Kapitel 10

Kairo. Eine Flut von Bildern und Gerüchen schlug ihm in Wellen entgegen, und eine Kakophonie von Geräuschen dröhnte in seinen Ohren. Kenneth saß auf einem Korbstuhl auf der breiten Terrasse des Shepherd’s Hotels. Zwiebeltürmige Minarette ragten glänzend aus dem Stadtpanorama, und die Muezzin riefen die Gläubigen zum Mittagsgebet. Männer in langen hemdartigen Thobs und weiten Hosen strebten in Richtung der Moscheen. Dampf stieg aus der bläulichen Tasse vor ihm in die Luft auf.

Kenneth blickte auf die Straße. Ein Schlangenbeschwörer lockte sein lautlos gleitendes Reptil aus dem Korb, Artisten mit dressierten Affen führten zur Belustigung eines englischen Jungen und seiner Schwester verrückte Kunststücke vor. Die verschreckten Eltern der beiden kamen herbei und scheuchten die Kinder mit verärgerten Zurechtweisungen von den Leuten weg.

Gedankenverloren strich Kenneth mit dem Finger am Rand seiner Tasse entlang. Es war noch dasselbe Ägypten und doch anders. Er hatte dieses Land nie zuvor durch die Augen eines englischen Adligen betrachtet. Zwei Welten prallten aufeinander. Ägypter verneigten sich ehrfürchtig grüßend vor steifen Engländern, welche gleichgültig an ihnen vorübergingen. Verschlagene Augen hielten nach günstigen Gelegenheiten Ausschau, dunkelhäutige Hände streckten sich in einer endlosen Bitte um Backschisch aus, während die verärgerten bleichen Engländer ihre Nasen noch höher trugen und nichts als Verachtung ausstrahlten.

Hail Britannia! Allah-hu-Akbar!

Kenneth fühlte sich inzwischen in keiner der Welten mehr wohl. Er sah auf die Teeblätter, die am Boden seiner Tasse schwammen, und hatte plötzlich ein dringendes Verlangen nach starkem bitteren arabischen Kaffee in kleinen henkellosen Tassen und dazu einem großen Stück Dattelbrot mit Mandeln, betropft mit goldenem Honig. Ihm lief das Wasser im Mund zusammen.

Er nippte am Tee und schluckte seine Enttäuschung hinunter. Einmal war er mit Ramses hier gewesen, als der Khamsin-Wächter nach Kairo gereist war, um mit einem wohlhabenden Interessenten den Preis für Araberpferde auszuhandeln. Kenneth hatte vor Staunen große Augen gemacht, als er die Stadt sah. Damals hatten ihn Schlangenbeschwörer und Straßenkünstler mit dressierten Affen fasziniert. Heute hingegen fielen ihm der Schmutz am Saum ihrer langen Thobs, die tiefen Falten, die ihre sonnenverbrannten Gesichter zerfurchten, und ihre hageren Gestalten auf.

»Dreckige Eingeborene« nannten die Engländer sie.

Britischer Imperialismus in Reinform. Hochnäsige, steife Oberklassenverachtung für die »faulen, schlampigen und dummen Ägypter« zeigte sich allerorten.

Weißbäuchige Fische hatte Ramses die Engländer lachend genannt und dabei einen hämischen Unterton in der Stimme und ein verächtliches Grinsen auf den Lippen gehabt.

Ja, Vorurteile gab es auf beiden Seiten. Ramses hatte jedoch am Ende selbst zugegeben, zur Hälfte Engländer zu sein, und das nicht ganz ohne Stolz. Noch dazu hatte er die Tochter eines englischen Earls geheiratet. Die beiden liebten sich sehr. Könnten Ägypten und England je in solcher Harmonie leben wie Ramses und Katherine? Könnte das imperialistische blaue Blut, das in Kenneths Adern floss, sich jemals mit der heißblütigen Sinnlichkeit vermischen, die man in schwarzen Zelten kennenlernte?

