3. Kapitel
Saba Sebatyne lebte bereits seit über einem Standardjahrzehnt unter Menschen, und doch gab es nach wie vor so vieles, das sie nicht über sie wusste. Sie verstand nicht, warum Meister Skywalker im Augenblick so verloren wirkte, warum er aufgehört hatte, mit seinen Freunden zu reden, und seine Aufmerksamkeit ganz nach innen kehrte. Wusste er denn nicht, dass Mara das gewiss nicht gewollt hätte? Dass sie von ihm erwartet hätte, gefasst zu bleiben und die Jedi durch diese Krisenzeit zu führen?
Stattdessen stand er einfach da und starrte den Scheiterhaufen an, als könne er nicht recht glauben, dass das dort oben seine Gefährtin war; als würde er davon ausgehen, dass sie jeden Augenblick erwachte und von den Holzscheiten herunterkletterte, um sich zu ihm zu gesellen. Vielleicht versuchte er bloß zu begreifen, warum Mara nicht zugelassen hatte, dass ihr Körper wieder in die Macht überging; oder er fragte sich – wie so viele andere Meister –, ob der Leichnam womöglich irgendeinen Hinweis auf die Identität ihres Mörders barg, der bei der Autopsie übersehen worden war. Oder er sorgte sich darum, dass irgendetwas in Maras Vergangenheit verhinderte, dass sie wieder in die Macht eingehen konnte, dass sie als Hand des Imperators etwas so Schlimmes getan hatte, dass die Macht sie nicht mehr zurücknahm.
Saba wusste bloß, dass sie nichts wusste; dass Meister Skywalker auf eine Art und Weise verletzt worden war, die sie niemals verstehen würde, und er sich in seiner Trauer verloren hatte. Und sie fürchtete, dass etwas Schreckliches geschehen würde, sollte er nicht bald wieder zu sich selbst zurückfinden. Das konnte sie in der Macht fühlen.
Saba spürte die Last von jemandes Aufmerksamkeit auf sich, drehte sich um und stellte fest, dass Corran Horns grüne Augen auf ihren Rücken gerichtet waren. Er stand etwa drei Meter entfernt und besprach etwas mit Kyp und Kenth Hamner, während Cilghal, Kyle Katarn und die übrigen Meister bei Meister Skywalker und Ben blieben. Als er bemerkte, dass Saba zu ihm hinsah, zuckte er leicht mit dem Kopf, um sie zu sich herüberzurufen.
Saba nickte, warf jedoch zunächst einen Blick zurück, um sicherzugehen, dass die Verzögerung die den Innenhof füllenden Würdenträger nicht mit übermäßiger Ungeduld erfüllte. Tenel Ka war in der ersten Reihe; sie kniete meditierend neben Tesar, Lowbacca, Tahiri und den meisten der anderen Jedi-Ritter – mit Ausnahme von Jaina und Zekk, die angewiesen worden waren, ihre Jagd auf Alema Rar fortzusetzen. Hinter den Jedi-Rittern saßen Admiralin Niathal und ihr gesamter Führungsstab kerzengerade in ihren Stühlen da, zu diszipliniert, um unruhig herumzurutschen, ganz gleich, wie lange sich die Zeremonie hinzog. Hinter ihnen wiederum hatten der Großteil des Senats und die Minister jedes wichtigen Ministeriums Platz genommen. Sie nutzten die Zeit, indem sie sich in feierlichem Flüsterton miteinander unterhielten. Die einzige Person von Rang und Namen, die Saba nicht sah, war der Mann, der eigentlich auf dem verwaisten Stuhl zur Rechten von Admiralin Niathal sitzen sollte, der Mitanführer der Putschregierung – Jacen Solo.
Beruhigt, dass die distinguierten Trauergäste nicht die Absicht hatten, vor lauter Ungeduld vorzeitig aufzubrechen, entschuldigte sich Saba bei Ben und Meister Skywalker, der sie kaum wahrzunehmen schien, um sich zu Corran und den anderen zu gesellen. Kyp Durron trug sein dunkelbraunes Haar noch immer lang und zottelig, aber zumindest hatte er sich für diesen Anlass ordentlich rasiert. Kenth Hamner hingegen, der alt genug aussah, um Kyps Vater zu sein, wirkte so gepflegt und würdevoll wie eh und je.
»Was ist?«, wollte Saba wissen. »Seht ihr nicht, wie diese ganze Warterei Meister Skywalker zu schaffen macht? Wann beginnen wir endlich?«
Corran und Kyp warfen einander einen nervösen Blick zu, dann sagte Kenth: »Wir beginnen, sobald du bereit bist, Meisterin Sebatyne.«
Saba ließ ihre Zunge zwischen ihren Lippen hindurchzüngeln und versuchte, sich darüber klar zu werden, warum man auf sie warten sollte. »Diese hier?«
»So ist es«, sagte Corran. Über ihre Schulter warf er einen Blick auf Ben und Meister Skywalker, dann senkte er die Stimme zu einem kaum hörbaren Flüstern. »Hast auch du eben diese Störung auf der oberen Zugangsebene gespürt?«
»Ja«, entgegnete Saba. »Was war da los? Ein Nachrichtenteam, das heimlich versucht hat, Holoaufnahmen von der Bestattung zu machen?«
»Das nicht gerade«, sagte Kyp, der ebenfalls leise sprach. »Es war ein GGA-Trupp.«
Sabas Kinnlade fiel herunter. »Ein GGA-Trupp? Im Innern des Tempels?«
»Ich fürchte, ja«, erwiderte Kenth. »Sie haben versucht, die Solos festzunehmen.«
Saba schlug mit dem Schwanz gegen die Schlatsteine, dachte darüber nach und schüttelte schließlich verwirrt den Kopf. »Nur ein Trupp? Das genügt nicht.«
»Nicht einmal annähernd«, stimmte Kyp zu. »Aber darüber reden wir später. Jäger und Gejagte haben den Tempel mittlerweile verlassen, und im Moment gibt es andere Dinge, über die wir uns Gedanken machen müssen.«
Saba nickte. »Natürlich. Diese hier wird Meister Skywalker informieren.«
Als sie sich anschickte zu gehen, griff Corran nach ihrem Arm – dann schien er sich daran zu erinnern, was passieren konnte, wenn jemand versuchte, eine Barabel zu berühren, und zog die Hand hastig zurück. Saba zischelte erleichtert – es hätte sie in Verlegenheit gebracht, ihm vor so vielen Würdenträgern ins Handgelenk zu beißen – und runzelte die Stirn.
