27

Funkenkitzler

»Ich glaube, wir haben eine Verbindung«, offenbarte Isosceles. In seiner Stimme schwang Dringlichkeit mit. »Wahrscheinlichkeit: hoch.«

gofish. Angie küsste mich auf die Stirn und verließ leise das Haus. Vergangene Nacht hatte ich sie gebraucht. Ich hatte die rationale Ruhe eines Menschen mit Verstand und Anmut gebraucht. Ohne sie wäre ich vielleicht nach nebenan gegangen und hätte den Hund von Janice Soundso in den Fluss geworfen.

Nun fühlte es sich gut an, allein zu sein, allerdings würde dieser Zustand nicht von Dauer sein – nicht angesichts meines wiederauflebenden Titelseitenruhms. Ich fragte mich, ob mir Sil, die Zwiebel, einen Preisnachlass auf seinen Fisch mit Fritten gewähren oder ob mir der Krabbenmann mit den dürren Beinen beim Preis für die Mangrovenkrabben entgegenkommen würde.

»Schieß los«, sagte ich.

»Oh! Sieh sich einer das an«, hörte ich vom anderen Ende der Leitung und fragte mich, welcher Ablenkung wir uns jetzt wieder zuwenden würden.

»Du bist auf der Titelseite der Regionalzeitung dort oben. Ich hätte das schon viel früher gesehen, wäre da nicht meine derzeitige Gewohnheit, L’Hebdo Madaire du Burkina zu lesen – das ist eine der Regionalzeitungen in Burkina Faso, hast du das gewusst? Ein hervorragendes Qualitätsblatt, wie ich hinzufügen möchte. Du meine Güte: Du bist letzte Nacht ja tatsächlich in ein wenig Ärger geraten. Was treiben unsere Freunde von der Polizei dort oben? Sind sie beim Surfen?«

Er kicherte.

»Können wir uns wieder der Verbindung zuwenden?«, fragte ich.

»Selbstverständlich, Darian, selbstverständlich. Ein Gentleman namens Winston Daniel James Promise – ich schicke dir gerade die Einzelheiten über ihn – wurde von der Ermittlungsabteilung North Brisbane verhört, nachdem er ungebührlich viel Zeit vor einer Privatschule für Mädchen im Vorort Ascot verbracht hatte.«

»Anklage?«

»Keine. Nur das Protokoll des Verhörs.«

»Datum?«

»Vor sechs Jahren.«

Das lag so tief unter dem Radar einer normalen Polizeiliste und kam einer solchen Verletzung der Privatsphäre einer Person gleich, dass ich einfach anmerken musste: »Beeindruckende Arbeit.«

»Du sprichst immerhin mit einem überaus intelligenten Menschen«, bestätigte er ohne Ironie.

Im Polizeijargon gibt es den Ausdruck Prä-D. Er bezieht sich auf die Zeit vor 1988, als man noch einen Anruf tätigen und Informationen über jemanden anfordern konnte, von dem man dachte, er könnte ein Kind entführt haben und bei sich zu Hause festhalten – und man bekam die Informationen, um die man gebeten hatte. Man konnte herausfinden, wen derjenige angerufen hatte, wen er traf, was er in letzter Zeit getrieben hatte – mit anderen Worten, man erhielt ein Bild von seinem Leben. Das half dabei, festzustellen, ob man den Richtigen ins Visier genommen hatte oder ob man sich irrte. 1988 erließ die Regierung das Datenschutzgesetz. Das war ein schwarzer Tag für den Gesetzesvollzug. Nicht falsch verstehen: Ich bin der Erste, der sich für die Rechte eines Menschen auf seine Privatsphäre einsetzt, und ich würde an vorderster Front für das Recht eines Menschen kämpfen, zu schweigen und verborgen zu bleiben – solange meine Mordermittlungen davon nicht behindert werden. Wenn ich jedoch auf der Jagd nach einem Killer bin, dann hat es keine Hindernisse zu geben, und das gilt auch für das Recht auf Privatsphäre. Die Prä-D-Tage waren herrliche Zeiten. Will man jetzt Informationen über eine Person erhalten, muss man ein Gesuch einreichen, das Gesuch rechtfertigen und anschließend warten. Geduldig. Unter Umständen muss man noch die Erlaubnis der Person einholen, um die Informationen zu bekommen. In Queensland, wo man lobenswert rückständig ist, hat man das Datenschutzgesetz erst 2009 verankert, einundzwanzig Jahre später. Als ich noch in Melbourne lebte, haben sich die Menschen über die Barbaren im Norden mokiert, über sie gelacht; nicht jedoch wir bei der Polizei. Wir hätten die alten Zeiten sofort gerne zurück.

