14

Helen, 36D (i)

»Hi!«

»Winston? Hi. Was haben Sie …«

Letzte Worte, Helen. Letzte Worte.

Willkommen zurück, meine Brüder und Schwestern. Gott ist groß: Er macht es einfach, eine Person zu entführen. Beabsichtigt hat er das wohl nicht, aber er hat’s eindeutig getan. Es ist so verdammt einfach. Hört gut zu, meine Freunde. Hört zu und lernt vom Größten. Im Verlauf unseres Unterrichts werdet ihr viele Geheimnisse des Handwerks kennenlernen, die von mir, dem Fantastischen, perfektioniert worden sind. Es hat viele Tötungen gegeben, und dabei habe ich viele Lektionen gelernt. Es erfüllt mich mit großer Freude, jetzt bei euch zu sein, Brüder und Schwestern.

»Aber Winston«, höre ich euch fragen, »wie viele Tötungen? Sag es uns.«

Geduld, meine Brüder und Schwestern. Aber lasst euch gesagt sein, meine Freunde, die Antwort lautet: eine Menge.

Das Schnappen der Zielperson: Wie bei allem liegt auch hier der Schlüssel in der Vorbereitung. Man muss die Zielperson nicht nur ins Visier genommen haben, man muss ihr folgen und sie eingehend beobachten. Man muss ihre Bewegungen kennen. Das perfekte Schnappen erfolgt mit Geschwindigkeit und einem Minimum an Lärm. Aber man muss vorbereitet sein. Helen zum Beispiel trifft immer mindestens eine Stunde vor den anderen zur Arbeit im medizinischen Trakt ein, weil sie sich gern einen Kaffee von den dreckigen Griechen auf der anderen Straßenseite besorgt. Sie parkt in der Tiefgarage, die noch eine Stunde nach ihrer Ankunft praktisch leer bleibt. Perfekt. Seht ihr? Das ist Vorbereitung.

Beachtet jedoch, Freunde, dass man manchmal unter Umständen improvisieren muss. Seid immer wachsam und bereit für den Zufall. Was ist beispielsweise, wenn der Gebäudereiniger, der sonst an Freitagen kommt, vorzeitig wegmusste und dafür ausgerechnet an dem Tag aufkreuzt, an dem man zuschlagen will?

Außerdem ist es überaus wichtig, es schnell zu tun. Ich benutze gerne Elektroschocker. Bei den Mädchen funktioniert das wirklich prima. Schnell und sehr wirksam. Früher habe ich auch andere Methoden ausprobiert, aber keine hat sich als so zuverlässig erwiesen wie ein Elektroschocker, daher schlage ich euch vor, es damit zu versuchen.

Am besten denkt man beim Schnappen daran, dass die junge Zielperson arglos ist und die meisten Menschen nett sind. Sie denken nie: Oh, da kommt ein Serienmörder. Sie denken immer positiv. Merkt euch das: Nette Menschen glauben, dass jeder andere auch nett ist.

Also, sobald die Ruhigstellung abgeschlossen und das Paket – das ist meine Bezeichnung für das Mädchen, sobald ich es im Van habe – gesichert ist, müsst-müsst-müsst ihr das Telefon des Opfers finden. Ihr müsst den Akku sofort herausnehmen. Tut ihr es nicht, werdet ihr durch den kleinen GPS-Peilsender aufgespürt. Und dann werdet ihr geschnappt. Ich habe euch gewarnt.

Hör auf, zu kichern. Konzentrier dich.

Wo ist ihr verfluchtes Telefon? Hier drin? Die Handtasche … ups, jetzt ist’s passiert, das ganze Zeug von Frauenbusen Helen liegt auf dem Boden. Verstreut wie Süßigkeiten. Kein Telefon. Rollen wir sie mal herum, klopfen wir sie ab. Kein Telefon. Da muss aber ein Telefon sein. Scheiße! Ich muss sie ausziehen. Nur will ich das jetzt nicht tun – du Miststück, dafür wirst du noch bezahlen, aber ich muss das Telefon finden! Mach es schnell. Hübsche-Titten-hübsche-Titten-hübsche-Titten …

Konzentrier dich. Das Telefon. Konzentrier dich!

