Kapitel 25

Der Leinenstoff, den Jodokus seiner Frau mitgebracht hatte, reichte für drei Kinderkittel unterschiedlicher Größen. »So muss ich mir keine Gedanken machen, wenn das Dämonenkind wachsen sollte«, murmelte Karoline und besah sich die Kleidungsstücke. Der grobe Stoff hatte die blasse Farbe wie das Korn im Herbst. »Sieht langweilig aus«, befand Karoline und warf einen Blick auf das rötlich glänzende Garn, das auf dem Tisch neben der Schere lag. »Ich könnte eine kleine Bordüre … nein!«, schalt sie sich wegen ihrer Gedanken erschrocken. »Das kann ich unmöglich wollen.«

Obwohl ihr Verstand sie davon abhielt, die Kittel mit einer Ziernaht zu schmücken, kribbelte es in ihren Fingern, es doch zu tun.

Sie trat zwei Schritte vom Tisch zurück und vergrub die Hände in ihren dunklen Haaren. Dabei lösten sich vereinzelte Strähnen des feinen Zopfs, den sie seitlich geflochten hatte. »Mist«, schimpfte sie und versuchte die Haare zurückzustecken. Dabei fiel ihr Blick erneut auf das Garn. »Jodokus wird mich steinigen«, seufzte sie und kaute nervös auf ihrem linken Daumennagel. »Er wird es nicht mitbekommen«, überlegte sie, denn seit dem heftigen Krach zwei Tage zuvor verbrachte ihr Mann nur wenig Zeit mit ihr.

Sie rieb unruhig die Hände aneinander. Schließlich gab sie ihrem inneren Drang nach und setzte sich an den Tisch. Mit zittrigen Fingern nahm sie das Garn auf und fädelte den feinen Faden durch das Nadelöhr. Nachdem sie mehrmals ein- und ausgeatmet hatte, stach sie die Nadel durch den Stoff. »Raus und rein, raus und rein«, murmelte sie, während sie mit geschickten Fingern die Kante des kleinen Stehkragens verzierte. »Das wird ihn schmücken«, dachte sie und merkte, wie ihr im selben Augenblick der Schreck durch die Glieder fuhr. »Was habe ich gesagt?«, fragte sie sich und blickte ungläubig auf ihre Arbeit. »Diesen Kittel, den ich mit Liebe verziere, wird nicht Michael tragen, sondern das Dämonenkind«, sprach sie zu sich selbst und griff nach der Schere, um ihr Werk zu zerschneiden.

Aber das weißt du doch, schien ihr eine innere Stimme zu entgegnen. Michael ist fort und wird nicht wieder zurückkommen. Statt seiner lebt nun der Wechselbalg in deinem Haus, glaubte sie eine Stimme flüstern zu hören. Sie ließ die Schere fallen, als ob sie glühte. »Ich werde wahnsinnig!«, wisperte sie und vergrub ihr Gesicht in beiden Händen. Ihre Gedanken ließen sich nicht ordnen und sprangen hin und her. Eine vereinzelte Träne rollte über ihre Wange, die sie wegwischte, um erneut auf das verzierte Kleidungsstück zu blicken. Karoline besah sich ihre Arbeit. »Es kann nichts Schlechtes daran sein, wenn das Wesen einen neuen Kittel bekommt, zumal sein alter viel zu kurz geworden ist«, beruhigte sie sich selbst und vollendete ihre Arbeit. Dann stand sie entschlossen auf, zog den Schlüssel aus ihrem Ausschnitt hervor und ging zur Kellertür.

Das Kind zerrte an der Kette, aber das Eisen gab nicht nach. Mit angehaltenem Atem blickte es zu dem Loch oben in der Decke empor und wartete, ob es wieder das Zwitschern hören konnte. Doch es vernahm nur das Pfeifen des Windes, und diese Geräusche gefielen ihm nicht. Stattdessen drang kalte Luft aus der Deckenöffnung, sodass es erbärmlich fror.

