Kapitel 25

Sie hatte ihre Liebe, ihren Krieger und Beschützer verloren.

Die geräumige elegante Suite fühlte sich so behaglich an wie ein Grab. Tränen brannten ihr in den Augen und kullerten ihre Wangen hinab, als Badra auf dem weichen Bett hockte und versuchte, alles zu verstehen. Kenneth verführte sie zur Leidenschaft, eroberte ihren Körper, liebte sie mit der Intensität eines Mannes, der eine Frau anbetete, befreite sie von den Dämonen ihrer Vergangenheit … und ging dann. Warum? Die Worte, die er gesprochen hatte, als er sie schlafend glaubte, deuteten an, dass er sie möglicherweise nie wiedersehen würde. Nie!

»Wie konnte er mich verlassen?«, flüsterte sie.

Vielleicht hatte der Unterschied zwischen ihren beiden Kulturen sich doch als unüberbrückbar erwiesen. Der wohlhabende Duke of Caldwell, der gezwungen war, sich in den gehobenen englischen Kreisen zu bewegen, hatte begriffen, dass er keine Ägypterin heiraten konnte, die einst eine Konkubine gewesen war. Aber sie verstand es trotzdem nicht. Waren die süßen Worte der Liebe, die Versicherungen und Versprechen nichts als Lügen gewesen?

Badra schlang die Arme um ihren Oberkörper. Ihre Gefühle lagen im Widerstreit mit ihrer Verwirrung. Nachdem sie sich geliebt hatten, hatte Kenneth von Heirat gesprochen und davon, viele niedliche pausbäckige Babys zu bekommen. Was hatte den plötzlichen Sinneswandel herbeigeführt? Kenneth, die Kobra, hatte die Haut des Khamsin-Kriegers mit allen dazugehörigen Pflichten abgelegt und war in die des reichen englischen Adligen geschlüpft, der in einer herausgeputzten gebildeten Welt lebte. Waren seine Liebeserklärungen nichts als eine List gewesen, um sie ins Bett zu bekommen?

Aber er liebte sie als das, was sie war: ein Beduinenmädchen mit dunklem Teint, das Kamelmilch trank und in einem Zelt wohnte. Daran glaubte sie fest.

»Du bist alle Sterne des ägyptischen Nachthimmels für mich, meine Liebe«, hatte er heiser geflüstert, während sie sich leidenschaftlich geliebt, vereinten und ineinandergeschmiegt hatten wie Schlangen, so sehr wollten sie eins sein.

Ich habe ihn verloren, dachte sie traurig. Dann jedoch setzte sie sich kerzengerade auf, und ihre Verzweiflung wich trotziger Entschlossenheit.

Nein! Ich lasse nicht zu, dass er einfach verschwindet. Ich verdiene eine Erklärung. Was ist mit meinen Wünschen und Bedürfnissen?

Nun, da sie in seinen Armen Leidenschaft und Erfüllung als Frau entdeckt hatte, wollte Badra mehr. Schluss mit dem ängstlichen Zurückschrecken vor ihren eigenen Wünschen! Es war an der Zeit, sich endlich das zu nehmen, was das Leben zu bieten hatte – alles, was die Liebe zu bieten hatte. Ich verdiene es!

Falls Kenneth, der arrogante Herzog, sie nicht wollte, musste sie feilschen. Khepri, der starke Kämpfer, liebte sie, dessen war sie sich sicher. Und falls der Stadtmensch und Herzog bezweifelte, dass ein einfaches Beduinenmädchen in die feine englische Gesellschaft passte, würde sie ihm das Gegenteil beweisen.

»Ich werde nicht gehen, ehe er mich nicht akzeptiert, zu welchen Bedingungen auch immer«, flüsterte sie. »Ich liebe ihn zu sehr, um aufzugeben.«

Sie sprang aus dem Bett und lief zum Spiegel. Dort bürstete sie sich das Haar, bis es glänzte. Dann fiel ihr Blick auf die Jambiya auf der Kommode: Kenneths Dolch. Der Dolch, den sie sich genommen hatte, nachdem er ihn vor seiner Abreise nach England in den Sand geschleudert hatte.

Badra wog die Waffe in den Händen. Sie würde sie ihm zurückgeben, als ein Symbol, mit dem sie sich von der Vergangenheit freischnitten, um neu anzufangen.

Sie lüpfte den Saum ihres dunkelblauen Kaftans und zurrte den Dolch an ihrem Schenkel fest. Sobald sie fertig war, schlich sie sich aus der Suite.

Festen Schrittes ging sie zu Kenneths Tür und klopfte energisch an. Keine Antwort. Er konnte Kairo unmöglich schon verlassen haben.

»Er ist nicht hier.« Badra erschrak, als sie die Stimme hörte, drehte sich um und sah Kenneths Cousin, der hinter ihr stand. »Ich will ihn gleich in meinem Geschäft treffen. Wollen Sie vielleicht mitkommen?«

Sie zögerte. Andererseits rannte ihr die Zeit davon, und sie musste Kenneth sehen, bevor sie der Mut verließ. Also nickte sie.