»Ob es wohl klug ist, Meister Skywalker damit zu behelligen?«, fragte Corran. »Er hat den Kopf momentan schon voll genug.«
»Diese hier denkt, er hat den Kopf nicht voll genug«, entgegnete Saba. »Mara hätte nicht gewollt, dass er sich so in sich kehrt.«
»Nein, aber sie hätte es verstanden«, sagte Kenth. »Menschen müssen trauern, Saba. Wir müssen ihm diese Trauerfeier gewähren.«
»Das ist der einzige Weg, damit es ihm wieder besser geht«, fügte Corran hinzu.
Saba stellte ihre Schuppen auf und wandte den Blick ab. Da war es wieder, dieses Wort: Trauer. Sie begriff nicht, was daran gut sein sollte – warum die Menschen es für so notwendig erachteten, in Kummer zu ertrinken, wenn jemand starb, der ihnen nahestand. Genügte es nicht, sie im Herzen zu bewahren und ihr Andenken dadurch zu ehren, wie man sein eigenes Leben lebte? Fast war es, als würden die Menschen sich selbst nicht zutrauen, dass die Toten in ihrem Denken lebendig blieben; als würden sie glauben, dass eine Person fort war, bloß weil ihr Leben geendet hatte.
Saba wandte ihren Blick wieder Corran und den anderen zu. »Wir können dieses unbefugte Eindringen in den Tempel nicht ungestraft hinnehmen«, sagte sie. »Jacen lässt uns mittlerweile wie Marionetten nach seiner Pfeife tanzen.«
»Das werden wir nicht«, versicherte Kyp ihr. »Gleich nach der Bestattung ergreifen wir entsprechende Maßnahmen.«
Saba nickte. »Gut. Aber irgendwie glaubt diese hier nicht, dass ihr ihr bloß von dem Zwischenfall erzählt habt, um sie darum zu bitten, Meister Skywalker nicht davon zu berichten.«
Corran schüttelte den Kopf. »Nicht nur«, sagte er. »Es ist so, dass Prinzessin Leia eigentlich die Trauerrede halten sollte.«
»Aha. Jetzt versteht diese hier, warum Jacen nicht gekommen ist.«
»Jacen wusste nichts davon«, sagte Kenth. »Aber das ist im Grunde nicht das Problem.«
»Natürlich nicht.« Saba hatte genügend Bestattungen von Menschen beigewohnt, um zu wissen, dass es stets eine Ansprache gab, die großen Anteil daran hatte, die Tränen versiegen zu lassen, die die Trauerfeier hervorrief. Sie sah zur Menge der Würdenträger und dann wieder zu Meister Skywalker und Ben hinüber. »Und wie sollen wir Meister Skywalker dann beim Bewältigen seiner Trauer helfen?«
Corran und Kenth tauschten Blicke, dann sagte Kenth: »Wir hofften, du würdest sprechen.«
»Diese hier?« Saba begann zu zischeln – dann ermahnte sie sich, dass Menschen Humor auf ihren Trauerfeiern im Allgemeinen fehl am Platz fanden. »Ist das euer Ernst?«
Kenth nickte. »Mara war deine Freundin«, sagte er. »Wenn irgendjemand weiß, wie viel sie Luke und dem Rest von uns bedeutet hat, dann du.«
»Aber diese hier ist nicht einmal menschlich«, sagte Saba. »Sie versteht nichts von Trauer.«
»Das ist schon in Ordnung«, sagte Kyp. Er hielt ihrem Blick stand – eine stumme Herausforderung. »Wir hätten Verständnis dafür, wenn du Angst davor hast. Ich kann jederzeit für dich einspringen.«
»Diese hier hat keine Angst!« Saba wusste, dass er sie manipulierte, doch sie wusste ebenfalls, dass er recht hatte – sich zu weigern, wäre Maras Andenken nicht würdig gewesen. »Sie weiß bloß nicht, was sie sagen soll.«
Kyp nickte mitfühlend. »Soll das heißen, du willst, dass ich es tue?«
»Nein!« Das Letzte, was Mara gewollt hätte, war, dass Kyp bei ihrer Bestattung die Trauerrede hielt. Obgleich Kyp Meister Skywalkers Führerschaft in letzter Zeit hinlänglich unterstützt hatte, gab es eine Zeit, als dem nicht so gewesen war – und Mara war eine Frau gewesen, die nicht so schnell vergaß. »Diese hier wird es tun.« Sie wandte sich an Kenth. »Was soll sie sagen?«
»Sprich einfach von Herzen.« Kenth gab ihr einen sanften Machtschubs in Richtung des Rednerpults. »Du wirst deine Sache gut machen.«
Saba schluckte schwer, dann kehrte sie an Meister Skywalkers Seite zurück und sagte ihm ins Ohr: »Leia und Han wurden aufgehalten. Diese hier wird beginnen.«
Lukes Blick glitt zum Scheiterhaufen empor und verharrte auf Maras Gesicht, ohne dass er etwas erwiderte. Die Schatten unter seiner Kapuze waren beinahe tief genug, um seine geröteten Augen zu verbergen, doch selbst so in sich zurückgezogen strahlte seine Machtaura Seelenqual aus.
Ben beugte sich hinter Luke hervor und nickte. »Das ist gut«, sagte er. »Mom würde das gefallen.«
Ein Strom von Wärme durchflutete Sabas Herz, und ihre Beklommenheit, vor so vielen Würdenträgern zu sprechen, verschwand. Sie wandte sich der Trauergemeinde zu und strich ihre Gewänder glatt, dann trat sie an das Rednerpult. Ein silbernes Schwebemikro stieg empor, um vor ihrem Hals zu verharren, doch sie schaltete es mit einem Schnipsen ihrer Klaue aus und platzierte es wieder auf seiner Ladestation. Wenn sie über Mara sprach, brauchte sie keinen Stimmverstärker, um sich Gehör zu verschaffen.
Rasch senkte sich Stille über den Innenhof. Saba nahm sich einen Moment Zeit, um Blickkontakt zu Tenel Ka, Admiralin Niathal und vielen anderen Würdenträgern unter den Versammelten herzustellen. Dann begann sie und sorgte dafür, dass die Macht ihre Stimme bis in die hintersten Ecken des Hofes trug.
