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Als Erste wurden Mr. und Mrs. Hamilton George der Vierte befragt. Sie waren ein Paar in den besten Jahren, lächelten freundlich und trugen rote Hosen mit Schottenkaro und dicke Aran-Pullover. Ihre Turnschuhe waren so groß wie Kähne, und sie hatten beide Rucksäcke bei sich, die präzise auf ihre Hosen abgestimmt waren. Mr. George schmückten außerdem noch rote Ohrenschützer, die im Augenblick hinter die Ohren zurückgeschoben waren. Quer über den breiten Brustkasten verlief das Kabel seines iPods. Seine Gattin überragte ihn um einige Zentimeter. Über ihren Brustkasten verlief gar nichts. Neben ihrem Busen wäre dafür auch nicht viel Platz gewesen.

Steve hatte sich entschieden, die Paare erst einmal zusammen zu befragen. Falls ihm etwas verdächtig vorkam, konnte er sich die Leute später auf der Wache immer noch getrennt vorknöpfen.

Familie George kam aus San Diego. Das war auch der Grund, warum Mary Jane während des Spaziergangs auf einmal fortgeschwebt war. Sie wollte sich die letzten Neuigkeiten aus der Heimat berichten lassen. Mary Jane stammte nämlich aus dem nur wenig südlich dieser Stadt gelegenen La Jolla.

Sobald er Namen und Adresse aufgenommen hatte, erkundigte sich Steve nach den Berufen.

»Pensioniert«, erklärte Mr. George. »Ich mache hier Urlaub.«

»Mein Mann war ganz groß bei der IBM«, platzte seine Gattin heraus, die selbst – jedenfalls von der Figur her gesehen – auch ziemlich groß war. »Er hat einen sehr einflussreichen Posten bekleidet. Man hat dort sehr viel auf ihn gehalten.«

»Und ihn hervorragend bezahlt«, ergänzte ihr Gatte mit einem kleinen Seitenblick.

Mrs. George schien diesen Einwurf kaum zu bemerken. »Aber |99|er hat immer noch jede Menge zu tun. Außerdem reisen wir viel. Wir wollten immer schon reisen. Das machen wir jetzt. Wir waren bereits überall auf der Welt, nicht wahr, Hamilton?«

Ihr Mann öffnete den Mund, als wollte er antworten, aber dazu bekam er keine Gelegenheit. Mrs. George war gerade richtig in Fahrt gekommen.

»In Japan, auf Hawaii, in China, in Frankreich, in der Schweiz …« Sie fuhr fort, an den Fingern die Länder abzuzählen, die sie besucht hatten. Schon bald gingen ihr die Finger aus.

Außer Sichtweite des liebenden Ehepaares tippte Honey mit dem Finger auf Steves Oberschenkel. Blickkontakt war nicht möglich, also gab er das Signal zurück und bestätigte so, dass ihm die gleichen Gedanken durch den Kopf gingen. Mrs. George war die Sorte Frau, die einfach nicht mehr zu reden aufhörte, wenn sie einmal damit angefangen hatte.

»Es ist unglaublich, was er alles mit Computern anstellen kann. Naja, ich denke, er ist vielleicht einer der Besten, die es auf dem Gebiet je gegeben hat. Nicht dass ich das beurteilen könnte. Ich habe ja nie mit Computern zu tun gehabt. Ich weiß, wie man so ein Ding einschaltet, aber das ist es dann auch schon. George dagegen ist ein echtes Genie. Allerdings halte ich mich da raus, denn wer weiß, vielleicht drücke ich aus Versehen mal eine falsche Taste, und dann wäre seine ganze Arbeit …«

Honey musste die Frau einfach anstarren. Mrs. Georges Gesicht faszinierte sie. Der Mund war das Einzige, was sich darin bewegte.

Honey hörte jedoch nicht, was Mrs. George erzählte. Es war ein bisschen wie das Rauschen einer Toilettenspülung. Die verrichtete ihre Arbeit, ohne dass man sich sonderlich mit den Einzelheiten beschäftigen wollte. Mrs. Georges Wortschwall war ungefähr genauso interessant.

