Kapitel 1

Im Osten der ägyptischen Wüste, 1889

Hilft mir denn niemand?

Wie ein nicht enden wollender Singsang wiederholte sich diese verzweifelte Klage in Badras Kopf. Zitternd kauerte sie hinter einem Kalksteinbrocken unweit einer kleinen Gruppe schwarzer Zelte aus Ziegenleder. Die Schlacht, die um sie herum wütete, verursachte einen ohrenbetäubenden Lärm: die Schreie von sterbenden Männern, das Triumphgeheul ihrer Feinde, die den Kampf für sich zu entscheiden schienen. Die zwei kriegerischsten Stämme Ägyptens – die Al-Hajid und die Khamsin, Krieger des Windes – lieferten sich eine blutige Schlacht.

Badras Freundin Farah lugte um den Stein herum. Die Sonne brannte erbarmungslos auf sie beide herab, der Wind trieb staubigen Sand über sie hinweg und ließ Farahs langes Haar flattern. Mit ihren zwanzig Jahren war sie fünf Jahre älter als Badra und entsprechend um fünf Jahre erfahrener und weiser. Dieser Fluchtversuch war ihre Idee gewesen.

Farah wandte sich zu Badra um, das Gesicht gerötet vor Nervosität. »Die Khamsin verlassen unser Lager. Jetzt ist es so weit!«

Badras Füße waren wie festgefroren im Sand. In der allgemeinen Verwirrung waren sie aus dem Haremszelt entkommen und hatten es bis außerhalb des Lagers geschafft. Doch wo immer sie auch hinliefen, Scheich Fareeq würde sie finden. »Du bist meine Sklavin, Badra«, hatte er ihr zugeraunt. »Und wenn du bis in die Sinai-Wüste fliehst, ich werde dich finden. Ich lasse meine Sklaven nicht frei – niemals!«

Farahs Stimme riss Badra in die Gegenwart zurück. »Bitte, lass uns loslaufen!«, flehte sie.

Tief in ihrem Innern fand Badra noch einen Rest Kraft, an den sie sich mit aller Macht klammerte. Farah und sie stürzten hinter den schützenden Felsen hervor.

Es herrschte das reinste Chaos, als eine Herde schneller großer Araberpferde an ihnen vorüberpreschte. Die Khamsin hatten sich ihren edlen Zuchthengst zurückgeholt und verließen das Lager der Al-Hajid. Das schöne weiße Pferd war am Sattel des Khamsin-Scheichs angebunden und galoppierte nun gen Heimat.

Farah zögerte nicht, sondern rannte hinter ihm her, Badra an der Hand mit sich reißend, und schrie dem Scheich nach, er möge anhalten.

Der Khamsin-Scheich brachte sein Pferd zum Stehen, das schnaufend die Nüstern blähte. Er war eine beeindruckende Erscheinung. Ein blauer Schleier hing über seinem Kinn und verhüllte seine Züge. Als er sich vorbeugte, funkelte Wut in seinen dunklen Augen, die allerdings wich, kaum dass Farah eine Hand auf seinen Unterschenkel in der weiten Hose legte.

»Bitte«, flehte sie ihn mit bebender Stimme an, »wir gehören Scheich Fareeq. Bitte, ich bitte Euch, Herr, nehmt uns mit, als Eure Konkubinen. Ich weiß, dass Ihr Jabari bin Tarik Hassid seid, Scheich der Khamsin, und ich hörte, Ihr seid ein gerechter und guter Stammesfürst.«

Badra blickte hoffnungsvoll auf und sah ihn nur flehentlich an, da sie keinen Ton herausbrachte. Der Scheich beäugte sie fragend, während zwei weitere Krieger – ein kleinerer kräftiger und ein großer schlanker – herangeritten kamen, so dass die beiden Frauen zwischen dem Scheich und ihren Pferden gefangen waren. Drei verschleierte Gesichter musterten sie bedrohlich. Badra zitterte schrecklich und fragte sich, ob sie bei diesen Männern womöglich ein noch weit fürchterlicheres Schicksal erwartete als bei Scheich Fareeq.

»Herr, was hält Euch auf?«, wollte der muskulösere Krieger wissen.

»Diese Frauen, Nazim. Sie bitten um Schutz als meine Konkubinen.«

Nazim lehnte sich auf seinem Pferd vor und sah die beiden Frauen verärgert an. »Dann gewährt ihn ihnen«, zischte er. »Aber wir müssen uns beeilen!«

Jabari sah erst zu Badra hinab, dann zu Farah, bevor er den anderen Mann fragte: »Khepri, mein Bruder, was meinst du? Ist das eine Falle, oder soll ich die beiden in meine Obhut nehmen?«

»Ein paar Konkubinen könntest du schon brauchen«, antwortete der Größere amüsiert. »Solange du dich mit ihnen im Bett vergnügst, machst du zumindest keinen Unfug.«

»Hüte deine Zunge, sonst schneide ich sie dir ab!«, knurrte Jabari, aber Badra hatte den Eindruck, dass er scherzte. »Nun gut«, sagte er zu den Frauen. »Ich biete euch Unterschlupf in meinem Haushalt.«

Der Khamsin-Scheich sah Farah an und nickte. Dann reichte er ihr die Hand und zog sie hinauf in seinen Sattel. »Khepri, nimm du die Kleine!«, befahl er. »Ich vertraue darauf, dass du sie mir sicher nach Hause bringst.«

»Komm, Kleine!«, rief der Krieger, den sie Khepri nannten.

Vor lauter Angst konnte Badra sich nicht rühren. Die Flucht war das Mutigste, was sie getan hat, seit sie vor vier Jahren, mit elf, an Fareeq verkauft worden war.

Eine dichte Staubwolke flog auf, als die anderen wieder losritten. Khepri winkte ihr zu, die Augen hinter seinem blauen Schleier verborgen.

Als sie weiter zögerte, blickte er sich über die Schulter zu ihr um. Wütende Schreie ertönten aus der Ferne – Rufe von Männern, die sich sammelten. Die Al-Hajid hatten sich vom Überraschungsangriff erholt und würden bald die Verfolgung aufnehmen. Khepri sprang elegant von seinem Pferd, kam auf Badra zu und reichte ihr die Hand. Badra sah furchtsam zu ihm auf und wich zurück. Er hatte denselben Bronzeteint wie die anderen Männer, die sie kannte, aber seine Augen waren leuchtend blau wie der ägyptische Himmel.