Es krabbelte zurück auf sein Lager und versuchte, mit seinem Kittel die Füße zu bedecken, doch der Stoff reichte nicht aus. Auch die Decke war zu kurz, denn wenn es sie um die Beine schlang, fehlte sie an seiner Brust. Klagend rutschte das Kind näher zur Wand, als sein Bauch ein knurrendes Geräusch von sich gab. Es schaute zur Treppe, als der Schlüssel im Schloss knackte. Vor Freude wackelte das Kind mit dem Kopf hin und her.

Karoline stieg die Stufen hinunter und spürte die Kälte, die im Keller herrschte. Auch roch sie den Gestank von Moder und Kot, sodass sie angewidert die Nase rümpfte und durch den Mund atmete. Als sie das zitternde Kind erblickte, das sich frierend über die Arme rieb, sagte sie: »Der Schnee hat den Winter zurückgebracht.« Doch sie wusste, dass es auch im Hochsommer im Keller kühl und feucht bleiben würde. Karoline ging auf das Kind zu, das sie wie jedes Mal mit leerem Blick ansah. Sie räusperte sich einige Male, um seine Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, und hielt ihm den neuen Kittel vors Gesicht.

»Für dich«, sagte sie und befahl: »Zieh ihn an!«

Als der Balg sich nicht regte, sondern weiter vor sich hin stierte, warf sie ihm den Stoff zu und ging zur Treppe.

Sofort grunzte das Kind: »Mutr!«

Karoline verharrte in ihrer Bewegung und schloss für einen Augenblick die Augen. Das hast du von deiner Gutmütigkeit, Karoline Schildknecht, schimpfte sie in Gedanken mit sich und wandte sich dem Kind wieder zu. »Du bist wohl zu blöd, um dir den Kittel überzustreifen«, blaffte sie und hob das Kleidungsstück auf. Sie zeigte ihm, dass es die Arme zur Decke strecken sollte.

Das Kind ahmte mühsam die Bewegung nach. Als Karoline jedoch den alten Kittel anfasste, um ihn über seinen Kopf zu ziehen, schlug es schreiend um sich.

Karoline ließ erschrocken von ihrem Vorhaben ab und sah, wie sich das Kind mit schreckensweiten Augen so dicht an die Wand presste, als ob es hineinkrauchen wollte. Sie schaute den Balg grimmig an, denn sie verstand nicht, warum er sich so aufführte. »Warum schreist du, statt dich zu freuen? Schließlich habe ich mir Mühe gegeben und für dich diesen Kittel genäht. Doch du bist undankbar und willst das neue Kleidungsstück nicht anziehen.« Karoline war enttäuscht, dass das Kind sie nur regungslos anstarrte und den schmutzigen Daumen in den Mund steckte. Als plötzlich sein Magen laut knurrte, musterte Karoline es ungläubig. »Es kann nicht sein, dass du schon wieder Hunger hast. Du hast erst dein Frühmahl bekommen«, stöhnte sie. Sie musterte das Kind, das den Oberkörper hin und her wiegte. »Vielleicht zeigst du mehr Begeisterung, wenn du satt bist«, sagte sie seufzend und stieg die Treppe hinauf.

Kaum schloss sich die Tür hinter ihr, zog der Balg den neuen Kittel über seine kalten Füße.

Seltsam, dachte Karoline, als sie die Steckrüben zerkleinerte. Zeitweise hat es den Anschein, als ob das Dämonenkind kleinwüchsig bliebe, doch dann schießt es in die Höhe. Nur dicker wird es nicht, und dabei stopft es unentwegt Essen in sich hinein. Jetzt ist nicht einmal Mittag, und sein Magen knurrt schon wieder, obwohl es heute früh eine große Schüssel voller Brei gegessen hat. Das Dämonenkind frisst uns, wie Jodokus sagt, die Haare vom Kopf.

