Kapitel 22
Im Pleasure Palace brach der Morgen mit dem unheimlichen Klagegesang des Muezzins an, der die Gläubigen zum Gebet rief. Kenneth betrachtete die schlafende Badra. Sanft strich er ihr über die Wange, deren Zartheit ihn ein ums andere Mal in Staunen versetzte.
Ihre langen schwarzen Wimpern flatterten, als sie die Augen aufschlug. Kenneth hielt kurz inne, dann küsste er sie. Als er den Kopf wieder hob, lächelte sie ihn verschlafen an und setzte sich auf.
»Ich muss ins Bad hinunter. Wir sind verpflichtet, jeden Morgen zu erscheinen«, sagte sie.
»Später«, murmelte er. »Lass mich dich erst einmal in Liebe baden.«
Er beugte sich vor und umfasste Badras Gesicht wie einen wertvollen Kelch. Dabei zitterten seine Hände ein wenig, so überwältigend waren seine Gefühle für sie. Er küsste sie sanft.
Ein spielerisches, verführerisches Lächeln trat auf ihr Gesicht. Bei diesem Ausdruck in ihren Augen überkam ihn ein unstillbares Verlangen. Wieder küsste er sie, diesmal leidenschaftlicher, und genoss es, dass sie seinen Kuss voller Sinnlichkeit erwiderte. Sie war der süßeste Honig, den er je gekostet hatte. Atemlos hob Kenneth den Kopf.
Und dann liebte er sie, verlor sich in ihr mit einer solch überwältigenden Sehnsucht, dass sie kaum noch atmen konnte. Badra schloss die Augen und hielt sich an ihm fest, während er sie energischer denn je, ja, beinahe verzweifelt, nahm. Sie spürte, dass er sich ihrer vergewissern musste, und so bewegte sie ihm die Hüften in dem Rhythmus entgegen, den er vorgab. Dabei empfand sie keine Hilflosigkeit, vielmehr eine überbordende sinnliche Freude, die sie zu verschlingen drohte.
»Ich kann nicht mehr, das ist zu viel!«, hauchte sie.
»Doch, du kannst«, sagte er mit tiefer Stimme und vergrub die Hände in ihrem Haar. Dann sah er sie mit einem Ausdruck an, der zwischen Triumph und Verzücken changierte. »Du kannst und du wirst.«
Er veränderte die Position und bewies ihr, dass er recht hatte – indem er sie streichelte und liebkoste, bis sie immer feuchter und von einem feurigen Kribbeln erfüllt wurde, das heißer und heißer in ihr loderte. Er kitzelte und rieb sie, bis sie außer Atem war und ihn anflehte, er möge aufhören.
Aber er tat es nicht. Stattdessen machte er weiter, fest und erbarmungslos, bis sie sich in einem einzigen Hochgefühl auflöste, schreiend und zitternd – befriedigt wie niemals zuvor in ihrem Leben.
Dann erst glitt er langsam aus ihr heraus und blieb atemlos auf ihr liegen. Ihre verschwitzten Körper schienen unzertrennlich. Erst als sein Samen langsam schon wieder aus ihr herausfloss, rollte Kenneth sich mit ihr in den Armen auf den Rücken, so dass sie auf ihm lag.
Schweigend lagen sie da und kosteten die Stille aus wie einen besonders wohlschmeckenden Wein. Badra stupste mit der Nase an seine muskulöse Schulter und tauchte die Finger in sein dunkles Brusthaar.
»Mein Lieber«, flüsterte sie, »was ist, wenn … wenn ich guter Hoffnung werde?«
Sie fühlte, wie er kurz erstarrte, doch er streichelte weiter ihr Haar. »Dann müssten wir heiraten«, murmelte er, verstummte eine Weile und fragte dann hoffnungsvoll: »Würdest du mich denn heiraten?«
Ihr Seufzer war wie ein Donnerschlag für ihn. »Natürlich würde ich!«, antwortete sie scheu. »Ich habe ja keinen Grund mehr, nein zu sagen. Das heißt, falls du mich noch willst.«
»Hmmmm. Will ich dich?« Er hob den Kopf und sah auf sein erschlaffendes Glied. »Im Moment nicht – aber vielleicht in ein paar Minuten.«
Seine Brust vibrierte vor Lachen, als Badra ihn boxte und schimpfte: »So meinte ich das nicht!«
»Wie dann?«, fragte er betont verständnislos.