Als Erster stürzte sich Steve mutig in die Wortfluten. »Also, wann haben Sie Wanda Carpenter zuletzt gesehen – die Frau, die sich Lady Templeton-Jones nannte?«

Diesmal war der Ehemann schneller am Ball. »Ich bin auf sie aufmerksam geworden, als sie sich vorstellte. Da stand ich mit |100|meiner Frau hier draußen vor dem Pub.« Er warf seiner Gattin einen ziemlich feindseligen Blick zu. »Meine Frau trinkt nämlich keinen Alkohol.«

Mrs. George unterbrach ihn. »Nur kurz und ganz undeutlich, Hamilton. Wir haben sie nur kurz und ganz undeutlich gesehen«, trompetete sie und klatschte sich mit den Händen auf die Oberschenkel. »Danach waren wir alle in Regenmänteln und unter Kapuzen und Schirmen verborgen, sodass es schwierig war, überhaupt irgendwas oder jemanden zu sehen. Wir sind immer ganz nah bei der Stadtführerin geblieben, damit wir hören konnten, was sie sagte. Allerdings haben wir uns auch ab und zu die interessanten Ecken angeschaut und die kalten gespenstischen Luftzüge gespürt und so. Lady Templeton-Jones ist weit hinter uns zurückgeblieben. Sie ging ja am Stock, wissen Sie. Da kann ihr dieser Spaziergang nicht leicht gefallen sein.«

Honey war anderer Meinung. Die Verstorbene hätte es mit jedem dreibeinigen Pony aufnehmen können. Ein Rennpferd war sie vielleicht nicht gewesen, aber sicher auch kein lahmer Ackergaul.

»Haben Sie sonst noch jemanden gesehen, als Sie zu den Assembly Rooms kamen?«, fragte Steve.

»Nun, ganz bestimmt nicht«, sagte Mrs. George, ohne auch nur den Bruchteil einer Sekunde zu zögern. »Und ich bin sicher, auch Hamilton hat nichts gesehen, habe ich recht, Hamilton?«

Aber Mr. George hatte sich inzwischen wieder ins Schweigen zurückgezogen und die Ohrenschützer auf die Ohren geschoben. Blecherne Musik tönte durch die flauschige Wolle. Mrs. George zerrte an einem der Ohrenschützer und brüllte ihrem Gatten die Frage noch einmal ins Ohr.

»Hast du jemanden gesehen, als wir zu den Assembly Rooms kamen?«

»Einen Mann in Abendkleidung?«, fügte Honey hoffnungsvoll hinzu.

Mrs. George brüllte ihrem Mann auch diese Frage ins Ohr. Er schüttelte den Kopf. Mrs. George schüttelte den Kopf.

Steve nutzte diesen kurzen Augenblick der Stille und stürzte |101|sich wieder ins Gefecht. »Das wäre alles, Mr. George, Mrs. George.«

Mrs. George stand die Überraschung darüber, dass man sie so abrupt zum Schweigen gebracht hatte, förmlich ins Gesicht geschrieben. Ihr blieb vor Staunen der Mund offen stehen, kreisrund und rot in ihrem kreideweißen Gesicht.

»Was meinst du?«, fragte Steve Honey, nachdem die beiden gegangen waren.

»Ich glaube, dass Mr. George mit permanenten Kopfschmerzen lebt.«

»Wenn wir einmal davon absehen, kannst du dich erinnern, wo sie waren, als unsere Freundin Lady Templeton-Jones verschwunden ist?«

Verzweifelt versuchte Honey, vor ihrem inneren Auge das Bild der Gruppe heraufzubeschwören, wie sie da im strömenden Regen standen. Sie schüttelte betrübt den Kopf. »Nein. Es war schwer, überhaupt etwas zu sehen.«

»Hätte jemand weggehen können, ohne dass die anderen es bemerkt hätten?«

»Bestimmt. Ich hab das ja gemacht.«

 

Als Nächste saßen Tami Burns und Dwight Denman auf dem heißen Stuhl. Sie hielten sich bei der Hand, drängten sich ganz nah aneinander. Sie waren jünger als das andere amerikanische Paar. Sie kamen aus Washington und erklärten, dieser Urlaub sei für sie eine »Ehe auf Probe«.

