Kapitel 11

Sein ägyptischer Bruder war zu seinem Feind geworden.

Die stählerne Schwertklinge lag kalt an Kenneths Hals, und merkwürdigerweise wurde er auf einmal vollkommen ruhig, obwohl er dem Khamsin-Scheich deutlich ansah, wie zornig er auf ihn war. Einst hatten diese schwarzen Augen Zuneigung und Verständnis ausgedrückt. Nun war da nichts als Kälte und Wut. Kenneth ließ die Hände auf Elizabeths Armen. Er durfte sich von Jabari nicht einschüchtern lassen, denn damit würde er sich höchstens seine Verachtung sichern. Und lieber zog er den Zorn des Scheichs auf sich als seinen Hohn.

»Eine komische Art, einen Besucher zu begrüßen, Jabari«, raunte er ihm auf Arabisch zu. »Ich schätze, das heißt, dass ich keinen Kaffee bekomme?«

»Jabari, lass das, sofort!«, wies Elizabeth ihren Gatten zurecht.

Der Scheich stieß einen verärgerten Laut aus, nahm aber den Krummsäbel herunter. Allerdings steckte er ihn nicht in die Scheide zurück, sondern behielt ihn in der Hand.

Elizabeth trat einen Schritt zurück, so dass Kenneths Hände sie nicht mehr berührten. Der Anflug von Gereiztheit verschwand aus ihrem Gesicht, als sie ihrem Mann eine sonnengebräunte Hand auf die Schulter legte. »Jabari, Kenneth ist zu Besuch gekommen. Willst du ihm nicht wenigstens die gebührende Gastfreundschaft erweisen?«

Wieder murrte Jabari kurz. »Ich schätze, ich muss, denn als Scheich bin ich verpflichtet, alle Besucher freundlich zu behandeln.«

Ramses machte einen Schritt nach vorn, die bernsteinfarbenen Augen vor Wut funkelnd. »Tja, ich nicht«, sagte er ruhig, und plötzlich krachte Kenneth eine riesige Faust gegen den Mund. Elizabeth schrie auf. Schwindlig vor Schreck und Schmerz, torkelte Kenneth ein Stück zurück.

Er fing sich schnell wieder und wischte sich das Blut von den Lippen. Mit einem reumütigen Lächeln betrachtete er die rote Spur auf seinen Fingerspitzen. »Das habe ich verdient«, gestand er und sah Ramses in die Augen. »Das habe ich verdient für das, was ich tat, als ich von hier fortging. Wollen wir uns darauf einigen, dass wir nun quitt sind, oder zwingst du mich, deine Freundlichkeit zu erwidern?«

Ramses stierte ihn frostig an. »Quitt? Da bin ich mir nicht so sicher.«

»Hört auf – hört auf damit, alle drei!«, rief Elizabeth. »Kenneth ist dein Ziehbruder, Jabari. Warum behandelst du ihn so? Er gehört zu unserer Familie!«

Die gewöhnlich beherrschte Frau begann zu weinen. Tränen sammelten sich in ihren leuchtend blauen Augen und kullerten über ihre Wangen. »Er gehört doch zur Familie. Tu ihm das nicht an!«, schluchzte sie.

Schlagartig wich Jabaris Zorn echter Zerknirschung. Er steckte seinen Krummsäbel weg und nahm seine Frau in die Arme, die sich, immer noch schluchzend, an seine Brust schmiegte. »Es tut mir leid, mein Liebes! Ich wollte dich nicht aufregen.«

»Elizabeth? Ist alles in Ordnung?«, erkundigte Kenneth sich leise. Ihre Verzweiflung überraschte und schockierte ihn weit mehr als die Feindseligkeit der beiden Männer.

»Sie ist ein wenig empfindlich. Sie weiß erst seit gestern, dass sie guter Hoffnung ist«, erklärte der Scheich.

Eine zarte dunkelhaarige Frau, die wie Elizabeth einen dunkelblauen Kaftan und einen hellblauen Schal um den Kopf trug, drängte sich durch die Umstehenden zu ihnen durch. Auf ihrer linken Wange hatte sie eine Narbe, die Augen darüber leuchteten grün. Katherine! Sie strahlte über das ganze Gesicht, als sie Kenneth erkannte.

