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Gefühle
Der Zeppelin sagt, ich muss erwachsen sein.
»Sie sind kein kleiner Junge mehr«, sagt sie.
Der Zeppelin sagt, ich kann alles sein, was ich will.
»Sie wollen Ihr Leben nicht mit diesen Videospielen vergeuden, Winston.«
Der Zeppelin ist eine Fotze, und ich will sie umbringen, aber das kann ich nicht, denn wenn ich es tue, wird meine Ma wütend und sagt, ich bin verantwortungslos und vielleicht wieder schräg, und dann hört sie auf, mir Geld zu geben. Ich will auch meine Ma umbringen und an all ihr Geld ran, aber das kann ich nicht, weil die Bullen immer den nächsten Angehörigen als ersten Verdächtigen unter die Lupe nehmen, und das wäre ich, und dann würde ich gefasst. Also muss ich über mich ergehen lassen, dass mir der Zeppelin erzählt, ich sei ein Kind, aber das bin ich nicht, jedenfalls nicht ständig. Manchmal bin ich es, manchmal bin ich es nicht.
Hallo, meine Brüder und Schwestern. Willkommen in der Welt des Fantastischen. Ich bin Big Winnie, und ich bin der Mann. Freut mich, euch kennenzulernen, ich hoffe, die Lektionen gefallen euch.
Der Zeppelin sagt, ich soll Dinge aufschreiben. Gefühle. Damit befassen wir uns heute: Gefühle.
»Das soll Ihnen helfen, Winston«, erklärt sie.
Sie sagt, ich soll mit etwas Bedeutungsvollem anfangen, beispielsweise mit meiner ersten Erinnerung daran, glücklich gewesen zu sein, oder mit dem ersten Mal, als ich mich verliebt habe … oder vielleicht damit, wie ich zum ersten Mal Babygirl Jenny B gesehen habe – nicht Babygirl Jenny G, sie ist die Nächste –, als sie den Fußweg unter den großen Jacaranda-Bäumen entlangging, deren Äste wie Eiszapfen über der Straße herabhingen. Und von unter der Erde kam diese große Hitzewelle, die durch meinen Körper aufstieg wie ein heißes Bad. Da hat es bei mir überall gekribbelt, und mein Schwanz ist steinhart geworden, als ich dort auf der Straße stand. Keine Autos, keine Leute, nur ich und Jenny B mit ihrem blonden Haar, ihren engen Shorts, ihrem rosa T-Shirt und ihren nackten Füßen. Ich bin ihr den Fußweg entlang gefolgt, und sie wusste nicht, dass Big Winnie hinter ihr war, sie beschattet und Pläne für sie geschmiedet hat, während wir zum Ende der Straße gingen und die Gympie Terrace zur Bushaltestelle vor der Brücke über den Noosa River überquerten. Autos fuhren hierhin und dorthin, auf dem Fluss waren Boote, am Sandstrand suchten Kids nach Krabben, und Babygirl saß an der Bushaltestelle, spielte mit ihrem Telefon, schrieb SMS, ohne je aufzuschauen und Big Winnie zu bemerken, der ganz in der Nähe unter dem alten, abgestorbenen Eukalyptusbaum stand. Sie hat mich nicht mal bemerkt, als ich in den Bus stieg, so nah bei ihr, dass ich sie riechen konnte. Das ist gut, Zeppelin, das ist bedeutungsvoll. Ich und Babygirl fahren also mit dem Sun Bus durch die Straßen, bis wir beim Einkaufszentrum Noosa Civic ankommen. Ich liebe Noosa Civic. Dort gibt es einen Big W. Und jede Menge andere Läden mit Mädchenbekleidung. Und jede Menge Mädchen, sie gehen nach der Schule hin. An dem Tag ist dort Babygirl. Immer noch hat sie mich nicht bemerkt, und ich bin schon seit über einer Stunde ihr Schatten, und inzwischen kenne ich ihre Form und habe ihre Stimme gehört, und ich weiß, dass sie eine Freundin namens Carol und Größe 10 hat, und schon bald werde ich noch mehr wissen, und sie wird mich kennen. Ich werde alles wissen. Aber zuerst müssen wir am Anfang beginnen.
Schritt eins: Rückzug von der Zielperson. Damit sie nicht weiß, dass ich überhaupt existiere. Ein Geist werden.
Schritt zwei: Die Zielperson verfolgen. Das kann bis zu drei Wochen dauern, bis ich genug über ihr Verhaltensmuster erfahren habe …
Halt.