Wieder fühlte er sich wie eine gehäutete Schlange: wund, sein Innerstes nach außen gekehrt, verletzlich und allein. Er gehörte in keine dieser zwei Welten.

»Vorsicht mit den Koffern!«

Er drehte sich um und entdeckte eine streng dreinblickende Engländerin in einem gestärkten weißen Kleid mit weiten Puffärmeln, begleitet von drei jungen, ebenfalls weißgekleideten Mädchen und einem grimmig aussehenden Ehemann. Zwei sichtlich erschöpfte Gepäckträger schleppten schnaubend Truhen und Koffer die Verandastufen hinauf. Kenneth lehnte sich zurück und beobachtete das Schauspiel interessiert. Und die Engländer nannten die Ägypter faul?

Die Matriarchin blieb auf der obersten Stufe stehen und suchte die Veranda ab wie ein Fregattenkapitän ein nahendes Ufer. Schließlich landete ihr Blick auf Kenneth. Sie klatschte in die Hände und rief verzückt: »Euer Gnaden!«

Dann segelte sie auf ihn zu. Ihre Röcke bauschten sich im Wind, ebenso wie die ihrer Töchter, die ihr brav hinterhertrippelten. Als Letzter folgte der missmutige Gatte. Die müden Träger stellten dankbar seufzend das Gepäck ab. Vor Kenneth angekommen, vollführte die Dame einen Knicks, bei dem ihre Korsettstangen knarzten, und zischte ihren Mädchen zu, sie sollten es ihr nachtun. Als sie sich wieder aufrichteten, bleckte sie die gelben Zähne zu einem Lächeln.

Die Khamsin hatten blendend weiße Zähne, da sie immerfort Minze kauten, um ihren Atem zu erfrischen, und sich ihre Zähne mit Myrrhe schrubbten.

»Lady Stenson-Hines«, stellte sie sich vor. »Mein Gatte, Sir Walter Stenson-Hines. Und das sind meine Töchter Iris, Rose und Hyacinth.«

Kenneth blieb sitzen und beschränkte sich darauf, der Frau und ihren englischen Zierpflänzchen höflich zuzunicken. Lady Stenson-Hines indessen schien dies nicht zu bremsen, denn sie plapperte eifrig drauflos: »Es tut so gut, Euch hier in Ägypten zu sehen! Gerade neulich sagte ich zu Walter, dass ich es gar nicht erwarten kann, ins Shepherd’s zu kommen und mich endlich wieder unter zivilisierten Menschen zu bewegen. Diese Eingeborenen …« Sie rümpfte ihre große Nase. »Widerlich, wie die leben! Gierig, skrupellos und feige sind sie, verschlagene faule Heiden. Ständig muss man auf der Hut sein.«

Sir Walter räusperte sich peinlich berührt. »Felicity, meine Liebe, ich glaube, der Duke wurde …«

Kenneth lächelte schmallippig. »Lassen Sie sich durch mich nicht aufhalten, Lady Stenson-Hines. Gewiss werden Sie und Ihre Familie es nicht erwarten können, sich in Ihren Zimmern einzurichten – mit Hilfe einiger ausgewählter fauler Heiden«, bemerkte er trocken.

Sein Sarkasmus verfehlte nicht den gewünschten Effekt und dämpfte ihre Euphorie deutlich. Eifrig nickend plusterte Lady Stenson-Hines sich auf und sagte: »Vielleicht sehen wir uns später noch in der Lounge. Kommt mit, Mädchen!«

Mit diesen Worten rauschten die Matrone und ihre Töchterschar davon. Der Gatte, der sich nervös den Schnurrbart zwirbelte, warf Kenneth einen bedauernden Blick zu und schritt ins Hotel.

