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Ein quälender Durst riss Jayan aus dem
Schlaf. Er öffnete die Augen und sah im Morgenlicht verkohlte
Mauern. Sie sahen nicht viel härter aus als der Boden, auf dem er
lag. Sein ganzer Körper schmerzte, und er spürte einen Druck auf
einem Arm. Er blickte hinab.
Tessia lag zusammengerollt neben ihm und
schlief.
Sein Herz jubilierte, und plötzlich war die Härte
des Bodens nicht mehr so unerträglich.
Ich hätte warten sollen, bis der Krieg vorüber
ist und wir in Sicherheit sind, dachte er. Aber sie war da,
meinem Geist zu nahe, und ich konnte meine Gefühle nicht vor ihr
verbergen.
Und doch konnte er sich nicht dazu überwinden,
irgendetwas zu bedauern.
Sie liebt mich, ging es ihm durch den Kopf.
Trotz all der dummen Dinge, die ich gesagt habe. Obwohl ich sie
verärgert habe. Ihm wurde bewusst, dass er das nicht erwartet
hatte.
Vielleicht würde sie ihre Meinung noch ändern. Wenn
sie berühmt war, weil sie die magische Heilkunst entdeckt hatte.
Wenn sie älter wurde. Sie war ja noch jung.
Siebzehn oder achtzehn? Er konnte sich nicht erinnern. Wenn er
darüber nachdachte, wie er in diesem Alter gewesen war, konnte er
kaum glauben, dass sie seiner niemals müde werden und nicht jemand
anderen finden würde, für den sie sich interessieren könnte.
Aber sie ist nicht wie ich. Sie beißt sich an
etwas fest und bleibt dem treu, wie bei der Heilkunst. Vielleicht
ist sie mit Menschen genauso. Mit mir. Und ich war damals auch
imstande, bei einer Sache zu bleiben. Nichts hat mich je von meinem
Interesse an Magie abgelenkt oder von meiner Ergebenheit Dakon
gegenüber.
Er griff nach der Wasserschale, die sie ihm in der
vergangenen Nacht gebracht hatte, nachdem sie für eine Weile in dem
niedergebrannten Haus verschwunden war, und nahm einen tiefen
Schluck. Das Wasser schmeckte nach Rauch. Er schloss wieder die
Augen.
Nach einer Weile weckte ihn etwas. In der Ferne
hallte das Geräusch von Hufschlägen wider. Mehrere Pferde, die
näher kamen. Jayans Herz setzte einen Schlag aus. Er und Tessia
hatten vorgehabt, abwechselnd zu schlafen, während der andere nach
vorbeikommenden Kyraliern Ausschau hielt, aber dann waren sie beide
der Erschöpfung erlegen. Er vermutete, dass das Heilen eine Menge
von Tessias Macht gekostet hatte. Wahrscheinlich hatte sie den
Schlaf ebenso gebraucht wie er.
Die Hufschläge wurden schnell lauter.
Als er sich bewegte, wobei er beabsichtigte, Tessia
so wenig wie möglich zu stören, riss sie die Augen auf. Sie
blinzelte ihn an, dann runzelte sie die Stirn.
»Sind das Pferde?«
Augenblicklich hellwach, sprang sie auf. Jayan
erhob sich ebenfalls, und sie gingen beide zu der eingestürzten
Mauer hinüber. Als sie hinausschauten, sahen sie etwa zwanzig
kyralische Magier auf sie zukommen. Jayan sah sich um und hielt
Ausschau nach Anzeichen, ob jemand sie beobachtete. Die Straße und
die Häuser in der Nähe schienen verlassen zu sein. Er trat hinaus
und winkte den Reitern zu.
Die Magier verlangsamten ihr Tempo und hielten
schließlich
an. Er lächelte, als er Lord Bolvin an der Spitze der Gruppe
erkannte. Lord Tarakin ritt neben ihm.
»Besteht zufällig eine Chance, mitgenommen zu
werden?«, fragte Jayan.
