Kapitel 24
Badra hatte das Herz einer Löwin, dachte Kenneth stolz. Er hielt sie fest im Arm, als sie das Shepherd’s Hotel betraten. Was die staunenden Gäste wohl von dem englischen Duke denken mochten, der sich die blutverschmierte Jacke an die Brust drückte, und von der kleinen zarten Frau, die wie ein Krieger gekleidet war und sich an ihn klammerte? Ganz zu schweigen von Ramses, der sich den verletzten Arm hielt, an dem Blut herunterrann. Ramses stützte sich auf den sehr ernst dreinblickenden Scheich.
Kenneth brachte Badra in seine Suite, sank auf einen Sessel und ließ seine Jacke fallen. Eilig wickelte Badra sich den Turban ab, bevor sie Kenneths Hemd aufknöpfte und erschrocken die Luft anhielt. Sie huschte ins Bad, kehrte mit einem Handtuch zurück und drückte es ihm auf die Brustwunde.
»Halt es fest, während ich Wasser und einen Verband hole!«, sagte sie und verschwand hinter einem Paravant. Er hörte Porzellan klimpern und Wasser plätschern.
»Es ist bloß ein Kratzer. Es hat schon aufgehört zu bluten«, wandte er ein.
Die Tür ging auf, und die große Ehrfurcht einflößende Gestalt des Khamsin-Scheichs erschien. Selbst in seinem blutverschmierten Umhang, seinem verrutschten Turban und mit einer Prellung im Gesicht strahlte er etwas Majestätisches aus. Er sah besorgt aus.
»Wie geht es Ramses?«, fragte Kenneth.
Jabari blickte ihn finster an. »Er wird es überleben. Die Kugel hat seinen Arm gestreift, und er hat einiges an Blut verloren, aber er wird wieder. Im Moment schläft er.« Der Scheich rieb sich das Kinn. »Khepri, was genau ist da eben passiert? Warum wollten sie meinen Tod?«
Kenneths Magen krampfte sich zusammen. Weil du mein Bruder bist, und wer immer meinen Tod will, will auch die Menschen verletzen, die mir nahestehen, vermutete er. »Du führst einen der größten Stämme Ägyptens an. Natürlich hast du Feinde.«
Der Scheich schien misstrauisch. »In einem Bordell?«
»Männer sterben immerzu in Bordellen«, erwiderte Kenneth wenig überzeugend.
»In Ekstase, nicht im Kugelhagel.«
Badra trat hinter dem Paravant hervor. Sie hielt einen Krug und eine Schüssel in den Händen. »Gib mir deinen Dolch!«, bat sie den Scheich.
Jabari zog eine Braue hoch. »Warum? Willst du beenden, was die Eunuchen angefangen haben?« Auf ihren strengen Blick hin reichte er ihr den Dolch, den er unter seinem Umhang verbarg.
Badra verschwand im Schlafzimmer. Dann hörten Kenneth und Jabari, wie nebenan Stoff zerriss, und sahen sich an.
»Ah, ich glaube, deine Hotelrechnung erhöht sich gerade. Die wollen gewiss, dass du ihnen die edlen Laken ersetzt, die Badra gerade zerstört.«
Kenneth überlegte lächelnd. »Vielleicht kann sie sie ja wieder zusammennähen, wenn meine Wunde verheilt ist.«
Badra kam mit einer Armladung Baumwollstreifen zurück und gab Jabari seinen Dolch wieder. Dann legte sie die Stoffstreifen auf den Tisch und begann, Kenneth die Brust zu waschen. Ihre Berührung fühlte sich sanft wie die einer Wattewolke an. Nachdem sie die Wunde gesäubert hatte, verband sie sie mit den Baumwollstreifen.
Kenneth runzelte die Stirn. »Muss ich das ganze Bett mit mir herumschleppen?«
Sie wickelte noch mehr Streifen um seinen Oberkörper. »Ich mache dich zu einer Mumie«, erklärte sie schmunzelnd.
»Mach mich lieber zum Vater!«, entgegnete Kenneth leise.
Ihre Wangen röteten sich, was bezaubernd aussah. Kenneth versuchte, zu lächeln, doch es gelang ihm nicht, denn dafür meinte er es viel zu ernst. Er wollte Badra erblühen und ihren Bauch sich langsam runden sehen, mit seinem Kind darin. Ein entsetzliches Gefühl überkam ihn. Er hätte sie beinahe verloren, als sie den Dolch des Eunuchen abgewehrt hatte! Auf keinen Fall durfte er sie noch einmal in solche Gefahr bringen. Oder Jabari. Ein schrecklicher Schmerz schnürte ihm den Brustkorb zu, und dieser hatte nichts mit der Stichwunde zu tun.
»Ich muss nach Ramses sehen«, sagte Jabari und richtete sich auf. »Ich gehe davon aus, dass du Khepri allein versorgen kannst, Badra.«
»Ja, er wird schon wieder ganz gesund … mit meiner Pflege.« Liebevoll sah sie Kenneth an.