Er riss seinen Schleier herunter und enthüllte ein Gesicht, das Badra den Atem raubte. Sprachlos starrte sie ihn an. Seine Züge waren schmal, kantig, und das starke Kinn mit dem dunklen Bart verlieh ihm etwas Rohes, das nicht zu dem freundlichen Lächeln und dem sanften Klang seiner Stimme passen wollte, als er versuchte, Badra zu beruhigen.

»Ich bin Khepri bin Tarik Hassid, Bruder des Scheichs. Hab keine Angst, Kleines. Bei mir bist du in Sicherheit.« Die unglaublich blauen Augen blitzten auf einmal schelmisch. »Und ich verspreche dir: Jabari ist ein rücksichtsvoller Mann. Falls du allerdings doch irgendwelche Schwierigkeiten mit ihm bekommst, werde ich ihn aufs heftigste bestrafen.« Er zwinkerte ihr zu.

Ob es sein Scherzen war oder seine Freundlichkeit – etwas an ihm nahm ihr die Angst. Badra nickte. Im nächsten Moment hob er sie in seinen Sattel, als wöge sie nichts, und schwang sich hinter ihr aufs Pferd. Als er sie fest an sich drückte, erschauderte sie – wenn auch nicht vor Angst.

Sie galoppierten durch Felsschluchten und Wüstensand, bis sie schließlich die anderen einholten. Mit ihnen gemeinsam ritten sie endlos weiter und machten nur kurze Pausen, damit die Pferde verschnaufen konnten. Badra sprach kein Wort. Während der Rast beäugten die Khamsin sie neugierig und raunten sich unheimliche Bemerkungen zu.

»Fareeq hat unseren Zuchthengst gestohlen, also wird unser Scheich zur Rache Fareeqs Konkubinen nehmen. Jabari wird beweisen, dass er die Manneskraft besitzt, an der es Fareeq mangelt«, sagte einer der Männer.

Khepri, der Badra einen Ziegenlederbeutel mit Wasser reichte, runzelte die Stirn. »Musst du in Gegenwart dieser Frauen reden, als wären sie gar nicht da? Du findest so viele Worte, wie der Sturm Sandkörner hat, Hassan, aber der Sandsturm ist angenehmer für die Ohren.«

Badra bekam entsetzliche Angst, als die Männer lachten. Der Khamsin-Scheich würde sie sofort in sein Bett holen, um sich seinen Kriegern zu beweisen. Würde er ihr auch Gewalt antun? Sie war verzweifelt, als sie weiterritten.

Als sie am Khamsin-Lager eintrafen, blickte Badra sich mit großen Augen um. Blauverschleierte Frauen musterten sie neugierig. Farah kam zu ihr und lächelte ihr aufmunternd zu. Khepri geleitete beide zu einem großen Zelt. Eine Frau mittleren Alters stellte sich ihnen als Asriyah vor, die Tante des Scheichs, und hieß sie willkommen. Badra erhielt Wasser, um sich zu erfrischen, und frische Kleider. Dann brachte man sie zu einem weichen Bett. Kaum hatte sie sich auf die Matratze gelegt, schlief sie auch schon erschöpft ein.


Am nächsten Tag erwachte Badra verwirrt und unsicher. Sie schaute sich um. In der Nähe ihres Bettes standen ein niedriger Sandelholztisch und eine hübsche, reichverzierte Holztruhe. Der Boden war von dicken weichen Teppichen bedeckt. Dann fiel ihr alles wieder ein: Sie war im Khamsin-Lager. Und sie hatte einen neuen Herrn. Mit zitternden Händen strich sie über die Baumwolldecken. Trotz der gestrigen Versicherung Khepris konnte Badra nicht glauben, dass sie in Sicherheit war.

Selbst wenn Jabari freundlich war – Fareeq würde sie zurückholen. Sie war eine seiner Lieblingskonkubinen, und das einzige Mal, dass sie seinen Zudringlichkeiten entgehen konnte, war, als sie schwanger gewesen war. Der kinderlose Fareeq wünschte sich verzweifelt einen Sohn, deshalb hatte sie den heimlichen Pakt unter seinen Konkubinen gebrochen, ihm kein Kind zu gebären, und aufgehört, die Kräuter zu nehmen, die ihre Empfängnis verhüteten. Bei der Erinnerung an ihre schwierige Schwangerschaft und die zwei Wochen zu früh einsetzenden Wehen musste Badra schlucken. Ihr kleines Mädchen. Sie hatte das Kind in den Armen gehalten, fasziniert von dem winzigen kostbaren Lebewesen. Dann hatten sie ihr die Kleine weggenommen, und sie war eingeschlafen. Als sie aufwachte, sagte man ihr, Jasmine wäre zu klein und schwach gewesen und gestorben. Kaum hatte sie sich wieder erholt, begannen Fareeqs Vergewaltigungen und Auspeitschungen von neuem …

Badra umklammerte ängstlich das obere Ende ihrer Decke, als die gewebte Stofftür zu ihrer Kammer zur Seite gehoben wurde. Farah kam herein, verzückt lächelnd.

»Der Scheich hat mich mit auf sein Lager genommen! Er ist ein wundervoller Mann und hat mir Freuden bereitet, wie ich sie mir nie erträumt hätte. Er ist unverheiratet. Vielleicht nimmt er mich zur Frau.«

Badras Freundin besaß eine geschmeidige Grazie. Wie Fareeqs andere Frauen hatte sie es mit List geschafft, seiner Peitsche zu entgehen. Und sie lehrte Badra, wie sie Fareeqs Wutausbrüche eindämmte. Nun trat ein seltsamer Glanz in ihre dunklen Augen.

»Er will dich als Nächste. Und er ist sehr männlich.«

Badra fuhr zusammen. Sie dachte an die nächtlichen Besuche Fareeqs, die grobe Art, wie er sich in sie gedrängt hatte, bis sie schrie. Männer brachten keine Freuden, nur Schmerz.