Bolvin grinste. »Magier Jayan, Meisterschülerin
Tessia, wie schön zu sehen, dass Ihr beide überlebt habt. Dakon
wird erleichtert sein. Er ist gestern Nacht zurückgekommen, konnte
Euch jedoch nicht finden.« Er blickte über seine Schulter. »Wir
müssen uns zuerst auf den Weg zum Stadtrand machen. Ihr werdet zu
zweit auf einem Pferd reiten müssen.«
Zwei Magier lenkten ihre Tiere vorwärts, und Jayan
und Tessia stiegen hinter ihnen auf.
Jayan schaute sich um. »Hat irgendjemand Mikken
gesehen?«
»Er ist bei den anderen.«
Bolvin setzte sein Pferd in Bewegung, und die
übrigen Reiter folgten seinem Beispiel.
In der Stadt war es sehr still, aber ab und zu
bemerkte Jayan, dass jemand davonhuschte und eine Nebenstraße
hinuntereilte. Sie kamen an der Stelle vorüber, an der Jayan und
Tessia von den übrigen Kyraliern getrennt worden waren. Kurz darauf
war die Straße nicht länger von Mauern gesäumt, und Felder umgaben
die Gebäude. Die Gruppe machte Halt. Fünf von ihnen, darunter
Bolvin, trennten sich von den übrigen, ein jeder begleitet von
einem Diener und einem Meisterschüler und einem reiterlosen, nur
mit Gepäck beladenen Pferd. Jayan bekam genug von dem Gespräch mit,
um zu begreifen, dass sie nach Imardin zurückkehrten. Zuerst
vermutete er, dass die fünf dort die Nachricht von ihrem Sieg
verbreiten wollten, aber nach einiger Zeit wurde ihm klar, dass die
Nachricht die Stadt bereits über die Blutjuwelenringe erreicht
haben würde.
Bei dem Gedanken überlief ihn ein Schauder der
Erregung. Ich wünschte, wir würden mit ihnen reiten. Ihm
wurde bewusst, wie müde er des Krieges war. Ich will zu Hause
sein, wo immer das jetzt ist, zusammen mit Tessia. Ich will eine
Magiergilde gründen und Tessia helfen, die magische Heilkunst zu
entwickeln.
Als Bolvin und seine Gefährten in der Ferne
verschwanden, wendete Lord Tarakin sein Pferd.
»Sie sind jetzt auf sich gestellt«, sagte er. »Der
König meinte, wir sollten so schnell wie möglich
zurückkehren.«
Die verbliebenen Magier wendeten ihre Pferde und
machten sich auf den Weg zurück in die Stadt. Schon bald ritten sie
durch Stadtteile, die Jayan noch nicht gesehen hatte. Er bewunderte
die prachtvolle breite Allee, die zum Kaiserpalast hinaufführte.
Der Palast war überraschenderweise unversehrt. Diener kamen heraus,
um die Pferde zu übernehmen. Jayan saß ab, erleichtert darüber,
nicht länger auf der unbequemen Kante des Sattels reiten zu
müssen.
Er trat neben Tessia und folgte den Magiern in den
Palast. Geradeso wie in den von Sachakanern erbauten Häusern in
Imardin führte ein Flur zu einem großen Raum für Zusammenkünfte und
die Bewirtung von Gästen. Aber der Flur war so breit, dass zehn
Pferde hätten hindurchreiten können, und der Raum war eine riesige,
von Säulen gesäumte Halle. Stimmen hallten ihm entgegen.
»Wir können die Sklaverei nicht gänzlich
abschaffen«, erklärte eine Stimme. »Wir müssen es in Etappen tun.
Anfangen sollten wir mit den persönlichen Dienern. Die Sklaven, die
Nahrungsmittel produzieren und die unangenehmsten Arbeiten
verrichten, sollten wir uns für den Schluss aufheben, oder aber
Sachaka wird verhungern, während es in seinem eigenen Unrat
ertrinkt.«
Narvelan, dachte Jayan, und ein vertrautes
Frösteln überlief ihn. Warum überrascht es mich nicht, dass er
die Sklaverei erhalten will? Dennoch konnte er nicht umhin, dem
Magier beizupflichten. Wenn sie alle Sklaven gleichzeitig
befreiten, würde Chaos ausbrechen.