Gecheckt, gecheckt, gecheckt … Langsam. Ruhig. Okay: nicht in ihrer Handtasche. Durchsucht, abgetastet, erneut durchsucht. Nicht in ihren Kleidern. Das bedeutet …

Sie hat es im Auto gelassen. Toll. Wie spät ist es? Zehn nach sechs. Sie ist immer mindestens eine Stunde vor den anderen hier, aber was, wenn … Was, wenn der Zufall zuschlägt? Was, wenn das Unerwartete eintritt? Im Augenblick bin ich in Sicherheit. Frauenbusen Helen und ich, nur wir beide, und niemand weiß etwas oder wird je etwas erfahren. Ich liebe Tiefgaragen, vor allem die kleinen, vor allem, wenn es keine Kameras gibt, vor allem, wenn sie leer sind. Erinnerst du dich an den Feiertag damals, als du durch das verspiegelte Heckfenster beobachtet hast? Oooh: all die Babygirls. Fast so gut wie Sportsgirl und Supré im Einkaufszentrum.

Na schön. Geh das Risiko ein, du musst das Risiko eingehen. Du musst das Telefon holen. Wo hab ich ihre Autoschlüssel hingepackt? Da – großer Gott! Ist das ein Tampon? Hat sie ihre Tage? Falls ja, bring ich sie verdammt noch mal um.

Ruhig. Irgendjemand draußen? Nein. Mindestens weitere fünfzig Minuten lang wird niemand die Rampe zu dieser Garage herunterkommen, Helen.

Schiebetür auf, Schiebetür zu.

Zack! Auto offen. Runter mit den Ärmeln – vorsichtig, mein Junge, lass die Haut kein Metall berühren, und …

Aber hallo. Was muss ich da sehen, Helen? Dummes Frauchen. Du hast dein iPhone vergessen. Aber das ist schon in Ordnung, jetzt haben wir es ja. Oh, du hast ’ne Nachricht. Ist von Loverboy.

He, Loverboy, ich werd dir ein Foto von Lovergirl schicken. Sehr bald schon, und sie wird richtig hübsch aussehen. Und du wirst es nie vergessen, Loverboy.

Zack! Auto zu.

Auf Nimmerwiedersehen, Auto.

He, Helen. Hab das Telefon. Du meine Güte, der Akku fehlt. Das bedeutet, du bist von der Bildfläche verschwunden, Herzchen; es bedeutet, du kannst nicht gefunden werden; es bedeutet, dass es kein GPS-Signal von dir gibt. Moderne Technik; du könntest genauso gut tot sein.

Kontrolle: Paket gesichert? Ja, fest verschnürt seitlich hinten im Van. Arme ausgestreckt, zusammengebunden und an der Gitterwand gesichert? Ja. Die Beine? Ebenso. Dir passiert nichts, Helen; so kannst du hinten im Van nicht über den Boden kullern.

Alles klaro.

Kontrolle: Paket außerstande, zu sprechen oder – ha, ha, ha – zu schreien, brüllen, kreischen?

Klebeband von Bunnings, im Sonderangebot um $ 3,99.

Alles klaro, und Augen nach vorn: irgendwelche Anzeichen auf fremde Aktivitäten?

Nichts. Fünfundvierzig Minuten, bevor jemand die Rampe herunter in die kleine Garage fährt; fünfundvierzig Minuten, bevor jemand Helens blauen Mazda dort sieht, wo er immer abgestellt ist; fünfzig, vielleicht sechzig Minuten, bevor jemand – der Zeppelin? – auf die Idee kommt, das tote iPhone anzurufen und eine Nachricht zu hinterlassen: Helen, alles in Ordnung? Wollte nur nachfragen.

Loverboy wird das und all die anderen Nachrichten zu hören bekommen, darunter seine eigenen, wenn er das Telefon erhält.

Das Geschenk.

