Kapitel 28

Zwei Tage später machten Badra, Kenneth und Graham sich zum Khamsin-Lager in der östlichen Wüste auf. Jabari und die anderen waren schon vorausgereist, während Kenneth noch Geschäftliches in Dashur zu regeln hatte.

Die gleißende Sonne neigte sich gerade am Horizont, als sie auf ihren Kamelen im Lager eintrafen. Badra hatte kein Wort über ihre Ängste verloren. Würde der Stamm sie verstoßen, wenn sie erfuhren, dass Jasmine Fareeqs Tochter war? Im Grunde war es ihr gleich. Jasmine war das Einzige, was zählte. Sie war stolz darauf, die Kleine zur Tochter zu haben, und das würde sie ihnen auch sagen.

Graham stieß einen tiefen lauten Pfiff aus, als die schwarzen Zelte inmitten der Wüste auftauchten. Er grinste. »Jetzt wissen sie genau, wer da kommt. Nur ich bin so unverschämt.«

Schlagartig schien das gesamte Lager sich in Bewegung zu setzen. Dunkelblau gewandete Gestalten huschten wie Ameisen im Wüstensand hin und her. Als sie am Rande des Lagers ankamen, bot sich Badra ein Anblick, der sie zutiefst rührte: Im Schatten eines ausladenden Dornenbaums stand Jasmine zwischen Elizabeth und Jabari, die sie jeder an einer Hand hielten.

Badra brachte ihr Kamel zum Stehen und ließ es vorn in die Knie gehen. Dann sprang sie ab und näherte sich vorsichtig ihrer Tochter. Jasmine sah sie an, und ihr Elfengesicht erstrahlte, als sie Badra wiedererkannte. So viele Veränderungen, so viele neue Gesichter, doch ihre Tochter stellte sich allem mit Mut und Stärke.

»Jabari hat Jasmine offiziell im Stamm als Tochter seines Herzens willkommen geheißen. Alle akzeptierten sein Edikt und nahmen Jasmine auf«, erzählte Elizabeth ihr auf Englisch.

Der Scheich blickte Badra in die Augen, und sie lächelte ihm dankbar zu. Dass er Jasmine unter seinen Schutz genommen hatte, bedeutete, dass niemand mehr auf sie herabsehen würde, wenn sie entdeckten, dass Fareeq Jasmines Vater war.

Badra kniete sich hin. Sie zitterte so sehr, dass sie kaum die Arme um ihre zarte kleine Tochter legen konnte. Und dennoch drückte sie sie an sich, als wollte sie Jahre der Trauer und der neuen Hoffnung aufholen. Dann wich sie ein kleines Stück zurück und strich Jasmine eine seidige schwarze Locke aus der Stirn.

»Jasmine, ich muss dir etwas verraten«, flüsterte sie. »Ich bin deine Mutter, nicht deine Schwester.«

Erst blinzelte die Kleine sie mit riesigen Augen an, dann lächelte sie begeistert. Es war, als würde die Sonne zwischen dunklen Wolken hervorleuchten. »Du bist meine Mutter? Sie haben gesagt, meine Mutter sei tot.«

»Da haben sie gelogen«, antwortete Badra mit belegter Stimme. »Du wurdest mir gleich nach deiner Geburt weggenommen. Aber das ist jetzt nicht mehr wichtig. Worauf es ankommt, ist, dass ich dir verspreche, dich nie, nie wieder gehen zu lassen.«

Eine warme Hand legte sich auf Badras Schulter. Sie blickte zu Kenneth auf, der sich neben sie hockte und lächelnd Jasmines kleine Hände nahm.

»Und wir haben noch eine Neuigkeit für dich, meine Kleine. Ich werde deine Mutter heiraten, also bekommst du auch noch einen neuen Vater. Bist du damit einverstanden?«

Jasmine betrachtete ihn ernst. »Ich glaube schon«, antwortete sie. »Ich mag dich. Du hast Zitronenbonbons.«

Lachend holte er die Bonbons aus seiner Tasche und gab ihr einen. Sie hielt ihn in der Hand, fiel Kenneth in die Arme und drückte ihre Wange an seine. Dann wich sie zurück, fuhr Kenneth mit der Hand übers Gesicht und erklärte feierlich: »Mir gefällt es hier, aber ich glaube, ich will noch lieber dich als Vater haben. Der Scheich ist überall so kratzig im Gesicht, wenn er mich umarmt.«

»Ach, da werde ich zugunsten eines weniger haarigen Engländers abgewiesen«, beschwerte Jabari sich lachend und strich sich durch den kurzgeschnittenen Bart.

»Sie hat eben Geschmack«, sagte Kenneth schmunzelnd.