Der Tee fühlte sich wie ätzende Säure in Kenneths leerem Magen an. Er winkte den Ober herbei und bestellte sich ein Stück Honiggebäck. Als es serviert wurde, biss er genüsslich hinein, wurde jedoch sogleich enttäuscht. Der Kuchen schmeckte bestenfalls mittelmäßig, nicht halb so vorzüglich wie das Gebäck der Khamsin.

Enttäuschung war ein Gefühl, mit dem er dieser Tage zu leben lernte. Er strich die Krümel vom Tisch, als er seinen Cousin sah, der sich seinen Weg durch das rege Treiben auf der Straße bahnte.

Zwischen Victors Lippen klemmte ein feuchter Zigarrenstummel, dessen glühendes Ende die Entschlossenheit seiner Züge noch unterstrich. Er trug einen kleinen Lederkoffer bei sich, den er neben dem Stuhl abstellte, sobald er bei Kenneths Tisch angekommen war. Kenneth stand auf, und Victor schüttelte ihm kräftig die Hand. Dann setzten sie sich wieder, während Victor sich mit einem Taschentuch den Schweiß von der Stirn tupfte.

»Verfluchte Hitze!«, klagte er. »Ich fühle mich, als wäre ich in einem brennenden Ofen. Da sind mir die Wintertage in London doch erheblich lieber.«

»Oh ja, der gelbe Nebel und der trübe Himmel, in den die Fabrikschornsteine ihre schwarzen Rauchschwaden hinaufjagen. Auch ich liebe den Geruch von Schwefel am Morgen«, entgegnete Kenneth ironisch.

Victors blaue Augen, die Kenneths sehr ähnelten, suchten die Terrasse ab. Kenneths Cousin zweiten Grades besaß neben seinem Antiquitätengeschäft in London noch ein florierendes hier in Kairo. Er hatte sich im Laufe der Jahre gute Geschäftskontakte aufgebaut und war überdies auch eng in Kenneths hiesige Vorhaben eingebunden, unter anderem in die Ausgrabungen in Dashur.

Trotzdem widerstrebte es Kenneth, ihm zu erzählen, was er entdeckt hatte. Victor war mit einigen der Vorurteile gegen Ägypter behaftet, die auch andere Engländer hegten. Sollte er erfahren, dass Rashid, ein Ägypter aus dem Stamm, bei dem Kenneth aufwuchs, der Dieb war, würde er darauf bestehen, die Behörden in Kairo einzuschalten. Dadurch würden die Khamsin in Misskredit gebracht und ihrem Ansehen irreparabler Schaden zugefügt. Nein, diese Schlacht wollte Kenneth lieber allein ausfechten, denn um keinen Preis wollte er den Stamm in Verruf bringen, der ihn aufgezogen hatte.

»Nun, irgendwelche Neuigkeiten aus Dashur?«, fragte Victor.

Kenneth studierte den Rand seiner Teetasse. »De Morgan versicherte mir, dass sie jeden Tag Fortschritte machen und damit rechnen, schon bald die zweite Halskette zu finden – nebst weiterem Schmuck. Unsere Ausgrabung könnte eine der spektakulärsten der Saison werden.«

»Ich bin froh, dir helfen zu können«, sagte Victor und sah Kenneth ernst an. »Ehrlich!«

»Ja, danke, ich weiß deine Hilfe zu schätzen, Victor. Du hast sehr viel für mich getan.«

Sein Cousin tippte die Zigarre am Rand seines Stuhls ab. Asche rieselte wie Staub auf die Terrasse. Dann bückte er sich, wühlte in seinem Koffer und holte ein dickes beängstigendes Bündel Papier hervor.

»Wo du schon einmal hier bist: Ich habe ein paar Papiere bezüglich deiner Anteile an den Umsätzen in meinen Geschäften, die du unterzeichnen müsstest.«

Die Geschäfte. Kenneths Vater hatte in Victors Antiquitätenhandel investiert und vereinbart, dass er sein Kapital in Form von Gewinnbeteiligungen zurückerhalten würde. Kenneth fühlte, wie sein Brustkorb sich verengte, und wünschte, Zaid wäre hier, um die Dokumente für ihn zu entziffern. Aber sein Sekretär hatte sich erbeten, den Nachmittag freizubekommen. Also nahm er den Stift, den sein Cousin ihm hinhielt, tat, als würde er die Papiere durchsehen, und unterschrieb sie.