»Khepri!«, rief sie und umarmte ihn.

Ramses fasste sie mit Leichenbittermiene am Arm und zog sie sanft zu sich.

Kenneth wurde zusehends unbehaglich in der angespannten Atmosphäre, und er wusste keine bessere Lösung, als das Paar reumütig anzulächeln. »Dein Vater lässt euch alle herzlich grüßen, Katherine, übrigens auch das Baby, das du erwartest.«

Die Männer schwiegen, während die Frauen besorgt aussahen.

Verfluchter Mist, das war so verdammt schwierig! Er wünschte, er hätte seiner Wut nicht ausgerechnet Jabari gegenüber Luft gemacht, als er das Lager verließ. Mit seinen Worten hatte er ihn tiefer verletzt, als er es durch physische Gewalt je gekonnt hätte.

Er versuchte es noch einmal, indem er sich an die beiden Frauen wandte: »Nun, es überrascht mich nicht, dass ihr beide guter Hoffnung seid. Ramses prahlte stets, dass die Länge des Männerhaars ein Zeichen für seine Fruchtbarkeit sei.«

Er sah erst zu den beiden Khamsin, deren lange Locken unten aus den blauen Turbanen herausragten, dann strich er sich über das kurzgeschnittene wellige Haar. »Demnach müsste das hier wohl die perfekte Verhütung sein, was?«, sagte er schmunzelnd.

Die Frauen lachten, und nun zeigten sich sogar die Anflüge eines Lächelns bei Ramses und Jabari. Kenneth drehte sich um, ging zu seinem Kamel und holte seinen Rucksack. Dann kam er zurück zu der Gruppe, packte ein Päckchen und einen Umschlag aus und reichte Katherine beides.

»Von deinem Vater, mit den besten Wünschen.«

Katherine nahm die Sachen hocherfreut, reichte das Päckchen gleich an Ramses weiter und riss den Umschlag auf. »Ein Brief von Papa! Oh, ein sehr langer noch dazu!«

Ramses packte derweil das kleine Päckchen aus, betrachtete die viereckige Schachtel, die unter dem Papier zum Vorschein kam und las stirnrunzelnd das Etikett. »Englischer Tee?«

»Der beste«, fügte Kenneth hinzu. Das war natürlich gelogen, denn das Etikett bestand für ihn aus Hieroglyphen und konnte ebenso gut besagen, dass die Schachtel reines Arsen enthielt.

Elizabeths rotgeränderte Augen leuchteten vor Freude. »Echter englischer Tee – was für eine Wohltat!«

»Ich danke dir«, sagte Katherine und blickte von ihrem Brief zu Kenneth auf. »Es freut mich sehr, dass du dich mit Papa angefreundet hast.«

»Er hat mir enorm geholfen.«

»Kenneth«, sagte Jabari bedächtig, »du bist zu uns zurückgekehrt.«

Sogleich verflog die kurzzeitig angenehme Stimmung, und Kenneth stellte sich den bohrenden Blicken des Scheichs. »Nicht ganz. Ich muss etwas sehr Wichtiges mit dir besprechen, aber nicht hier vor allen anderen. Das Empfangszelt wäre passend. Ich bin hergekommen, weil ich achte, was uns einst verband.«

Für den Bruchteil einer Sekunde schien Jabari wirklich bewegt, wurde jedoch gleich wieder ernst. Er nickte und sah Ramses an. »Wir beide werden uns anhören, was du zu sagen hast.« Er nickte in Richtung des großen schwarzen Zeltes, in dem gewöhnlich der Rat zusammensaß und alle Entscheidungen getroffen wurden, die den Stamm betrafen.

Alle drei Männer entschuldigten sich bei den Frauen und gingen zu dem Zelt. Katherine stand mit dem Brief in der Hand da und sah Kenneth verwirrt nach. Das war kein gutes Zeichen – das und die Tatsache, dass Jabari nicht befohlen hatte, das Gästezelt herzurichten. Er sollte also nicht bleiben.

