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Der Unsichtbare
Ich war der Presse ausgewichen, seit ich den Reportern vor meinem Haus entkommen war und nur knapp vermieden hatte, sie über den Haufen zu fahren. Einige trieben sich immer noch in der Gegend herum und dehnten ihren Auftrag in Noosa, für den sie immerhin sämtliche Spesen bezahlt bekamen, so lange wie möglich aus, aber die meisten hatte man mittlerweile zurückgepfiffen. In den alten Tagen hätten ihre Redakteure das Geld dafür ausgegeben, sie mich beschatten zu lassen, bis es einen Durchbruch gegeben hätte. Jetzt nicht mehr.
Als ich in die Auffahrt zu meinem Haus bog, bemerkte ich einige Hartnäckige, die immer noch ausharrten. Jedes Mal, wenn sie mich sahen, kamen sie angerannt, weil sie auf etwas Brauchbares hofften, um damit Sendezeit in den Nachrichten zu füllen. Das Sensationspotenzial der Story war keineswegs erloschen. Es war nur mangels Brennstoff zu einer lahmen Glut verkommen. Ich war im Begriff, einen Eimer Kerosin darüber zu gießen.
»Womit wir es zu tun haben, ist ein Kerl, der sich verzweifelt nach Aufmerksamkeit sehnt, aber niemand hört ihm zu, weil er ein rattengesichtiger Loser ist, der nichts zu sagen hat. Wahrscheinlich hält er sich für clever, nur ist er das nicht. Spinner dieser Art leben im Schatten, weil sie zu große Angst davor haben, sich herauszuwagen. Mich würde überraschen, wenn dieser Typ den Mumm hätte, sein Haus zu verlassen, außer nachts, wenn er sich rausschleicht, um Mädchen zu entführen. Er ist ein gewöhnlicher, jämmerlicher kleiner Niemand, der die Hose gestrichen voll hat. Niemand interessiert sich für ihn oder nimmt ihn auch nur wahr; es dreht sich alles um die Mädchen: Jenny, Marianne, Izzie, Jessica, Carol, Brianna.« Natürlich gab es noch zwei weitere, allerdings wusste ich bei ihnen nicht, um wen es sich handelte. Noch nicht.
»Es geht allein um sie. An sie werden wir uns erinnern, nicht an den verängstigten Spinner, der sie sich geholt hat. Dieser Kerl ist ein solcher Verlierer, dass er an der Schule vermutlich nie ein Date gehabt hat. Belanglos. Das ist der Mann, nach dem wir suchen: Mr Banal; Mr Belanglos. Verglichen mit dem, woran ich gewöhnt bin, ist dieser Kerl ein Nichts. Mr Farblos, das ist der Mann, nach dem wir suchen. Eine einfallslose Vergeudung von Atemluft.«
Für die Presse kam das als Schock. Die Reporter waren an das knappe »Kein Kommentar« oder bestenfalls an »Verpisst euch, oder ich mach euch alle« gewöhnt. Nachdem ich meine Ansprache beendet hatte, schwiegen alle einige Atemzüge lang. Bevor sich daran etwas änderte, sagte ich »Danke« und wandte mich ab, um hineinzugehen.
Und dann kamen sie zur Besinnung. Alle brüllten sie mir gleichzeitig Fragen zu.
Ich antwortete auf eine.
»Ja, ich gehe deshalb an die Öffentlichkeit und sage, was für eine erbärmliche Kreatur dieser Penner ist, weil er heute versucht hat, uns zu beeindrucken.«
Ich blickte in die Kamera.
»Wow«, sagte ich und gab mich dabei so unbeeindruckt, wie ich nur konnte. »Loser. Amateur. Dort, wo ich herkomme, hätten es selbst Schulkinder besser machen können.«
»Zu beeindrucken versucht? Wie? Was bedeutet das?«
»Tut mir leid, Leute, mehr hab ich nicht für euch.« Und damit verschwand ich hinein. Mit angezogenen Schuhen.
—
Da Noosa nun mal Noosa ist, hat der Revierleiter keinen Fernseher in seinem Büro. Er hat ein Klimagerät aus den 1980ern, das nicht besonders gut funktioniert. Das ist so ziemlich die Gesamtheit seiner Elektrogeräte. Es dauerte eine Weile, bis Fat Adam erfuhr, dass ich hinter seinem Rücken mit der Presse geplaudert hatte.
Als die Reporter das öffentlich zugängliche Revier stürmten und von Adam verlangten, dass er die merkwürdige Anspielung darauf erklärte, der Mörder habe »zu beeindrucken versucht«, hatte er deshalb keine Ahnung, wovon sie redeten. Als er den Fernsehkommentar dann sah, hatte er immer noch keinen echten Schimmer, ihm kam lediglich der Gedanke, dass es etwas mit dem grausigen Schädel zu tun haben könnte.
Er rief Casey an.
»Lack, hast du Richards von dem Schädel erzählt?«
»Ja. Dachte, es würde ihn interessieren.«
»Tja, nächstes Mal lass es einfach, verdammt, alles klar?«
»Sicher doch, Boss«, erwiderte Casey.
Adam verlor die Kontrolle. Normalerweise hätte er Billy damit beauftragt, hinauszugehen und die Fragen der Presse zu beantworten, nur der war unten in Brisbane, um den Schädel dem kriminaltechnischen Labor zur Untersuchung zu überbringen. Die zweite Wahl wäre Toyne gewesen, doch sie und ein Team waren bereits zu Neebs Waterhole aufgebrochen und somit unerreichbar. Also watschelte er hinaus, stellte sich der Meute mit einem knappen »Im Augenblick kein Kommentar« und kehrte schnurstracks in die Sicherheit seines Büros zurück.