Er reichte sie Victor zurück, zögerte dann jedoch. »Falls es dir nichts ausmacht, würde ich sie gern von meinem Sekretär durchsehen lassen. Er sollte sich notieren, was darin steht. Ach ja, und da das Geschäft in Kairo zur Hälfte mir gehört, möchte ich einen Schlüssel«, sagte er beiläufig.

Victor machte große Augen, und die Zigarre wippte zwischen seinen Lippen. Für einen kurzen Moment blickte er Kenneth wütend an, dann blinzelte er, und der Ausdruck war verschwunden. Kenneth wurde misstrauisch. Was verbarg sein Cousin vor ihm?

Victor griff in seine Westentasche und warf Kenneth einen kleinen Messingschlüssel hin. »Der Laden ist ziemlich staubig. Ich hatte eine Hilfe, aber die musste ich entlassen. Der Mann war nicht vertrauenswürdig.«

»Was hältst du davon, wenn du ihn mir zeigst?«, fragte Kenneth harmlos.

Victor wurde rot. »Jetzt?«

»Wann, wenn nicht jetzt? Ich muss demnächst weiterreisen.«

»Zur Ausgrabung? Soll ich mit dir kommen?«, fragte Victor, der an seiner Zigarre paffte. Beide Männer standen auf.

»Nein, ich muss erst noch etwas anderes Geschäftliches regeln. Wir treffen uns in Dashur.« Kenneth dachte an den Ort, den er vorher aufsuchen würde, und schluckte. Die Reise fiel ihm alles andere als leicht. Ja, er hatte regelrecht Angst davor, ins Khamsin-Lager und zu dem Scheich zurückzukehren, hatte er sich doch geschworen, beide nie wiederzusehen.


»Du hast versprochen, sie freizulassen!«

»Dann habe ich gelogen.«

Nur mit einiger Anstrengung gelang es Badra, sich in ein Höchstmaß von Selbstachtung zu hüllen, als sie im Harem des Pleasure Palace stand. Die Reise von England nach Ägypten hatte ihre Nerven strapaziert, die nun blank lagen wie die Fäden eines fehlerhaft gewebten Teppichs. In ihrer großen Sorge um Jasmine hatte sie es hinausgezögert, zum Khamsin-Lager weiterzureisen, und Rashid gegenüber zu der Ausrede gegriffen, sie wolle noch einen Tag in Kairo zum Einkaufen nutzen.

»Du hast dein Geld. Gib sie mir!«, forderte Badra energisch.

»Während du fort warst, ist etwas passiert. Ihr Wert ist gestiegen. Es gibt nur eine Bedingung, unter der ich sie gehen lasse: Du musst ihren Platz einnehmen«, erklärte Musad grimmig.

Badra hatte das Gefühl, innerlich zu zerbrechen. Sie konnte nicht wieder zur Konkubine werden. »Niemals! Es muss einen anderen Weg geben.«

»Vielleicht. Falls wir die zweite Halskette bekommen könnten … Wir haben einen Arbeiter bei der Ausgrabung, der uns die erste beschafft hat. Aber die Leute dort werden misstrauisch. Eine Frau allerdings würden sie nicht verdächtigen. Omar hat es mit einem hohen Beamten so arrangiert, dass du dich als Künstlerin bei der Ausgrabung aufhalten darfst. Finde die zweite Kette von Prinzessin Meret, bring sie her, und deine Tochter ist frei!«

»Omar will mich zu seiner Diebin machen?«

»Oder zu seiner Hure. Du hast die Wahl.«

Ohnmächtige Wut regte sich in Badra und ließ sie erbeben. Sie holte tief Luft und sah zu Jasmine, die ganz still neben einer Frau auf einem Diwan am anderen Ende des Raumes saß.