Als Jayan sich dem Ende des Raums näherte, sah er,
dass mehrere Magier in einem Kreis saßen. Der König hatte nicht auf
dem gewaltigen, vergoldeten Thron Platz genommen, wie Jayan
auffiel, obwohl der Stuhl, auf dem er saß, größer war und eine
Rückenlehne und Armlehne hatte, während die übrigen Magier auf
Hockern saßen. Hinter ihnen standen andere Magier
im Raum verteilt; einige lauschten der Diskussion, andere
unterhielten sich miteinander.
»Überdies müssen wir die Bevölkerung hier schwach
halten«, fuhr Narvelan fort. »Aber nicht so schwach, dass wir mit
ihnen geschwächt würden. Die Befreiung der persönlichen Sklaven
bedeutet, dass die verbliebenen Magier die Menschen, die ihnen
dienen, werden bezahlen müssen.«
Der König nickte, dann blickte er zu den
Neuankömmlingen. »Lord Tarakin. Sind Bolvin und die anderen
aufgebrochen?«
»Ja. Außerdem haben wir Magier Jayan und
Meisterschülerin Tessia gefunden.«
Der König sah zuerst Tessia an, dann Jayan. »Ich
bin froh zu hören, dass ihr beide die Nacht überlebt habt.« Er
runzelte die Stirn, dann schaute er zu Dakon. »Da Ihr Euch bereit
erklärt habt, hierzubleiben und zu helfen, Sachaka zu regieren,
wird Eure Meisterschülerin ebenfalls zurückbleiben?«
Jayan schnappte nach Luft. Dakon bleibt? Das
kann nicht sein! Er hat ein Dorf, das er wiederaufbauen muss, und
ein Lehen, das auf seine Führung wartet.
Aber bei näherem Nachdenken konnte er ohne weiteres
glauben, dass Dakon hierbleiben und den Sachakanern helfen wollte.
Vielleicht, um den Schaden wiedergutzumachen, den sie hier
angerichtet hatten.
Und Tessia wird ebenfalls hierbleiben
müssen...
»Ich habe darüber nachgedacht«, erwiderte Dakon.
»Wenn Tessia nicht in Sachaka bleiben will, steht es ihr frei zu
gehen.«
»Ich könnte Euch nicht verlassen, Lord Dakon«,
sagte sie.
Der König wandte sich zu ihr um. »Ihr habt eine
Gabe, Meisterschülerin Tessia. Eine Gabe zu heilen, die Ihr andere
lehren könntet. Wenn ich Euch bäte, mit mir nach Imardin
zurückzukehren, würdet Ihr zustimmen?«
Sie biss sich auf die Unterlippe und sah zuerst den
König an, dann Dakon.
»Wer... wer wird meine Ausbildung
übernehmen?«
Jayans Herzschlag beschleunigte sich. Könnte
er...?
»Das werde ich tun.«
Alle drehten sich zu Lady Avaria um, die vom Rand
des Raumes auf den Kreis der Magier zukam.
»Dakon hat erwähnt, dass er es in Betracht ziehe zu
bleiben«, erklärte sie. »Ich habe an Tessia gedacht und daran, dass
sie vielleicht nicht hierbleiben möchte. Dann habe ich überlegt,
dass es für mich möglicherweise an der Zeit wäre, eine eigene
Meisterschülerin anzunehmen.« Sie sah Tessia an und lächelte. »Ich
kann es wohl kaum mit Lord Dakons Erfahrung aufnehmen, aber ich
verspreche, mein Bestes zu geben.«
Aller Augen richteten sich auf Tessia. Sie blickte
zuerst Avaria an, dann Dakon, dann Jayan, dann wandte sie sich dem
König zu.
»Wenn Lord Dakon einwilligt, wäre es mir eine Ehre,
Lady Avarias Meisterschülerin zu werden.«
Der König lächelte breit und schlug sich auf die
Schenkel. »Wunderbar!« Dann richtete er das Wort an Jayan. »Wie
sehen Eure Pläne jetzt aus, Magier Jayan?«
»Ich werde nach Imardin zurückkehren«, antwortete
Jayan. »Und wenn Ihr damit einverstanden seid, möchte ich mich dem
Aufbau einer Magiergilde widmen.«
Der König lächelte. »Ah. Die Magiergilde. Lord
Hakkin geht dieser Idee für eine Gilde ebenfalls nach.« Er nickte.