Farah lächelte wieder. »Du musst gehen, Badra, sonst erzürnst du ihn. Willst du etwa zu Fareeq zurück?«

Furcht wand sich wie eine tückische Schlange um Badras Rückgrat. Wie könnte sie es ertragen, das Lager mit ihrem neuen Herrn zu teilen? Und doch hatte sie keine Wahl. Ihr Mund wurde unangenehm trocken.

Farah schwebte mit einem verträumten Gesichtsausdruck hinaus, und Asriyah kam herein. »Wie ich höre, ist dein Name Badra«, sagte die Tante des Scheichs. »Mir wurde aufgetragen, dich zu Jabaris Zelt zu bringen, sobald du bereit für ihn bist. Beeil dich!«

Badra wusch sich, zog sich an und ließ sich von der älteren Frau das Haar kämmen. »Du bist ziemlich hübsch«, bemerkte Asriyah. »Mein Neffe wird erfreut sein.«

Badra dachte mit Schrecken an das Entsetzliche, das ihr bevorstand.

Die Tante des Scheichs begleitete sie zum größten Zelt des Lagers. Badra zog ihre Sandalen aus, holte tief Luft und trat in die Hauptkammer des Zeltes. Auf dem dichten Teppich bewegte sie sich vollkommen lautlos. Die Zeltplanen waren teils hochgerollt, und ein sanfter Wind strömte herein. Jabari saß mit gekreuzten Beinen auf dem Boden, neben ihm jener Krieger, den sie Nazim nannten. Die Männer aßen Datteln aus einer Schale, unterhielten sich und lachten. Badra betrachtete ihren neuen Herrn. Er war deutlich jünger, als sie zuerst gedacht hatte, nicht viel älter als zwanzig. Auch sah er recht gut aus, war groß, und langes dunkles Haar hing ihm aus dem blauen Turban. Badra betete, dass seine ebenholzschwarzen Augen wieder etwas von der Wärme und Freundlichkeit ahnen lassen mochten, die sie gestern darin erblickt hatte.

Jabari sah auf. Ein sanftes Lächeln huschte über sein Gesicht und ließ ihn gnädig erscheinen.

»Nazim«, sagte er mit leicht heiserer Stimme, »lass uns allein!«

Der Krieger grinste, zwinkerte seinem Scheich zu und ging hinaus. Badra begann zu zittern. Mit einer Geste bedeutete Jabari ihr, sich zu ihm zu setzen, und bot ihr eine Dattel an. Sie nahm eine, während er redete. Seine Stimme war tief und beruhigend, auch wenn sie kaum etwas von dem wahrnahm, was er sagte. Schweiß rann ihr über den Rücken, und ihr Bauch krampfte sich zusammen, als er seine muskulösen Beine streckte und sich erhob. »Komm mit!«, sagte er und hielt ihr die Hand hin.

Der Scheich führte sie in eine der hinteren Kammern. Dort stand ein breites Bett an einer der Zeltwände. Sie wusste, was er wollte, und ihr Herz pochte wie verrückt.

»Zieh dich für mich aus!«, forderte er sie leise auf.

Ihre Handflächen wurden feucht, und Badra biss sich auf die Lippe, als ihr übel wurde. Aber wenn sie nicht gehorchte, könnte er sie auspeitschen, wie Fareeq es getan hatte. Die breiten Schultern des Scheichs ließen keinen Zweifel daran, dass er eine Peitsche weit kräftiger schwingen könnte als Fareeq. Sie war vollkommen hilflos.

Mit bebenden Fingern löste sie ihren blauen Kaftan, zog das Kamis darunter und die weiten Hosen aus. Nackt stand sie vor ihm, genau wie unzählige Male vor Fareeq, seit er sie im Pleasure Palace erstmals entdeckt hatte, jenem Bordell, an das ihre Eltern sie verkauft hatten. Der Scheich stand offenen Mundes da.

»Allah!«, sagte er heiser. »Du bist wunderschön.«

Sie hasste es. Hasste sich. Badra bemühte sich, die Angst zu verbergen, welche der lüsterne Glanz in seinen dunklen Augen ihr einjagte. Er legte eine Hand auf ihre Brust.

Nein! Nicht schon wieder! Sie konnte nicht. Voller Furcht schrak sie zurück und wandte sich ab. Doch sie konnte nirgends hin. Sie war gefangen. Instinktiv lief sie in die Ecke des Zelts, wo sie sich mit dem Gesicht zur Wand auf dem Boden zusammenkauerte, die Arme schützend um sich geschlungen.

Wenn sie sich ganz klein zusammenkrümmte und keinen Laut von sich gab, tat er ihr vielleicht nichts. Heftiges Zittern ließ ihren Körper erbeben.

»Badra, was hast du? Was tust du da?«, fragte der Scheich verwundert.

Badra kroch noch weiter in die Ecke, verlegen und beschämt. Sie konnte nicht anders.

»Hab keine Angst vor mir!«, sagte er.

Ein Luftzug strich über ihre Haut, als er ihr Haar anhob. Dann spürte sie eine warme Hand auf ihrem Rücken, die sich über die tiefsten Narben legte. Badra fuhr zusammen und steckte sich die Faust in den Mund, um nicht laut aufzuschreien.

Kein Laut. Wenn sie schrie, würde er umso fester zuschlagen.

»Allah!«, murmelte der Scheich hörbar schockiert. »Dieser fette, feige Bastard – was hat er dir angetan?«

Badra wimmerte.

»Bitte, Badra, komm aus der Ecke! Ich werde dir nicht weh tun.«

Lügen. Nichts als Lügen. Selbstverständlich sagt Ihr, dass Ihr mir nicht weh tun werdet, und dann tut Ihr es doch. Bitte, fasst mich nicht an! Ich ertrage es nicht.

Jabaris Worte verschwammen zu einem sinnlosen Brummen in ihren Ohren. Sie schaute sich zaghaft um und sah, dass er ihr ihre Kleider hinhielt. Noch eine List. Er bot ihr Kleidung an, die er ihr dann herunterriss, um sie zu schlagen – und dabei zu lachen.

Schließlich stand der Scheich auf. Sie hörte, wie er ging. Wenige Minuten später kam er zurück, und Badra hörte Farahs Stimme.

»Sie sagt kein einziges Wort. Was hat der Bastard diesem armen Mädchen angetan?«, fragte Jabari.