»Wir waren beide vorher schon verheiratet – dreimal sogar –, und diesmal wollen wir wirklich sicher sein. Im Urlaub ist man ja mit seinem Partner viel zusammen, und es gibt oft Streit. Wir wollten ausprobieren, ob wir das überstehen …« Sie lächelten einander zuckersüß an. »Und das ist uns gelungen. Wir sind jetzt schon eine ganze Woche unterwegs.«

Honey widerstand gerade noch der Versuchung, sich einen Finger in den Hals zu stecken und sich zu übergeben.

Steve wirkte völlig ungerührt und kam zur Sache. »Haben Sie an dem Abend außer Ihrer Gruppe sonst jemanden gesehen?«

|102|Honey warf ihm einen Blick Marke »Bist du wirklich so blöd?« zu. Die Antwort war offensichtlich. Natürlich hatten sie niemand anderen gesehen. Die beiden hatten nur Augen füreinander.

Das deutsche Paar – Herr Klaus und Frau Lotte Loewitz – kam gleich zum Wesentlichen. »Wir waren völlig durchweicht, aber wir haben tapfer durchgehalten. Wir haben nichts gesehen, rein gar nichts.«

»Auch keine Gespenster?«, erkundigte sich Steve.

Frau Loewitz warf ihm einen niederschmetternden Blick zu. Mit tieferer Stimme als ihr Mann sagte sie: »Natürlich nicht! Und jetzt lassen Sie uns bitte gehen.«

Steve hatte nichts dagegen einzuwenden. Klaus trottete hinter seiner Gattin her.

»Ich bin nicht sicher, ob er mit ihr einer Meinung war«, sagte Honey.

»Aber er hat sich nicht getraut, ihr zu widersprechen. Macht nichts. Ich schreib mir auf, dass ich noch gesondert mit ihm reden muss. Allerdings muss ich mich beeilen. Die beiden bleiben nur eine Woche.«

Das letzte Paar waren die Karviks, die, wie sich herausstellte, aus Norwegen und nicht aus Schweden stammten. Arne wich mit seinen dunklen Augen und dem schwarzen Haar vom üblichen Bild des blonden Recken ab. Seine Frau hatte endlos lange Beine und weißblondes Haar, das ihr bis zur Taille reichte. Auf sie passte das Wikinger-Image genau.

»Die Atmosphäre war so wunderbar«, hauchte die Ehefrau, deren üppiger Busen aus dem mit drei Perlenknöpfchen verzierten Ausschnitt quoll. »Ich hatte Gänsehaut am ganzen Körper.« Sie unterstrich ihre Worte mit einer bebenden Bewegung, die ihren Busen erzittern ließ wie Götterspeise. Steve sah ganz so aus, als wollte er die Dame am liebsten gleich vernaschen.

Honey schaltete sich ein.

»Haben Sie irgendwas – oder jemanden gesehen?«

Mrs. Karvik drückte kurz den Arm ihres Gatten. »Wir sind ganz in dieser besonderen Atmosphäre aufgegangen, nicht wahr, |103|Arne? Wir sind so empfänglich für derlei Stimmungen«, hauchte sie mit rauchiger Stimme. Jetzt schaute sie wieder zu Steve und Honey. »Wir waren sicher, dass uns Geister begleiteten. Manchmal war mir so kalt, dass ich am ganzen Leib bebte.«

Honey verkniff sich die Bemerkung, dass der Grund dafür wahrscheinlich der eiskalte Wind und der strömende Regen gewesen waren.