Musad bemerkte es. »Ich habe einen Käufer.«

Bei diesen Worten packte Badra pures Entsetzen. »Du hast mir gesagt, sie würde nicht verkauft! Sie ist erst sieben Jahre alt!«

»Fast acht. Ein Europäer fand Gefallen an ihr. Er bot uns einen guten Preis für sie, also machten wir einen Vertrag. Er hat sogar schon bezahlt. Wenn er in sechs Wochen wiederkommt, kriegt er sie. In diesem Moment wird sie in ihre neuen Pflichten bei ihrem künftigen Herrn eingewiesen.«

Badra brach es beinahe das Herz, als sie wieder zu ihrer Tochter blickte. Jasmine sah verwirrt und furchtbar verängstigt aus.

Gütiger Gott! Wie könnte sie ihr Baby im Stich lassen?

Sie wandte sich wieder an Musad: »Wenn ich das für dich tue – dir die zweite Kette bringe –, wirst du sie mir sofort übergeben. Falls nicht, erzähle ich dem Duke of Caldwell, wer ihn tatsächlich bestiehlt«, erklärte sie voll grimmiger Entschlossenheit.

Musads Nasenflügel bebten. »Ein Wort zu ihm, und dein Balg wird morgen verkauft. Dann siehst du sie nie wieder.«

Trotz aller Angst hielt Badra seinem Blick stand. »Kennst du dich mit Falaka aus, Eunuch?« Wie sie beabsichtigt hatte, wich ihm sämtliche Farbe aus dem Gesicht. Sie beugte sich vor. »Denn solltest du sie nicht unverzüglich freilassen, sobald ich dir die Kette bringe, werde ich dir die Schuld für alles geben. Der Duke of Caldwell sorgt dann dafür, dass du den Behörden übergeben wirst, die dir so lange auf die Fußsohlen schlagen, bis du gestehst.«

Musad knurrte: »Also, abgemacht. Komm mit der Kette zurück, und sie ist frei!«

Etwas leiser fügte er hinzu: »Bringst du mir die Kette nicht, kannst du sie nur befreien, indem du hierbleibst und monatlich an den Höchstbietenden verkauft wirst. Das ist ein Versprechen.«

Badra holte tief Luft. Ein solch gefährlicher Handel mit einem kaltblütigen Reptil wie Musad kam einem Tanz mit einer Schlange gleich. Doch ihre Liebe zu Jasmine überwog alle Risiken.

»Darf ich einen Moment mit meiner Tochter allein sein?«, fragte sie.

Er grunzte, befahl aber dennoch der anderen Frau, sie allein zu lassen. Badra ging zu Jasmine und nahm sie in die Arme, erfüllt von einer Mischung aus Dankbarkeit und Schuld. »Ich passe auf dich auf, meine Süße!«

»Badra, ich verstehe das nicht, was diese Frau mir erzählt. Warum sollte irgendein Mann solche Sachen tun wollen?«, fragte Jasmine unsicher und ängstlich. Ihre Furcht lag wie ein Schatten auf ihrem lieblichen Gesicht.

»Vergiss das, mein Liebling!«, flüsterte Badra und küsste sie auf die Stirn. »Vergiss das alles und denk nur an hübsche, angenehme Dinge!« Sie wiegte ihr Kind in den Armen und begann, ihm ein englisches Wiegenlied vorzusingen – das einzige, das sie kannte, weil Elizabeth es ihrem kleinen Sohn vorgesungen hatte.

Wenige Minuten später kam eine der Wachen zu ihnen. »Zeit, zu gehen!«

Badra umarmte ihre Tochter zum Abschied und zwang sich, zu lächeln, auch wenn ihre Lippen zitterten. Nie wieder! Meine Tochter wird niemals erleiden, was ich durchgemacht habe, und wenn ich dafür ihren Platz einnehmen muss. Ich werde sie nicht im Stich lassen.


