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Honey war erst ein paar Minuten zu Hause, als ein junger Mann namens Simon Taylor vor dem Haus aus der Regency-Zeit1 vorfuhr, in dem er wohnte. Es lag in einer Häuserzeile und war schon vor langer Zeit in Wohnungen aufgeteilt worden: fünf Etagen mit je zwei Wohnungen. Er parkte sein Motorrad in einer der für Zweiräder reservierten Parkbuchten neben einem dunkelroten Motorroller. In der Wohnung, die er sich mit seiner Mutter teilte, brannte im Wohnzimmer noch Licht. Simon hoffte, dass sie nur vergessen hatte, es auszuschalten, und bereits zu Bett gegangen war. Das war allerdings unwahrscheinlich. Seine Mutter blieb immer auf, bis er wieder heimkam. Das machte sie schon seit jeher so.

Die Haustür war breit und hatte sich im Rahmen verzogen. Als er sie aufdrückte, schrammte sie über die schwarzweißen Bodenkacheln. Der Eingangsflur war alles andere als einladend. Die Wände und Wohnungstüren im Inneren waren in verblasstem Burgunderrot gestrichen. Die Farbe hatte der Hausbesitzer vor einigen Jahren kübelweise im Sonderangebot erstanden. Ein Mieter im Erdgeschoss hatte versucht, die düstere Stimmung etwas aufzuhellen, indem er am Eingang zu seiner Einzimmerwohnung einige rosafarbene und goldene Linien um den Türsturz gemalt hatte. Als Kunstwerk konnte man das nicht gerade bezeichnen, und die Atmosphäre allgemeiner Vernachlässigung wurde dadurch kaum gemildert. Auch der Luftverbesserer, den jemand in eine Steckdose gestöpselt hatte, kämpfte vergeblich gegen den moderigen Geruch der Farne, die draußen auf der Brüstung vor dem dritten Stock wucherten, und des Schimmels, der vom Keller herauf kroch.

|34|Simon hatte keine Lust, Fragen zu beantworten, warum er wieder so spät noch unterwegs gewesen war. Ganz leise schloss er die schwere Haustür hinter sich. Der Bodenbelag war rissig und braun; vielleicht würde er glänzen, brächte jemand die Energie auf, ihn mit einem Kanister Politur und einem Lappen zu bearbeiten. Das hatte aber nie jemand versucht. Kurz Fegen und feucht Wischen, mehr war nicht drin. Simon zog die Schuhe aus, ehe er die Treppe zu der Wohnung hinaufstieg, in der seine Mutter auf ihn wartete. Mit den Schuhsohlen wäre er an dem vor Schmutz klebenden Treppenläufer festgepappt und hätte mit jedem Schritt ein schmatzendes Geräusch verursacht. Auf Wollsocken dagegen konnte er beinahe lautlos die Stufen hinaufschleichen.

Als er die Wohnung erreicht hatte, wusste er mit Sicherheit, dass seine Mutter noch nicht zu Bett gegangen war. Der Lärm von Polizeisirenen aus dem Mitternachtskrimi zeigte an, dass sie vor dem Fernseher saß. Sobald er leise den Schlüssel im Schloss gedreht und die Tür geöffnet hatte, bestätigte sich seine Vermutung.

»Bist du das, Simon?«

Als könnte es zu dieser Tageszeit irgendjemand anders sein!

Simon, der zweiundzwanzigjährige Sohn, verzog das Gesicht, als er sich den Regen von der Jacke schüttelte. Warum hörte sie es kaum, wenn jemand an der Tür klingelte, und war doch so hellwach, wenn er nachts nach Hause kam?

»Ja«, antwortete er mit gezwungen fröhlicher Stimme. Seine Mutter würde glauben, dass er lächelte.

Er schaffte es tatsächlich, die Zähne ein wenig zu einer guten Imitation eines Lächelns zu fletschen, als er kurz ins Wohnzimmer sah.

Seine Mutter saß auf einem Sessel, den sie sich etwa anderthalb Meter vor den Fernseher gezogen hatte. Zu beiden Seiten standen kleine, dreibeinige Beistelltischchen mit zierlichem Rand. Ursprünglich waren sie einmal dazu gedacht gewesen, dass ein Herr – oder eine Dame – darauf ein Wein- oder Kognakglas abstellte.

|35|Im Falle seiner Mutter befand sich auf dem einen eine Schachtel Malteser – Schokokugeln, angeblich »leichter als Luft« – und auf dem anderen ein Glas mit Jameson Irish Whiskey. Ein Porzellanschälchen quoll vor Nussschalen und Bonbonpapierchen über. Es war ein ziemlich wertvolles, hübsches kleines Meißener Porzellanschälchen. Das konnte seine Mutter nicht wissen. Genauso wenig ahnte sie, wie viel er dafür bei eBay geboten hatte.

Er trug das Schälchen in die Küche, um es auszuleeren. Nachdem er es unter laufendem Wasser ausgespült und sorgfältig abgetrocknet hatte, brachte er es ihr zurück.

»Ist alles nach Plan verlaufen?«, fragte sie, ohne die Augen vom Bildschirm abzuwenden.

»Ja«, antwortete er. »Ich gehe jetzt ins Internet. Bis morgen. Gute Nacht, Mutter.«

»Gute Nacht.«

Er hielt inne. Fasziniert blickte er darauf, wie das Licht auf ihrem Gesicht schimmerte. Durch ihr schütteres Haar hindurch konnte er die Form ihres Schädels und die braunen Flecken auf der Haut ausmachen.

Sie trommelte gedankenverloren mit den Fingern auf die Lehne ihres Sessels. Sie hatte schwache Nerven, und damit wurde es zusehends schlimmer. Die viele Schokolade und die Unmengen von Pralinen. Der viele Alkohol. Es musste ja so kommen.

Leise zog er die Tür hinter sich zu. Nachdem Simon sich vor der Welt und seiner Mutter in sein Schlafzimmer zurückgezogen hatte, blickte er lächelnd auf den Bildschirmschoner, der vom Monitor leuchtete. Im Augenblick war es die Tudor-Rose, eine Mischung aus der weißen Rose von York und der roten Rose von Lancaster, eines seiner Lieblingsmotive.

Er rief die Website seines Unternehmens auf. Seine Mutter wusste nichts von dieser außerdienstlichen Beschäftigung. Die Arbeit machte ihm ungeheuer viel Spaß. Und er verdiente damit eine ordentliche Stange Geld.

Auf dem Bildschirm erschienen satte Blau- und Burgundertöne |36|– eine kolorierte Frottage, die einen Ritter in voller Rüstung zeigte, dazu eine Dame mit wallendem Gewand und spitzem hohem Hut.

 

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