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Eine kleine Anstrengung von Willenskraft
und Magie ließ die Temperatur im Raum ansteigen, und ein wenig
Bewegung in der Luft half, Jayans Haut zu trocknen. Eine weitere Bö
künstlichen Windes vertrieb die Feuchtigkeit aus seinen Kleidern,
und er zog sich schnell an, damit der nächste Meisterschüler den
Raum benutzen konnte.
Er war eine willkommene Entdeckung gewesen, dieser
Raum. Er gehörte zu einer Mühle am Rand von Lord Ardalens Lehen und
beherbergte einen großen Bottich. Jemand hatte eine einfallsreiche
Vorrichtung ersonnen: Durch bloßes Umlegen eines Hebels konnte der
Bottich über verschiedene Rinnen und Rohre mit Wasser aus dem Fluss
gefüllt werden. Ein weiterer Hebel öffnete einen Abfluss, durch den
das Wasser den Bottich wieder verlassen konnte - vermutlich, um
zurück in den Fluss zu fließen.
Ohne dass dafür längere Diskussionen vonnöten
gewesen wären, wechselten sich alle Magier und Meisterschüler der
Gruppe darin ab, sich und ihre Kleider zu waschen. Nur die Diener
wuschen sich im Fluss.
Jayan griff nach seinen Ersatzkleidern, die jetzt
ebenfalls frisch gewaschen und getrocknet waren, und trug sie aus
dem Raum. Ein kurzer Flur führte hinaus, wo Zelte aufgebaut worden
waren. Obwohl sie in der Mühle selbst hätten Zuflucht suchen
können, zogen sowohl Magier als auch Meisterschüler es vor,
gemeinsam im Freien zu lagern und stets nach Angreifern Ausschau zu
halten.
Die Mühle war bei ihrer Ankunft verlassen gewesen.
Auch eine sorgfältige Untersuchung hatte nur leere Schränke und,
zu ihrer Erleichterung, keine Leichen ergeben. Die Bewohner
mussten Ardalens Nachricht erhalten und sich nach Süden in
Sicherheit gebracht haben. Es gab jedoch Zeichen einer Plünderung.
In einen Lagerraum war eingebrochen worden. Eine verschlossene
Truhe war gewaltsam geöffnet worden, und der Inhalt, der keinen
Diebstahl lohnte - größtenteils Kleidung -, lag überall verstreut.
Es ließ sich unmöglich feststellen, ob es sich bei den Plünderern
um Sachakaner oder um gewöhnliche Diebe gehandelt hatte. Inzwischen
hatten sie nämlich auch Nachrichten über die Plünderung verlassener
Dörfer durch Einheimische selbst erreicht.
Das war wohl unvermeidlich, dachte Jayan.
Die Narren verstehen oder interessieren sich wahrscheinlich
nicht dafür, dass ihr Leben, wenn sie von Sachakanern gefangen
werden, den Feind stärken wird.
Jayan hielt in der Dunkelheit des Flures inne und
blickte hinaus. Tessia war, wie er feststellte, nicht bei den
übrigen Meisterschülern. Die anderen vier jungen Männer waren
zwischen fünfzehn und zweiundzwanzig Jahre alt. Mikken, den
zweitältesten nach Jayan, schlank und selbstbewusst, schätzte er
als den attraktivsten von ihnen ein. Leoran war ein wachsamer Typ,
der sein ruhiges Wesen dadurch wettmachte, dass er stets eine
witzige Bemerkung oder ein Wortspiel anzubieten hatte. Der leicht
zu begeisternde Refan stimmte stets allem zu, was die anderen
sagten oder dachten. Und Aken, der jüngste, musste noch die
Gewohnheit ablegen, seine Gedanken laut auszusprechen, ohne vorher
zu überlegen, ob sie jemanden kränken oder ihn als Narren dastehen
lassen würden.
Meistenteils neigten sie dazu, Tessia zu
ignorieren, doch wenn sie sprach, hörten sie durchaus zu und gaben
höflich Antwort. Er wusste, dass sie sich unsicher waren, wie sie
sich in ihrer Nähe verhalten sollten. Die jungen Frauen, die sie
gewohnt waren, ließen sich leicht in Kategorien einteilen: Sie
waren entweder reich und stammten aus mächtigen Familien; oder sie
waren Dienerinnen, Bettlerinnen und Huren. Die wenigen weiblichen
Magier, denen sie begegnet waren, mussten alle aus der ersten
Gruppe stammen, aber das Problem war,
dass einige von ihnen im Ruf standen, ziemlich abenteuerlustig zu
sein, vor allem, was ihre Einstellung Männern gegenüber
betraf.
Die vier jungen Männer lachten, dann schauten sie
alle in eine Richtung. Als Jayan ihren Blicken folgte, sah er, dass
die Magier in einigen Schritten Entfernung im Kreis
zusammenstanden. Wahrscheinlich diskutierten sie einmal mehr
sämtliche Gründe, warum sie bisher keinen Sachakanern begegnet
waren, und wünschten, sie könnten einen gefahrlosen Weg finden, den
Feind aus dem Versteck zu locken.
