Kapitel 17

Ein wahrer Sturm der Erleichterung überkam Badra. Sie blinzelte, weil sie fürchtete, er könnte bloß eine Fata Morgana sein. Aber Kenneth war immer noch da und blickte sie liebevoll an.

»Jasmine – ist sie in Sicherheit?«, fragte sie hoffnungsvoll.

Kenneth legte einen Finger auf ihre Lippen. Dann drehte er sich zu den Wachen um und befahl streng: »Lasst uns allein!«

Nachdem sie gegangen waren, sah er Badra an, als erwartete er, dass sie ihm etwas sagte. Er war so ernst, dass Badra nichts Gutes ahnte.

»Deine Tochter ist bei Jabari und sicher.«

Erschrocken riss sie Mund und Augen auf, während sie vergeblich versuchte, den Sinn seiner Worte zu begreifen.

»Deine Tochter, Jasmine – du machst das hier für sie, oder?«

»Sie ist meine Schwester …«, widersprach Badra.

Ihr Leugnen war zwecklos. Sie hatte ihm noch nie etwas vormachen können. »Nein, Badra, sie ist deine Tochter. Sie hat deine Augen, dein trotziges Kinn. Und dann das, was du über die Liebe einer Mutter sagtest. Sie ist die Tochter, die du mit Fareeq bekommen hast. Ich weiß es, Jabari auch.«

Eine entsetzliche Furcht packte sie. »Er auch? Ich hatte Angst, es ihm zu sagen. Jabari meinte einmal, gäbe es Kinder von Fareeq, würde er sie als seine Feinde betrachten und müsste sie vernichten.«

»Jabari war wütend, als er das sagte. Er würde nie, niemals irgendein Kind von dir verletzen«, erklärte Kenneth sanft.

Dann wartete er, bis sie ihm in die Augen sah, und holte etwas aus seiner Tasche. Im nächsten Moment baumelte ihm die goldene Halskette von Amenemhat II. von seiner Hand. Badra stockte der Atem.

»Warum hast du versucht, sie zu stehlen, Badra? Für Rashid?« Als sie verwirrt die Stirn runzelte, fügte er hinzu: »Rashid hat in London versucht, mich zu töten, während ich schlief.«

»Rashid würde dich nicht töten!«, entgegnete sie. Dann allerdings hielt sie inne. Sie erinnerte sich daran, wie die beiden sich in dem Antiquitätengeschäft beinahe geprügelt hätten.

»Vielleicht wollte er mich bloß verwunden, um zu sehen, ob ich immer noch ein Krieger bin. Hat er dich gebeten, für ihn zu stehlen?«

»Nein! Er wusste davon und … und versuchte, mich zu schützen. Es war Omar, der Besitzer des Pleasure Palace. Fareeq verkaufte Jasmine an Omar, nachdem sie mir erzählt hatten, sie sei«, ihre Stimme versagte kurz, »gestorben. Omar wollte mich und benutzte Jasmine, um mich hierherzulocken. Der Preis für ihre Freiheit war, dass ich ihren Platz einnehme oder dass ich die Ketten für ihn stehle. Als ich sie nicht bekommen konnte, musste ich meine Freiheit gegen ihre eintauschen.« Sie schluckte und fügte leise hinzu: »Es tut mir leid. Ich war verzweifelt.«

»Wieso hast du mir nichts gesagt? Ich hätte dir geholfen.«

»Und wie? Mit einem Überfall, bei dem Jasmine womöglich verletzt worden wäre? Sie haben mir gedroht, sie an einen reichen Mann zu verkaufen, falls ich es dir erzähle. Ich hätte sie nie wiedergesehen.« Sie erschauderte heftig.

Kenneth ließ die Halskette auf den Tisch neben dem Bett fallen. Dann nahm er Badras Hände, um sie zu beruhigen. Bei aller Courage könnte er sie nicht hier herausschmuggeln. Bewaffnete Eunuchen bewachten das Bordell. Es war wie eine Festung.

