Kapitel 18

Kenneth schritt durch die Korridore und merkte sich unauffällig jedes Detail – jede Nische, jeden Winkel und jeden Zugang. Er bog um eine Ecke und entdeckte eine Tür, die von einem finster aussehenden Eunuchen bewacht wurde, an dessen Hüfte ein Krummsäbel baumelte. Eine Tür nach draußen?

Der Wächter verzog keine Miene, als er höflich sagte: »Falls Sie nach einem Ausgang suchen, Sir, benutzen Sie bitte das Haupttor.«

»Und durch diese Tür da komme ich nicht ins Ka’ah?«, fragte Kenneth und beobachtete den Mann genau.

»Nein, dahinter ist nur ein Balkon.«

Der Balkon, von dem eine Treppe hinunter in den Garten führte. Gut. Kenneth sah dem Wächter ins Gesicht. »Ich brauche ein paar Sachen. Nach wem soll ich läuten?«

»Läuten Sie einfach die Klingel im Zimmer, Sir, und die Dienerinnen bringen Ihnen alles, was Sie wünschen.«

»Ich will jemanden, dem ich vertrauen kann.« Kenneth holte ein dickes Bündel Pfundnoten hervor. Wie er erwartet hatte, bekam der Mann große Augen.

»Ich möchte jemanden, der vor den Gemächern meiner Konkubine Wache hält. Ich will nicht, dass irgendjemand hineingeht, solange ich fort bin.«

Der Mann nickte. »Ich kann mich hier von einem der anderen Wächter ablösen lassen.«

»Schön. Dann brauche ich noch jemanden, der für mich zum Markt geht. Ich will Jasmin, und zwar frische Blumen, kein Duftöl.«

»Wie viele Blumen, Sir?«

»Genug, um das Zimmer zu füllen. Aber sie müssen sehr frisch sein.« Kenneth zählte betont langsam ein paar Geldscheine ab. Gier funkelte in den Augen des Wächters auf. Kenneth gab ihm die Scheine.

»Das ist für dich, weil du mir diesen großen Gefallen erweist.«

Dann nahm er noch mehr Scheine und gab sie ihm. »Und das ist für die Einkäufe und denjenigen, der sie erledigt.«

Ein Lächeln, so schmal wie die Klinge seines Krummsäbels, trat auf die Lippen des Mannes. Kenneth betete im Stillen, er möge verlässlich sein.


Khamsin-Krieger belagerten das Shepherd’s Hotel.

Kenneth konnte nicht umhin, eine gewisse Belustigung zu empfinden, als er in dem großen Sessel der Suite saß, die er für Jabari gebucht hatte. Der Scheich saß ihm gegenüber und wirkte sehr ernst. Um ihn herum breitete sich ein Meer von blaugewandeten Männern aus, zusammengerollt auf Schlafmatten. Sie schliefen, so wie sie es stets taten, bevor sie sich zum Angriff gegen einen feindlichen Stamm aufmachten. Zwölf der besten Kämpfer. Kenneth fragte, was der Hotelchef zu dieser Invasion dunkelblauer Kaftans und scharfen Stahls in seinem vornehmen europäischen Hotel gesagt hatte.

»Erst regte er sich auf, wir seien zu viele, aber als er herausfand, dass wir die Gäste des Duke of Caldwell sind, war er ganz still«, erzählte Jabari grinsend.

Kenneth betrachtete den Krummsäbel, der in Reichweite des Scheichs lag, und stellte sich vor, was für ein Bild es gewesen sein mochte, als die kühnen Krieger sich dem Hotelchef entgegengestellt hatten. Ihr eindrucksvolles Auftreten dürfte ihn zweifellos stärker eingeschüchtert haben als irgendein Titel.

»Sie müssen nicht alle bei dir übernachten, Jabari.«

»Nein, sie bekommen Zimmer, aber heute Abend wollten sie hierbleiben, bis wir von dir hören. Wir haben eine Frau mitgebracht, die sich des Kindes annimmt. Morgen schicke ich Jasmine mit ihr zum Lager. Dort kann sie bei Elizabeth bleiben. Rashid ist bei ihr und bewacht sie, solange sie hier ist.« Der Scheich lüpfte eine Braue. »Wir brauchen keine zusätzlichen Räume, und so hast du noch Geld gespart.«

»Danke für deine Rücksichtnahme. Ich vermute allerdings, die Essensrechnung wird das wieder ausgleichen«, bemerkte er trocken.