»Wir haben uns an diesem heiligen Ort eingefunden, um einer guten Freundin Lebewohl zu sagen, einer unerbittlichen Kriegerin und einer noblen Verfechterin der Gerechtigkeit. Mara Jade Skywalker war einer der strahlendsten Sterne des Jedi-Ordens, und wir werden sie vermissen.«
Saba ließ ihren Blick zu den Jedi-Rittern schweifen, die in der ersten Reihe der Trauergemeinde knieten. »Die Galaxis wurde ihres Scheins beraubt, doch ihr Licht ist nicht erloschen. Sie lebt in uns weiter, in der Erinnerung an die Male, die wir Seite an Seite fochten, in den Lektionen, die sie uns als Meisterin lehrte.« Sie drehte sich um und sprach direkt zu Meister Skywalker und Ben. »Sie lebt in der Liebe und dem Rat weiter, die sie als Gefährtin gab, und in den Opfern, die sie als Mutter darbrachte. Solange unsere Herzen schlagen, strahlt ihr Licht in uns weiter.«
Endlich riss Meister Skywalker den Blick vom Scheiterhaufen los. Obwohl seine Miene nicht unbedingt friedvoll wirkte, lag zumindest ein Anflug von Dankbarkeit in seinen Augen, und sie konnte sehen, dass ihre Worte zu ihm durchdrangen. Ob sie Ben irgendwelchen Trost spendete, war schwerer zu sagen. Seine Aufmerksamkeit war starr auf die Schlatsteine unter seinen Füßen gerichtet, seine Stirn vor Konzentration zerfurcht; seine Machtaura waberte vor Schmerz und Benommenheit und einem Zorn, den Mara höchst beängstigend gefunden hätte.
Als Saba noch darüber nachdachte, was sie sagen konnte, um diesen Zorn zu lindern, stieg ein dumpfes Murmeln von der Trauergemeinde auf, das im hinteren Teil des Innenhofs einsetzte und dann langsam nach vorn schwappte, immer lauter und lebhafter, je näher es kam. Saba wandte sich wieder den Zuhörern zu, fragte sich, ob ihre Worte so viel Aufregung hervorgerufen haben konnten. Doch das gesamte Publikum verrenkte sich die Hälse, um zurück zum Eingang zu schauen.
Eine schwarz gekleidete Gestalt in kniehohen Stiefeln, einen langen Schimmerseideumhang um die breiten Schultern, marschierte mit großen Schritten den Mittelgang entlang. Das Gesicht des Mannes war ernst und seine Augen in Schatten versunken, sein Verhalten brüsk. Sobald hinreichend deutlich war, dass sich jedes Augenpaar im Publikum auf ihn richtete, hob er in einer halb entschuldigenden, halb grüßenden Geste eine schwarz behandschuhte Hand.
»Verzeiht meine Verspätung«, sagte Jacen Solo. »Ich wurde von dringenden Staatsangelegenheiten aufgehalten. Ich bin mir sicher, Sie alle haben dafür Verständnis.«
Vom Publikum ging ein allgemeines Raunen der Zustimmung aus, auch wenn Jacen Sabas Verärgerung durch die Macht spüren konnte. Er gab vor, ihre Empörung nicht zu bemerken, und ging weiter den Mittelgang hinunter, sorgsam darauf bedacht, seine Machtpräsenz zu verschleiern, damit niemand mitbekam, wie nervös er war. Die Meister ahnten immer noch nicht, dass er Maras Mörder war, doch er war sich nur zu genau darüber im Klaren, wie leicht der geringste Patzer seinerseits das ändern konnte.
Dennoch kam es nicht infrage, dass er bei der Bestattung fehlte. Seine Abwesenheit hätte zu viele Fragen nach sich gezogen und zu viele Leute zum Nachdenken angeregt – ganz zu schweigen davon, dass es ein deutliches Signal an Tenel Ka gewesen wäre, dass er keine Absicht hatte, sich mit Luke zu versöhnen. Deshalb musste Jacen hier sein, und er musste es so aussehen lassen, als würde er mit dem Mann, dessen Frau er nur eine Woche zuvor getötet hatte, Frieden schließen wollen.
Als Jacen die Vorderfront der Menge erreichte, ignorierte er den Sitz, der neben Admiralin Niathal für ihn reserviert war. Stattdessen ging er weiter zur ersten Reihe, wo die Jedi-Ritter knieten, und verbeugte sich vor Tenel Ka.
»Habt Dank für Euer Kommen, Königinmutter«, sagte er in dem Versuch, es so wirken zu lassen, als wären sie sich seit ihrer Ankunft auf Coruscant nicht begegnet. »Ich weiß, dass Eure Reise in Zeiten wie diesen keine einfache war.«
»Meisterin Skywalker war eine bemerkenswerte Jedi und eine außerordentlich gute Freundin.« Tenel Kas graue Augen gaben nichts preis, als sie sprach. »Wir hätten Schlimmeres in Kauf genommen, um hier zu sein.«
»Ich bin sicher, dass Eure Anwesenheit ein großer Trost für Ben und …« Jacen zögerte, dann brachte er den Satz zu Ende: »… Meister Skywalker ist.«
Tenel Ka neigte den Kopf in einem fast unmerklichen Nicken. »Das hoffen wir von ganzem Herzen.«
Jacen entschuldigte sich mit einem höflichen Klacken der Stiefelabsätze, dann ging er weiter nach vorn, um neben Luke stehen zu bleiben. Die Empörung der Meister ließ die Macht förmlich überkochen, doch Jacen tat so, als würde er es nicht bemerken. Maras Bestattung war die perfekte Gelegenheit, seine Stellung unter den Jedi ins Blickfeld der Öffentlichkeit zu rücken – um in den Köpfen Hunderter von Würdenträgern den Gedanken zu säen, dass er seinem Onkel ebenbürtig war –, und er konnte es sich nicht erlauben, diese Chance ungenutzt verstreichen zu lassen. Was sein Versprechen an Tenel Ka betraf – nun, solange er es so aussehen ließ, als würde er versuchen, sich mit Luke auszusöhnen, konnte er sich ihrer Flotte nach wie vor sicher sein.