Jetzt schauten die Meisterschüler alle in die
andere Richtung, und Jayan sah, wo Tessia abgeblieben war. Sie
pflückte kleine Früchte von einem Baum und füllte eine Schale mit
ihnen.
Wahrscheinlich eine Zutat für irgendein
Heilmittel, überlegte er und unterdrückte einen Seufzer.
Denkt sie denn jemals an irgendetwas anderes? Obwohl diese
Besessenheit ihn nicht mehr gar so sehr störte - nicht mehr, seit
er sie bei der Frau mit dem Geschwür im Mund beobachtet hatte -,
war sie diesbezüglich doch so entschlossen, dass es absolut
berechenbar und vielleicht ein wenig langweilig war.
Kurz darauf stand Mikken auf und schlenderte zu ihr
hinüber. Er streckte die Hände aus, und sie gab ihm mit leicht
überraschter Miene die Schale. Während sie weiterpflückte, redete
er mit ihr und lächelte dabei übers ganze Gesicht.
Jayans Haut kribbelte. Er brauchte nicht zu hören,
was der Meisterschüler sagte, um zu wissen, was er im Schilde
führte. Im nächsten Augenblick trat er durch die Tür und ging auf
die beiden zu. Mikken schaute auf, und als er Jayan kommen sah,
spiegelten sich auf seiner Miene sowohl Schuldbewusstsein als auch
Trotz wider.
»Du bist an der Reihe, Mikken«, sagte Jayan. Er
hielt inne, schnupperte und lächelte. »Ich an deiner Stelle würde
es nicht mehr allzu lange hinauszögern.«
Der junge Mann runzelte die Stirn und öffnete den
Mund zu einer Erwiderung, dann sah er Tessia an und besann sich
eines Besseren. Er reichte Jayan die Schale.
»Ich verneige mich vor der Weisheit meines viel,
viel älteren Mitschülers«, sagte er spöttisch, dann
verabschiedete er sich mit einem letzten Lächeln von Tessia und
ging auf die Mühle zu.
Tessia zog eine Augenbraue hoch. »Ihr beide seid
noch immer damit beschäftigt, eine Hackordnung zu ermitteln?«
»Oh, es ist klar, wer an der Spitze steht«,
entgegnete Jayan. »Die geringeren Ränge müssen den Rest unter sich
ausmachen. Gefällt es dir, die Beute zu sein, um die sie
streiten?«
»Ich?«
»Ja, du. Ich fürchte, weibliche Magier haben einen
ziemlich schlechten Ruf. Meine jungen, naiven Mitschüler versuchen
zu ermitteln, ob einer oder auch jeder von ihnen eine Chance bei
dir hat.«
»Eine Chance?« Sie drehte sich um und pflückte die
nächste Frucht. »Soll ich einen Heiratsantrag erwarten oder etwas
viel Seichteres?«
»Definitiv seichter«, antwortete er.
Sie kicherte. »Also, wie kann ich über jeden
Zweifel klarmachen, ohne sie in ihrem empfindlichen männlichen
Stolz zu kränken, dass ich einen solchen Antrag niemals annehmen
werde?«
Jayan hielt inne und dachte nach. »Sei unzweideutig
und zögere nicht. Gib ihnen keinen Grund, an deinen Worten zu
zweifeln. Aber du darfst sie natürlich nicht beleidigen. Wir müssen
mit ihnen reisen.«
Tessia drehte sich wieder zu ihm um, warf eine
weitere Handvoll kleiner grüner Früchte in die Schale, dann nahm
sie ihm die Schale ab. »Dann sollte ich in dieser Angelegenheit am
besten unzweideutig sein und die Dinge klarstellen.«
Sie ging mit langen Schritten auf die
Meisterschüler zu. Jayan blieb stehen; plötzlich kamen ihm Zweifel
an seinem eigenen Rat. Es hatte nicht in seiner Absicht gelegen,
sie dazu zu bringen, die anderen sofort zur Rede zu stellen. Die
Augen der drei jüngeren Meisterschüler leuchteten auf, als sie
näher kam, obwohl Jayan nicht erkennen konnte, ob bange Erwartung
oder Hoffnung der Auslöser waren.
Aber Tessia begann keineswegs eine wortreiche
Erklärung, dass sie nicht zu haben sei, oder tadelte sie dafür,
eine solche Möglichkeit überhaupt in Betracht gezogen zu haben. Sie
setzte sich auf die Decke, auf der die jungen Männer lagen, und
reichte dem, der ihr am nächsten war - Refan -, die Schale.
»Koste davon. Sie schmecken wunderbar.«
Refan nahm eine der Früchte. »Aber sie ist nicht
reif.«
»Oh doch. Diesen Fehler machen die Leute ständig.