Sie wies ihn darauf hin und sagte leise: »Ich weiß, dass es unmöglich ist, weil ich als Kind zu fliehen versuchte und es nicht schaffte.«

Kenneth hingegen schien zuversichtlich. »Es wird nicht ganz leicht, dich hier herauszubekommen, aber es ist nicht unmöglich.«

Für einen Moment war sie voller Hoffnung, doch diese starb gleich wieder. »Nein! Du kannst mich nicht herausholen. Es ist zu gefährlich. Niemand kann mich retten.«

Kenneth schenkte ihr sein altvertrautes Grinsen. »Das hast du auch gesagt, als wir uns zum ersten Mal begegneten. Erinnerst du dich? Und erinnerst du dich, was ich erwidert habe?«

Sie lächelte scheu. »Die Khamsin versagen nie.«

»Damals nicht und heute nicht. Ich werde einen Weg finden. Aber ich fürchte, es wird ein wenig dauern.«

»Du hast genau einen Monat.« Sie wurde ernst und seufzte. »Hauptsache, Jasmine ist in Sicherheit. Das ist das Einzige, was zählt.«


Kenneth staunte über Badras enorme Courage – und ertrug die Resignation in ihrer sanften Stimme nicht. Ein Kloß bildete sich in seinem Hals. Er stellte sich vor, wie sie ihren Körper schützend über ihre Tochter beugte, die großen schokoladenfarbenen Augen verängstigt, aber entschlossen. Die Angst war wie ein Eisklotz in ihrem Innern, und doch überwand sie sie, verdrängte sie um Jasmines willen. Badra konnte kämpferisch sein wie eine Wildkatze, wenn es um etwas so Wichtiges ging. Sie hatte sich zur Sklavin gemacht, um Jasmine die Freiheit zu schenken.

Kenneth empfand eine tiefe Ehrfurcht vor dieser Liebe. Er berührte sanft ihre Hand, um sie nicht zu erschrecken. Gott, sie war schon verängstigt genug – und kalt! Eiskalt, als hätte er sie eben aus dem Meer gefischt.

Noch dazu hielt sie sich steif wie eine Alabasterstatue, wie sie da auf dem Bett hockte und die Hände in ihre Seidenhose krallte, dass die Fingerknöchel weiß hervortraten. Sie starrte ihn mit einem fragenden Blick an. Was nun?

Er wusste, was er tun wollte. Er wollte sie wärmen, von innen und von außen. Er wollte die Furcht mit einem zärtlichen Kuss aus ihrem Gesicht vertreiben. Er wollte fühlen, wie ihre Lippen unter seinen feucht und flehend wurden, und dann den Kuss vertiefen. Er wollte ihre Angst zum Schmelzen bringen, bis nichts mehr übrig war als hitzige, intensive Vorfreude. Er wollte sie dazu bringen, sich in Ekstase zu räkeln und zu stöhnen, wollte erleben, wie jene bezaubernde Stelle zwischen ihren Schenkeln unter den Liebkosungen seines Mundes und seiner Hände von ihrem süßen Nektar benetzt wurde. Und dann wollte er in ihr versinken und fühlen, wie sie sich fest um ihn schloss.

Er sehnte sich danach, in sie einzudringen, bis sie sich ihm entgegenreckte, bis seine Hitze sich in sie ergoss und sie nie wieder kalt würde. Und wenn er sie am Ende auf den Gipfel der Wonne brachte, wollte er ihren Schrei mit seinem Mund einfangen und von neuem beginnen, sie ohne Erbarmen lieben, bis sie sich erschöpft an ihn klammerte. Erst dann würde er sich erlauben, loszulassen.