Sobald Steve sich wieder gefangen hatte, erklärte er den beiden, sie könnten gehen, sie müssten aber zuvor ihre Urlaubsadresse im Vereinigten Königreich und ihre Heimatadresse in Norwegen hinterlassen.

»Die hast du aber glimpflich davonkommen lassen«, stellte Honey fest.

Steve wand sich ein wenig verlegen und schaute konzentriert auf die Kritzeleien auf seinem Notizblock, als läge darin eine tiefe Bedeutung verborgen. Die meisten Zeichnungen sahen aus wie große busenartige Ballons mit dicken Punkten in der Mitte.

Honey schnalzte missbilligend mit der Zunge. Steve fuhr wütend hoch.

»Ich habe gesagt, du kannst dabeisitzen. Das heißt aber nicht, dass du alles an dich reißen sollst«, erinnerte er sie vor der nächsten Befragung mit warnendem Unterton. »Du warst nämlich gegen die Karviks eindeutig voreingenommen. Grün vor Neid, würde ich mal sagen.«

»Und du, Sherlock, befandest dich wohl auf dem Planeten Testosteron?«

Das war sonnenklar, aber natürlich würde er das um nichts auf der Welt zugeben. »Ich? Ich war nur aufmerksam.«

»Ja, ja, ja. Und die Gute war auch nur ganz normal freundlich. Wäre ihr Ausschnitt eine Spur tiefer gewesen, du wärest auf Nimmerwiedersehen darin verschwunden.«

»Ein Wahnsinnstod!«

Nun kam Jan Kowalski herein, diesmal nicht in ein Regencape gehüllt. Er trug ein grünes Hemd, eine Hose mit Tarnmuster und eine schwarze Lederjacke. Sein Haar war sehr kurz geschoren.

|104|Die ersten Worte las er von einem mehrfach zusammengefalteten Stück Papier ab. Er hielt den Zettel auf Armlänge weg. »Ich bin aus Gdánsk. Ich studiere Internet-Kommunikation. Ich suche Arbeit.« Er reichte ihnen das Blatt. »Meine Personalien.«

Steve fragte ihn, wie lange er im Land bleiben wollte. Jan erklärte, er würde wieder nach Hause zurückkehren, wenn er nicht innerhalb der nächsten vierzehn Tage Arbeit fände.

Honey wollte wissen, warum er an dem Geisterspaziergang teilgenommen hatte. »Um Arbeit zu finden«, antwortete er.

Honey verkniff sich die Frage, welche Beschäftigung er denn auf einer solchen Veranstaltung zu finden hoffte. Waren in der Geisterwelt im Augenblick Stellen für IT-Genies frei? Spuk-Surfen? Internet für Phantome? World Wide Spinner? Die letzte Domain hatte sich wahrscheinlich sogar schon jemand reserviert, überlegte sie. An Spinnern herrschte ja wahrhaftig kein Mangel.

»Jemand hatte mir eine SMS geschickt«, erklärte Jan. »Der wollte mich auf dem Spaziergang treffen und mit mir über Arbeit reden, die er mir anbieten könnte.«

»Aber es ist niemand gekommen?«

»Nein.«

Er beteuerte, dass er jede Art von Arbeit annehmen würde. Er schien ein liebenswerter, vorzeigbarer junger Mann zu sein. Für alle Fälle schrieb sich Honey seinen Namen und seine Adresse auf. Auf dem Zettel war verzeichnet, dass er gegenwärtig in der Jugendherberge übernachtete. Honey dachte nach. Im Augenblick brauchte sie kein Personal, aber im Hotelgewerbe konnte ja innerhalb von vierundzwanzig Stunden allerlei geschehen. »Wir bleiben in Verbindung«, sagte sie zum Abschied und reichte ihm ihre Visitenkarte, während sie ihm die momentane Situation in ihrem Hotel erklärte.

Er strahlte erfreut, nahm die Karte und steckte sie ein.

