Steve Doherty tätschelte Honey beschwichtigend die Schulter, ehe er ging. »Ich kann gar nicht glauben, dass du dich so über den Mann aufregst. Komm schon. Nimm’s leicht.«
»Ich kann nichts dagegen machen. Hast du gesehen, wie der Typ die ganze Zeit gelächelt hat? Ununterbrochen! Dabei ist gerade seine Kusine ermordet worden, verdammt noch mal!«
»Entspann dich. Wenn sich hier der Nebel gelichtet hat, entführe ich dich irgendwohin, weit weg von all dem. Was hältst du davon?«
»Danke, aber ich bin diesen Monat bereits einmal entführt worden.«
»Wie bitte?«
Sie wollte wirklich nicht in allen Einzelheiten erklären müssen, warum sie überhaupt auf das Motorrad eines Wildfremden gestiegen war. Im Nachhinein betrachtet, war das Ganze völlig wahnwitzig gewesen. Es hätte ihr alles Mögliche zustoßen können.
»Ja, so was Ähnliches.«
Er warf ihr einen forschenden Blick zu, der sie so beunruhigte, dass sie ihm einfach alles, restlos alles erzählen musste.
»Ich habe dich da neulich abends mit dieser sportlichen Blondine joggen sehen. Ich wollte nicht von euch bemerkt werden. Da bin ich spontan bei ihm aufgestiegen. Das war der Grund.«
Er schwieg beharrlich, während sie die Motorradfahrt beschrieb. Nur sein Stirnrunzeln verriet ihr, dass er über eine Antwort nachsann.
»Das war eine Kollegin. Wir waren im Dienst.«
»Ich habe dich nicht gefragt, wer sie war.«
»Das war auch nicht nötig. Du bist eine Frau, also von Natur aus neugierig.«
|124|Sie beschloss, ihm dafür nicht den Kopf abzureißen. Das wurde ja immer interessanter. Irgendwann würde er schon verraten, warum er und die Blondine mitten in der Nacht joggten.
Immer schön die Ruhe bewahren, einen klaren Kopf behalten.
»Wo ist dein Auto?«
Steve wollte gerade antworten, als ein Motorrad auf sie zugefahren kam, plötzlich abdrehte und in einer blauen Rauchwolke verschwand.
Honey hatte das schwarze Zweirad wiedererkannt.
»Der war’s!«
Doherty war schockiert. »Wie bitte?«
»Er. Der Typ, der mich entführt hat. Er fährt immer so wild, gibt an, wie das Biker manchmal machen. Die komplette Macho-Nummer. So nach dem Motto: meiner ist größer als deiner. Mein heißer Ofen, also das Motorrad, meine ich.«
Inzwischen war Steves Miene finster und ein bisschen furchterregend geworden. Welches Zauberwort hatte sie gesprochen?
»Hast du das Nummernschild erkannt?«
Sie schüttelte den Kopf.
»Du bist sicher, dass das der Mann war, der dich entführt hat?«
»Absolut.«
»Hast du ihn schon mal woanders gesehen?«
Sie nickte. »Ja, hier und da. Meistens, wenn ich gerade eine Straße überqueren will. Und ich glaube, ich habe ihn auch schon vor dem Hotel rumhängen sehen.«
Plötzlich kam ihr ein Gedanke. Lindsey musste ihn doch auch bemerkt haben. Komisch, dass sie nie etwas erwähnt hatte.
Doherty schloss die Augen und rieb sich die Stirn. »Großer Gott!«
Als er erneut aufblickte, hatte er wieder diesen merkwürdigen Gesichtsausdruck. Er schaute überall hin, nur nicht in ihre Augen. »Komm, ich bringe dich jetzt nach Hause.«
»Aber ich hatte gedacht, wir würden etwas essen gehen, auf einen Drink oder sogar …«, sie holte tief Luft, »… zu dir nach Hause?«
Sie versuchte, sich bei ihm unterzuhaken. Er schob sie brüsk |125|von sich. Gleichzeitig schaute er sich nervös um. Seine Augen suchten etwas … Vielleicht auch nicht.
»Lass ihn bloß nicht mitkriegen, dass wir uns nahestehen.« Noch immer schaffte er es nicht, ihr in die Augen zu schauen.
»Na ja, wenn du meinst …«
»Sei mir bitte nicht böse.«
Bei seinen nächsten Worten brannten ihr die Ohren.
»Ich muss dir was erklären. Aber erst, wenn wir im Auto sitzen.«
Bei einem Kaffee aus dem Pappbecher erläuterte er ihr die Sachlage.
»Es gibt da einen Kerl, den ich hinter Gitter gebracht habe. Er heißt Warren Price und sinnt auf Rache. Einem Mitgefangenen hat er erzählt, seine Gefühle wären zutiefst verletzt worden. Seine Liebste hat ihn verlassen, während er im Kittchen saß, und mir gibt er daran die Schuld. Also ist es wohl seiner Meinung nach nur fair, wenn auch ich eine Frau verliere, die mir nahesteht. Ich wollte dich nicht beunruhigen. Bitte verlange nicht von mir, dass ich dir seine Logik erkläre. Warren Price hat nämlich keine.«
»Das klingt ziemlich schrecklich«, meinte Honey und rang sich ein nervöses Lachen ab.
Steves Miene blieb ernst. »Das ist überhaupt nicht komisch. Sonst hätte ich nicht so viel Abstand von dir gehalten.«
Da war wohl noch etwas anderes, das er ihr nicht erzählte. Sie konnte es ihm von den Augen ablesen.
»Ist schon was passiert?«
Nach kurzem Zögern nickte er. »Die Polizistin, mit der ich joggen war, liegt im Krankenhaus. Gestern Abend hat er sie erwischt, als sie allein unterwegs war. Zum Glück wurde er von jemandem überrascht. Sie ist nicht in Lebensgefahr.«
Honey dämmerte die Wahrheit. »Der Kerl lauert mir auf? Du glaubst, er könnte der Typ auf dem Motorrad sein?«
Steve nickte. »Schon möglich.«
Nun wandte er seine Aufmerksamkeit wieder dem Verkehr zu, der um den Queen Square brandete. »Hast du sein Gesicht gesehen?«
Doherty pustete auf seinen dampfenden Kaffee, während er sich die Hände an dem Pappbecher wärmte. »Beim nächsten Mal versuche bitte das Nummernschild zu erkennen – aber sei vorsichtig. Wenn es wirklich Warren Price ist, dann ist er gefährlich. Richtig gefährlich.«