»Ihr dürft Euch ihm in diesem Unternehmen anschließen. Und nun...«
Er blickte in die Runde. »Wer wird hierbleiben und Lord Narvelan
und Lord Dakon dabei helfen, Sachaka zu regieren?«
Kaltes Entsetzen stieg in Jayan auf. Lord
Narvelan? Sachaka regieren? Ist König Errik wahnsinnig? Er
richtete seine Aufmerksamkeit auf Narvelan. Der junge Mann hatte
ein Lächeln aufgesetzt, aber es wirkte starr und eigenartig. Es
passte nicht zu der Eindringlichkeit seines Blicks. Als etwas ihn
ablenkte - ein Sklave, der an seinem Ärmel zupfte -, zeichnete sich
wilder Zorn auf seinen Zügen ab, den er hastig wieder hinter dem
Lächeln verbarg.
Jayan hörte Tessia nach Luft schnappen.
»Hanara«, flüsterte sie. »Das ist Takados
Sklave!«
Als Jayan genauer hinschaute, wurde ihm bewusst,
dass
der Sklave, der sich jetzt vor Narvelan auf den Boden warf,
derselbe Mann war, den Takado in Mandryn zurückgelassen hatte. Der
Mann, den Lord Dakon befreit hatte. Der das Dorf an Takado verraten
hatte.
»Ich habe es dir bereits gesagt, ich will nicht,
dass du dich auf den Boden wirfst«, bemerkte Narvelan zu Hanara,
während das Gespräch der Magier weiter seinen Lauf nahm. »Kein
Wunder, dass du so schnell schmutzig wirst.«
»Ja, Herr«, erwiderte Hanara.
»Hanara ist jetzt Narvelans Sklave?«, stieß Tessia
erstickt hervor.
»Ja«, bestätigte Lord Tarakin. »Obwohl er dem Mann
anscheinend mitgeteilt hat, dass er jetzt frei ist, aber der Mann
hört einfach nicht auf ihn.«
Tessia schüttelte den Kopf. Sie sah Jayan an, und
als Hanara davoneilte, um Narvelans Auftrag zu erfüllen, ging sie
durch den Raum, um ihn abzufangen. Jayan folgte ihr. Etwas abseits
holten sie den Sklaven ein. Als er sie sah, weiteten seine Augen
sich, und er erstarrte.
»Tessia«, flüsterte er. Jayan konnte nicht
entscheiden, ob die Miene des Sklaven Entsetzen oder Erstaunen
zeigte.
»Hanara«, sagte sie. Dann schwieg sie; ihr Mund
stand leicht offen, und plötzlich trat ein gequälter Ausdruck in
ihre Augen.
Hanara senkte den Blick.
»Es tut mir leid«, murmelte er. »Ich konnte nichts
tun. Ich dachte, wenn ich zu ihm ginge, würde er vielleicht
weiterziehen. Aber ich wusste auch, dass er von mir erfahren würde,
dass Lord Dakon nicht da war. Aber... das hätte er ohnehin
herausgefunden. Ich... ich bin... ich bin froh, dass Ihr nicht dort
wart.«
Eigentlich sollte ich den Wunsch verspüren, ihn
zu erwürgen, dachte Jayan. Aber aus irgendeinem Grund tue
ich es nicht. Der Magier, der sein Leben beherrscht hatte, war
zurückgekehrt. Und jetzt dient er Narvelan. Ich habe keine Ahnung,
ob ich dies als eine verdiente Strafe für ihn betrachten oder
Mitleid mit ihm empfinden soll. Oder ob mir dieser Zusammenschluss
eines ehemaligen Sklaven
eines der Invasoren und eines skrupellosen, wahnsinnigen Magiers
Kopfzerbrechen bereiten soll.