»Danke. Vielen Dank.«

Er wollte gehen.

»Augenblick noch«, sagt Steve. »Wir brauchen noch eine Aussage von Ihnen. Sie müssen sie nicht selbst schreiben. Ich mache das, lese sie Ihnen vor, und Sie können sie dann unterzeichnen.«

|105|Honey schien es, als hätte sie Furcht in Jans dunkelbraunen Augen aufblitzen sehen. Ganz kurz nur, so kurz, dass sie schon meinte, es sich nur eingebildet zu haben. Andererseits betrachteten Immigranten oft jegliche Art von Behörde mit einigem Misstrauen. Sie befanden sich in einem fremden Land und suchten Arbeit, und Polizisten machten sie einfach nervös.

Steve Doherty ließ sich nicht anmerken, ob ihm das auch aufgefallen war.

Jan setzte sich wieder.

Steve stellte ihm die gleichen Fragen wie allen anderen.

»Haben Sie außer den Leuten auf dem Spaziergang sonst noch jemanden gesehen?«

Jan Kowalski schüttelte den Kopf. »Keine Geister. Nur Personen.«

Steve hatte den Blick auf das Blatt Papier gerichtet, auf dem er die Aussage aufschrieb. Jetzt schaute er auf. »Sie haben Leute gesehen? Eine Person?«

Er nickte. »Einen Mann. Ja, ich habe einen Mann gesehen.«

Man konnte die Spannung fast mit Händen greifen. Honey spürte, wie sich Steves Körper straffte, und sah, wie sich seine Augen zu Schlitzen verengten.

»Können Sie ihn beschreiben?«

Jan nickte. »Wir waren am oberen Teil einer Gasse angekommen, die zur Hauptstraße hinunterführte. Der Mann kam aus einer Seitenstraße – einer schmalen Seitenstraße. Wir haben noch oben gewartet. Die Stadtführerin war zur Toilette gegangen.«

»Sie standen oben in einer Gasse?«

Jan zuckte die Achseln, hob mit fragender Miene hilflos die Hände. »Ich habe ihn nur kurz gesehen.«

Steve fragte, ob er den Mann wiedererkennen würde. Er glich jetzt einem Spürhund, der eine Fährte witterte.

»Wie war der Mann gekleidet?«

»Schwarz. In Schwarz. Mit Hut und einem langen Mantel.«

»Hätte es ein Umhang sein können?«

Jan zuckte die Achseln. »Ja, vielleicht.«

|106|»Erinnern Sie sich sonst noch an etwas?«

»Er roch nach nichts.«

Das war ungewöhnlich. Normalerweise berichteten Leute nicht darüber, was sie mit der Nase erschnüffelt hatten.

»Nicht einmal nach Regen«, fuhr Jan fort. »Vielleicht irre ich mich, aber eigentlich glaube ich das nicht. Ich habe eine sehr feine Nase. Alle anderen um mich herum haben nach etwas gerochen. Die Frauen meist nach Parfüm und Deodorant. Die Männer nach Aftershave, Kognak oder einem lautlosen …« Er schaute zur Decke, während er nach dem rechten Wort suchte.

»Ich verstehe schon«, meinte Steve,

»Niemand sonst hat ihn gesehen.«

Doherty schaute ihm in die Augen.

Honey wurde ganz starr.

»Niemand?«, fragte Doherty.

»Nein. Jedenfalls schien es mir so.«

Er war wohl froh, endlich gehen zu dürfen.

»Siehst du! Hab ich dir doch gesagt, das war ein Typ in einem dunklen Anzug. Der junge Mann hat ihn auch gesehen«, triumphierte Honey. Sie hielt sich nicht dabei auf, dass ihn sonst niemand bemerkt hatte. Es reichte ihr, dass sie nicht die Einzige war.