Trotzig hakte er die Daumen hinter seinen Gürtel und folgte den beiden Männern mit großen Schritten, jenen Kriegern, die einmal sein engster Freund und sein Bruder gewesen waren.


Mit gekreuzten Beinen hockte er auf dem bunten Teppich des Zelts. Die Eingangsplane war vollständig heruntergerollt worden, damit sie ungestört blieben. Die Seitenwände raschelten im Wind. Kenneth beobachtete den Scheich und Ramses, die sich Mühe gaben, ruhig zu wirken, genau wie er. Er holte tief Luft, bis seine Atmung ebenmäßig und flach war. Rein äußerlich zeigte er keine Spur von Angst. Und doch schwitzte er unter seiner leichten Khakihose. Jahrelang hatte er in der Wüste gelebt, aber sein Körper schien vergessen zu haben, wie er sich an diese Temperaturen anpasste.

Früher hatte er dieselbe Uniform wie die Stammeskrieger getragen: dunkelblaues Binish, weite Hosen, weiche Lederstiefel und einen scharfen Krummsäbel an seinem Gürtel. Das war Vergangenheit. Heute unterschied ihn sein Khakianzug deutlich von den beiden anderen Männern.

Jabari betrachtete ihn aufmerksam, und Kenneth sah den Scheich nicht minder wachsam an. Die Feindseligkeit zwischen ihnen war beinahe mit Händen zu greifen. Kenneth berührte gedankenverloren die Kobratätowierung auf seinem rechten Arm, als wollte er sich an eine andere Zeit und einen anderen Ort erinnern – als er noch Seite an Seite mit diesen Männern gekämpft hatte.

»An dem Tag, als du nach England aufbrachst, hast du mir unmissverständlich klargemacht, dass du mich nicht wiedersehen möchtest«, brach Jabari das Schweigen.

Kenneth rieb sich den Nacken, wo seine Muskeln zu angespannt waren. Gleich zur Sache zu kommen und zu verkünden, dass Rashid ein Dieb war, wäre unklug. Zuerst sollte er Frieden mit der Vergangenheit, mit dem Scheich schließen. Tief in dessen Augen erkannte Kenneth den Schmerz, den er ihm zugefügt hatte, als er von hier fortging. Ich bin nicht dein Bruder und war es nie.

Und die Wut, die er provoziert hatte, funkelte in Jabaris Blick, als er sagte: »Ich habe dich wie einen Bruder behandelt. Ich verlieh dir eine Stellung von höchstem Ansehen, indem ich dich zu Badras Falkenwächter ernannte.« Er machte eine kurze Pause, bevor er fortfuhr: »Du weißt, dass ich Badra liebe wie eine Schwester. Als du kamst und um ihre Hand batst, hielt ich es für eine gute Verbindung.«

»Aber Badra wies mich ab.« Kenneth senkte den Blick.

»Ich konnte sie nicht zwingen.« Jabari legte seine Hände mit nach oben weisenden Innenflächen auf die Knie. Kenneth wusste, was diese Geste bedeutete. Sie signalisierte: Was willst du von mir? Kenneth jedoch war in seinen Erinnerungen gefangen, den Erinnerungen an Badras Ablehnung, an ihre samtige Stimme, die ihn bis ins Mark verletzt hatte.

»Nein, du konntest sie nicht zwingen«, pflichtete Kenneth ihm bei, »aber du hast sie nicht einmal ermutigt, es sich noch einmal zu überlegen. Nein, du ließt mich mit Großvater nach England reisen. Manchmal frage ich mich, ob du mich je als deinen wahren Bruder gesehen hast.« Seine Worte klangen verbittert, und für eine Weile senkte sich tiefes Schweigen über die drei Männer.