Keine Bewegung. Einatmen. Zuhören. Abwägen. Absolut ruhig bleiben. Alle Blickwinkel konzentrieren.
Ist da eine Schwachstelle?
HÖR HIN! SIEH SIE NICHT AN. ISOLIER SIE UND ENTFERN SIE AUS DEINEN GEDANKEN.
JETZT …
Konzentrier dich.
Da ist eine Stimme.
Alles klaro.
Sie ist in der Nähe.
GIB DIR MEHR MÜHE. KONZENTRIER DICH.
Alles klaro.
Oh. Es ist der Zeppelin. Wow, die habe ich völlig vergessen.
»Hi.« Und lächeln. Alles klaro.
»Winston?«
»Tut mir leid, Doc.« Lächeln. »Ich war kilometerweit weg.«
»Ist Ihnen etwas eingefallen?«
Ja, absolut, mir ist mein Kribbler eingefallen, der sie gern ganz weich und rosa und nackt-nackt-nackt hat, Babybrüste mit kleinen Nippelchen, blaue Babyaugen …
»Winston?«
»Tut mir leid.« Konzentrier dich. Sayonara, Kribbler.
Big Winnie kommt wieder.
Was sollte ich noch mal tun? Irgendetwas war da. Der Zeppelin wartet irgendwie darauf, dass ich etwas tue. Oder vielleicht, dass ich etwas sage?
»Äh, vielleicht könnten Sie mir ein wenig auf die Sprünge helfen«, bitte ich sie.
»Es muss nicht Ihre erste angenehme Erinnerung sein, aber schon irgendetwas aus der Zeit, als Sie wirklich jung waren. Zum Beispiel ein Tag am Strand oder ein Campingausflug. Solange es etwas ist, worauf Sie jetzt zurückblicken und sich denken können: Das hat Spaß gemacht.«
Ach ja, richtig: Wir machen eine Übung. Ich soll mein erstes Erlebnis aufschreiben, bei dem ich Spaß hatte. Wow, ich habe ja sogar einen Stift in der Hand und einen Block vor mir auf meiner Seite ihres Schreibtischs.
Richtig: So bin ich auf Kribbler gekommen; ich verliere also doch nicht den Verstand. Na schön: Ich muss nachdenken, die Übung abschließen.
Sie lächelt mich an, als wäre ich ein dummes Insekt. »Irgendetwas, Winston. Vielleicht ein Hündchen, das Sie hatten.«
Wie lautet noch gleich das Wort, um zu beschreiben, wie sie mich ansieht? Ach ja: herablassend.
»Tja«, meine ich zu ihr, »ich würde sagen, das war entweder bei diesem Schulausflug außerhalb von Melbourne in diese Ortschaft namens Daylesford. Da hat es geschneit, und ich hab zum ersten Mal Schnee fallen gesehen und einen Schneemann gebaut … Oder es war damals, als ich …«
… mir die kleine Robin vor dem Videoladen geschnappt habe, als sie unter dem alten Feigenbaum hindurchging, hinein in den großen Schatten, den die Äste über den Fußweg werfen – kein verfluchtes Wort, kein Mucks. ZACK. Im einen Moment da, im nächsten weg. ZACK. So einfach, so erstaunlich einfach, und so schnell, Mann, verblüffend zu wissen, DASS ICH ES KONNTE, juhu!
»Nein, es war schon der Schnee. Kalt, aber wunderschön, verstehen Sie, was ich meine? Ich liebe die Natur. Deshalb bin ich auch hier rauf an die Sunshine Coast gezogen. Kein Schnee hier oben, gell! Gell?«
—
»Sie, äh, will mich wiedersehen, übernächste Woche.«
Sie starrt auf den Computerbildschirm.
Helen. Zwanzig, vielleicht zweiundzwanzig. Verlobungsring an der Hand. Dünne Goldkette um den Hals. Zierliche Finger. Tadellose Figur. Größe 36, Körbchen vielleicht D. Hübsche Lippen. Sehr gute Knochenstruktur. Achtet auf ihren Körper. Insgesamt eine Größe zwölf, vielleicht auch zehn.
Sinnlich. Kann nur ums Verrecken kein Augen-Make-up auftragen. Bin mir nicht ganz sicher bei dieser Haarfarbe. Ich meine, mir gefällt die Fülle und wie sie die Haare hinten zusammenbindet.
»Wie wäre es am Donnerstag um zehn?«
Hasst ihr es nicht auch, wenn Tussis mit euch reden, während sie auf einen Computermonitor glotzen?