Leute wie ich – eigentlich alle guten Cops – fanden Wege und Mittel, das Gesetz zu umgehen. Es zu brechen. Bis die Geeks mit ihren Laptops und der Cloud in unsere Arbeitswelt Einzug hielten, mussten wir uns auf Bestechung, Beziehungen und einfache Drohungen verlassen, um Informationen der Art zu bekommen, die zu beschaffen ich Isosceles gebeten hatte. Eine Aufstellung von jedem, dessen Namen mit einem Sexualdelikt in Verbindung stand. Ich brauchte eine umfassende Liste. Isosceles hatte sie. Ich hatte sie auch.

Sie war lang. Länger, als man sich vorstellen kann.

Außerdem war sie bedeutungslos. Nur eine Liste mit Namen, zuletzt bekannten Adressen und einer Übersicht über das Böse. Um ihr Leben einzuhauchen, mussten wir eine Verbindung finden, bei dieser speziellen Jagd zu einem Kerl, der als Elektriker im Noosa North Shore Dreaming Resort gearbeitet hatte. Und Isosceles hatte diese Verbindung entdeckt. Sie mochte dünn sein, trotzdem war sie stark. Und ich vermutete, dass sie dem offiziellen Ermittlungsstand um Lichtjahre voraus war.

»Mr Winston Daniel James Promise ist derzeit als Mitarbeiter eines Unternehmens namens Zap Electrics registriert, das als wichtiges Subunternehmen bei der Anlage fungiert hat.«

»Aber nichts außer der Beschwerde von der Mädchenschule?«

»Nicht für Winston Daniel James. Aber …«

Ich spürte, wie die Spannung stieg.

»… Danny Jim Winston war bis ins reife Alter von siebzehn Jahren ein sehr ungezogener Junge. Das dir, Darian, durchaus bekannte Jugendstrafrecht von Queensland aus dem Jahr 1992 hat es ihm ermöglicht, allerlei ungehörige Handlungen mit seinem Penis und jungen Mädchen zu vollziehen, ohne registriert zu werden. Die entsprechende E-Mail kommt jetzt gerade durch …«

Ich klickte darauf, und vor mir entfaltete sich eine Aufstellung der von unserem Danny Jim verübten Sexualdelikte, die begann, als er gerade mal acht Jahre alt war. Die Identität des kleinen Danny Jim wurde gerichtlich geschützt, aber als er achtzehn wurde, konnte er sich nicht mehr verstecken. Da wandelte er seinen Namen ab und verschwand vom Radar.

Die Liste entsprach dem, was ich erwartet hatte: unsittliche Entblößung, unzüchtiges Verhalten, unerwünschte sexuelle Annäherung, derlei Dinge. Dann ein allmählicher Anstieg zu sexueller Belästigung und Vergewaltigung. Er war schon damals auf einem üblen Weg gewesen, und anscheinend hatte er sich inzwischen zu einem vollwertigen Sexualstraftäter der schlimmsten Sorte entwickelt.

Außerdem war er ein kluger Junge. Diszipliniert. Gefährlich. Ich wollte Danny Jim kennenlernen.

Ich verabschiedete mich von Isosceles und griff nach meinem Handy, um Maria eine SMS zu schreiben. Ich hatte versprochen, sie auf dem Laufenden zu halten. Natürlich nur, wenn es mir in den Kram passte.

Es passte mir gerade in den Kram. Die meisten Befragungen verlaufen wesentlich besser, wenn die Fragen von einer Frau gestellt werden. Maria wäre perfekt für Danny Jim: reif, selbstsicher, vollbusig, sexy, Polizistin. Sie würde all seine Ängste wie eine allergische Reaktion auf Erdnüsse hervorkehren.

Tief ins Fleisch
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