Dann aber donnerte Jabari: »Du lügst!« Er rang nach Luft und ballte die zitternden Hände zu Fäusten. »Nicht mein Bruder? Nicht mein Bruder, Kenneth? Nein, nicht ein leiblicher Bruder, aber doch einer, der mir um ein Vielfaches näher war!«

Jabari blickte zur Seite auf den juwelengeschmückten Hochzeitsdolch, der dort an seinem Gürtel hing, und zog ihn hervor. Mit einer geschmeidigen Bewegung schleuderte er die Waffe auf Kenneth zu, und das Symbol der Hassid-Zugehörigkeit landete Millimeter neben Kenneths Stiefel.

»Ich gab dir dies – den Hassid-Hochzeitsdolch, der über Jahrhunderte von einer Generation Hassids zur nächsten weitergereicht wurde. Du lehntest ihn ab. Du hast mich als deinen Bruder verleugnet – nicht umgekehrt!«

Kenneth betrachtete die Klinge, die ihn von dem Stamm abschnitt, der ihn aufzog, von dem Bruder, der ihn liebte. Auf seine Weise hatte er Jabari ebenso grausam zurückgewiesen wie Badra ihn. Und während er den Dolch betrachtete, krampfte sich sein Herz in der Brust zusammen. Die Waffe durchtrennte die Teppichfäden und zeichnete so die Trennlinie nach, die er zwischen sich und seinen früheren Brüdern gezogen hatte.

Er war kein Khamsin mehr.

Nein, der Scheich könnte ihm nie eine solche Beleidigung verzeihen. Wenn er allerdings den Grund erführe …

»Jabari, was glaubst du, weshalb ich den Dolch ablehnte?«

Der Scheich reckte das Kinn und streckte die Schultern durch. Würdevoll und stolz sah er Kenneth an. »Weil du allem Ägyptischen den Rücken zugekehrt hast. Du hast dich von mir abgewandt, weil du dich für uns schämtest, als du erfuhrst, dass du ein wohlhabender englischer Herzog werden würdest. Du schämtest dich für mich, deinen Bruder.«

»Mich für dich schämen?« Kenneth lachte harsch. »Mein Gott, die ganze Zeit … dachtest du, ich wäre irgendein überheblicher englischer Snob?«

Ramses und Jabari starrten ihn an, als hätte er den Verstand verloren. »Was genau amüsiert dich so?«, fragte Ramses.

Kenneth schluckte. »Alles. Du dachtest, ich würde mich schämen. Tat ich auch – aber nicht für dich. Es kostete mich eine unbeschreibliche Kraft, an Bord des Schiffs zu gehen und dieses Leben hinter mir zu lassen, das alles war, was ich kannte, schätzte und liebte.« Er lachte weiter.

Die beiden Männer blickten ihn verwundert an. »Vielleicht hat ihm die Wüstenhitze den Geist verwirrt«, gab Ramses zu bedenken.

Kenneth aber schluckte seinen Stolz hinunter und fuhr fort: »Weißt du, warum ich das gesagt habe?« Er wartete die Antwort nicht ab, weil er wusste, dass einzig die schmerzliche Wahrheit jene Wunden heilen konnte, die ihnen allen sein Abschied von seiner Vergangenheit zugefügt hatte. Also bündelte er all seine Kraft.

»Ich habe mich geschämt, Jabari, aber nicht für dich! Ich schämte mich meiner tiefen Gefühle für Badra und des Schmerzes, den mir ihre Ablehnung bereitete. Du sagtest mir, ich sollte den Dolch für den Tag verwahren, an dem ich heiraten würde. Wie konnte ich denn überhaupt daran denken, eine andere zur Frau zu nehmen? Badra war mein Leben. Fünf Jahre lang bewachte ich jeden ihrer Schritte. Ich beobachtete sie immerzu, und ich betete sie an. Dann aber wies sie mich zurück, und deine Worte waren für mich wie blanker Hohn. Sie waren wie Dolche, die mein Herz durchstachen.«

Er schwieg für einen kurzen Moment, bevor er die Worte aussprach, die er bisher noch nie gesagt hatte: »Ich liebte sie.«

Nun, da die letzte Barriere durchbrochen war, konnte er seinem Ziehbruder auch gleich alles gestehen: »Wenn Elizabeth, die Frau, die du über alles liebst, deinen Antrag abgelehnt hätte und ich wäre gekommen und hätte dir fröhlich ein Heiratssymbol überreicht, was hättest du getan? Hättest du nicht vor Zorn um dich geschlagen? Wärst du nicht auf das Schiff gegangen und hättest dir dabei geschworen, nie mehr zurückzukehren?«

Ramses machte große Augen und sah zu Jabari, der ihn ansah. Dann rieb der Scheich sich schuldbewusst über das bärtige Kinn.