»Ich verzeihe dir«, sagte Tessia. Jayan sah sie
überrascht an. Sie wirkte erleichtert und nachdenklich. »Du bist
jetzt frei, Hanara. Du brauchst niemandem zu dienen, dem du nicht
dienen willst. Bestrafe dich nicht für die Verbrechen deines
Herrn.«
Der Sklave schüttelte den Kopf, dann sah er sich
verstohlen um, beugte sich dicht zu Tessia vor und flüsterte: »Ich
diene ihm, um am Leben zu bleiben. Wenn ich es nicht täte, würde
ich nicht mehr lange leben.« Er richtete sich auf. »Geht Ihr nach
Hause. Heiratet. Bekommt Kinder. Lebt ein langes Leben.«
Dann eilte er an ihnen vorbei und verschwand durch
eine Tür. Tessia drehte sich zu Jayan um, dann stieß sie ein kurzes
Lachen aus.
»Ich nehme an, ich habe soeben Befehle von einem
Sklaven empfangen.«
»Ratschläge«, korrigierte Jayan sie. Er ging durch
dieselbe Tür, schaute im Flur nach links und rechts und zuckte dann
die Achseln. »Es waren gute Ratschläge. Füge die Unterrichtung von
Magiern in der Heilkunst hinzu. Und die Notwendigkeit, mir bei der
Gründung der Gilde zu helfen.« Er schüttelte den Kopf. »Ich werde
mit Lord Hakkin zusammenarbeiten müssen und alle Hilfe brauchen,
die ich bekommen kann.«
»Ja«, pflichtete sie ihm bei. »Mir ist aufgefallen,
du hast dem König gegenüber nicht erwähnt, dass ich herausgefunden
habe, wie man mit Magie heilen kann.«
»Nein. Der Zeitpunkt erschien mir falsch. Und
jetzt, da ich darüber nachdenke... Es wäre mir lieber, wenn die
Unterrichtung von Heilern nicht in Sachaka beginnen würde. Sie
sollte in Kyralia ihren Anfang nehmen und Teil unserer neuen Gilde
sein.«
»Ein Anreiz für Magier, der Gilde
beizutreten?«
»Genau das.«
Ihre Augen wurden schmal. »Weißt du, einen Moment
lang hatte ich vorhin tatsächlich Sorge, du würdest dich erbieten,
meine Ausbildung fortzusetzen.«
Er blinzelte überrascht. »Sorge? Warum? Denkst du
nicht, dass ich ein guter Lehrer wäre?«
»Ein annehmbarer Lehrer«, erwiderte sie. »Aber ich
vermute, die kyralische Gesellschaft würde einen Meister und seine
Meisterschülerin mit Missbilligung betrachten, wenn sie... nun ja …
eine romantische Beziehung anknüpften.«
»Ich verstehe.« Wieder blickte er nach links und
rechts. Der Flur war immer noch leer. Er streckte die Arme aus, zog
sie fest an sich und küsste sie. Einen Moment lang versteifte sie
sich, dann entspannte sie sich, und er spürte ihren Körper dicht an
seinem.
Plötzlich hallten Schritte im Flur wider, und er
spürte, dass jemand sich an ihm vorbeischob. Zu spät sprangen er
und Tessia auseinander.
»Ich werde wohl ein Auge auf euch beide haben
müssen, hm?«, bemerkte Lady Avaria, ohne sich noch einmal
umzudrehen, während sie weiterging.
Tessia unterdrückte ein Kichern, dann wurde ihre
Miene ernst.
»Wo wirst du leben?«
»Ich habe keine Ahnung.« Jayan stöhnte. »Nicht bei
meinem Vater!«
»Nun, wir haben reichlich Zeit, diese Dinge zu
regeln«, sagte sie.
»Ja. Und jede Menge Dinge, um die wir uns zuerst
hier kümmern müssen. Wie zum Beispiel eine Mahlzeit. Ich bin halb
verhungert. Obwohl ich annehme, dass wir zuerst nach Mikken suchen
sollten.«
Sie nickte. »Das werden wir als Nächstes tun. Wir
werden tun, was notwendig ist, immer eins nach dem anderen, bis
nichts mehr zu tun übrig bleibt und wir alt und grau sind und wir
es jemand anderem überlassen können, die Dinge in Ordnung zu
bringen.«
Er beugte sich vor und griff nach ihrem Arm. »Komm.
Je eher wir anfangen, umso eher kommen wir zu den erfreulichen
Aufgaben.«