»Badra spricht seit Monaten mit niemandem. Sie war die Lieblingskonkubine unseres Herrn. Er genoss es … sie auszupeitschen.«

Farah hockte sich neben sie, und Badra wagte es, kurz zu ihr zu sehen.

»Badra, hör auf damit, bevor der Scheich wütend wird!«, flehte ihre Freundin sie flüsternd an. »Er ist ein talentierter Liebhaber, viel begabter als unser bisheriger Herr. Und nicht nur das. Der Penis des Khamsin-Scheichs ist auch viel größer als der unseres alten Herrn. Wie die riesigen Obelisken von Ägypten ist er …«

»Danke«, fiel der Scheich ihr trocken ins Wort, »du kannst jetzt gehen. Ruf Nazim herein!«

Er folgte Farah hinaus in die Hauptkammer des Zelts. Badra hörte die Schritte eines Mannes und eine tiefe amüsierte Stimme.

»Brauchst du Hilfe, Herr? Rat? Ich hätte gedacht, in dieser Angelegenheit kämst du ohne Anleitung aus.«

»Lass die Scherze, Nazim! Badra hat sich in eine Ecke verkrochen und will nicht wieder herauskommen. Farah versuchte, sie zu beruhigen – indem sie ihr sagte, mein Glied sei größer als die Obelisken Ägyptens.«

»Ah, fürwahr beruhigend – und gelogen noch dazu!« Nazim kicherte.

»Das Mädchen ist vollkommen verängstigt. Fareeq peitschte sie aus. Komm und sieh, ob dein sagenumwobener Charme bei ihr wirkt.«

Badra hörte, wie sie in die Schlafkammer kamen. Sie kniff die Augen zu. Wenn Jabari sie wollte, würde er sie zwingen. Was immer sie sagten, nichts könnte sie aus der flüchtigen Sicherheit dieser Zeltecke locken.

»Sieh sich einer an, wie sie zittert, die arme Kleine! Ich sollte diesem Schuft Fareeq einen Dolch für das ins Herz treiben, was er angerichtet hat«, sagte Nazim leise.

Badra öffnete die Augen und sah, wie der Mann sich über sie beugte, hörte, wie er beschwichtigend auf sie einmurmelte. In seinen seltsamen whiskyfarbenen Augen erkannte sie Mitgefühl, aber sie wusste, dass es vorgetäuscht sein konnte. Er berührte ihren nackten Arm.

Mit einem Aufschrei verkroch sie sich noch weiter in die Ecke.

Nazim seufzte tief. »Sie hat zu große Angst, Jabari. Ich rate dir, sanft mit ihr zu sein. Lass ihr Zeit!«

Sie hörte, wie er ging und der Scheich sich neben sie hockte.

»Mir scheint, wir kommen hier nicht weiter, Badra«, sagte Jabari ruhig. »Aber ich bin ein geduldiger Mann, und ich werde warten, bis du wieder hervorkommst – ganz gleich, wie lange es dauert.«


Zwei Stunden. Was stellte Jabari mit ihr an?

Er zählte jede Minute, seit der Scheich das neue Mädchen Badra in sein Zelt bringen ließ. Schließlich hielt er es nicht mehr aus. Er war in der Nähe von Jabaris Unterkunft und passte einem Esel neues Zaumzeug an. Verärgert sah er, wie zwei Krieger sich anzüglich zugrinsten und dann zum Zelt des Scheichs sahen. Es folgten deftige Bemerkungen über Jabaris Manneskraft, von denen manche nicht unbedingt positiv ausfielen. Jabari musste sich beweisen, immer noch. Er war erst dreiundzwanzig Jahre alt und hatte gerade einmal zwei Monate die Führerschaft inne. Indem er Fareeqs Konkubinen in sein Bett holte, sicherte er sich den Respekt seiner Krieger.

»Zwei Stunden! Unser Scheich ist ein starker Mann«, sagte einer.

Khepri verzog das Gesicht, worauf ein anderer Krieger prompt lachte und zu dem ersten sagte: »Sieh mal, sein Bruder überlegt bereits, wie er ihn übertreffen könnte! Ja, ja, stets entschlossen, der Beste zu sein. Wie ich hörte, sperren Väter ihre Töchter weg, wenn Khepri ins Dorf kommt. Sie haben gesehen, dass seine Gespielinnen tagelang nicht aufrecht gehen konnten, nachdem er bei ihnen war. Vielleicht macht unser Scheich mit seiner neuen Konkubine dasselbe.«

Khepri krampfte sich der Magen zusammen. Die kleine Konkubine namens Badra hatte vollkommen verängstigt gewirkt, und ihre dunklen Augen hatten buchstäblich um Hilfe gefleht. Mitgefühl und ein merkwürdiger Beschützerinstinkt regten sich in ihm. Auch er hatte vor Furcht gezittert, als er zu den Khamsin kam, noch benommen von den Todesschreien seiner Eltern.

Um seine Anspannung ebenso zu überspielen wie mögliche Paarungsgeräusche aus dem Scheichzelt, begann er zu singen. Er versuchte, nicht daran zu denken, was Jabari mit Badra anstellte. Sie gehörte dem Scheich, und er war ein Narr, sie zu begehren. Dennoch konnte er nichts gegen die Eifersucht tun, die sich wie ein Kaktusstachel in sein Innerstes bohrte.

Ihre Muskeln schmerzten, aber Badra wagte nicht, sich zu bewegen. Der Scheich studierte unterdessen einige Papiere. Lange würde Badra es nicht mehr aushalten, so zusammengekauert dazuhocken, aber nur so war sie sicher.

Draußen erhob sich ein entsetzlicher Lärm. Es klang, als würde jemand … singen? Sie wusste nicht, wie, aber sie glaubte, zu erkennen, dass der Sänger derselbe Mann war, der sie hergebracht hatte. Es war Khepri, und sein Gesang hörte sich schlimmer an als das Schreien eines Esels. Wie zur Bestätigung stimmte in diesem Moment ein Esel in sein Lied ein. Badras Lippen zuckten.

»Er klingt wie ein furzendes Kamel«, murmelte Jabari.

Der Krieger sang noch lauter, und nun stieß der Esel einen sehr unziemlichen Laut aus. Badra bemühte sich, nicht zu lachen.