Als Luke Jacens Gegenwart weiterhin nicht zur Kenntnis nahm, trat Kenth Hamner vor und sagte in einem Tonfall väterlichen Tadels: »Jacen, Ihr wisst, dass Ihr kein Meister seid.« Kenth deutete in Richtung der Jedi-Ritter, die in der ersten Reihe knieten. »Euer Platz ist bei den anderen Jedi-Rittern – sofern Ihr gewillt seid, Euch so weit herabzulassen, Jedi Solo.«
»Ich glaube, in dieser Hinsicht missverstehen wir uns, Meister Hamner.« Jacen zog seinen dunklen Umhang beiseite, um die leere Lichtschwertöse an seinem Mehrzweckgürtel zu enthüllen. »Ich bin nicht als Jedi hier.«
»Nichtsdestotrotz steht Ihr an der falschen Stelle«, sagte Kyle Katarn und gesellte sich zu ihnen. »Dies ist eine Jedi-Bestattung.«
»Eine Bestattung, die ich als Familienmitglied besuche.« Jacen sprach in bewusst vernünftigem Ton, in dem Versuch, den Eindruck zu erwecken, dass es die Meister waren, die die Zeremonie störten. »Ich bin lediglich hier, um meinem Cousin und meinem Onkel Trost zu spenden.«
»Um sie zu trösten?« Kyp Durron kam vor. »Und das sollen wir ernsthaft glauben?«
»Aber so ist es«, sagte Jacen sanft.
Kyp ignorierte den Einwand und packte Jacen am Arm – ehe Luke sie beide dadurch überraschte, dass er eine Hand hob.
»Wartet.« Unter all der Trauer haftete Lukes Stimme ein sonderbar drängender Tonfall an. »Jacen ist willkommen, bei Ben und mir zu stehen.«
Kyps Kinnlade klappte herunter. »Aber Meister Skywalker, Jacen macht sich die Trauerfeier bloß zunutze, um …«
»Ist schon in Ordnung.« Luke bedeute Kyp – und Kenth und Kyle –, ihre Plätze wieder einzunehmen. »Ich will, dass Jacen hier ist.«
Kyp blickte finster drein, kam der Aufforderung aber ebenso nach wie Kenth und Kyle.
Jacen verfolgte, wie sie zurückwichen, und war genauso verwirrt, wie auch sie es scheinbar waren – bis Luke sich umdrehte und die Hand ausstreckte.
»Danke, dass du gekommen bist, Jacen.«
»Mara war eine großartige Jedi und eine liebevolle Tante.« Als Jacen ihm die Hand schüttelte, achtete er besonders sorgsam darauf, seine Gefühle vor der Macht zu verbergen. Es war schwer, sich vorzustellen, dass sein Onkel die Kraft besaß, in diesem Moment nach Schuldgefühlen zu forschen, doch die Galaxis war übersät von den Körperteilen jener, die Luke Skywalkers Stärke unterschätzt hatten. »Ich hätte mir die Gelegenheit nie nehmen lassen, ihr meinen Respekt zu erweisen.«
»Ich bin froh darüber. Es ist an der Zeit, dass wir diese Kluft zwischen uns überwinden.« Lukes Blick kehrte zu Maras Leichnam zurück. »Ich denke, das ist es, was sie uns zu sagen versucht.«
»Was sie uns zu sagen versucht?«, echote Jacen.
Er schaute zum Scheiterhaufen hoch und gelangte zu dem Schluss, dass Luke dabei sein musste, den Bezug zur Wirklichkeit zu verlieren. Mara lag so tot da wie zuvor, weder ihre Lippen noch irgendetwas anderes an ihr regte sich; kein Laut drang auch nur irgendwo aus der Nähe des Leichnams.
Dann fiel ihm auf, dass Maras weiß umschlungene Gestalt durchsichtig zu werden begann und vor Machtenergie glühte. Saba zischelte erstaunt, und mehrere andere Meister seufzten vor Erleichterung, doch Jacen verschluckte sich fast vor Überraschung. Falls Mara versuchte, irgendjemandem irgendetwas zu sagen, hatte das nichts mit Versöhnung zu tun – sondern damit, ihren Mörder bloßzustellen.
Luke umklammerte Jacens Schulter. »Sie hat gewartet, bis wir zusammen sind«, sagte er. »Ich glaube, das ist eine Botschaft, meinst du nicht?«
»Äh, ja … natürlich.« Zu Jacens Verblüffung zeigte sich weder in der Stimme noch in der Machtpräsenz seines Onkels die geringste Spur von Trug oder Zynismus. Zweifellos hatte Luke im Hinblick darauf, was Mara ihm zu sagen versuchte, die falsche Schlussfolgerung gezogen – vielleicht, weil sie ihre Aktivitäten bis zu ihrem Tod vor ihm geheim gehalten hatte –, und Jacen war mehr als gewillt, sich diese glückliche Fügung zunutze zu machen. »Ich glaube, dass ist exakt das, was Mara uns damit sagen will. Dass wir die Allianz nicht retten können, wenn wir nicht zusammenarbeiten.«
»Ein gutes Argument«, sagte Luke. »Ich werde versuchen, mich diesmal daran zu halten.«
»Genau wie ich.« Jacen warf einen verstohlenen Blick in Tenel Kas Richtung und wurde dafür mit einem knappen Nicken belohnt, kaum wahrnehmbar, jedoch klar beifällig. »Ich verspreche es.«
Luke neigte zustimmend den Kopf – oder vielleicht sogar vor Dankbarkeit –, und Jacen ertappte sich dabei, dass er Mühe hatte, seine Erleichterung – sein Hochgefühl – daran zu hindern, sich in die Macht zu ergießen. Er würde seine Flotte bekommen, und das verschaffte ihm die militärische Stärke, die Konföderation in eine Falle zu locken und zu zerschmettern, um die Galaxis in Frieden und Gerechtigkeit wieder zu vereinen.
Während Jacen darum kämpfte, seine Gefühle unter Kontrolle zu bringen, wandte sich Luke dem Rednerpult zu, wo Saba Sebatyne stand und sie ansah. Es war, als würde sie Jacen mustern, jedoch irgendwie über ihn hinausblicken – oder vielleicht auch tiefer in ihn hinein, als würde sie nicht Jacens öffentliches Gesicht sehen, sondern sein inneres, das von Darth Caedus.
»Saba?«, rief Luke leise.
Seiner Stimme wohnte eine neue Vitalität inne, ein Tonfall erneuter Zuversicht, den Jacen alarmierend gefunden hätte, von dem Caedus jedoch wusste, dass er lediglich so lange anhalten würde, wie ihre »Versöhnung« währte.