Aber zuerst musste er die Wahrheit entdecken, die sie vor ihm verbarg, den wahren Grund, warum sie sich von ihm zurückzog. »Badra, zieh dich für mich aus und dreh dich um! Ich muss deinen Rücken sehen.«


Vor Schreck krampfte sich alles in ihr zusammen. Das, was sie am meisten an sich hasste, sollte sie ausgerechnet vor dem Mann enthüllen, den sie heimlich liebte? Die Vorstellung schnürte ihr die Kehle zu.

»Bitte, verlang nicht von mir, das zu tun! Ich kann nicht.«

Kenneth blickte sie zärtlich an und berührte sachte ihre Wange. »Ich will dir nicht weh tun, Kleines. Aber ich muss es wissen.«

Starr vor Angst saß sie da, während er ihr den Schleier herunterzog. Als er das Satinband löste, von dem ihr hauchdünnes Kleid gehalten wurde, ergriff sie zitternd seine Hand.

Er schüttelte sie mühelos ab und streifte das Kleid über ihre Schulter, so dass es herunterfiel und ihre Brüste entblößte. Mit riesigen Augen blickte sie furchtsam zu ihm auf.

»Khepri, bitte!«, flehte sie.

Ihre Stimme bebte, und Tränen liefen über ihre Wangen. Traurig schaute sie zu ihm auf, als er seine warmen Hände sanft auf ihre Schultern legte und sie umdrehte.

»Es tut mir leid«, flüsterte er, »aber ich muss es mit eigenen Augen sehen.«

Dann hob er ihre dichten schwarzen Locken über die eine Schulter. Sie zuckte zusammen und versuchte, sich ihm zu entwinden, doch er hielt sie fest. Im nächsten Moment fühlte sie seine warme Berührung auf dem Narbengewebe, das ihren Rücken musterte. Vor Scham errötete sie von oben bis unten und senkte den Kopf, während er die alten Wunden streichelte, für die sie sich bis heute abgrundtief schämte.

»Möge er in der Hölle schmoren«, sagte Khepri leise, »dieses fette Schwein!«

Badra zitterte und biss sich auf die Unterlippe. Die Erinnerungen schmerzten immer noch genauso sehr wie damals die Peitschenhiebe. Ihr Geheimnis war gelüftet.


Kenneth ging die Galle vor Zorn über.

Fareeqs unermessliche Grausamkeit war in Form weißer Streifen auf Badras zarter Haut verewigt. Der Scheich, ihr früherer Besitzer, hatte sie ausgepeitscht – sehr brutal sogar. Und Badra hatte Kenneth belogen. Ihrem gequälten Gesichtsausdruck nach zu urteilen, war sie diejenige, die sich für die Misshandlungen schämte.

»Was hat er dir noch angetan, Badra? Hat er dich auch vergewaltigt?«

Ihr zittriges Nicken bestätigte seinen Verdacht. Kenneth holte tief Luft, um seine Wut zu zügeln. »Wie alt warst du?«

Ein Schluchzen ließ ihre Schultern erbeben. »Ich w-war … elf.«

Er stieß einen lauten Fluch aus. Sie war erst ein Kind gewesen! Kenneth ergriff eine ohnmächtige Wut und Trauer, wenn er sich das liebliche Kind vorstellte, das sie gewesen sein musste, hübsch und anmutig. Und dieses Kind war missbraucht und gepeinigt worden, bis es nur noch ein Schatten seiner selbst war. Er dachte an ihre Angst- und Schmerzschreie, wenn Fareeq sie gezwungen hatte …

Verflucht! Warum hatte er es nicht begriffen? Weil er es nicht wollte, gestand Kenneth sich ein. Er wollte die brutale Wahrheit nicht sehen.

