22

Henna, ich und Lady Gaga

»Was für ein Modell ist die Pistole, die er dir besorgt hat?«, fragte ich. Für Taktgefühl war ich nicht in der richtigen Stimmung.

Sie wirbelte herum. Es war ihre Mittagspause, und wie in jeder Mittagspause verließ Henna den Zeitschriftenladen und schlenderte die Hauptstraße von Tewantin hinab, überquerte jenseits des weitläufigen alten Royal Hotels die Fahrbahn und betrat den Park, der abschüssig zum Fluss hinunter verläuft. Sie setzte sich auf eine der Holzbänke, die der Stadtrat entlang des Flussufers hatte aufstellen lassen. Am Rand wuchs eine Reihe Schraubenbäume und spendete dichten Schutz vor der Sonne.

Sie fütterte gerade einen Schwarm Pelikane.

»Wovon reden Sie da?« Sie log richtig schlecht.

Ich setzte mich neben sie auf die Bank.

»Dein Dad hat dir eine Pistole gegeben, die du benutzen sollst, falls du von dem Serienmörder entführt wirst.«

Henna erwiderte nichts, starrte mich nur mit traurigen Augen an.

»Die Waffe wird dir nicht helfen. Sie wird dich nicht retten. Das hier schon.«

Ich reichte ihr ein Handy. »Nimm es«, forderte ich sie auf.

Sie tat es zwar, wusste aber eindeutig nicht, warum.

»Es ist ein Guthaben von zweihundert Dollar drauf.« Die Kleine wirkte verdutzt. »Und nur eine einzige Nummer: meine.«

»Was soll das alles?«, fragte sie.

»Weißt du, wer ich bin?«

»Mr Richards«, erwiderte sie und wirkte erleichtert darüber, endlich auf etwas gestoßen zu sein, das einen Sinn ergab.

»Darian«, berichtigte ich sie.

Sie lächelte verhalten. Obwohl sie keine Ahnung hatte, was vor sich ging, wusste sie, dass sie mir vertrauen konnte. Sie kam allgemein wie ein vertrauensseliges Mädchen rüber. Umso mehr Grund, ihr das Telefon zu geben und Klartext mit ihr zu reden.

»Weißt du auch, was ich war?«

»Ja«, antwortete sie leise. »Jeder weiß das.« Da hatten wir wieder diese Werbekampagne.

»In unserer Mitte gibt es einen Mörder.«

Henna nickte.

»Du entsprichst seinem Typ.«

Als sie mit den Tränen kämpfte, sah ich, dass sie es wirklich, wirklich wusste. »Ich hab mit dem Gedanken gespielt, mir die Haare schwarz zu färben, aber dann würd’ ich so hässlich aussehen.«

Teenager.

Sie fasste in ihre Handtasche und begann, etwas daraus hervorzuziehen: die Pistole. Rasch packte ich ihr Handgelenk und hielt es fest.

»Nein«, wehrte ich ab. »Sag mir einfach, was es für eine ist.«

»Eine Glocken«, antwortete sie. Ich sparte mir die Mühe, sie zu korrigieren. »Dad hat mich in einen der Nationalparks mitgenommen und mir gezeigt, wie man sie benutzt. Wofür ist das?«, wollte sie wissen und hob das Handy an, das ich ihr gegeben hatte.

»Das ist deine Rettungsleine, falls du je in eine Notlage kommst. Das. Nicht die Pistole. Wenn du in Schwierigkeiten gerätst: Ruf mich an. Nur mich. Niemanden sonst. Sofort. Ich will keine leeren Versprechungen abgeben: Unter Umständen bin ich nicht in der Lage, dich zu retten, aber niemand kann dir so sehr helfen wie ich.«

Wieder sah sie aus, als würde sie gleich weinen. Dann: »Haben Sie wirklich fünfzehn Leute umgebracht? Fünfzehn Mörder?«

»Nein.« Sie wirkte ernüchtert. »Mehr«, fügte ich hinzu. Sie wirkte entzückt.

Teenager.

»Ruf mich an – such mich in der Kontaktliste und ruf mich an. Jetzt gleich.«

Ihre Finger flogen effizient und selbstsicher über die Tastatur.

Ich hatte eine Menge Telefone gekauft. Das Gerät, das ich ihr gerade gegeben hatte, gehörte zu einem mit einer gelben Hülle. Ich beobachtete, wie die Nummer von ihrem Telefon auf dem winzigen Bildschirm auftauchte.

»Jetzt«, forderte ich sie auf und reichte ihr mein Handy, »speicherst du diese Nummer unter deinem Namen, damit ich weiß, dass du es bist.«

Sie gab »Henna« ein und speicherte den Eintrag.

»Jetzt stellen wir noch einen Klingelton ein. Ich brauche einen bestimmten Song, damit ich weiß, dass du es bist.« Und als ich ich sie gerade vor die Wahl zwischen »The Wind Cries Mary« oder »Purple Haze« von Jimi Hendrix oder »Cortez the Killer« von Neil Young stellen wollte, ergriff sie mein Telefon und lud einen Song herunter. An den Titel kann ich mich nicht erinnern, aber er war auf Anhieb erkennbar und angesichts unserer zuvor eingegangenen Gaga-Verbindung absolut passend.

Ich stand auf. »Als Erstes das Telefon, verstanden?«

Sie nickte. »Als Erstes das Telefon.«

Und dann, als ich gerade gehen wollte, sprang sie von der Bank auf, erschreckte dadurch die Pelikane so sehr, dass sie über die spiegelglatte Oberfläche des Flusses davonstoben, beugte sich vor und küsste mich auf die Wange.

»Danke«, sagte sie. »Vielen Dank.«

Ich war so verdattert, dass ich nicht wusste, was ich sagen sollte, also lächelte ich nur, nickte, ging davon und wünschte, sie hätte das nicht getan, hätte meine Emotionen nicht mit dem Dank berührt, der mit jenem Kuss einherging.

Tief ins Fleisch
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