»Saaaba?«
Endlich schweifte Sabas Blick zurück zu Luke. »Ja?«
Luke wies auf die Trauergemeinde. »Vielleicht sollten wir fortfahren.« Er betrachtete Maras leuchtenden Leib, der bereits so durchsichtig geworden war, dass man die Rückwand des Innenhofs dahinter ausmachen konnte. »Ich würde die Zeremonie gern zu Ende bringen, bevor Mara vollends verschwunden ist.«
»Ja, bitte vergebt dieser hier«, sagte sie. »Sie war … abgelenkt.«
Saba wandte sich wieder dem Hof zu, setzte ihre Ansprache jedoch nicht gleich fort. Stattdessen studierte sie einen Moment lang das Publikum, sträubte die Schuppen und schaute von der Trauergemeinde zu Luke, zu Jacen und dann schließlich wieder in den Innenhof. Jacen konnte spüren, wie sie mit einer Entscheidung rang, sich bemühte, ihren Ärger darüber, wie er aus Lukes Trauer seinen Nutzen zog, herunterzuschlucken, und ihm wurde klar, dass sie drauf und dran war, diese Bestattung für ihn zu einem sehr unangenehmen Ereignis zu machen.
»Gewiss«, begann Saba, »spricht diese hier für alle, wenn sie sagt, wie froh sie ist, dass Colonel Solo einige Minuten erübrigen konnte, um seiner noblen Tante die Ehre zu erweisen.«
Dieser Auftakt war überraschend genug, um dafür zu sorgen, dass sich die meisten Augenpaare im Publikum von Maras zusehends verschwindender Gestalt losrissen. Ein Chor verwirrten Gemurmels und empörten Keuchens ging vom Publikum aus, doch Jacen wahrte seine ausdruckslose Miene und schaute weiterhin höflich zum Rednerpult. Was auch immer Saba sagte, würde Tenel Ka nicht dazu bringen, ihre Meinung zu ändern.
Jacen ertappte sich sogar dabei, dass er sich fragte, ob es vielleicht tatsächlich möglich war, sein Versprechen an Tenel Ka zu halten, sich wirklich mit Luke zu versöhnen und mit ihm zusammenzuarbeiten, um die Allianz zu retten – aber natürlich war das unmöglich. Früher oder später würde jemand die Identität von Maras Mörder aufdecken, und bis dahin mussten die Jedi entweder fest unter Caedus’ Kontrolle sein – oder eliminiert.
Einen Moment später fuhr Saba fort: »Und es ist gut, dass Colonel Solo ausgerechnet in diesem Moment zu uns stößt, da das größte Geschenk, das Mara Jade Skywalker uns hinterlassen hat, die Lektion ihres Lebens ist – eines Lebens, das unter der Herrschaft des dunkelsten aller Schatten begann.« Sie drehte sich halb um und sah Jacen, Luke und Ben an. »Als kleines Kind wurde Mara ihren Eltern entrissen und zu einer zielgerichteten Spionin und Attentäterin ausgebildet, und ihr Herr und Meister ließ sie schreckliche Dinge tun, als sie kaum alt genug für den Kampf war. Sie tat, was ihr aufgetragen wurde, weil sie glaubte, dass es das Richtige war; weil sie an den Traum von einer geeinten Galaxis mit einer einzigen Rechtsordnung glaubte, von einer Galaxis, die von einer einzelnen starken Hand in Frieden zusammengehalten wird.
Diese starke Hand gehörte Imperator Palpatine, und sein Traum war beherrscht von Dunkelheit.« Jetzt suchte Saba Jacens Blick, und ihre Gesichtsschuppen sträubten sich vor Abneigung. »Dieser Traum bedeutete den Tod von Milliarden und die Versklavung von Billionen, das Ende der Freiheit und das Zum-Schweigen-Bringen aller widersprüchlichen Meinungen. Dieser Traum brachte Furcht über jene, die er zu schützen vorgab, und Elend über die, denen er angeblich diente.
Als ihre Missionen Mara immer weiter ins Feld führten, erkannte sie mehr und mehr das Böse in den Träumen ihres Meisters. Eine Zeit lang versuchte sie, trotzdem weiterzumachen, indem sie sich sagte, dass das Böse notwendig wäre, um der Galaxis Frieden zu bringen, dass einige leiden müssten, bevor alle in Harmonie zusammenleben könnten.«
Da Jacen immer noch nicht weggeschaut hatte, wandte Saba schließlich ihrerseits den Blick ab und wandte sich wieder an die Trauergemeinde. »Wir alle wissen, wie das endete.«
Ein Chor leisen Gelächters rollte durch den Innenhof, und durch die Macht konnte Jacen spüren, dass die Stimmung der Zuschauer kippte, dass selbst einige seiner Unterstützer nachdenklicher wurden. Er gestattete sich, die Barabel mit einem düsteren Blick zu bedenken – nicht drohend, aber mit hinreichend Verärgerung, um die einem solchen Vergleich angemessene Entrüstung zum Ausdruck zu bringen.
Natürlich ignorierte Saba ihn. »Nach dem Tod des Imperators gab es jene, die seinen dunklen Traum nicht aufgeben wollten, die versuchten, das Imperium am Leben zu erhalten, und nicht einmal davor zurückschreckten, Palpatines Klonen zur Macht zu verhelfen. Mara war keine davon. Nach dem Hinscheiden des Imperators durchstreifte sie viele Jahre die Galaxis, auf der Suche nach einem neuen Leben, und da sah sie zum ersten Mal mit offeneren Augen, was sie gewesen war, wie auch das Böse, das sie getan hatte. Doch dann legte das Schicksal ihr Leben in die Hände eines Mannes, den sie einstmals als Gegner betrachtet hatte – in die Hände eines Mannes, den sie sich nach wie vor zu töten gezwungen sah –, und im Zuge ihrer gemeinsamen Reisen begriff sie schließlich, dass es noch einen anderen Weg gab, einen Weg, der mit Freiheit und Liebe und Vertrauen gepflastert war.
Einst erzählte Mara dieser hier, dass alles, was es brauchte, um den Schleier der Täuschung, den der Imperator ihr auferlegt hatte, von ihren Augen zu heben, ein langer Waldspaziergang mit diesem Mann war.« Saba streckte den Arm in Lukes Richtung aus. »Dass es ihr ein Leichtes gewesen war, den Schritt ins Licht zu tun, nachdem sie die Bekanntschaft von Luke Skywalker gemacht hatte.«
Sowohl Luke als auch Ben traten Tränen in die Augen. Zumindest Ben besaß so viel Stolz, sich abzuwenden und sein Gesicht abzuwischen, doch Luke ließ die Tränen einfach laufen; sein Blick wich keine Sekunde vom Scheiterhaufen, als Maras Leichnam von einem strahlenden Geist zu einem schimmernden Lichtschemen verschwamm.