Sie briet gerade Speck in einer Pfanne, als ihr Mann die Küche betrat. Mit mürrischem Blick sah er auf das geschnittene Gemüse. »Schon wieder Steckrübeneintopf«, stellte er fest und brummte: »Das Futter kommt mir mittlerweile zu den Ohren heraus.«

»Heute werde ich es mit geschmolzenem Fett verfeinern«, erklärte Karoline und versuchte zu lächeln. Als sie seinen abweisenden Gesichtsausdruck sah, fügte sie bissig hinzu: »Es ist nicht meine Schuld, dass unsere Speisekammer nach diesem langen und harten Winter fast leer ist.«

Jodokus blickte auf und seufzte. »Es wird Zeit, dass sich das Wetter ändert, damit wir die Felder bestellen und den Garten bepflanzen können. Doch solange es so kalt ist, erfriert uns alles.«

Plötzlich stutzte er. »Es ist noch keine Mittagszeit, und du kochst bereits das Essen. Hast du etwas vor, wovon ich nichts weiß?«

Karoline senkte den Blick in den Kochtopf und rührte emsig in der Brühe. Sie wusste, dass Jodokus auf eine Antwort wartete, denn er trommelte mit den Fingern auf die Tischplatte. »Was verschweigst du mir?«

»Nichts, mein Lieber! Ich wollte nur fertig sein, falls du früher Hunger bekommen solltest.« Sie wusste, dass ihre Antwort nicht überzeugend klang. Deshalb erklärte sie kleinlaut: »Der Balg hat großen Hunger. Ich denke, er wächst wieder.«

Kaum hatte sie die Wahrheit ausgesprochen, schlug ihr Mann mit der Faust auf den Tisch, sodass sie zusammenzuckte. »Ich kann dieses Wort nicht mehr hören!«, schrie er. »Und ich will es auch nicht mehr hören. Erwähne ihn in meinem Beisein nie wieder, sonst vergesse ich mich! Hast du mich verstanden?«

Karoline nickte.

Jodokus sah das kreidebleiche Gesicht seiner Frau und ließ die Arme sinken. Mit müden Bewegungen strich er sich durch sein ergrautes Haar. Was soll nur aus uns werden?, dachte er, und seine Augen wirkten traurig.

»Ich werde an die frische Luft gehen, um einen klaren Kopf zu bekommen. Vielleicht gelingt es mir, in der Nisse einen Fisch zu fangen, damit wir endlich wieder etwas Anständiges essen«, sagte er und verließ mit hängenden Schultern die Küche.

Kaum schloss sich die Tür hinter ihm, ließ sich Karoline auf einen Stuhl fallen. Als sie spürte, wie ihre Nasenflügel von den aufsteigenden Tränen brannten, presste sie die Lippen aufeinander. »Nein, ich werde nicht heulen. Jodokus kann nicht so tun, als ob er das Leid der Welt allein auf den Schultern tragen würde. Auch ich leide, auch ich trauere täglich über den Verlust unseres Sohnes. Deshalb kann ich das Dämonenkind aber nicht verhungern lassen«, entschied sie und warf die Steckrübenstücke in die Brühe.

Mit der Schüssel, in der der heiße Steckrübenbrei dampfte, stieg sie vorsichtig Stufe für Stufe hinunter in den Keller.

Der Balg saß an der gleichen Stelle, so als ob er sich die ganze Zeit nicht bewegt hätte. Starr blickte er auf einen Punkt an der gegenüberliegenden Wand und nuckelte am Daumen. Er schien nicht wahrzunehmen, dass Karoline zurückgekommen war. Da sie wusste, dass das Dämonenkind kein Gespür für die Wärme der Speisen hatte und sich regelmäßig daran den Mund verbrannte, setzte sie sich auf die untere Treppenstufe und wartete, bis der Brei abkühlte. Hatte es schon immer solche blauen Augen?, überlegte Karoline, als sie das Gesicht des Balgs betrachtete. Seine hellen Haare, die sie an ihren Sohn erinnerten, reichten ihm bis zum Gesäß. Die Locken waren strähnig und verfilzt und sicher voller Ungeziefer. Man müsste ihn baden und ihm den Kopf scheren, überlegte Karoline. Sie verwarf den Gedanken aber schnell wieder, als sie daran dachte, wie ihr Mann reagieren würde. Jodokus müsste mir helfen, aber ihn brauche ich nicht zu fragen, dachte sie und stellte dem Wesen die Schüssel mit dem lauwarmen Brei vor die Füße. »Iss, damit ich dir endlich den Kittel überziehen kann.«