»Auf jede erdenkliche Art, die du dir vorstellen kannst«, antwortete sie leise und küsste ihn.
Sie liebte es, wie er sie anlächelte, lässig und verführerisch. »Also, wie wäre es mit heiraten, dann Kinder kriegen, hmmm? Wie viele wollen wir bekommen?«
»Jede Menge. So viele, dass du einen eigenen Stamm hast.«
»Einen Stamm rosiger, pausbäckiger Babys und Jasmine als Älteste. Ja, die Idee gefällt mir«, überlegte Kenneth laut und küsste sie. »Lass uns gleich mit Nummer eins anfangen.«
»Jetzt?«, kicherte sie. »Aber du sagtest doch gerade …«
Wieder sah er nach unten und grinste. »Wie es aussieht, habe ich es mir anders überlegt.«
Mit zitternden Fingern streichelte sie seinen festen rechten Bizeps mit der tätowierten Kobra. Kenneth schloss die Augen, und sie fühlte, wie der Muskel sich zusammenkrampfte, als hätte sie ihn gebrandmarkt.
Sie drückte ihn sanft. »Dein Kobra-Totem passt gut zu dir.«
»Es gibt noch einen anderen Grund für meinen Namen. Der hat zu tun mit … meiner Stärke, Ausdauer und Beweglichkeit.«
»Im Kampf?«
»Nein. In einem anderen Bereich, der einem Khamsin-Krieger nicht minder wichtig ist.«
»Und der wäre?«
Er grinste. »Ich zeige es dir.«
Sie fiel ihm in die Arme, als er mit der Demonstration begann. Eine ganze Weile später sank Badra auf das Laken und seufzte wunderbar erschöpft und zufrieden, als Kenneth von ihr herunterglitt. Sie lehnte den Kopf auf seine Brust, unfähig, die noch zitternden Glieder zu bewegen, und rang nach Atem. »Ich mag Schlangen«, gestand sie erschöpft.
An ihrem Ohr fühlte sie seine Brust vor Lachen vibrieren. Hochzufrieden schmiegte sie sich dichter an ihn.
Sie mochte Schlangen. Kenneth grinste.
Er lag auf dem Rücken und starrte an die holzvertäfelte Decke, an der das Sonnenlicht tanzte, das durch die Mashrabiya-Läden hineinfiel – nebst einer frischen Brise, die über ihre verschwitzten Körper hinwegwehte und sie angenehm kühlte. Ein tiefer Friede erfüllte ihn, als er Badra betrachtete, die die Augen geschlossen hatte. Sie schlief gerade ein.
Vorsichtig löste er sie aus seinen Armen und stieg aus dem Bett. Sie murmelte im Schlaf etwas, das sich wie eine Beschwerde anhörte, weil er ihr seine Wärme entzog, und Kenneth raffte einige Kissen zusammen, die er ersatzweise gegen sie lehnte und dann die Decke darüberzog. »Ich bin bald zurück«, flüsterte er sanft.
Badra drehte sich auf den Rücken und öffnete die Augen. »Beeil dich!«
Er zog sich einen Bademantel über und begab sich hinunter ins türkische Bad. Als eine Dienerin sich anbot, ihn zu baden, lehnte er ab und schrubbte sich stattdessen selbst, hastig und grob, weil er es nicht erwarten konnte, zum Frühstück und vor allem zu Badra zurückzukehren. Er wrang den Schwamm über seinem Kopf aus, tauchte unter und schüttelte sich beim Auftauchen das Wasser aus dem Haar. Dann grinste er still vor sich hin. Frühstück oder Badra – was würde er sich gönnen? Beides?
Er überlegte noch, während er sich eilig abtrocknete. Fröhlich vor sich hin summend, lief er zu Badras Gemächern zurück.
Ein Grinsen lag auf seinem Gesicht, als er leise die Tür aufmachte, hineinschlich und sich dem Bett näherte. Er wollte Badra mit einer Dattel zwischen den Lippen wecken, die er auf ihre …
Als er beim Bett war, erstarrte er.