Konzentrier dich. Die Luft ist rein, Meister! Alles klaro.

Auf geht’s, Helen! Lass uns Spaß haben, nur du und ich und diese großen Frauentitten, jede Menge Spaß, jede Menge Schritte bis hin zur Kette.

Eine vergnügliche Reise werden wir haben. Seid geduldig, Brüder. Bleibt ruhig, Schwestern. Fahrt ein Weilchen mit uns.

Gütiger Gott, sieh sich einer diese Sonne an, sieh sich einer diesen blauen Himmel an. Verdammt, ich liebe es hier oben. Alles klar, Winston, nicht schneller als fünfzig Stundenkilometer, und konzentrier dich, sei ein höflicher Fahrer und wink den alten Leuten zu, wenn sie dich passieren.

Helen hatte aufgehört, in das Klebeband zu brüllen. Sie wusste, dass niemand sie hören würde, aber nicht das ließ sie aufhören, zu schreien. Es lag an schierer Erschöpfung. Und an der Erkenntnis.

Sie würde sterben. Vielleicht … vielleicht könnte sie so tun, als würde sie ihn mögen, und bestimmte Dinge sagen, zum Beispiel, dass er attraktiv sei und sie ihn wollte.

Aber sie kannte die Wahrheit.

Es würde alles vergeblich sein.

Sie würde sterben, und davor würde er ihr wehtun.

Helen schloss die Augen und dachte an ihren sechsten Geburtstag zurück, als ihre Mutter und ihr Vater sie zum Luna Park mitnahmen, wo sie elfmal mit dem Riesenrad fuhr.

Tief ins Fleisch
cover.html
9783802598609_content.html
9783802598609_content_0001.html
9783802598609_content_0002.html
9783802598609_content_0003.html
9783802598609_content_0004.html
9783802598609_content_0005.html
9783802598609_content_0006.html
9783802598609_content_0007.html
9783802598609_content_0008.html
9783802598609_content_0009.html
9783802598609_content_0010.html
9783802598609_content_0011.html
9783802598609_content_0012.html
9783802598609_content_0013.html
9783802598609_content_0014.html
9783802598609_content_0015.html
9783802598609_content_0016.html
9783802598609_content_0017.html
9783802598609_content_0018.html
9783802598609_content_0019.html
9783802598609_content_0020.html
9783802598609_content_0021.html
9783802598609_content_0022.html
9783802598609_content_0023.html
9783802598609_content_0024.html
9783802598609_content_0025.html
9783802598609_content_0026.html
9783802598609_content_0027.html
9783802598609_content_0028.html
9783802598609_content_0029.html
9783802598609_content_0030.html
9783802598609_content_0031.html
9783802598609_content_0032.html
9783802598609_content_0033.html
9783802598609_content_0034.html
9783802598609_content_0035.html
9783802598609_content_0036.html
9783802598609_content_0037.html
9783802598609_content_0038.html
9783802598609_content_0039.html
9783802598609_content_0040.html
9783802598609_content_0041.html
9783802598609_content_0042.html
9783802598609_content_0043.html
9783802598609_content_0044.html
9783802598609_content_0045.html
9783802598609_content_0046.html
9783802598609_content_0047.html
9783802598609_content_0048.html
9783802598609_content_0049.html
9783802598609_content_0050.html
9783802598609_content_0051.html
9783802598609_content_0052.html
9783802598609_content_0053.html
9783802598609_content_0054.html
9783802598609_content_0055.html
9783802598609_content_0056.html
9783802598609_content_0057.html
9783802598609_content_0058.html
9783802598609_content_0059.html
9783802598609_content_0060.html
9783802598609_content_0061.html
9783802598609_content_0062.html
9783802598609_content_0063.html
9783802598609_content_0064.html
9783802598609_content_0065.html
9783802598609_content_0066.html
9783802598609_content_0067.html
9783802598609_content_0068.html
9783802598609_content_0069.html
9783802598609_content_0070_split_000.html
9783802598609_content_0070_split_001.html
9783802598609_content_0071.html