Als er schließlich zur Gänze verschwunden war, schloss Luke die Augen und stieß leise den Atem aus, ehe er einen Arm um Bens Schulter legte. »Sie ist jetzt eins mit der Macht, Sohn«, flüsterte er. »Sie wird immer bei uns sein.«
»Ja, Dad.« Bens Stimme machte keine Anstalten zu brechen, und das erfüllte Jacen mit Stolz. »Ich weiß.«
Jacen streckte die Hand aus, um sie Luke tröstend auf die Schulter zu legen – dann fühlte er Sabas Blick auf sich und stellte fest, dass sie ihn anblitzte, ihre Augen voller Wut und Kummer und Warnung.
»Und das ist die Lektion, die uns Maras Leben lehrt«, sagte die Barabel. »Wenn wir in Güte leben wollen, müssen wir bloß unsere Herzen öffnen. Wenn wir der Galaxis Frieden und Gerechtigkeit bringen wollen, müssen wir bloß ins Licht treten.«
Jacen ließ die Hand sinken und erwiderte Sabas starren Blick mit einem knappen Lächeln. Die Verlegenheit, in die sie ihn hier gebracht hatte, war nicht von Belang. Er hatte sich Tenel Kas Flotte gesichert, und jetzt verfügte er über die militärische Stärke, um der Konföderation eine Falle zu stellen und sie zu zerschmettern – und sobald er das getan hatte, würde es die Öffentlichkeit nicht mehr kümmern, was Saba oder irgendein anderer Meister über ihn dachte. Sie würden erkennen, dass Caedus der wahre Hüter der Allianz war, nicht die Jedi.
Saba glitt hinter dem Rednerpult hervor und verneigte sich vor Luke und Ben, wobei sie Jacen absichtlich ignorierte. Dann trat sie an den Fuß des verwaisten Scheiterhaufens. Anstatt das Holz in Brand zu stecken, wie sie es getan hätte, wenn immer noch ein Leichnam darauf läge, drehte sie sich einfach zu den anderen Meistern um, und gemeinsam begannen sie mit der traditionellen Rezitation des Jedi-Kodex.
ES GIBT KEINE GEFÜHLE, NUR FRIEDEN.
ES GIBT KEINE UNWISSENHEIT, NUR WISSEN.
ES GIBT KEINE LEIDENSCHAFT, NUR GELASSENHEIT.
ES GIBT KEINEN TOD, NUR DIE MACHT.
Sobald sie mit dem Rezitieren geendet hatten, löste sich Jacen von Lukes Seite und ging geradewegs zu Saba.
»Eine bewegende Trauerrede, Meisterin Sebatyne.« Er ließ seine Stimme zwar erzürnt, aber nicht gänzlich drohend klingen. »Höchst aufschlussreich. Ich werde mich sehr lange daran erinnern.«
»Gut«, entgegnete Saba monoton. »Diese hier kann nur hoffen, dass Ihr sie auch verstanden habt.«
Eine Woge von Gekeuche und Gekicher verriet die Horcher in den ersten Reihen des Publikums, und Jacen wurde bewusst, dass er Gefahr lief, schwach zu wirken. Er legte die Maske der Höflichkeit ab und sah Saba mit offener Feindseligkeit an.
»Euer Humor war mir schon immer ein Rätsel, Meisterin Sebatyne«, sagte er. »Es ist ein Wunder, dass ich Euch Eure Worte bis jetzt nie übel genommen habe.«
»Und ich hoffe, heute wirst du sie ihr vergeben.« Luke trat an Jacens Seite und sagte: »Keiner von uns ist heute ganz er selbst. Bitte, lass dich davon nicht abhalten, dich Ben und mir nach der Zeremonie anzuschließen. Was ich vorhin darüber sagte, die Kluft zwischen uns zu überwinden, war mein Ernst.«
»Das wäre das Beste für alle«, sagte Jacen. Sein Blick schweifte zu Ben und blieb auf ihm ruhen. »Wir müssen an die Zukunft denken.«
Ben zuckte bloß mit den Schultern und schaute weg.
Seine Feindseligkeit war schmerzhaft, aber kaum überraschend. Als er Mara getötet hatte, wusste Jacen, dass er damit die Ergebenheit seines Cousins opferte – allerdings hätte das eigentlich erst passieren sollen, nachdem Ben erfahren hatte, wer der Mörder seiner Mutter war. Also nahm der Tod seiner Mutter den Jungen entweder mehr mit, als Jacen bewusst war, oder er vermutete die Wahrheit und sagte es niemandem.
Caedus fragte sich, ob es sich als notwendig erweisen würde, Ben zu töten, um das Geheimnis um Maras Tod noch einige Tage länger zu bewahren. Jacen hoffte es nicht; er sah immer noch Potenzial in seinem jungen Cousin, und ein Teil von ihm glaubte nach wie vor, dass es möglich war, ihn zu einem geeigneten Schüler zu machen.
Jacen gelangte zu dem Schluss, dass es fürs Erste am besten war, Ben im Stillen trauern zu lassen, setzte eine Miene feierlicher Betretenheit auf und wandte sich wieder an Luke. »Ich fürchte, ich kann mich Euch heute nicht anschließen, Meister Skywalker«, sagte er. »Man erwartet mich baldmöglichst an Bord.«
Luke hob verwirrt die Brauen. »Ein Manöver?«
»Nein, ich begleite die Vierte Flotte in die Schlacht.« Jacen warf Kenth, Kyle und den anderen Meistern einen anklagenden Blick zu. »Ich bin überrascht, dass der Rat dich nicht darüber unterrichtet hat. Ich habe Jedi-StealthX-Jäger angefordert.«
Luke sah Saba stirnrunzelnd an. Diese konnte bloß nicken und sagte: »Wir wollten dich damit nicht behelligen.«
Der Ausdruck von Verärgerung in Lukes Augen schwenkte um zu Verständnis. Sein Gesicht war plötzlich getrübt von etwas, das Scham hätte sein können, dann bedachte er Saba und die anderen Meister mit einem finsteren Blick.