Während sie wartete, dass der Balg den Brei aufaß, setzte sie sich wieder auf die Treppenstufe und besah sich den Keller. Man müsste ihn reinigen, überlegte sie, als ihr Blick auf die schimmligen Essensreste fiel. »Aber wozu? In Kürze würde es wieder genauso aussehen«, murmelte sie, denn Dämonen aßen nur mit den Fingern. Mit einem Löffel wusste der Balg nicht umzugehen. Beim Versuch, mit einem Löffel zu essen, landete der Brei auf dem Boden und an den Wänden, nur nicht in seinem Schlund. Zwar hatte Karoline sich vor einiger Zeit einmal die Mühe gemacht, ihm zu zeigen, wie man einen Löffel benutzte. Schließlich hätte sie auch ihrem Sohn Michael die Handhabe des Essbestecks beibringen müssen. Aber bei dem Dämonenkind war jeder Versuch vergebens, und so hatte sie es entnervt aufgegeben. Seitdem stopfte sich der Balg das Essen mit allen Fingern gleichzeitig in den Mund und schmierte den Rest an die Wände, an seinen Körper, in die Haare, an die Decke – einfach überallhin. Deshalb roch es unten im Keller nicht nur nach seinen Fäkalien, die in jeder Ecke lagen, sondern auch nach verdorbenem Essen und nach Erbrochenem, denn der kleine Dämon hatte kein Gefühl dafür, wie weit er die Finger in den Hals stecken konnte, ohne würgen zu müssen.

Angewidert schaute Karoline das Kind an, das sich wieder den Brei in den Mund hineinstopfte, während ein Teil des Steckrübenmuses sein Gesicht verklebte. »So kann ich dir den neuen Kittel nicht überziehen. Du bist über und über mit Essen verschmiert«, sagte sie und ging nach oben, um kurz darauf mit einem feuchten Tuch zurückzukommen.

Sie nahm dem Kind die leere Schüssel fort und stellte sie außer Reichweite. Dann griff sie sich seine dünnen Ärmchen, sodass es nicht um sich schlagen konnte, und wischte mit hastigen Bewegungen über sein Gesicht und die Finger.

Das Kind wusste nicht, wie ihm geschah, und keuchte vor Schreck und Aufregung. Es sah Karoline entsetzt an und versuchte den Kopf wegzudrehen. Aber als es merkte, dass es sich nicht wehren konnte, brüllte es so heftig, dass es hustend nach Luft ringen musste. Tränen liefen über seine Wangen, die von dem reibenden Tuch feuerrot waren und brannten.

Karoline betrachtete sich das Gesicht. Als sie keine Reste des Breis mehr sehen konnte, ließ sie die Hände des Kindes los. Sogleich kroch es zur Wand.

»Stell dich nicht so an«, schimpfte sie. »Ich kann dir den neuen Kittel nicht über das verschmierte Gesicht ziehen.« Erneut nahm sie das Kleidungsstück hoch und zeigte es dem Kind. Ihre Finger fuhren über die Ziernaht am Kragen. »Sieh, wie schön das geworden ist. Ich werde dir helfen, den Kittel überzuziehen.«

Erneut hob Karoline ihre Arme in die Luft, um dem Balg zu zeigen, dass er es ihr gleichtun sollte. Verängstigt folgte der Blick des Kindes ihrer Bewegung.

»Nun mach schon! Wenn Jodokus mich bei dir erwischt, bekomme ich wieder Schelte«, bettelte sie.

Und tatsächlich hob das Kind seine Arme in die Höhe. Schluchzend ließ es zu, dass Karoline ihm den verdreckten Kittel auszog und den neuen über den Kopf stülpte. Dann drückte es sich sofort wieder gegen die Wand.

Karoline musterte das Kind. »Wenn dein Gesicht gewaschen ist, siehst selbst du menschlich aus.« Sie trat einen Schritt zurück und überlegte: »Man müsste auch deine zottelige Mähne scheren. So siehst du aus wie ein wildes Tier«, sagte sie und ging kopfschüttelnd wieder nach oben.