»Allah, mir war nicht bewusst, wie viel sie dir bedeutete. Ich glaubte, du würdest ihr aus reiner Entschlossenheit nachstellen – derselben Entschlossenheit, die du bei allen anderen Dingen an den Tag legtest. Mir kam gar nicht der Gedanke, es könnte etwas … Tieferes und Bedeutsameres sein«, sagte Jabari schließlich.

»Doch, das war es«, erwiderte Kenneth. »Und von hier wegzugehen war das Schwerste, was ich je getan habe. Ihr wart meine Familie, die Wüste meine Heimat. Der Gedanke, als englischer Aristokrat zu leben, machte mir entsetzlich Angst. Verdammt, ich wusste ja nicht einmal, ob sie dort anständige Pferde haben, ob die Engländer überhaupt reiten können!«

Der Scheich entspannte sich sichtlich und schien für einen Moment ganz in Gedanken versunken. Dann aber fragte er: »Erinnerst du dich an die Reitprüfung bei deiner Mannwerdung?«

Kenneth lachte leise. »Ein Krieger muss sein Pferd durch eine ganze Reihe von heiklen Übungen führen«, sagte er, obgleich er an etwas anderes dachte.

Ramses sprach es grinsend aus: »Erinnerst du dich, wie wir dich beiseitenahmen und dir sagten, dass die echte Prüfung eine der Männlichkeit wäre?«

Ramses und Jabari hatten ihn in die Lehmhütte der Dorfhure geschleppt, einer erfahrenen Frau, die wusste, wie man junge Krieger ins Erwachsenenalter einführte. Sie hatten ihm gesagt, seine Reitprüfung bestünde darin, zu sehen, wie lange er bei der Frau durchhielt. An jenem Tag verlor er seine Unschuld.

»Du hast Vater gegenüber geprahlt, dass du der einzige Krieger warst, der volle fünfzehn Minuten durchhielt«, erinnerte sich Jabari.

»Und er sagte: ›Mein Sohn, du musst lernen, länger zu reiten. Ein Krieger sein heißt, über Stunden durchzuhalten. Du wirst vielleicht wund, aber es ist deine Pflicht. Zeig deiner Mähre, dass du der Herr bist! Sei sanft, aber bestimmt. Streichle ihr die Nase, um sie zu besänftigen. Und steig nicht von ihr ab, wenn sie Anstalten macht, dich abzuwerfen. Klammre dich mit den Knien fest und reite weiter, bis sie ermüdet‹«, zitierte Kenneth aus dem Gedächtnis.

»Also bist du zurück – entschlossen, genau das zu tun, was er dir gesagt hatte«, ergänzte Jabari lachend.

Kenneth grinste. »Sie schlug mich, als ich ihre Nase streichelte, aber ich klammerte mich fest, wie er gesagt hatte.«

»Man erzählte sich damals, sie konnte eine Woche lang nicht aufrecht gehen, hatte aber ebenso lange ein Lächeln auf dem Gesicht. Du hättest sie heiraten sollen, statt Badra zu umwerben«, sagte Ramses lachend, hielt dann aber abrupt inne.

Jabari rieb sich das bärtige Kinn. »Nun, Khepri, erzähl mir, worüber du mit uns sprechen wolltest.«

Khepri. Mit diesem Namen erneuerte Jabari formell die Bande zwischen ihnen. Der Scheich zeigte ihm, dass er ihn nach wie vor als Khamsin annahm, was Kenneth erstmals seit langem wieder so etwas wie Frieden empfinden ließ. Darüber war er sehr froh – umso mehr, als das, was er ihnen zu erzählen hatte, sie zweifellos tief verletzen würde. Noch mehr.