»Es tut mir leid, Khepri!«, schluchzte sie leise. »Jabari wusste davon, aber ich habe ihn gebeten, es niemandem zu sagen. Ich hätte es dir anvertrauen sollen. Ja, ich wünschte, ich hätte. Du hast mich stets beschützt, jeden meiner Schritte bewacht. Aber ich habe mich so … so geschämt.«

Sie zitterte heftig. Besorgt rieb er ihr den nackten Rücken, um sie zu beruhigen. Es tat ihm entsetzlich weh, mit anzusehen, wie sehr sie die Erinnerungen quälten. Ach, Badra!, dachte er. Ich schwöre dir, ich werde niemals zulassen, dass dir noch einmal Unrecht widerfährt, meine Liebe! Eine primitive maskuline Rage erfüllte ihn. Er wünschte, Fareeq wäre noch am Leben, damit er ihren Peiniger wie einen Wurm zertreten, ihn vor ihr auf die Knie zwingen und um Vergebung betteln lassen könnte. Auch wenn kein Tropfen ägyptischen Blutes in seinen Adern floss, hegte er den Beschützerinstinkt eines Khamsin, wenn es um ihre Frauen ging.

Er wollte sie in die Arme nehmen, doch sie erstarrte. Als sie sprach, klang ihre Stimme so hölzern, wie sich ihr Körper anfühlte.

»Also, du hast mich gekauft. Und dir steht etwas für dein Geld zu. Wenn du dann, bitte, schnell machen könntest.«

Sie streifte ihr Kleid und ihre Pantoffeln ab. Nackt setzte sie sich wieder aufs Bett und sah aus, als würde sie jeden Moment zusammenbrechen. Falls er sie jetzt auch nur berührte, zerbräche sie wie Glas. Wütend und hilflos fuhr Kenneth sich mit der Hand durchs Haar.

Als er keine Anstalten machte, über sie herzufallen, blickte sie zu ihm auf. »Warum hast du mich gekauft, Khepri?«

Warum? Weil sie die Liebe seines Lebens war, weil er von ihr träumte, ihren Duft im Schlaf wahrzunehmen glaubte und die Hände nach ihr ausstreckte. Weil er sie schon so lange liebte, dass sie sich in sein Herz eingebrannt hatte.

Aber er sprach keinen dieser Gründe aus. Stattdessen malte er mit dem Finger eine Linie auf das Laken und stellte sich dabei vor, ihre Wange zu streicheln. »Ich habe dich gekauft, weil ich alles tun würde, um dich davor zu bewahren, dass dir weh getan wird. Genau wie ich es vor langer Zeit schwor, als ich dein Falkenwächter wurde.«

Khamsin-Krieger lehrte man Disziplin und strikte Selbstbeherrschung. Und nun brauchte er beides mehr denn je. Mit Zärtlichkeit und sanfter Ermutigung wollte er Badra für sich gewinnen. Erst wenn sie freiwillig in seine Arme kam, würde er ihr zeigen, welche Wonnen sie dort erwarteten. Aber sie sollte den Zeitpunkt selbst bestimmen, und vorher musste sie begreifen, dass er sie liebte. Das wiederum könnte sie nicht, ehe sie nicht von ihm geliebt werden wollte.

»Hast du Hunger?«

Sie zögerte, sichtlich verunsichert. »Ja.«

»Gut. Zieh dich an, dann lass ich uns etwas zu essen bringen.«


Er bestellte ihnen ein Mahl, wie es einem Sultan gebührte. Nach all den Jahren wusste er, was sie mochte. Dienerinnen schwärmten herein und hinaus und trugen Schalen mit Badras Lieblingsspeisen herbei. Es kamen eine Platte mit geröstetem Lamm auf einem Reisbett, eine Schale mit frischen Orangen, Trauben, Datteln und Granatäpfeln, ein Korb mit warmen Brötchen unter einem blau-weiß karierten Tuch, flaches Brot und Ful Mudammas, eine Karaffe gesüßter Tee, ein kleines Schälchen Honig, schwerer Rotwein und zwei Kristallgläser.

Sie setzten sich gegenüber vom Bett auf Sitzkissen an einen niedrigen Mahagonitisch. Kenneth nahm sich eine Traube, biss hinein und genoss es, wie der süße Saft seinen Mund flutete. Genauso wäre Badra, dachte er – eine berauschende Süße auf seiner Zunge. »Du hast doch gewiss Hunger, und es ist genug für uns beide da«, sagte er freundlich.