Freude und Trauer rangen mit der Unerbittlichkeit von Khamsin-Kriegern in ihm. Alles in ihm schrie buchstäblich nach ihr. Als Jabari gegangen war, konnte Kenneth sie kaum ansehen, so unsagbar groß war sein Verlangen nach ihr. Er stand auf und zog sich das blutverschmierte Hemd aus.
»Ich lass dich allein, damit du dich ausruhen kannst, Badra.«
»Bitte, Khepri, geh nicht! Ich habe deine Wunde nicht grundlos vor Jabari versorgt. Er sollte denken, dass du schwer verletzt und nicht in der Lage seist …«
Sie zog ihn mit sich ins Schlafzimmer. Dort nahm sie seine Hand und legte sie auf ihre Brust. »Liebe mich, hier, an diesem Ort, an dem ich frei bin! Ich möchte, dass du mich liebst wie ein Mann seine ihn liebende Frau, nicht wie ein Herr seine Konkubine.«
»Badra«, sagte er heiser, während sie seine Hand auf ihrer Brust kreisen ließ.
Er stöhnte vor Lust, riss sie in seine Arme und küsste sie leidenschaftlich. Ungeduldig entkleideten sie sich gegenseitig und fielen ineinander verschlungen auf das weiche Bett.
Badra spürte Kenneths geradezu verzweifeltes Verlangen, und es erschreckte sie. Ein furchtbarer Gedanke trübte ihr Entzücken. Er küsste sie, als wäre dies das letzte Mal, das sie zusammen waren, als müssten sie sich hinterher für immer trennen.
Sie verdrängte den Gedanken, öffnete den Mund unter seinem Kuss und schmiegte sich ganz dicht an ihn, als er eine Hand in ihren Nacken legte und sie in ihrem offenen Haar vergrub.
Seine Küsse brannten wie der heiße Sand der Sahara, als Kenneths nackter Körper ihren bedeckte, sie in die weiche Matratze drückte und lustvoll in sie eindrang. Sie wich nicht zurück, sondern reckte sich jedem seiner Stöße entgegen. Haut klatschte auf Haut, während sie sich als gleichgestellte, als freie Menschen vereinten. Es mochte gröber sein, als sie wünschte, aber es war gut. Badra fasste Kenneths Kopf, hob die Hüften und bedeckte seinen Hals und seine Schultern mit sinnlichen Küssen. Er stöhnte, als sie ihn ganz zart biss, dann fasste er ihren Po, hob ihre Beine und schlang sie um seinen Körper.
Die Spannung in Badras Schoß schwoll an. Sie rieb sich an ihm, bewegte sich in seinem Rhythmus. Kurz darauf umklammerte sie ihn, schrie seinen Namen und erreichte mit ihm zusammen einen Höhepunkt, der sie beide erbeben ließ.
Hinterher lag sie in seinen Armen, an seinen warmen Körper geschmiegt und wunderbar befriedigt. Warum hatte sie das beängstigende Gefühl, alles würde ihr zwischen den Fingern zerrinnen?
Kenneth wartete, bis sie eingeschlafen war, und löste sie behutsam aus seiner Umarmung. Badras Haut war noch leicht feucht von ihrem ungestümen Liebesakt. Sanft küsste er sie ein letztes Mal auf die Wange.
»Leb wohl, mein Liebling!«, flüsterte er.
Ein letzter Kuss. Er strich Badra über die seidigen Locken. Wie konnte er sie verlassen? Sie war sein Leben, seine Seele. Es zerriss ihn, von ihr fortzugehen. Und doch war der Wunsch, sie zu beschützen, stärker als alles andere. Sie musste in Sicherheit sein, nur das zählte. Deshalb blieb ihm nichts anderes übrig. Jemand trachtete ihm nach dem Leben und hatte auch Jabari ins Visier genommen. Kenneth musste seinem Attentäter allein eine Falle stellen.
»Khepri«, flüsterte sie schläfrig, »ich liebe dich.«
»Ich liebe dich auch«, flüsterte er zurück und beobachtete, wie sie einschlief. Ich werde nie aufhören, dich zu lieben! Mit zitterndem Finger malte er die Linien ihres Gesichs nach, um sich jede einzelne einzuprägen. Sie war sein Leben, sein Herz und seine Seele. Und aus genau diesem Grund durfte er nicht riskieren, dass sein Feind sie als Geisel oder Köder benutzte.
»Badra, ich muss jetzt gehen. Falls … falls ich dich nicht wiedersehe, sollst du eines wissen: Meine Liebe zu dir wird niemals sterben. Und sollte bereits unser Kind in dir wachsen, erzähl ihm eines Tages die Geschichte von dem Khamsin-Krieger, der zu einem wohlhabenden Herzog wurde und seinen kostbarsten Schatz in der Frau fand, die er schon für immer verloren geglaubt hatte.«
Mehr konnte er nicht sagen, da seine Stimme versagte. Er küsste Badra sachte auf die Stirn und verließ das zerwühlte Bett. Nachdem er sich leise angezogen hatte, sah er noch ein letztes Mal zu ihr. Sie lächelte zart im Schlaf.