»Es geht um Grabraub«, begann er knapp und sah, wie beide Männer erschrocken aufmerkten. Ramses schien wütend zu werden, Jabari hingegen wirkte wie vom Donner gerührt, was beinahe komisch anmutete.

»Ich bin hergekommen, um Diebstählen aus dem Grab in Dashur nachzugehen – jener Ausgrabung, die ich mitfinanziere. Eine Goldkette von unschätzbarem Wert verschwand kurz nach ihrem Fund.«

Ramses knurrte leise und fasste mit einer Hand nach dem Griff seines Krummsäbels. Alle Khamsin-Krieger verachteten Grabräuber über die Maßen, Ramses jedoch ganz besonders.

Beunruhigt fragte Jabari: »Du bist nicht hier, um uns nähere Informationen zu geben, Khepri. Warum erzählst du uns überhaupt davon?«

Kenneth langte in seine Westentasche und holte das einzige Beweisstück hervor, das man am Grab gefunden hatte: den blauen Faden. Wie eine Galgenschlinge baumelte er an seinen Fingern. Der Scheich schnappte hörbar nach Luft. Ramses betrachtete den Faden gequält und stieß einen leisen Fluch aus.

»Kein Khamsin kann hinter dieser Untat stecken!«, erklärte der Wächter voller Inbrunst. »Jemand versucht, unseren Namen in den Schmutz zu ziehen.«

»Das besagt gar nichts«, stimmte ihm der Scheich zu, obwohl er auffallend blass wurde. »Elizabeth, Rashid und Badra waren mit mir bei der Ausgrabungsstelle. Vielleicht hat Elizabeth sich dort ihr Kleid eingerissen.«

»Ja, vielleicht. Oder vielleicht wollte jemand, der sich für alte Kunst begeistert, die Kette genauer ansehen können, als es an der Grabstätte möglich ist – und hat sie gestohlen.«

»Du wagst es, Jabari des Diebstahls zu bezichtigen?«, rief Ramses aus.

»Nein, Rashid.«

Jabari war wie versteinert vor Entsetzen. »Bist du sicher?«, fragte er.

»Ich fand den fraglichen Gegenstand in Rashids Tasche, als er bei deinem Schwiegervater wohnte, Ramses.«

Für eine kurze Weile herrschte betretenes Schweigen. »Und was gedenkst du zu tun? Willst du ihn den englischen Behörden übergeben?«, fragte Jabari mit einem Ausdruck großen Kummers.

»Nein. Ich will die Ehre der Khamsin bewahren, nicht den Stamm beschämen, der mich großgezogen hat. Wenn ich es gewollt hätte, wäre ich gleich in London zur Polizei gegangen. Rashid wäre verhaftet und ungeheures öffentliches Aufsehen erregt worden. Aber ich ging nicht hin.« Er seufzte angestrengt. »Stattdessen kam ich zu dir.«

Der Scheich war sichtlich erleichtert. »Wie können wir helfen?«

»Ich bin sicher, dass Rashid mit Schmugglern zusammenarbeitet. Wahrscheinlich benutzt er Badra, um sich auch weiterhin Zugang zu den Ausgrabungen zu verschaffen. Das tat er beim ersten Mal ja auch. Also gebt euch nicht überrascht, falls sie darum bittet, zur Grabstätte reisen zu dürfen, voraussichtlich als Künstlerin. Ich fahre jetzt selbst dorthin, um Rashid auf frischer Tat zu ertappen. Sobald ich ihn gestellt habe, werde ich ihn euch übergeben. Dann bestraft ihr ihn, wie ihr es für angemessen erachtet.«

Alle drei Männer schwiegen, denn sie wussten, was das Stammesgesetz in solchen Fällen vorsah. Man würde Rashid seinen Krummsäbel, seinen Dolch sowie die Khamsin-Kleidung abnehmen und ihn als Geächteten für immer verbannen.

»So sei es dann!«, sagte Jabari schließlich. »Ich vertraue dir. Tu, was du tun musst – aber ich hoffe, dass du dich irrst. Das hoffe ich sogar sehr.«

»Ich auch.« Doch Kenneth wusste, dass Rashid schuldig war.