»Ihr könnt mich später auf den neuesten Stand bringen.«
Es war Kenth Hamner, der antwortete. »Mit dem größten Vergnügen.« Er sah in Jacens Richtung und fügte hinzu: »Da gibt es eine Menge Dinge zu erzählen.«
Luke kniff die Augen zusammen, wandte sich aber an Jacen. »Ich verstehe – die Pflicht ruft. Doch ich hoffe, du wirst darüber nachdenken, was hier heute geschehen ist.«
»Ich werde darüber nachdenken«, sagte Jacen. »Dessen kannst du dir gewiss sein.«
»Gut. Möge die Macht mit dir sein.«
»Und mit dir.«
Jacen drehte sich um und marschierte mit großen Schritten den Mittelgang entlang; er trieb die Stiefelabsätze tief in das Derbmoos und nutzte die Macht, um Leute behutsam beiseitezuschieben. Luke sah zu, wie er davonging, zu gleichen Teilen von Hoffnung und Entsetzen erfüllt. Falls von dem sanftmütigen Jungen, an den er sich aus der Jedi-Akademie auf Yavin 4 erinnerte, noch irgendetwas übrig war, konnte er es nicht länger sehen. Jacen war von einer Dunkelheit umgeben, die umfassender war als jede andere, die er seit langer Zeit gespürt hatte – vielleicht sogar seit den Tagen Darth Vaders und des Imperators –, und es war ganz und gar nicht sicher, dass man ihn zurück ins Licht ziehen konnte. Dennoch musste Luke es versuchen – wenn nicht um Jacens willen, dann für Leia und die Allianz, aber vor allem anderen für sich selbst. Nach dem Fehler, den er bei Lumiya gemacht hatte – nachdem er sie irrtümlich aus Rache ermordet hatte –, konnte er den Gedanken nicht ertragen, bei seinem eigenen Neffen einen ähnlichen Fehler zu begehen. Falls es noch eine Möglichkeit gab, zu Jacen durchzudringen, musste er es probieren.
Kenth Hamner trat an das Rednerpult und dankte allen, die gekommen waren, um gemeinsam mit den Jedi das Leben von Mara Jade Skywalker zu würdigen. Er ermahnte sie, sich in den bevorstehenden schwierigen Zeiten ein Beispiel an ihr zu nehmen, und lud sie herzlich zum Trauermahl ein, das in der Halle des Friedens bereitstand. Als sich die Menge zum Gehen erhob, wandte sich Luke dem Hinterausgang des Innenhofs zu und bedeutete Ben, Saba und den übrigen Meistern, ihm zu folgen.
Das Letzte, was er in diesem Moment wollte, war, sich den Angelegenheiten des Ordens zu widmen. Da dort, wo sonst Mara gewesen war, bloß eine schmerzende Leere in ihm gähnte, fühlte sich Luke wie das Opfer einer Herzamputation; alles in ihm brannte vor Trauer, Erinnerungen an Maras Tod wirbelten durch seine Gedanken – an diesen plötzlichen, schrecklichen Ruck an ihrer Machtverbindung, als würde sie in einen Stern stürzen, daran, wie er versuchte, mental nach ihr zu greifen und sie in Sicherheit zu ziehen, doch das Band riss einfach auseinander und ließ ihn gebrochen und verloren und voller Gram zurück.
Gleichwohl, jetzt, wo Jacen seine ersten zögerlichen Versuche unternahm, die Kontrolle über die Jedi zu erlangen, brauchte der Orden Luke mehr als jemals zuvor, und als Maras Körper wieder eins mit der Macht wurde, war ihm bewusst geworden, dass sie von ihm erwartete, stark zu sein, sich zusammenzureißen und Jacen daran zu hindern, sich ihren Tod zunutze zu machen, um alles andere zu zerstören.
Sobald die Gruppe in der farnbewachsenen Empfangshalle war, die als Sammelpunkt für die Trauerfeier gedient hatte, wandte sich Luke an Saba.
»War das wirklich nötig?«, wollte er wissen. »Wir werden Jacen nicht wieder auf den rechten Weg zurückbringen, indem wir uns in aller Öffentlichkeit gegen ihn stellen.«
»Wir werden Jacen überhaupt nicht auf den rechten Weg zurückbringen«, sagte Saba. »Jacen ist nicht mehr zu retten.«
»Das zu entscheiden, ist nicht an dir«, sagte Luke. »Mara hat ihren Körper aus einem bestimmten Grund nicht gehen lassen. Sie hat damit versucht, uns zu sagen, dass wir mit ihm zusammenarbeiten müssen, um die Allianz zu retten, nicht gegen ihn.«
»Das denke ich nicht«, sagte Kyp kopfschüttelnd. »Saba hat recht. Jacen hat Maras Bestattung lediglich dazu benutzt, um sich dem Orden gegenüber ins rechte Licht zu rücken.«
»Glaubst du, ich weiß das nicht?«, fragte Luke. »Trotzdem verschafft uns das einen Ansatzpunkt – und es wird für die Allianz, für die Jedi und für die Galaxis besser sein, wenn wir Jacen führen, anstatt ihn zu bekämpfen.«
»Nein, Dad, das wird es nicht«, sagte Ben. »Um ehrlich zu sein, glaube ich nicht, dass Moms Botschaft für dich bestimmt war – wenn es überhaupt eine war.«
»Natürlich war es eine Botschaft«, sagte Luke, zunehmend verwirrt. »Warum hätte deine Mutter sonst warten sollen, bis Jacen eintraf, bevor sie ihren Körper wieder der Macht übergab?«
Ben zuckte mit den Schultern und mied Lukes Blick. »Ich weiß es nicht, aber ich glaube nicht, dass sie uns damit zu verstehen geben wollte, dass wir Jacen vertrauen sollen.«
Luke runzelte die Stirn. »Ben, was verschweigst du mir?«
Ben schüttelte den Kopf. »Nichts.«
Falls Ben log, konnte Luke es nicht in der Macht spüren. Er erwog, den Jungen auszuhorchen, doch jeder, der Zeuge so vieler GGA-Verhöre gewesen war wie Ben, würde wohl kaum auf eine derart plumpe Taktik hereinfallen. Stattdessen beließ er es dabei und wandte sich an Corran Horn.
»Hätte vielleicht irgendwer die Güte, mir zu sagen, was hier vorgeht?«
Corran warf einen flüchtigen Blick hinüber zu Kyp, der sich zu Kyle umdrehte, der wiederum die Lippen schürzte und wegschaute, während er sich anscheinend darüber klar zu werden versuchte, ob Luke stark genug war, die Wahrheit zu hören.