Er konnte sehen, wie sie das Essen interessiert beäugte. Vorsichtig griff sie nach einer Dattel und knabberte mit ihren kleinen weißen Zähnen daran.

Allein ihre Nähe erregte ihn. Er könnte sie nehmen. Es war sein gutes Recht. Er hatte sie gekauft, und überdies wusste er, dass sie ihn manchmal auch wollte. Aber das war nicht seine Art. Sie sollte zu ihm kommen, warm und willig. Also wartete er. Er würde sich Zeit lassen – behutsam ihre Ängste abbauen, bis sie eine nach der anderen verschwanden. Erst dann konnte er die tiefe Quelle ihrer Sinnlichkeit erschließen und sie alles andere überfluten lassen, bis Badra dem Verlangen ihres Körpers nachgab.

Langsam aß Kenneth noch eine Traube, während eine Dienerin ihnen beiden Tee und nur ihm Wein einschenkte. Badra trank einen Schluck und stellte ihr Glas wieder ab. Immer noch beobachtete sie ihn wie eine gefangene Maus eine Kobra. Schließlich entließ er die Dienerin, die ebenso leise aus dem Zimmer huschte, wie sie hereingekommen war.

Er leckte sich einen Tropfen Traubensaft von den Lippen. Badra sah genau hin, eindeutig fasziniert. Kenneth sagte nichts, lächelte allerdings innerlich.

Der Jasminduft, den man Badra nach dem Bad ins Haar gegeben hatte, wehte ihm entgegen und weckte seine Sinne. Sein Blut begann zu kochen, und er erlaubte sich, die Vorfreude zu genießen.

Das Kinn auf die Faust gestützt, betrachtete Kenneth sie. Er wollte sie mit all seinen Sinnen auskosten, den sanften Schwung ihres langen schwarzen Haars beobachten, wenn sie den Kopf über ihr Essen beugte. Mit dem ganzen Körper wollte er in ihre Wärme eintauchen, jeden Millimeter ihrer seidigen Haut mit Küssen bedecken, sein Gesicht in der seidigen Masse ihrer langen Locken vergraben. Er wollte sie von oben bis unten mit seiner Zunge erforschen und ihr seine rasende Leidenschaft beweisen.

Das Mahl verlor jedweden Reiz, da er nur Badra allein sah, hörte und roch. Badra. Ein Fest für die Sinne. Wie ein seltener Madeira, so exquisit und reichhaltig auf der Zunge wie der edelste Wein.

Wieder nahm sie einen Schluck Tee, anschließend eine Dattel und dann eine Traube. Kenneth sah ihr zu, war verzaubert, als ihre winzige Zunge einen perlgroßen Tropfen Traubensaft einfing. Er presste die Hände in den Schoß, wo seine Erregung bereits deutlich zu fühlen war.

Plötzlich blickte sie ihn besorgt an. »Kenneth, du isst gar nichts. Und warum siehst du mich so an?«

»Ich sehe dir gern zu.« Er nippte an seinem Wein – ein französischer, und nicht einmal schlecht. Ihr vollkommener rosa Mund öffnete sich leicht. »Iss!«, sagte er leise. »Du musst am Verhungern sein.«

»Ich kann nichts essen.« Sie verschränkte fröstelnd die Arme vor dem Körper und schaute sich unglücklich um. »Dieses Zimmer … die Gerüche.«

Er stutzte, stellte sein Weinglas ab und schnüffelte. Tatsächlich. Er war so damit beschäftigt gewesen, sie anzusehen, dass es ihm vorher gar nicht aufgefallen war. Nun aber roch er es deutlich: kalter, muffiger Zigarettenrauch, abgestandenes Parfüm und der moschusartige Geruch von Sex. Prompt stand er auf, ging zu den Fenstern und wollte sie aufmachen. Sie waren verriegelt.