Er verließ die Suite, schloss lautlos die Tür hinter sich und blieb einen Moment im Flur stehen, wie benommen vor Kummer und Angst.
»Khepri? Was machst du hier?«
Er drehte sich um und sah Badras Falkenwächter, der ihn mit dem üblichen Missmut beäugte. Ohne auf seine Antwort zu warten, öffnete Rashid die Tür. Kenneth folgte ihm ins Schlafzimmer und wollte etwas sagen, verstummte allerdings, als er sah, wie Rashid die schlafende Badra betrachtete. Dann fiel Rashids Blick auf Kenneths zerknautschte Kleidung.
Ohne ein Wort ging Kenneth hinaus. Rashid trat hinter ihm auf den Flur hinaus. Dort sah Kenneth ihn trotzig an. »Ja, es ist wahr. Wir sind ein Liebespaar.«
Rashid schaute ihn nachdenklich an. »Warum wollten die Eunuchen unbedingt dich töten, Khepri? Und dann Jabari?«
Kenneth zuckte mit den Schultern. »Ich weiß es nicht.«
»Doch, du weißt es!«, widersprach Rashid ihm leise. »Irgendjemand versucht, dich umzubringen. Vielleicht ist es dieselbe Person, die Badra mittels ihrer Tochter ins Bordell lockte – und dich womöglich auch. Diese Person befahl ihren Männern, den Khamsin-Scheich zu erschießen, weil Jabari dein Bruder ist, der Mensch, der dir am nächsten steht.«
Kenneth fühlte, wie seine sämtlichen Muskeln sich anspannten. »Ich kümmere mich darum, Rashid – allein. Deshalb bin ich …«
»Nein, Khepri!«, fiel Rashid ihm ruhig ins Wort. »Das kannst du nicht allein regeln. Ich helfe dir.«
Sprachlos starrte Kenneth ihn an. »Das kommt nicht in Frage! Ich werde kein Leben außer meinem eigenen aufs Spiel setzen.«
Rashid grinste gelassen. »Dir bleibt gar nichts anderes übrig. Ich werde wie nasser Sand an dir kleben.«
»Warum?«, fragte Kenneth.
Das Grinsen verschwand. »Weil du meinetwegen ins Bordell zurückgekehrt bist, Khepri. Vielleicht auch, weil du Badra liebst und weil du doch nicht der nichtsnutzige, schleimige Bastard bist, für den ich dich hielt.«
Kenneth betrachtete den Mann. »Ich könnte deine Hilfe gebrauchen«, gestand er schließlich, »aber du musst tun, was ich dir sage. Hör mir genau zu …«
Kenneth schritt auf die berühmte Terrasse des Shepherd’s Hotel hinaus, wo die Gäste gerade beim Nachmittagstee saßen. Er hatte Victor, de Morgan und Zaid herbestellt. Victor, der alles geerbt hätte, wäre Kenneth nicht gefunden worden – wäre er nicht mehr am Leben.
Aber wollte sein Cousin ihn tot sehen?
»Rück dir einen Stuhl ran, Kenneth!«, sagte Victor, der an einer Zigarre paffte.
De Morgan rieb sich den gewachsten Schnauzbart. »Wegen der Ausgrabung, Euer Gnaden. Der Schmuck, den wir bisher gefunden haben, wurde auf ein Schiff verladen und ist jetzt unterwegs hierher. Wünscht Ihr, alles in einem Museum zu lagern, bis es katalogisiert und geschätzt wurde?«
»Nein. Ich lasse alles nach England verschiffen, wo ich es in meine persönliche Sammlung aufnehme – den gesamten Schmuck. Der Fund wird nicht aufgeteilt.«
De Morgans Gesicht wurde tiefrot.
»Mit Verlaub, so war es nicht vereinbart. Ihr plantet, mir einen Teil des Funds zu überlassen«, platzte es aus ihm heraus.
»Stimmt. Allerdings war es mein Geld, mit dem die gesamte Ausgrabung finanziert wurde, also habe ich wohl das Recht, meine Meinung zu ändern.« Und um den Hoffnungen des Archäologen den Todesstoß zu versetzen, fügte er noch hinzu: »Nach meiner Rückkehr nach England werde ich ein Schreiben an die London Times diktieren, in dem ich den Fund detailliert aufliste. Ich werde Ihren Namen natürlich erwähnen, und Sie werden einen kleinen Bonus für Ihre Hilfe erhalten – in englischen Pfund.«
Ein tödliches Funkeln trat in de Morgans Augen. Interessant! Kenneth betrachtete ihn schweigend, bevor er sich an Victor wandte. »Ich brauche ein paar Dinge aus deinem Geschäft, ehe ich nach England zurückreise. Ich werde hinkommen – sagen wir, in einer halben Stunde?«
Victor nickte nur kurz.
Das Geschäft seines Cousins lag in einer abgelegenen verlassenen Seitenstraße mit reichlich Winkeln und dunklen Nischen – ein idealer Ort für einen hinterhältigen Anschlag. Der Köder war ausgeworfen, der Ort gewählt und die Falle aufgestellt. Nun musste er nur noch hingehen und sich seinem Mörder stellen.