Luke wandte sich an Kenth. »Du sagtest, ihr hättet mir eine Menge zu erzählen«, erinnerte er ihn. »Fang an.«
»Wir wollten die Trauerfeier nicht deswegen stören«, entgegnete Kenth, »aber eine Einheit GGA-Truppler hat versucht, Han und Leia festzunehmen. Deshalb waren sie nicht anwesend.«
»Sie haben zugelassen, dass die GGA sie entdeckt?« Luke konnte es nicht glauben. »Die Solos?«
»Es geschah im Tempel«, erklärte Kenth. »Vor weniger als einer Stunde.«
Dieses Mal war Luke sprachlos. »Ein GGA-Trupp, hier drinnen?«
»Auf Ebene sechs«, sagte Kyp. »Die Solos kamen gerade aus dem Zwischengeschoss des Justizministeriums.«
»Warum hat mir niemand etwas davon gesagt?«
Selbst als Luke eine Antwort darauf verlangte, konnte er an den besorgten Mienen der Meister erkennen, dass sie sogar jetzt noch daran zweifelten, ob es gut gewesen war, es ihm zu erzählen – und der Einzige, dem er deswegen einen Vorwurf machen konnte, war er selbst. Wenn man bedachte, wie sehr er sich in sich selbst zurückgezogen hatte, konnte man es ihnen kaum verübeln. Von Zweifeln erfüllt – über sich selbst, über die Macht, sogar über den Orden – hatte er sich vor allen verschlossen, abgesehen von Ben. Und damit hatte er seinem Neffen geradewegs in die Hände gespielt, hatte Jacen förmlich dazu eingeladen, sich einzuschalten und die Kontrolle über den Orden zu übernehmen.
Als niemand seine Frage beantwortete, sagte Luke: »Vergesst, dass ich gefragt habe. Wo sind sie jetzt?«
Aller Augen richteten sich auf Corran, der mittels eines Ohrkomlinks die Sicherheitskanäle des Tempels überwachte.
»Wir wissen es nicht«, sagte er. »Sie sind auf den Gemeinschaftsplatz geflohen, und Leia hat die Überwachungskameras mit Machtblitzen lahmgelegt.«
»Nicht die Solos«, sagte Luke. »Ich meinte den GGA-Trupp.«
Corran runzelte die Stirn. »Sie sind fort, verfolgen Han und Leia.«
»Können wir da sicher sein?«, fragte Luke. »Wenn wir nicht wissen, wo Han und Leia sind …«
»Woher wollen wir dann wissen, dass die GGA-Einheit ihnen immer noch auf den Fersen ist?«, beendete Saba den Satz für ihn. »Sollte der Versuch, sie zu verhaften, ein Ablenkungsmanöver gewesen sein?«
»Ich denke, diese Möglichkeit besteht«, sagte Luke. »Die Art und Weise, wie ich mich vor meiner Verantwortung gedrückt habe …«
»Du hast dich vor gar nichts gedrückt«, sagte Kenth. »Deine Trauer ist mehr als verständlich.«
»Danke«, sagte Luke. »Aber die Wahrheit ist, dass ich uns angreifbar gemacht habe. Alle waren so damit beschäftigt, Maras Mörder zu suchen und sich um mich zu sorgen, dass das die perfekte Gelegenheit war, die Jedi außer Gefecht zu setzen.«
»Dann sollten wir diesen Trupp lieber schnell aufspüren«, sagte Kyp. Er wandte sich dem Turbolift auf der Rückseite der Eingangshalle zu. »Wenn wir uns nicht beeilen, taucht hier womöglich bald ein ganzes Bataillon …«
»Ist schon in Ordnung«, sagte Corran und ergriff Kyps Arm. »Der Tempel-Sicherheitsdienst hat sie entdeckt. Sie sind draußen und eskortieren Jacen über den Gemeinschaftsplatz.«
Saba knirschte vor Verwirrung mit ihren Fängen – möglicherweise war es aber auch Enttäuschung. »Dann hat Jacen es sich anders überlegt und will den Tempel nicht mehr einnehmen?«
Corran zuckte mit den Schultern. »Wer weiß? Uns liegen Berichte von einer Reihe schwerer Schwebeschlitten vor, die sich vom Tempel entfernen – doch das bedeutet nicht, dass sie GGA-Soldaten an Bord haben.«
Unvermittelt senkte sich Schweigen über die Gruppe. Die Meister standen da und sahen einander mit einer fragilen Mischung aus Erleichterung und Beklommenheit an. Luke konnte spüren, wie besorgt alle deswegen waren, dass sie gerade fast zugelassen hätten, Jacen die Kontrolle über den Tempel zu überlassen – oder Schlimmeres.
Es war Ben, der das Schweigen brach. »Also, was wollen wir jetzt dagegen unternehmen? Wir können nicht zulassen, dass Jacen ungestraft versucht, uns zu verhaften.«
Luke schaute überrascht zu ihm hinunter. »Wir, Ben? Ich dachte, du willst, dass Jacen dein Meister ist.«
Bens Wangen röteten sich vor Verlegenheit. »Möglicherweise habe ich einen Fehler gemacht«, sagte er. »Kann vorkommen. Immerhin bin ich erst vierzehn.«
Zu einem anderen Zeitpunkt, an einem anderen Tag, hätte Luke vermutlich darüber gelacht. Stattdessen sagte er: »Man macht nicht bloß mit vierzehn Fehler. Ich mache heute noch jede Menge.«
»Wenn du das sagst«, entgegnete Ben schulterzuckend. »Im Übrigen ist das keine Antwort auf meine Frage. Du wirst ihn doch nicht damit davonkommen lassen, oder?«
Luke dachte einen Moment nach, dann sagte er: »Um ehrlich zu sein, glaube ich, dass wir genau das tun werden.«
»Wie bitte?« Die Frage kam von drei Meistern gleichzeitig, und Saba fügte mit aller Aufrichtigkeit hinzu: »Dies ist ein schlechter Augenblick für Scherze, Meister Skywalker. Wir stecken in ernsten Schwierigkeiten.«
Luke nickte. »Das stimmt – genau wie das, was ich Jacen übers Zusammenarbeiten gesagt habe. Jemand muss den ersten Schritt tun.«
»Um geradewegs in eine Falle zu tappen«, murmelte Ben.
»Vielleicht – aber Jacen ist nicht der Einzige, der weiß, wie man jemandem eine Falle stellt«, sagte Luke. Er legte Ben eine Hand auf die Schulter, und von einem Selbstbewusstsein erfüllt, das er schon vor Maras Tod nicht mehr empfunden hatte, setzte er sich in Bewegung, um dem Trauermahl beizuwohnen. »Und es wäre schön, zur Abwechslung einmal ihn zu überraschen.«