»Sie lassen sich nicht öffnen. So wollen sie verhindern, dass wir hinausspringen. Falls wir einen Herrn bekommen, der nicht so gut … riecht.«

Verwundert drehte er sich zu ihr um und sah, dass sie sich zur Veranschaulichung die Nase zuhielt. Kenneth lachte, und auch Badras Lippen wurden zumindest von einem scheuen Lächeln umspielt. Wie gern würde er diesen bezaubernden Mund küssen, ja, er sehnte sich geradezu schmerzlich danach, ihre wundervollen Lippen zu kosten. Stattdessen schenkte er sich Wein nach und auch ihr etwas ins Glas. Sie hob die Hand.

»Nur heute Abend«, sagte er, »danach kannst du besser schlafen. Glaub mir!«

Das Glas wackelte leicht, als ihre Finger sich um den filigranen Stiel schlossen. Sie trank einen großen Schluck und wich zurück, ihr Mund feucht vom Wein. Kenneth verspürte ein ebenso verzweifeltes Verlangen nach ihr wie vor Jahren. Aber er war kein neunzehnjähriger Heißsporn mehr, sondern ein Mann, der sich zu beherrschen wusste und seine Ehre als Krieger zu verteidigen hatte. Eine Spannung lag in der Luft, die fast mit Händen zu greifen war. Badra wandte das Gesicht ab und betrachtete die edlen persischen Wandteppiche.

»Warum hast du mich abgewiesen, als ich dich bat, meine Frau zu werden, Badra? Und diesmal möchte ich eine ehrliche Antwort.«

Für einen Moment war es ganz still. Schließlich seufzte sie so traurig, dass es ihm das Herz brach. »Wie konnte ich dich heiraten, Kenneth? Nach allem, was du jetzt weißt.« Ihre Stimme wurde eine Oktave tiefer. »Ich sagte Jabari, dass du ein guter Mann seist, der Besseres verdiene. Ich wusste doch, dass ich dir nie die Frau sein könnte, die du dir erwartest.«

»Die Frau, die ich mir erwarte?«

»Ich konnte nicht deine Frau werden, Kenneth«, flüsterte sie. »Ich habe Angst vor der … Intimität zwischen einem Mann und seiner Frau.«

»Ach, Badra!«, sagte er sanft und streckte die Hand aus. Doch sie wich zurück und vergrub ihr Gesicht in den Händen.

»Ich wollte dich nie beleidigen oder verletzen«, flüsterte sie mit tränenerstickter Stimme.

Ein Jahr lang hatte er sich bemüht, sie aus seinem Kopf zu verbannen, aber ohne Erfolg. Jeden Tag erschien ihr Bild wieder mit derselben Verlässlichkeit vor seinen Augen, wie die Sonne über der Wüste aufging. Heute jedoch sah er zum ersten Mal ihren unglaublichen Schmerz und ihre Angst. Warum hatte er sie vorher nicht wahrgenommen?

Aus Stolz, gestand er sich mit brutaler Ehrlichkeit. Er war gekränkt gewesen, weil sie ihn dreimal abgewiesen hatte. Und er hatte nie wirklich darüber nachgedacht, was in ihr vorgehen mochte.

Jetzt also konnte er nichts mehr verlieren. Als sie die Hände herunternahm, beugte er sich über den Tisch und hob behutsam ihr Kinn, damit sie ihn ansah.