Badra lag hellwach da, und Todesangst spiegelte sich in ihren weit aufgerissenen dunklen Augen, während ihre Brüste sich unter ihrem angespannten Atmen ruckartig hoben und senkten.
Dann fiel Kenneths Blick auf eine silbrig braune Kobra, deren Schuppen im Sonnenlicht glänzten, während sie sich geräuschlos züngelnd auf Badras Füße zubewegte. Still, aber tödlich, kam sie näher und näher.
Ruhig. Er zwang sich, ganz ruhig näherzutreten. »Bleib ganz still!«, flüsterte er. »Beweg dich nicht, dann beißt sie nicht.«
Badra lag wie versteinert da, nur ihre Augen folgten den schlängelnden Vorwärtsbewegungen des Reptils. Die Schlange verharrte an ihrem Fuß, schnupperte mit ihrer gespaltenen Zunge und schmeckte die Luft. Zisch.
Kenneth blickte sich rasch im Zimmer um. Er sah die Sammlung von Liebesinstrumenten an der Wand – die Kurbash oder Krokodilspeitsche, Lederfesseln … Ihm kam ein völlig absurder Gedanke: eine Kobra in Handschellen legen. Nein. Dann entdeckte er den Besen in der Ecke. Mit aller Beherrschung, die er aufzubringen vermochte, schlich er hinüber, griff den Besen und näherte sich möglichst lautlos wieder dem Bett. Als die Kobra auf Badras nacktes Bein glitt, wimmerte sie.
»Sie wird kein Gift spritzen«, flüsterte er. »Vertrau mir, Liebes! Bitte, beweg dich nicht. Lieg ganz still!«
Die Kobra schlängelte sich an Badras Knie vorbei zu ihrem Oberschenkel. Kenneth spürte, wie sein Mund trocken wurde. Er richtete den Besenstiel auf das Bett.
»Erinnerst du dich an die Geschichte, die ich dir erzählte, wie ich Jabari vor einer Kobra rettete? Ich habe die Schlange verzaubert«, sagte er leise, während seine Augen nicht von denen der Schlange wichen.
Kenneth stellte sich direkt ins Blickfeld der Schlange, deren Augen so schwarz wie Dattelkerne waren. Dann ließ er den Besenstiel langsam rotieren. Die Schlange richtete sich auf und breitete ihre Haube aus.
Sie zischte, folgte aber den Bewegungen des Besenstiels, der nur wenige Zentimeter vor ihrem Gesicht war und Kreise malte. Dabei beäugte sie den Menschen, der den Besenstiel hielt, nicht minder gespannt als er sie. Kenneth lockte sie weiter, und schließlich glitt die Kobra von Badra herunter und auf ihn zu.
Sobald sie ein Stück weit von Badra entfernt war, schlug Kenneth mit dem Besenstiel zu. Die Schlange zischte, griff das Holz an und zog sich wieder zurück. Darauf hatte Kenneth gewartet, denn nun rückte er ihr mit dem Stiel noch dichter auf den Leib, so dass dem Tier nichts anderes blieb, als daran heraufzukriechen.
Kaum aber hatte es das getan, erstarrte das Reptil gleichsam, als wäre es in eine Art Trance versunken. Kenneth nahm die nun beinahe zahme Schlange beim Nacken. Erleichtert ließ er die Schultern sacken und wandte sich zu Badra.
»Alles in Ordnung?«
Sie war zwar kreidebleich, nickte aber. Wie konnte man diese Frau nicht bewundern? Badra war eine echte Kriegerin. Nicht viele Frauen würden es überstehen, wenn ihnen eine tödliche Schlange den Schenkel hinaufkroch – nicht diese Art Schlange jedenfalls, darauf wollte er wetten. In diesem Moment wurde ihm endgültig klar, welche innere Stärke sie in die Lage versetzt hatte, so viele Jahre grausamsten Missbrauchs zu überstehen.
»Erzähl mir, was passiert ist!«
»Ich weiß es nicht genau. Als du gingst, war ich fast eingeschlafen. Dann spürte ich einen leichten Luftzug, als ginge die Tür auf. Als Nächstes fühlte ich, wie etwas aufs Bett fiel. Da hab ich die Augen geöffnet und sah die Kobra.«
Kenneth ging zu einem niedrigen Tisch, auf dem Gläser und ein Krug mit Wasser standen. Er kniete sich hin, drückte der Kobra durch einen Nackengriff das Maul auf und presste die Giftzähne gegen die Innenseite eines Glases. Milchige Flüssigkeit tropfte aus den Zähnen.