Das Geschäft war vom Hotel aus zu Fuß zu erreichen, erklärte er ihr. »Ich fürchte allerdings, dass die Lage nicht besonders schön ist. Ich fange ja gerade erst an, aber sobald ich genug verdient habe, ziehe ich in ein besseres Viertel«, sagte er.

Als sie durch die Stadt gingen, sprach Victor mit ihr über die Zeichnungen, die sie an der Ausgrabungsstelle gemacht hatte, und lobte ihre Arbeit. Immer wieder mussten sie sich durch Menschenmassen um den Marktplatz herum drängeln. Hinter dem Markt wurde Kairos Labyrinth aus Straßen und Seitengassen zusehends unübersichtlicher, und Badra musste sich bemühen, die Ruhe zu bewahren.

Victor bog um eine Ecke und führte sie tiefer in die Altstadt. Ein leichter Schauer jagte Badra über den Rücken, denn die Gegend war wirklich sehr heruntergekommen. Die Fassaden der alten Gebäude waren fleckig, Abfälle verrotteten in den Rinnsteinen. In einem Haus mit gefährlich schief hängendem Balkon hatte jemand versucht, die düstere Umgebung etwas aufzuhellen, indem er eine welkende Geranie auf den rissigen Beton gestellt hatte. Eine weiße Katze hockte regungslos in einem offenen Hauseingang.

Katzen, Hüter des Lebens nach dem Tod, dachte Badra finster.

Sie erreichten das Geschäft, das nur über ein kleines schmieriges Schaufenster verfügte. Über der Tür stand in arabischen Lettern »Antiquitäten«. Alles wirkte ungepflegt und verlassen.

Victor hielt ihr höflich die Ladentür auf und bat sie herein. Innen roch es staubig, muffig und alt. Sie blinzelte im dämmrigen Licht, als sie die eingestaubten Statuen betrachtete, die auf einem Tisch standen. An einer Wand hing ein spakiger Silberspiegel. Bei einer kleinen Statue des Osiris, Gott des Jenseits, blätterte die Goldfarbe ab, so dass hier und da das Holz darunter hervorlugte. Selbst Badras ungeübtes Auge erkannte auf den ersten Blick, dass diese Antiquitäten nicht echt waren.

Ihr stockte der Atem. Handelte Victor mit gefälschten Kunstgegenständen? Sie vermutete, dass Victor, ebenso wie die Osiris-Statue, unter der glänzenden Lackierung etwas Unheimliches verbarg.

Dann hörte sie Geräusche aus dem Hinterzimmer des Geschäfts, und im nächsten Moment erschien Kenneth, dessen weißer Anzug in dem düsteren Raum wie ein Sonnenaufgang leuchtete. Er wurde blass, als er sie erblickte.

»Badra, was machst du hier? Raus mit dir!«, befahl er schroff.

Sie aber richtete sich zu ihrer vollen Größe auf und holte tief Luft. »Ich bin hier, weil du mich verlassen hast. Du dachtest, ich würde schlafen, aber ich habe jedes Wort gehört. Was ist mit deinen Versprechen? Du sagtest, dass du mich liebst.« Sie schluckte. »Aus Scham ließ ich dich schon einmal fortgehen. Aber das kann ich nicht noch einmal. Ich liebe dich.«

»Oh Gott!«, flüsterte er, und seine breiten Schultern sackten sichtlich ein. »Du und deine Beharrlichkeit … Was du wolltest, hast du schon immer mit aller Kraft verfolgt – ebenso unaufhaltsam wie der Khamsin-Wind, der durch die Wüste fegt …«

»Du Glückspilz!« Victor schüttelte den Kopf. »Ich wünschte, mich würde eine Frau so sehr lieben!«

Die kleine Silberglocke über der Tür bimmelte. Badra und Victor drehten sich um. Vor Entsetzen war Badra unfähig, zu denken. Das durfte nicht sein!

»Omar?« Ihre Stimme war nur noch ein heiseres Flüstern.

»Hallo, meine Liebe«, sagte er höflich und verneigte sich hämisch vor Kenneth. »Ah, der Duke of Caldwell, Kenneth Tristan. Ich glaube nicht, dass ich dich noch länger als ›Euer Gnaden‹ ansprechen muss.«

»Was zum Teufel machst du hier?«, fuhr Victor ihn barsch an. »Du hast versprochen, nicht hier aufzutauchen.«

Badras früherer Besitzer wandte sich zu Kenneths Cousin um. »Da habe ich gelogen.«

Ein markerschütterndes Krachen erfüllte den Raum, als er die Osiris-Statue hochhob und sie Victor an die Schläfe schleuderte. Dann legten seine Hände sich um Badras Hals und drückten mit bestialischer Kraft zu. Oh Gott! Seine dicken Daumen pressten sich in ihre Kehle und schnitten ihr die Luft ab.

»Keine Bewegung!«, warnte Omar Kenneth, als dieser vortrat. »Ein Schritt näher, und ich erwürge sie!«

Leidenschaft der Wüste: Sie suchte seinen Schutz - und fand die Liebe
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