»Dämliches Vieh! Ich bin der gefürchtetste Krieger in Ägypten! Hast du etwa keinen Respekt vor mir?«, brüllte Khepri hörbar verärgert.

Nun entfuhr Badra ein Lachen, und Jabari sah zu ihr.

»Er bringt dich also zum Lachen, ja?«

Sie konnte nicht umhin, ihn scheu anzulächeln.

»Badra, wenn du Khepri magst, kann ich ihn herholen. Ich würde es sehr genießen, dich noch einmal lächeln zu sehen. Gefiele dir das?«

Sie überlegte und knabberte dabei an ihrer Unterlippe. Khepri schien freundlich und rücksichtsvoll. Bei ihm fühlte sie sich sicherer als bei dem Scheich. Ihre Gedanken überschlugen sich. Der Scheich war offensichtlich ein sehr stolzer Mann. Er würde sie nicht vor Khepri züchtigen. Schließlich nickte sie.

»Wenn ich ihn hereinhole, musst du dich ankleiden und aus der Ecke kommen«, sagte er schmunzelnd.

Badra starrte zögernd auf die Kleider, die der Scheich ihr mit ausgestreckten Händen hinhielt. War das eine List? Da er sie aufmunternd anblickte, nahm sie hastig ihren Kaftan und zog ihn sich über.

Ihre Muskeln brannten wie Feuer, als sie aufstand, und ihre Knie fühlten sich an, als wollten sie jeden Moment nachgeben. Vorsichtig folgte sie Jabari in die Hauptkammer. Der Scheich ging zur Zelttür. »Khepri, komm sofort hierher! Deinen Krach hört man bis zum Sinai.«

Dann drehte Jabari sich zu ihr um. Sein Lächeln machte seine sonst strengen Gesichtszüge erstaunlich weich. Vielleicht war er doch kein Untier, dachte Badra.

Der Khamsin-Krieger kam finster dreinblickend ins Zelt.

»Entschuldige dich bei meiner Konkubine für deine Grobheit!«, befahl Jabari ihm. »Dein Singen hat ihr feines Gehör beleidigt. Es ist übler, als deinem Esel beim Furzen zuzuhören!«

Khepri schmollte, bis er bemerkte, dass der Scheich ihn angrinste. Darauf schenkte er Badra ein sehr charmantes Lächeln.

»Ich bitte dich um Verzeihung für den Lärm, den du anhören musstest, aber der Esel war der wirklich Ungezogene. Er glaubt nicht an die künstlerische Überlegenheit meiner Stimme, deshalb macht er sich über mich lustig – genau wie mein Bruder.« Er zwinkerte ihr zu.

Ein leises Kichern entwand sich Badras Kehle.

»Mein Schmerz amüsiert dich?«, fragte er sie. »Aber ich versichere dir, Jabari singt kein bisschen besser. Soll ich ihn bitten, es dir zu beweisen?«

»Bittet den Sänger nicht, zu singen, ehe er nicht von sich aus zu singen wünscht«, zitierte sie das alte arabische Sprichwort.

Diese Worte, die ersten, die sie seit dem Verlust ihres Babys und damit all ihrer Hoffnung aussprach, erschreckten sie, zumal ihre Stimme seltsam rauh und trocken klang. Jabari starrte sie mit offenem Mund an, wohingegen Khepri lächelte.

Nach und nach wich ihre Anspannung. Sie bemerkte, dass der Scheich zurückgetreten war, um ihr größtmöglichen Freiraum zu gewähren. Als er Khepri anwies, Nazim zu holen, und die Zelttür weit öffnete, hatte sie keine Angst mehr. Er machte keinerlei Anstalten, sie zu berühren. Stattdessen redete er ruhig und freundlich mit ihr.

»Badra, ich kann die Vergangenheit und was Fareeq dir antat nicht ungeschehen machen. Aber ich verspreche dir, dass dir so etwas nicht wieder geschehen wird, solange du in meiner Obhut bist.«

Nazim erschien und lächelte sie hocherfreut an. Der Scheich bat ihn und Badra, sich in der Nähe einiger aufgetürmter Kamelsattel hinzusetzen, wo sie außer Hörweite waren. Badra gehorchte ihm.

»Nazim, ich kann sie nicht zu meiner Konkubine machen. Ich habe sie nicht in mein Bett genommen und werde es auch nicht, nun da ich sah, was Fareeq tat. Farah wird mich, ähm, hinreichend unterhalten.«

Nazim sah besorgt aus. »Herr, die Männer denken, du bist mit ihr zufrieden, ist sie doch bereits seit zwei Stunden hier.«

Jabari runzelte die Stirn. »Wie ich sehe, habt ihr die Minuten gezählt.«

»Ja, jeder von uns«, bestätigte Nazim. »Der ganze Stamm spricht von deiner … erstaunlichen Fertigkeit. Wenn du sie nicht zu deiner Konkubine erklärst, beschämst du sie.« Sein Blick allerdings sagte: Du beschämst dich selbst.

Der Scheich seufzte und sah Badra an. »Dann, Badra, werde ich dich als meine Konkubine ausgeben, aber nur dem Titel nach. Du wirst mein Lager nicht teilen, stehst jedoch unter meinem Schutz. Verstehst du? Du gehörst Fareeq nicht mehr.«

»Ihr irrt Euch«, erwiderte sie heiser flüsternd. »Ich werde auf immer Fareeq gehören. Er wird nicht aufhören, nach mir zu suchen. Das bedeutet, dass Ihr und Eure Männer in großer Gefahr seid.«

Nazim legte eine Hand auf den Griff seines Krummschwerts und sprach: »Hör mich an, Badra! Wir sind seit langem mit den Al-Hajid verfeindet. Im Kampf konnten sie uns nie besiegen und werden es auch nie. Das schwöre ich wie alle anderen Krieger dieses Stammes!«

»Ihr könnt ihn nicht davon abhalten, mich zurückzuholen«, beharrte sie.

»Dann stelle ich dir einen starken Krieger zur Seite, der dich bewacht und auf Schritt und Tritt begleitet, damit du dich sicher fühlst«, sagte Jabari. »Khepri führt meine Saqrs an, meine Falkenwache. Ich ernenne ihn zu deinem Beschützer. Wo immer du hingehst, er wird bei dir sein. Er ist ein tapferer Kämpfer und genießt mein uneingeschränktes Vertrauen. Auch du solltest ihm vertrauen. Du bist nicht mehr Fareeqs Sklavin.«

»Fareeq wird dich nie wieder schlagen«, fügte Nazim hinzu. Seine bernsteinfarbenen Augen waren voller Mitgefühl, als er sie ansah.

