhause! Es gab nichts Besseres.
Der Gedanke an eine frische Tasse Kaffee schoss ihr durch den Kopf. Ein Schluck Wasser würde es auch tun. Das Bett lockte. Ein frisch bezogenes Bett, der Himmel auf Erden. Sie kickte die Schuhe von den Füßen und schlüpfte aus den Kleidern. Sie schlief ein. Allerdings erwachten dann in ihren Albträumen allerlei Schatten zum Leben. Aus einer finsteren Ecke stürzte sich ein Mann mit einer Wollmütze auf sie. Er hatte Kopfhörer auf den Ohren, und im Hintergrund kreischte seine Frau.