»Was machst du da?«, fragte Badra mit bebender Stimme. Sie war Kenneth zu dem Tisch gefolgt und stand hinter ihm.
»Ich entnehme ihr das Gift. Ein alter Trick, den ich einmal gelernt habe«, erklärte er ruhig. »Kobras sind ungefährlich, wenn man ihnen ihr Gift entzieht.«
»Verstehe. Du kannst sie nicht töten, weil es Unglück bringen würde, wenn du dein Totem-Tier tötest. Du bist immer noch ein Khamsin, Kenneth.«
Froh, ein kleines Lächeln auf ihrem Gesicht zu sehen, nickte er ihr zu und fuhr fort, das Toxin aus der Schlange zu melken. Er beobachtete, wie das weißliche Gift ins Glas rann. Als nichts mehr kam, ließ er den Kopf der Schlange los, wickelte sie von dem Besenstiel ab, hielt sie am Schwanz in die Höhe und sah dem Tier ins Gesicht.
»Das war sehr ungezogen von dir, meinen Platz im Bett einnehmen zu wollen«, rügte er die Schlange und grinste Badra an. »Ich vermute, das war es nicht, was du meintest, als du vorhin mit mir Schlange spielen wolltest, oder?«
Sie lachte und hielt sich die Hände an die Schläfen. »Du bist wahnsinnig!«, sagte sie kichernd.
»Ziemlich«, stimmte er ihr lächelnd zu.
Dann nahm er die Kobra und ging zur Tür.
»Wo willst du hin?«
»Ich werde jemandem ein kleines Geschenk bringen. Bin gleich wieder da.«
Er schritt den Flur hinunter zum Zimmer des Mannes, der Badra fast ersteigert hätte und den er zuvor mit einer Konkubine auf dem Korridor gesehen hatte, die eindeutig geschlagen worden war. Leise öffnete Kenneth die Tür. Der Mann lag schlafend im Bett – allein.
Behutsam legte er die Schlange auf den Fußboden. »Geh, mein Freund, und sei vorsichtig! Es gibt gefährlichere Schlangen als dich.«
Grinsend beobachtete er, wie die Schlange auf das Bett zukroch, und schloss die Tür wieder. Dann eilte er zu Badras Zimmer zurück. Sein Lächeln schwand.
Drinnen betrachtete er Badra, die in einer Obstschale nach Datteln suchte. Sie schien den Vorfall verwunden zu haben.
Kenneth hingegen wurde erst jetzt klar, wie heikel die Situation gewesen war. Was, wenn er sie verloren hätte? Warum legte ihnen jemand absichtlich eine Schlange ins Bett? Die Schlange war ein Wüstentier und verirrte sich nicht von allein in die Stadt.
Er erschauderte, während er Badra beobachtete, die eine Dattel aus der Obstschale nahm und sie sich in den Mund steckte. Erst das Gift, nun die Schlange.
Sein Blick fiel auf das Bett und die Kissen, die er neben Badra unter die Decke gelegt hatte, um sie warmzuhalten, solange er fort war. Von weitem ähnelte die Form einem Menschen …
Er schaute sich im Zimmer um und bemerkte etwas Verdächtiges. Kurzerhand griff er nach dem Besenstiel und stieg damit aufs Bett.
»Was tust du da?«, fragte Badra amüsiert.
Mit dem Finger auf den Lippen signalisierte er ihr, still zu sein. Er streckte den Besenstiel zur Decke aus und stemmte ihn lautlos gegen die Vertäfelung. Seine Anstrengungen wurden belohnt, denn tatsächlich schwang eine kleine Klappe auf.
Eine Falltür! Bestens geeignet, um den nichtsahnenden Gästen kleine Überraschungen zu bereiten. Die Kobra war von hier oben aufs Bett geworfen worden, geradewegs auf die Kissen, die von oben leicht für einen schlafenden Mann gehalten werden konnten.
Ja, jemand hatte versucht, ihn zu töten. Schon wieder.