Badra empfand eine tiefe Scham. Würden alle Stammesmitglieder sie künftig so ansehen? Sie könnte es nicht ertragen, wenn ihr dunkles Geheimnis bekannt wurde.

»Bitte, sagt es niemandem … was Fareeq mir angetan hat. Ich bitte Euch!«, flehte sie.

»Ich muss Khepri einweihen. Nur wenn er von deiner Vergangenheit weiß, wird er begreifen, wie wichtig es ist, dich zu schützen«, wandte der Scheich ein.

»Nein!«, rief sie. »Bitte, ich flehe Euch an, erspart mir die Schande!«

Die Schmach, wenn es jemand anders erfuhr, wäre viel zu groß. Alle würden sich angewidert abwenden und ihr die Schuld für das geben, was ihr widerfahren war.

»Wie du wünschst. Es wird diese Zeltwände nicht verlassen«, sagte er seufzend. »Ruf Khepri herein!«

Als Nazim ging, beugte Jabari sich vor. »Badra, wenn ich dir Khepri als deinen Beschützer gebe, musst du mir vertrauen. Wirst du es auch? Willst du es zumindest versuchen?«

»Ich werde es versuchen«, flüsterte sie. Khepri schien freundlich zu sein.

Ein Wirbelsturm unterschiedlichster Gefühle erfasste sie, als der junge Krieger hereinkam. In seinen fröhlichen blauen Augen lag ein gütiges Leuchten, als er sie betrachtete, und Badra bemühte sich, zu lächeln. Es fühlte sich an, als würde ihr Gesicht entzweibrechen, aber sie schaffte es.

Jabari entging ihr veränderter Ausdruck nicht, und er sah auf einmal sehr zufrieden aus. »Lass dich nicht von seiner jugendlichen Erscheinung täuschen. Khepri ist zwar erst neunzehn, ungestüm und skrupellos, aber ein tapferer und ein starker Kämpfer.«

»Das Ungestüme liegt bei uns in der Familie«, entgegnete Khepri mit einem frechen Grinsen, »ebenso wie das kämpferische Geschick.«

Nazim versetzte ihm einen freundschaftlichen Knuff. »Benimm dich, Junge, und behaupte nichts, was du nicht beweisen kannst!«

»Ah, der Wächter meines Bruders ist beleidigt, weil ich sage, dass Jabari ein besserer Krieger ist als er? Verzeih, aber ich sprach nur die Wahrheit aus«, konterte Khepri amüsiert.

»Das reicht!«, befahl Jabari scharf, wenn auch mit einem liebenswerten Lächeln. Die offensichtliche Verbundenheit zwischen den dreien wirkte beruhigend auf Badra.

Dann wurde der Scheich ernst. »Ich habe dich hergerufen, weil ich dich mit einer ganz besonderen Aufgabe betrauen will. Ich hatte Badra nicht in meinem Bett und werde sie auch nicht in mein Bett holen. Diese Information darf jedoch nicht nach draußen dringen. Für meinen Stamm gilt sie als meine Konkubine.«

»Du hast nicht? Wieso nicht? Sie ist wunderschön!«, platzte es aus Khepri heraus.

Jabari bedachte ihn mit einem strengen Blick, der ihm sagen sollte, dass ihn der Grund nichts anging. Der Krieger aber sah aus, als erwartete er trotzdem eine Antwort. Ängstlich suchte Badra Jabaris Augen.

»Sie ist zu jung und zart«, erklärte Jabari umsichtig. »Anders als mein Feind nehme ich Rücksicht auf die Frauen, mit denen ich mein Lager teile. Aber da der ganze Stamm denkt, ich hätte sie bereits genommen, ist es das Beste, wenn sie meine Konkubine bleibt.«

Er warf Badra einen kurzen Blick zu, und sie war ungemein erleichtert. Der Scheich hatte die Wahrheit gesagt, ohne ihr Geheimnis zu enthüllen. Ja, vielleicht konnte sie diesem Mann wirklich vertrauen.

Auch Khepri schien gleichermaßen überrascht wie erleichtert. »Natürlich«, sagte er feierlich. »Was soll ich tun?«

»Du wirst fortan für Badra verantwortlich sein. Es wird ganz allein deine Pflicht sein, sie zu bewachen und vor möglichem Schaden zu schützen. Für diese Aufgabe brauche ich einen Krieger, dem ich vertrauen kann, denn sie ist sehr hübsch, und viele Männer werden sie begehren. Du wirst dafür sorgen, dass kein Mann sie berührt.« Der Scheich machte eine kurze Pause und sah Khepri eindringlich an. »Kein Mann, auch du nicht. Ich erweise dir diese Ehre, weil ich weiß, dass du dich in deinen Krummsäbel stürzen würdest, um ihre Ehre und ihr Leben zu verteidigen. Hast du mich verstanden?«

Mit stolzgeschwellter Brust stand Khepri auf und legte eine Hand auf seinen Schwertgriff. »Ich habe verstanden, Herr«, erklärte er. »Ich werde Badras Ehre und Leben bis in den Tod verteidigen.«

»Gleich deinem Totem, der Kobra, wirst du ihre Feinde ebenso unerbittlich niederstrecken, wie du es bisher mit meinen getan hast«, sagte Jabari förmlich.

Ihre feierlich klingenden Worte sollten sie in Sicherheit wiegen, taten es aber nicht. Badra kannte Fareeq. Er würde sie holen kommen, und dann floss viel Blut – einschließlich ihres eigenen.

Die Nacht legte sich über das Lager der Khamsin, und der Wüstenwind seufzte leise über die Zeltwipfel hinweg. Badra war in ihrem Bett, und in ihrer Kammer brannte eine kleine Öllampe, die Asriyah ihr dortgelassen hatte. Leider vermochte das Licht die Schatten ihrer Ängste nicht zu vertreiben.