»Das könnte problematisch sein, Helen. Tut mir leid.«
Und jetzt schaut sie auf und stellt Blickkontakt mit mir her. Und genau dasselbe ging mir beim letzten Mal durch den Kopf, als ich hier gewesen bin: blassblaue Augen. Wässrig. Fast weißlich mit einem hellblauen Schleier.
»Hassen Sie Typen wie mich nicht? Tut mir leid.«
»Nein, schon gut, Winston.«
»Jederzeit außer um zehn.«
Der Blick schwenkt zurück auf den Bildschirm. Irgendwie gefällt mir das Dekolleté. Allerdings finde ich, sie sollte den obersten Knopf nicht offen lassen.
»Um zwölf?« Blick auf dem Monitor.
»Alles klaro.«
»Ich liebe es, wie Sie das sagen, Winston.« Sie lacht, glotzt immer noch auf den Monitor.
Das Dekolleté ist gut, ja, es gefällt mir. Ich habe schon vor langer Zeit gelernt, dass Verborgenes für Erregung sorgt. Mysterium und Wunder. Deshalb lässt mich das Dekolleté sagen: Ich bin ein sehr neugieriger Mensch, Helen, sehr neugierig. Ich schwebe gerade. Ich liebe es, wenn ich schwebe. Ich will ihre Brüste sehen.
Das ist irgendwie komisch, oder? Denn wisst ihr, Frauenbrüste habe ich nicht mehr begehrt oder angesehen oder gefühlt, seit …
Seit ich in jener Nacht im Park diese besoffene, zugedröhnte Tussi gefunden hab, die so weggetreten war, dass sie wie tot da gelegen hat, als ich sie gefickt hab, sogar, als ich in ihr abgespritzt und ihr ins Ohr gebrüllt hab: »Ich hab dich grade gefickt; ich bin in dir gekommen!« Aber nicht allzu laut, weil wir ja im Park gewesen sind, obwohl keine anderen Leute in der Nähe waren, die mich hören konnten. Dann hab ich ihren Busen begrapscht, ihn fest gedrückt und – wie vorher, nicht allzu laut – gebrüllt, den Mund direkt an ihrem Ohr: »Ich hab meinen Schwanz immer noch in dir.« Und sie hat trotzdem weitergeschlafen, also hab ich, wenn auch immer noch leise, gebrüllt: »Jetzt schlitz ich dir die Kehle von einem Ohr zum anderen Ohr auf.« Und immer noch hat sie geschlafen. Und dann kam mir der Gedanke, dass es echt cool wäre, genau das zu tun – ihr mit einer Hand die Kehle aufschlitzen, während ich meinen Schwanz noch in ihr und die andere Hand auf ihrer Titte hatte. Denn wisst ihr, ich schätze, dann würde sie aufwachen, und zwar so richtig WOW. Stellt’s euch nur mal vor: Das totale Gefühl, gefickt zu werden, die Titte gedrückt zu bekommen, und gleichzeitig strömt Blut über den Hals hinunter, während man festgenagelt daliegt und in die Augen des Eroberers hinaufstarrt. So cool. Hinabblicken in ihre Augen, während das Blut aus ihr und über sie strömt. Meine Hand würde ganz klebrig werden, wenn ich fester zudrücke, und gleichzeitig – alles gleichzeitig – würde sie sterben: Ich würde sehen, wie ihre Augen ganz glasig werden, und sie würde … aufschauen … in meine Augen, als es aus meiner Schwanzspitze herausschießt, tief in sie hinein, und sie würde in meinen Armen sterben.
Aber nichts davon ist geschehen. Ich habe zwar die schlafende Tussi im Park entdeckt, und ich habe sie ausgezogen, ihre Titten geknetet und sie dann gefickt, aber ich habe sie nicht umgebracht, weil ich wusste, dass ich geschnappt werden würde. Fürchtet euch nicht, Brüder und Schwestern, Big Winnie verhält sich und denkt wie ein Kind, aber er ist gerissen-gerissen-gerissen.
Ich bin den Bullen weit voraus. Was ein weiterer Grund dafür ist, dass ich Helens Frauentitten anfassen und spüren will: Die Bullen werden verwirrt sein, nachdem sie verschwunden ist und ich ihr iPhone zurückgelassen habe, das ich auf dem Schreibtisch neben ihr sehe. Weil Helen nämlich rabenschwarze Haare hat und alt ist.