»Wer kann in Zeiten wie diesen essen?«, fragte Jabari.

Er trug einen bequemen weißen Kaftan, darunter eine weite weiße Hose und hatte seinen Turban abgenommen. Sein tintenschwarzes Haar fiel über seine Schultern. Trotz seines lässigen Aufzugs, war Kenneths Freund eindeutig angespannt. Er hatte dunkle Ringe unter den Augen und saß so gerade in seinem Sessel, als wäre er jederzeit sprungbereit.

Kenneth hatte seinen Ziehbruder seit Jahren nicht mehr so erlebt, seit Elizabeth von Fareeq entführt worden war. Jabari sorgte sich sehr um Badra. Deshalb versuchte Kenneth, ihn zu beruhigen.

»Badra geht es gut. Vorerst gehört sie mir.«

»Du hast sie gekauft?«

»Wäre es dir lieber gewesen, wenn sie jemand anders ersteigert hätte?«

»Mir wäre es lieber gewesen, wenn sie überhaupt nicht versteigert worden wäre«, erwiderte der Scheich ruhig. »Ist dir bewusst, dass es dasselbe Bordell ist, in dem sie als Kind verkauft wurde?«

Kenneth machte einen abfälligen Laut. »Ja, und ich habe vor, sie da rauszuholen.«

»Gut. Du brauchst es nur zu sagen, dann stürmen wir das Freudenhaus.«

»Nein, Jabari, das könnt ihr nicht einfach stürmen. Damit brächtet ihr Badra und die anderen Frauen in Gefahr. Gib mir Zeit, um mir ein genaues Bild des Harems zu machen und die Schwachstellen zu finden. Uns bleibt ein Monat, bevor sie wieder versteigert wird.«

Der Scheich sah ihn eindringlich an. »Dann komm wieder zu uns, wenn du weißt, wie wir sie am besten retten können, Khepri. Aber pass gut auf sie auf!«

»Ich halte mich nach wie vor an den Eid, den ich einst leistete, sie mit meinem Leben zu schützen«, erklärte er ernst.

Der Scheich wurde nachdenklich. »Du sagtest, du liebst sie, Kenneth. Badra braucht die Liebe eines guten Mannes. Sie ist ebenso lieblich wie ihr Namensgeber, der Mond, aber wie der Mond ist auch sie von Dunkelheit umgeben.«

Kenneth ahnte, worauf dieses Gespräch hinauslief, beugte sich vor und sagte leise: »Und dein Vater gab mir den ehrbaren Namen eines alten ägyptischen Sonnengottes: Khepri. Dieser Gott steht für den Sonnenaufgang und die Schöpfung neuen Lebens. Erinnerst du dich, Jabari? Er sagte, ich sei strahlend wie die Sonne und ebenso intensiv. Der Mond und die Sonne können ohne einander nicht sein.« Er machte eine kurze Pause, ehe er fortfuhr: »Aber der Mond ist scheu, weiblich und muss sanft verführt werden, um sich vollständig zu öffnen. Am Ende jedoch ergibt er sich der wärmenden Umarmung durch die Sonne.«

»Khepri – der Sonnengott, der neues Leben spendet«, sinnierte Jabari laut. »Vielleicht kannst du Badra neues Leben schenken.« Dann verdunkelten seine Züge sich. »Aber eines sollst du wissen: Falls du ihr weh tust, werde ich dir das nie verzeihen!«

»Ich werde ihr nicht weh tun.«

Er stand auf, bahnte sich einen Weg zwischen den Schlafenden hindurch zur Tür und blieb kurz dort stehen.

»Was immer ihr braucht, lass es auf meine Rechnung setzen. Aber macht bitte kein Feuer in der Suite oder röstet ein Lamm im Schlafzimmer!«, bat er.

Der Scheich sah ihn grinsend an. »Hältst du uns für Barbaren, Khepri? Wenn meine Männer Hunger bekommen, rösten wir im Speisesaal ein Lamm.«

Sein leises Lachen folgte Kenneth aus der Tür.