Sie wusste, dass er kam. Khepri hatte versichert, dass Fareeq keinen Anspruch mehr auf sie erheben würde, doch sie kannte Fareeqs Entschlossenheit und seine tiefe Abscheu davor, irgendetwas aufzugeben, das ihm gehörte. Wenn er sie nicht haben konnte, würde er sie töten. Verglichen mit den barbarischen Leiden, die sie unter ihm hatte erdulden müssen, war der Tod allerdings eine willkommene Erlösung. Der kalte Stahl einer tödlichen Klinge könnte ihr eher Freudentränen denn Angst in die Augen treiben.

Die nächtliche Kühle fuhr ihr bis in die Glieder. Sie spürte es, fühlte es in der Luft, so lähmend und bedrohlich wie eine dunkle Rauchwolke: Er würde kommen und sie holen.

Rufe hallten draußen, begleitet vom schweren Trommeln galoppierender Pferde. Badra schrak auf und zitterte furchtbar. Die Webtür ihrer Kammer flog auf, und Khepri stürmte herein, seinen Krummsäbel in der Hand. Er senkte das Schwert und winkte Badra zu sich. Sie sprang auf und eilte zu ihm. Ihr Nachthemd klebte an ihrem Körper.

»Die Al-Hajid sind da, um sich für unseren Überfall zu rächen. Jabari hat damit gerechnet, und ich soll an deiner Seite bleiben. Keine Angst, Kleines! Ich beschütze dich.«

Badra schwankte, und Tränen liefen ihr über die Wangen. »Fareeq ist mächtig. Eure Leute werden niedergemetzelt werden.«

Ein keckes Lächeln umspielte Khepris Mund, als er sein langes Krummschwert in die Höhe hielt. »Offensichtlich hast du noch nie Khamsin-Krieger im Kampf erlebt.«

Er hatte kaum zu Ende gesprochen, als ein Dolch die Zeltwand aufschlitzte. Badra schrie. Zwei Al-Hajid-Krieger preschten mit erhobenen Schwertern herein, die Grausamkeit blitzte in ihren Augen.

Khepri warf sich das Schleierende seines Turbans übers Gesicht, drückte den Griff seines Säbels kurz auf sein Herz und seine Lippen und stieß ein langgedehntes Geheul aus. Badra wusste, dass es sich um den Schlachtruf der Khamsin handelte. Dann stellte er sich vor Badra, so dass sein Körper sie abschirmte, und schwenkte seinen Säbel. »Sagt dem dreckigen, widerlichen Wüstenhund Fareeq, dass Badra ihm nicht mehr gehört. Sie ist jetzt eine Khamsin. Ich bin Kobra, ihr Wächter, und werde sie bis zum letzten Blutstropfen verteidigen, ehe ihr Schakale Hand an sie legt!«

»Soll uns recht sein«, höhnte der eine Krieger.

»Das werden wir ja sehen«, erwiderte Khepri ruhig und stürzte nach vorn.

Badra krümmte sich ängstlich, während er mit beiden Männern gleichzeitig kämpfte. Das schrille Klirren von Metall an Metall dröhnte in Badras Ohren. Draußen ertönten Schreie und Säbelrasseln von den anderen Kämpfern. Sie wich zurück und kniff die Augen zu.

Plötzlich war alles still. Ängstlich öffnete sie die Augen und erblickte Khepri, der sich hochzufrieden zu ihr umwandte. Seine Feinde lagen tot zu seinen Füßen. Dann spähte er aus dem Zelt.

»Die anderen fliehen, diese Feiglinge!« Er wischte die Klinge seines Säbels an den Gewändern der Toten ab, bevor er die Waffe wieder in die Scheide steckte.

Dann sah er Badra freundlich lächelnd an. »Du bist jetzt sicher, Badra. Niemand wird dir etwas tun.«

Sie betrachtete die toten Männer auf dem Teppich und fühlte sich kein bisschen beruhigt. Fareeq würde es nicht bei einem Versuch belassen. Er würde weitere Männer nach ihr schicken, die sie zurück in sein schwarzes Zelt der Schmerzen brachten. Für einen kurzen Augenblick hatte sie sich erlaubt, Hoffnung zu schöpfen, doch sie schwand gleich wieder.

Ihr blieb nur eine Wahl. Die Rettung hing am Gürtel des jungen Khamsin-Kriegers. Ein einziger Stich seines Dolchs genügte, um ihr Herz zu durchbohren. Sie sprang vor und zog den Dolch aus seiner Scheide. Khepri bewegte sich mit einer Wendigkeit, die seinem Kobra-Totem alle Ehre machte. Als er die Klinge mit der Hand umschloss, sie ihr entwand und angewidert beiseite schleuderte, schrie Badra auf.

Heiße Tränen traten ihr in die Augen, und ängstlich blickte sie auf die Waffe. »Bitte, lass mich sterben, bevor weitere Männer von Fareeq kommen! Lass mich den Frieden des Todes fühlen, denn nur die Klinge wird mich von Fareeq befreien!«

»Nein, Badra«, sagte Khepri leise, ohne den Blick von ihr abzuwenden. »Du irrst dich. Der Tod ist nie die richtige Wahl.«

»Für mich schon. Ich kann nicht mehr als Sklavin leben.«

»Du hast jetzt ein neues Leben, Badra«, sagte er und trat einen Schritt näher, »und einen Beschützer.« In seinen blauen Augen leuchtete eine ernste Entschlossenheit auf. »Als Mitglied der Falkenwache habe ich geschworen, dich mit meinem Leben zu beschützen. Einen solchen Schwur leistet man nicht leichthin, und deshalb werde ich ihn bis ans Ende meiner Tage ehren.«

Aber seine Worte bedeuteten ihr nichts. »Du hast mir meine letzte Chance auf Frieden genommen«, flüsterte sie.

Voller Mitgefühl sah er sie an. »Nein, Badra. Du bist frei, dein Schicksal selbst zu bestimmen. Fareeq hat keine Macht über dich. Glaub mir, es gibt Neuanfänge. Ich weiß es, denn ich wurde nicht als Khamsin geboren.«

Auch wenn das, was er sagte, sie nicht umstimmen konnte, tat es sein ängstlicher Blick durchaus. »Deine Augen«, hauchte sie.