»Beantworte mir eine Frage, Badra. Hast du mich je geliebt?«

Tränen glänzten in ihren Augen und ließen sie funkeln wie dunkle Edelsteine. »Wie konnte ich nicht?« Ihre gebrochene Stimme erschütterte ihn. »Deine Freundlichkeit, dein Humor, die Art, wie du stets meine Bedürfnisse über deine stelltest. Dein ausgeprägtes Ehrgefühl und deine Couragiertheit. Und wie du mich ansahst, mit einer Liebe, die niemals vergehen könnte. Die ganzen Jahre hast du dein Versprechen gehalten und mich nie berührt, obwohl du es wolltest – und ich weiß, wie sehr du es wolltest. Jener eine Kuss, den du dir stehlen wolltest … wie oft lag ich nachts im Bett und bedauerte, dich weggestoßen zu haben.«

Sie verstummte kurz und presste die Hände auf ihr Herz. »Mir war klar, dass ich dir nie sagen dürfte, was ich empfinde. Ich kann deine Leidenschaft nicht erwidern, und du verdienst eine leidenschaftliche Frau. Deshalb verschloss ich meine Liebe zu dir in meinem Innern wie ein kostbares Juwel. Ich liebte dich, seit du mich das erste Mal zum Lachen brachtest. Bevor ich dir begegnete, war ich tot. Du hast mich zum Leben erweckt. Ich träumte davon, dass du mich in deine starken Arme nimmst und mich lehrst, keine Angst zu haben. Unzählige Male fochten meine Angst und meine Träume in mir wie erbitterte Khamsin-Krieger, und stets siegte die Angst. Deshalb wies ich dich ab. Aber ich habe nie aufgehört, dich zu lieben.«


Kenneth bekam kaum noch Luft. So viele Jahre hatte er gedacht, sie würde seine Gefühle vielleicht nicht erwidern, in ihm lediglich einen guten Freund sehen! Ihm war, als würden ihre Worte wie winzige Funken seine Träume entfachen, die zu einem alles verzehrenden Feuer aufloderten. Ihre Liebe war da und ebenso groß wie seine. Sie hatte sie bloß in sich eingesperrt, fest versiegelt wie ein kostbares Gut und ihn abgewiesen, weil sie glaubte, er verdiente eine bessere Frau!

Ihr Leben breitete sich vor ihm aus wie die kargen Sanddünen der Sahara. Stets hatte sie sich Liebe gewünscht und sie zugleich gefürchtet. Deshalb baute sie Mauern um sich herum auf – um seine Zuneigung abzuwehren, als er sich vom freundschaftlich beschützenden Wächter zum leidenschaftlichen Verehrer wandelte.

Er wünschte sich inständig, er könnte den Schleier der Zeit fortreißen und sie so umwerben, wie sie es verdiente. Könnte er ihr doch nur zeigen, welche Freuden die Vereinigung von Mann und Frau barg, und ihre Furcht für immer vertreiben!

Kenneth wischte ihr sanft mit dem Daumen eine kleine Träne von der Wange.

Sie war verängstigt wie eine junge Stute, die erstmals einen Hengst witterte. Und er musste ihre Angst besänftigen.

»Nie wieder!«, sagte er heiser. »Ich verspreche dir, mein Kleines, ich werde nicht zulassen, dass dir ein Mann noch einmal weh tut, nicht solange noch ein Tropfen Blut in meinen Adern fließt!«

Badra schenkte ihm ein Lächeln, das ihm bis ins Mark ging. »Ich weiß, dass du mir helfen möchtest, Khepri. Aber es gibt Dinge, gegen die selbst dein Mut und deine Stärke nichts auszurichten vermögen. Du kannst mich nicht von hier retten, egal wie sehr du es versuchst.«

»Ich habe noch nicht einmal angefangen«, erwiderte er entschlossen.

Sie blickte verwirrt zu ihm auf, als er sich erhob. »Wo gehst du hin?«

»Zurück ins Hotel, um Jabari zu sagen, dass du in Sicherheit bist.« Er drehte sich um. »Verlass unter keinen Umständen dieses Zimmer! Ich werde eine der Wachen bestechen, auf dich aufzupassen, solange ich weg bin.«

Er schlug die Tür hinter sich zu und ging.

Leidenschaft der Wüste: Sie suchte seinen Schutz - und fand die Liebe
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