Das Mädchen packte ihren Bonbon aus, steckte ihn in den Mund und schmiegte sich an Kenneth. So wie er jetzt schon mit ihrer Tochter umging, würde Kenneth zweifellos einen guten Vater abgeben, dachte Badra selig.

Graham, der die Hände unbeholfen in den Taschen seiner englischen Hose vergrub, begrüßte Jabari und Elizabeth und unterhielt sich kurz mit ihnen. Anschließend schlenderten der Scheich und seine Frau Arm in Arm ins Lager zurück. Kenneth ließ Jasmine los und stellte ihr Graham als ihren künftigen Onkel vor.

Die Kleine beäugte alle drei mit leuchtenden Augen. »Dann habe ich jetzt eine ganz richtige Familie!«, rief sie glücklich.

Badra schluckte den Kloß in ihrem Hals hinunter, und Kenneth zwinkerte ihr zu, während er schützend eine Hand auf Jasmines Schulter legte. »Und deine Mutter und ich werden dafür sorgen, dass du bald einen Bruder oder eine Schwester zum Spielen bekommst.«

Jasmine sah sie hoffnungsvoll an. »Wie bald? Morgen?«

Graham lachte leise, und Kenneth räusperte sich.

»Ähm, nein, ich fürchte, ein klein bisschen länger wird es schon dauern.«

Die Kleine runzelte die Stirn, was allerliebst aussah. »Warum dauert es länger? Könnt ihr euch nicht beeilen?«

»Ich verspreche dir, ich werde so schnell machen, wie ich kann.« Kenneth biss sich auf die Wange, um nicht zu lachen, als er bemerkte, wie Badra errötete.

Dann wandte er sich ernster an Graham. »Ich möchte allerdings nach England, sobald Badra und ich verheiratet sind.«

Graham zupfte an dem braunen Leinenstoff seiner Hose. »Die fühlt sich schrecklich eng an. Muss ich immer englische Sachen tragen?«

»Du gewöhnst dich daran«, versicherte Kenneth ihm. »Wir sollten nur dafür sorgen, dass der Schneider richtig Maß nimmt, dann geht es schon.«

Er sah wieder zu Badra. »Uns alle erwarten einige Veränderungen und Anpassungen. Ich kann nicht versprechen, dass es vollkommen problemlos wird.«

»Ich habe keine Angst«, sagte sie.

Hatte sie auch nicht. Der Schleier der Furcht war gelüftet worden. Sie konnte sich der englischen Gesellschaft stellen, dem Klatsch und den Gaffern. Ihr Leben fing gerade erst an, und sie war bereit, sich mit Kenneth auf die Reise zu begeben, wohin auch immer sie führen mochte. Sie blickte zu Graham, der still neben ihr stand. Ein Neuanfang für sie alle. Sie nahm Grahams Hand, dann Kenneths und zog die beiden wichtigsten Männer in ihrem Leben ganz nahe zu sich.

Sie waren nun eine Familie, und gemeinsam standen sie da und ließen sich von dem phantastischen Farbenspektakel des Sonnenuntergangs bezaubern. Der blasse Vollmond stand bereits tief am Himmel. Er hatte die Sonne aus ihrer luftigen Höhe vertrieben.

»Sieh nur«, sagte Kenneth leise, »der Vollmond. Dies ist deine Zeit, Badra. Der Mond enthüllt sein scheues Gesicht und flutet die Nacht mit seinem sanften Licht.« Er blickte zu Graham, der den aufgehenden Mond mit einem Ausdruck neuer Hoffnung betrachtete.

»Manchmal gibt es Geheimnisse, die zu schmerzlich sind, um sie in der grellen Sonne zu enthüllen. Einzig unter dem sanften, verlockenden Schein des Mondes treten sie ans Licht, um schließlich in der Dunkelheit zu verschwinden«, dachte Graham laut.

Kenneth bedankte sich stumm bei Badra, der das Herz vor lauter Freude überging. Graham hatte noch viele harte Kämpfe vor sich, aber er musste sie nicht allein ausfechten. Er hatte sich endlich von dem schrecklichen Geheimnis befreit, das ihn belastet hatte. Er war frei, seinen Bruder anzunehmen, den er verloren glaubte, sowie das Leben, das ihm bestimmt war. Er war ebenso frei wie Badra, die Kenneths Liebe von ihrer grausamen Vergangenheit befreit hatte.

»Freiheit!«, rief es ihnen aus dem säuselnden Wüstenwind entgegen, der über die Dünen fegte, und sie lauschten dem lieblichen Gesang, während sie alle drei ins Khamsin-Lager gingen.

Leidenschaft der Wüste: Sie suchte seinen Schutz - und fand die Liebe
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