»Großartig. Ein Kerl in einem dunklen Anzug. Da haben wir ja den Personenkreis schon gewaltig eingeschränkt.«

 

Pamela Windsor war außerordentlich zuvorkommend. Sie hatte bereits alles aufgeschrieben und sagte nun im Grunde noch einmal genau das Gleiche – und einiges mehr. Überrascht ging Doherty mit ihr alle Einzelheiten durch. Dann dankte er ihr für ihre Hilfe und entließ sie.

Als Letzte wurden die beiden Australierinnen befragt. Sie lächelten schon, als sie den Raum betraten. Betty Smith und Sally Weston waren im besten Alter. Sie waren Singles und auf der Suche nach so viel Spaß und Unterhaltung, wie sie nur kriegen konnten. Beide waren leicht übergewichtig, trugen Jogginganzüge und Turnschuhe und sahen aus, als ließen sie es sich so richtig gut gehen.

|107|»Also, denn man los«, sagte Betty, und der Stuhl ächzte, als sie sich darauf warf. Auch Sallys Stuhl stöhnte unter ihren Pfunden. Die beiden hatten allerdings nichts davon bemerkt. Denn sie musterten Steve von Kopf bis Fuß.

»Sind Sie noch zu haben?«, fragte Sally.

Steve überhörte das geflissentlich und kam gleich zur Sache. Hatten die beiden jemanden gesehen?

»Nur Enten«, antwortete Betty, und den beiden traten die Lachtränen in die Augen.

Dieses Lachen war ansteckend und zauberte auch auf Honeys und Steves Gesichter ein Lächeln. Steve musste allen wieder in Erinnerung rufen, dass sie hier aus einem sehr ernsten Grund zusammensaßen. Eine Frau war ermordet worden.

Die beiden husteten verlegen, hielten sich die molligen Fäuste vor den Mund und entschuldigten sich.

Nein, sie hatten sonst niemanden gesehen. Allerdings konnte man bei dem Mistwetter unmöglich sicher sein.

Steve wollte ihnen nicht noch mehr wertvolle Zeit stehlen.

»Sie können gehen, meine Damen. Und viel Spaß mit unseren Sehenswürdigkeiten!«

Die rundlichen Gesichter waren schon wieder so fröhlich wie vorhin, und die beiden machten sich zum Gehen auf, kichernd wie die Schulmädchen.

Betty zwinkerte Steve zu. »Wir interessieren uns nicht nur für die touristischen Sehenswürdigkeiten. Man könnte sagen, wir wollen auch die örtlichen Delikatessen kosten – wenn Sie wissen, was ich meine, Herr Polizist.«

Wieder ein Kicheranfall.

Sally warf Steve beim Hinausgehen noch eine Kusshand zu, und Betty improvisierte mit ihrem ausladenden Hinterteil einen kleinen Hulatanz, ehe die Tür hinter den beiden zufiel.

Auf Steves Miene spiegelte sich eine Mischung aus Verwunderung und Verlegenheit.

Die Polizisten zu beiden Seiten der Tür mussten sich zusammenreißen, um ihr breites Grinsen unter Kontrolle zu halten. Steve schaute Honey an. »Was habe ich denn gesagt?«

|108|Honey versuchte erst gar nicht, sich das Lächeln zu verkneifen. »Überhaupt nichts. Es war Bettys Bemerkung, dass die beiden auch die örtlichen Delikatessen kosten möchten.«

Steve zuckte die Achseln. Der Groschen war noch nicht gefallen.

»Mensch, Steve, wach auf!« Sie tippte ihm mit einem rosa lackierten Fingernagel in die Magengrube.

»Verdammt, ich kann solche zweideutigen Bemerkungen einfach nicht leiden«, knurrte er wütend. Er konnte mit Anspielungen nichts anfangen und war stinksauer, weil er den Witz nicht begriff. »Wieso soll ich aufwachen? Ich bin doch wach, oder?«

Honey stützte einen Ellbogen auf den Tisch, schmiegte ihr Kinn in die Hand und sah ihn äußerst wollüstig von der Seite an. »Na ja, was du bist? Eine der örtlichen Delikatessen!«