Der Trott des Kamels, in dessen Rhythmus er hin- und herschaukelte, wirkte beruhigend auf Kenneth. Als er sich allerdings dem Khamsin-Lager näherte, bereute er, Victors Angebot nicht angenommen zu haben, ihn zu begleiten.

Das Geschäft seines Cousins hatte sich als ein verstaubter kleiner Kiosk in einer verlassenen Seitengasse entpuppt, was Kenneths Verdacht zu bestätigen schien. Er bezweifelte, dass sich mit diesem Laden irgendwelche Gewinne erwirtschaften ließen. Deshalb nahm er sich vor, seinen Cousin von Zaid überprüfen zu lassen.

Schwarze Zelte ragten aus dem Sand auf. Die Krieger, die am Rand des Lagers wachten, bemerkten ihn und stießen einen melodischen Schrei aus.

Das war ein Warnruf – kein Willkommensgruß.

Die Zügel haltend, glitt Kenneth vom Kamel. Sein Hemd klebte ihm schweißdurchnässt am Körper. Nie zuvor hatte er in der Sommerhitze so geschwitzt wie jetzt, da er dem Stamm gegenübertreten musste, von dem er glaubte, ihn für immer verlassen zu haben, und den Scheich wiedersehen würde, der ihn einst seinen Bruder genannt hatte.

Leute eilten herbei, tuschelten und nickten in seine Richtung. In der arabischen Welt galt es als unhöflich, auf jemanden zu zeigen, und so starrten sie ihn nur an. Kenneth erwiderte ihre Blicke mit einem eisernen Lächeln. Kurz vor dem ersten Zelt blieb er stehen. Eine Schafherde begann zu blöken, und floh vor ihm, als wäre er ein Wolf.

Er kam sich vor wie eine Schlange, die unerlaubt ins Paradies eindrang. Keiner der Umstehenden schenkte ihm ein Lächeln. Zwei Krieger runzelten sogar die Stirn und hoben ihre Gewehre, allerdings ohne sie auf ihn zu richten – noch nicht jedenfalls.

Eine hübsche Frau in Blau, ihren Schal um das blonde Haar gewickelt, lief ihm entgegen. »Kenneth!«, rief sie erfreut.

Elizabeth schlang die schmalen Arme um ihn und drückte ihn fest. Eine Flut von Gefühlen überwältigte ihn, als er die Frau des Scheichs umarmte. Frauen verziehen eben viel rascher als Männer.

»Du bist zu uns zurückgekommen!«, sagte sie auf Englisch. »Ich wusste, dass du uns nicht vergessen könntest!«

Kenneth ließ sie los, die Hände noch auf ihren Armen. Wie er es hasste, diesen hoffnungsvollen Ausdruck aus ihren Augen vertreiben zu müssen! »Elizabeth, es ist nicht so, wie du denkst«, begann er.

Er verstummte jedoch gleich wieder, als eine Gruppe blaugewandeter Krieger auf ihn zukam. An ihrer Spitze entdeckte er zwei vertraute Gesichter. Es gab eine Zeit, da waren sie seine Freunde gewesen, doch die war vorbei.

Zwei Augenpaare, eines pechschwarz, das andere wie dunkles Gold, durchbohrten ihn geradezu. Jabari und Ramses, der Scheich und der Mann, der ihn schon sein ganzes Leben lang bewachte. Ihre Mienen waren undurchdringlich und ernst. Nein, sie hießen ihn hier nicht willkommen. Der Scheich trat näher, ein gefährliches Funkeln in den Augen, zog seinen Krummsäbel mit dem Ebenholzgriff und hielt ihn Kenneth an die Kehle.

»Nimm die Hände von meinem Weib!«

Leidenschaft der Wüste: Sie suchte seinen Schutz - und fand die Liebe
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