Als sie aufstanden, klopfte der Scheich ihm auf die Schulter. »Du bleibst hoffentlich noch ein wenig bei uns, wenigstens für einen Abend.«

»Es wäre mir eine Ehre«, antwortete Kenneth förmlich.

Er blinzelte, als sie ins Sonnenlicht hinaustraten. »Und wie geht es deinem Sohn, Jabari?«

Wie aufs Stichwort ertönte in diesem Moment ein lautes Geheul hinter ihnen. Kenneth drehte sich um und erblickte einen sonnengebräunten kleinen Jungen mit im Wind wehenden weizenblonden Haaren, der auf pummeligen Beinchen an ihnen vorbeirannte.

»Ach ja, mein Sohn. Tarik denkt, er sei ein Pferd.«

Tarik galoppierte im Kreis um die drei Männer – splitternackt.

»Aa!«, kreischte er vergnügt.

Jabari lächelte unglücklich. »Wir versuchen, ihm Englisch und Arabisch beizubringen. Mit dem Arabischen tut er sich allerdings leichter als mit dem Englischen. Bisher ist das einzige englische Wort, das er kennt, ›Aa‹.«

Auf Kenneths fragenden Blick hin seufzte Jabari und sah auf einmal wie ein mitgenommener Vater und nicht wie ein arroganter, stolzer Scheich aus. »Badra brachte ihm das Wort bei, damit er es für die andere Sache benutzt, die uns ebenso wichtig ist wie sein Sprechen.«

»Lesen?«

»Nein, auf die Latrine zu gehen. Aber Tarik nimmt das Wort für alles und jedes.«

Kenneth lachte, als der Kleine erneut kreischend um sie herumlief. »Wo sind seine Kleider?«, fragte er.

»Er hat sie wieder einmal in die Latrine geworfen.«

Ramses lachte schallend und hielt sich die Seiten. Jabari quittierte es mit einem finsteren Blick. »Wart’s nur ab, mein Freund, bald ergeht es dir nicht besser – ganz im Gegenteil: Du hast Zwillinge, also doppelt so viel Ärger. Und dann werde ich derjenige sein, der lacht.«

Kenneth sah den Sohn des Scheichs an, hockte sich hin und stützte das Kinn auf die Faust. »Hallo, Tarik«, begrüßte er den Jungen auf Arabisch.

Das Kind blieb ruckartig stehen und starrte Kenneth mit seinen riesigen dunklen Augen an. Der Wüstenwind zurrte an seinem Haar. Nachdenklich steckte der Kleine den Daumen in den Mund und betrachtete Kenneth stumm.

Dieser streckte ihm die Hand hin. Das Sonnenlicht traf auf den herzöglichen Onyxring und brachte ihn zum Funkeln. Als Kenneth bemerkte, wie fasziniert Tarik den Ring ansah, nahm er ihn von seinem Finger und hielt ihn in die Höhe.

»Hübsch?«, fragte er auf Arabisch.

Der Kleine nahm staunend den Ring. Hinter ihnen hörte Kenneth Jabari sagen: »Khepri, ich glaube, das ist keine gute …«

»Aa!«, schrie Tarik vergnügt und rannte mit Kenneths Ring geradewegs in Richtung der Latrinen am äußersten Lagerrand. Ramses lief hinter ihm her und schwang den Jungen in seine Arme und brachte ihn zu den anderen zurück. Grinsend reichte er Jabari seinen Sohn und Kenneth seinen Ring.

»Dein Erbstück hätte beinahe eine recht geruchsintensive Bestattung erlebt. Und glaub ja nicht, dass ich ihn dir da wieder rausgeholt hätte!«

Kenneth blickte auf das Symbol seines Adelstitels und steckte es ein. »Hier ist er wohl sicherer«, murmelte er.

Die Wahrheit war, dass der Ring sich an seiner Hand ohnehin zu schwer und vor allem zu fremd anfühlte – wie so vieles dieser Tage.

Leidenschaft der Wüste: Sie suchte seinen Schutz - und fand die Liebe
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