Das Klopfen harter Stiefelabsätze auf dem Marmorboden verriet ihr, dass er wiederkam. Badra huschte sofort zum Bett und kroch unter die Decke. Heftige Schauer schüttelten ihren Körper.

Kenneth hatte sie eine ganze Zeit in Ruhe gelassen. Jetzt, in der Nacht, würde er es nicht mehr. Sie war gleichermaßen erregt wie verängstigt.

Vollkommen still lag sie da, in sich zusammengerollt, als die Tür mit einem Klicken aufging. Auf einem Sandelholztisch brannte eine Öllampe. Furchteinflößende Geräusche drangen an Badras Ohren: Er knöpfte sein Hemd auf und zog es aus. Dann senkte sich die Matratze. Er setzte sich aufs Bett. Zweimal gab es einen dumpfen Knall. Das waren seine Stiefel, die auf den Teppich fielen. Es folgte ein Rascheln, als er sich die Hose und anschließend die Unterhose auszog.

Er war nackt!

Kenneth hob die Decke hoch und schlüpfte ins Bett. Dabei wehte ein kühler Lufthauch über Badras Körper, der ihr wie ein Eisbad vorkam.

Seine tiefe Stimme erschreckte sie. »Jabari weiß, dass es dir gutgeht. Ich sagte ihm, dass ich jeden Zentimeter dieses Hauses erkunden werde. Dann können wir einen Plan machen, wie wir dich hier herausholen.«

Seine Worte waren nur ein geringer Trost. Was war bis dahin? Die Frage lag ihr auf der Zunge, doch als sie endlich ihre Stimme fand, klang sie wie ein heiseres Krächzen.

»Was wirst du mit mir machen, Khepri?«

»Badra, ich will ehrlich zu dir sein. Ich begehre dich.«

Tränen stiegen ihr in die Augen. Er rutschte näher zu ihr, so dass seine Hitze sie umfing und sein harter Körper sich an ihren Rücken schmiegte. Sie fühlte, wie seine steife Männlichkeit sich gegen ihren Po presste. Badra verkrampfte sich. Sie wusste, oh Gott, sie wusste, was als Nächstes geschehen würde! Oh nein, bitte, wenn er das tut, ertrage ich es nicht, ich schwöre, dass ich das nicht kann! Sollte er zu einer rasend lüsternen Bestie werden und diesen wahnsinnigen Blick bekommen, um sich sodann gewaltsam in sie zu stoßen, könnte sie es nicht ertragen.

Nicht er. Nicht Khepri. Bitte, nicht er!

Aber er rührte sich nicht. Er lag einfach da und streichelte ihr Haar. Schließlich richtete er sich auf, und sie kniff die Augen zusammen. Verzweifelt versuchte sie, sich auf das Unvermeidliche gefasst zu machen. Jetzt gleich würde er zu einer brutalen Bestie werden, grunzen und seinen Schwanz in sie hineinstoßen, um sich von dieser Härte zu befreien und seinen Samen in ihren Bauch zu spritzen. Und danach würde er schnaufend daliegen, seine Augen glühend vor Triumph.

Das Bett wippte und knarrte, bevor etwas Schweres und Weiches über sie fiel. Badras Zittern hörte auf. Vorsichtig öffnete sie ein Auge.

Das war eine Decke. Eine warme dicke Wolldecke lag auf ihrem bebenden Körper.

Kenneth bewegte sich geräuschlos durchs Zimmer, ganz ein Khamsin-Krieger. Sie hörte, wie er leise seufzte, als er es sich in dem großen Sessel unter dem Fenster so gemütlich machte, wie es für seinen großen muskulösen Körper überhaupt möglich war.

Sie wartete. Und wartete.

Nach einer halben Ewigkeit hörte sie gleichmäßiges Atmen vom Fenster. Er schlief. Badra zog die warme Wolldecke fester um sich und empfand eine unendliche Erleichterung.

Er hatte sie nicht angefasst.

Er war immer noch Khepri, immer noch ein Ehrenmann.

Dafür liebte sie ihn umso mehr, so sehr, dass sie Herzklopfen bekam und ihr Tränen über die Wangen liefen.

Leidenschaft der Wüste: Sie suchte seinen Schutz - und fand die Liebe
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