Er lächelte verbittert. »Alles, was man über meine Familie weiß, ist, dass sie Fremde waren, die durch die Wüste zum Roten Meer reisten. Ihre Karawane wurde überfallen, und sie wurden alle umgebracht. Ich erinnere mich kaum, aber Jabaris Vater, Tarik, erzählte mir die Geschichte, damit ich meine Eltern in ehrendem Andenken halte, denn sie starben, um mich zu schützen.«

»Was ist geschehen?«, fragte Badra.

»Als ich kaum vier Jahre alt war, griffen die Al-Hajid unsere Karawane an. Meine Eltern versteckten mich in einem großen Korb. Die Khamsin attackierten die Al-Hajid bei deren Abzug mit ihrer Beute, und sie nahmen ihnen den Korb weg. Ich zitterte vor Angst, als der Deckel geöffnet wurde, und dachte, ich müsste sterben wie meine Eltern, mein Bruder und die Diener. Dann sah ich zwei Gesichter – eines mit schwarzen, eines mit bernsteinfarbenen Augen. Das mit den dunkleren Augen sagte …«

An dieser Stelle verstummte er kurz und lächelte. »Es sagte: Vater, da ist kein Schatz in diesem Korb. Ich glaube, das hier ist überhaupt nichts wert.«

Badra bemerkte, wie sich seine Züge verhärteten, und er wandte das Gesicht ab, als er fortfuhr: »Jabaris Vater sah in den Korb und entgegnete: ›Du irrst dich, mein Sohn. Das ist etwas enorm Wertvolles. Es ist ein kleiner Junge.‹ Der Scheich sah mich an und sagte mir dieselben Worte, die ich dir sagte.«

»Hab keine Angst, Kleines!«, wiederholte Badra leise.

Khepri nickte bedächtig. »Tarik schickte Krieger los, die nach der Karawane suchen sollten, aber sie fanden nur Tote. Fareeq hatte die Leichen verbrannt, um sie unkenntlich zu machen.« Er schloss die Augen. »Jabaris Vater zog mich wie seinen eigenen Sohn auf.« Wieder sah er Badra an. »Hier gibt es Frieden, Badra. Du kannst ein neues Leben beginnen, und ich werde dir dabei helfen. Jabaris Vater gab mir den Namen Khepri, nach dem ägyptischen Gott des Sonnenaufgangs. Er sollte den Neubeginn meines Lebens symbolisieren.«

Badras Stimme bebte, als sie sagte: »Khepri, der Gott des Sonnenaufgangs. Und ich heiße Badra, benannt nach dem Vollmond. Wir sind Gegensätze.«

Ein kleines Lächeln zeigte sich auf seinem Gesicht. »So mag es scheinen, und doch können die Sonne und der Mond ohne einander nicht sein.«

Sie starrte ihn an. Wie gern würde sie ihm vertrauen! Er war hübsch und schien so gütig. »Aber wagt der Mond, dem Sonnenaufgang zu vertrauen, der ihn mit seinem blendenden Licht vom Himmel und aus der nährenden Dunkelheit vertreibt? Der Sonnenaufgang brennt und ist weit mächtiger als der Mond.«

Khepri blickte auf einmal sehr streng drein, und alles Jungenhafte verschwand aus seinem Gesicht. Er sah wieder wie der entschlossene Krieger aus, der schwor, seine Pflicht zu tun. »Mächtig, ja – um den Mond zu schützen, auf dass niemand ihn finde. Badra, ich bin dein Beschützer, wurde dir als Wache zur Seite gestellt. Ich habe geschworen, dich bis in den Tod zu verteidigen. Ich bin ein Khamsin, Krieger des Windes, und werde niemals zulassen, dass dir etwas zustößt. Das verspreche ich. Also, wisse jetzt: Du bist vor Fareeq sicher!«

Er schenkte ihr ein aufmunterndes Lächeln und berührte sanft ihre Wange, um ihr mit dem Daumen die Tränen abzuwischen. Sie spürte etwas Warmes und Feuchtes auf ihrer Haut. Sein Blut?

Unsicher nahm sie seine Hand und drehte sie so, dass sie die Innenfläche sah. Er hatte sich geschnitten, als er ihr den Dolch entriss. »Du bist verletzt!«

Mit einem leisen Aufschrei griff sie nach dem Schal an seinem Gürtel und wickelte ihn um die blutende Hand. Nachdem sie den Verband festgezogen hatte, sah sie zu Khepri auf. Kein Mann hatte sich jemals für sie verletzt. Kein Mann hatte sich je anderen entgegengestellt, um sie zu verteidigen und zu schützen.

Ein Blitzen leuchtete in seinen Augen auf und ihr Blau erschien um eine Nuance dunkler. »Ach, hätte ich gewusst, dass es dich milder stimmt, wenn ich mich verletze, hätte ich es schon viel früher getan!«

Zum ersten Mal seit vielen Jahren musste Badra wirklich lächeln. »Du bist mir zum Wächter und Beschützer verschworen, Khepri. Also ist es wohl an mir, deine Wunden zu versorgen. Da du einen Eid geleistet hast, dein Leben für mich zu geben, ist es das mindeste, was ich als Gegenleistung anbieten kann.«

»Kleines, das ist kein großes Opfer. Ich würde mein Leben schon geben, um dich lächeln zu sehen«, entgegnete Khepri leise.

Fasziniert von der Zärtlichkeit, die sie in seinem Gesicht erkannte, beugte Badra sich vor. Sie streckte die Hand aus, und erstmals, seit sie zur Sklavin geworden war, berührte sie freiwillig einen Mann. Zitternd strich sie über Khepris weichen dunklen Bart.

Er stöhnte auf, wich zurück und schloss für einen Moment die Augen. Als er sie wieder öffnete, schien er weit weg zu sein.

»Ach, Kleines!«, sagte er mit einem Bedauern, das Badra wunderte. »Dolche und Krummsäbel können mir nicht gefährlich werden. Du hingegen, glaube ich, bist tödlich. Du besitzt die Macht, mein Herz zu versklaven. Ich könnte mich in dich verlieben. Gott stehe mir bei, ich fürchte, ich habe mich bereits in dich verliebt. Und das wird mich weit tiefer treffen, als irgendein Messer es jemals könnte: bis ins Mark.«

Leidenschaft der Wüste: Sie suchte seinen Schutz - und fand die Liebe
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