Siehst du die dunkle Stelle am Ende? Daran erkennt man, dass sie
reif sind. Aber so sind sie nur wenige Wochen lang. Wenn die Frucht
die Farbe wechselt, ist es zu spät. Dann werden sie innen ganz
filzig und trocken.«
Sie begann, die Frucht zu schälen, die sie für sich
behalten hatte. Widerstrebend taten die anderen es ihr gleich. Als
sie in das Fleisch bissen, sah Jayan die Überraschung auf ihren
Gesichtern. Neugierig nahm er sich ebenfalls eine Frucht und
stellte fest, dass Tessia recht hatte. Sie waren scharf, aber
süß.
Schon bald tauchte Mikken mit feucht glänzendem
Haar aus der Mühle auf.
»Was ist das?«, fragte er, als er sich zu ihnen
gesellte. »Was esst Ihr da?«
»Ah, Mikken«, sagte Tessia. »Schön. Jetzt, da du
hier bist, gibt es etwas, das ich euch allen offenkundig absolut
und unmissverständlich klarmachen muss.« Sie sah Jayan an. »Dir
auch.«
Zu seinem Entsetzen spürte Jayan, dass sein Gesicht
warm wurde. Er seufzte, verdrehte die Augen und heuchelte
Langeweile, und die ganze Zeit über hoffte er, dass sein Gesicht
nicht gerötet war.
»Ich habe nicht die Absicht, während dieser Reise
oder danach mit irgendeinem von euch das Bett zu teilen«, erklärte
Tessia. »Also schlagt euch die Idee aus dem Kopf.«
Jayan beobachtete, wie die vier Jungen den Kopf
senkten und überall hinblickten, nur nicht in Tessias Richtung.
Aken funkelte Jayan jedoch kurz an.
»Wir haben nicht...«, begann Mikken und breitete
die Hände
aus. Er sprach im Tonfall eines Menschen, der versuchte, etwas zu
erklären.
»Oh, denkt nicht, ich sei töricht genug, das zu
glauben«, fiel sie ihm ins Wort. »Ihr seid alle Männer, und jung.
Ich bin die einzige Frau hier. Ich bin nicht eitel; nur nicht
dumm.« Sie lachte leise. »Außerdem weiß ich, dass die Situation
eine andere wäre, wäre ein hübscheres Mädchen in der Nähe. Wie dem
auch sei, schlagt euch den Gedanken aus dem Kopf. Es wird nichts
geschehen. Schließlich möchte ich wohl kaum ausgerechnet jetzt
schwanger werden, oder?«
Die Meisterschüler antworteten nicht, aber sie fing
die Blicke auf, die sie tauschten.
»Was?«, fragte sie, und jetzt stahl sich ein wenig
Ärger in ihre Stimme. »Dieser Gedanke ist Euch nicht einmal
gekommen?«
»Natürlich nicht«, platzte Aken heraus. »Du
verfügst über Magie. Du kannst verhindern, dass so etwas
geschieht.«
Tessia blinzelte überrascht, dann sah sie mit
Argwohn in den Augen zu Jayan hinüber. »Das ist möglich?«, fragte
sie ihn leise.
Jedoch nicht leise genug, wie sich herausstellte.
Noch während Jayan nickte, hatten die anderen den Kopf gehoben. Sie
grinsten.
»Hat das zufällig deine Meinung geändert?«, fragte
Aken schüchtern.
Sie bedachte ihn mit einem vernichtenden Blick.
»Nein, und wenn du der letzte Mann in Kyralia wärest.«
Die anderen lachten. Tessias Lippen zuckten, dann
lächelte sie. »Nun, wir haben also beide heute etwas gelernt, nicht
wahr?« Sie griff nach einer weiteren Frucht, und als Mikken
ebenfalls eine Frucht untersuchte, erklärte sie ihm, wie man
beurteilte, ob das Obst reif war oder nicht.
Nach einer Weile sah sie Jayan an und zog fragend
eine Augenbraue hoch. Habe ich sie überzeugt?, stellte er
sich ihre Frage vor. Er zuckte die Achseln und nickte. Sie beugte
sich näher zu ihm vor, und ihr Blick wanderte zu den Magiern
hinüber, die einige Schritte entfernt immer noch miteinander
redeten.
»Was denkst du, worüber sie sprechen? Kauen sie
dieselben Dinge wieder und wieder durch?«
Er nickte. »Wahrscheinlich.«
»Was für eine Zeitverschwendung. Wenn sie nicht
immer wieder darüber sprächen, könnte Lord Dakon ein wenig Zeit
erübrigen, um uns zu unterrichten. Ich habe das letzte Mal vor
unserer Ankunft in Imardin etwas über Magie gelernt.«
Jayan warf ihr einen ungläubigen Blick zu.
»Ich hätte nicht gedacht, dass du solches Interesse
daran hast.«
Sie schnaubte leise. »Erstaunlich, was ein klein
wenig Lebensgefahr bewirken kann. Ganz zu schweigen vom Tod der
eigenen Eltern.«
»Nun, falls es dir ein Trost ist: Ich habe auch
keinen Unterricht gehabt.«
»Für dich ist das ja alles gut und schön«, gab sie
zurück. »Du hast eine jahrelange Ausbildung hinter dir. Ich habe
nur Monate gehabt.«
»Ich könnte dich unterrichten«, erbot sich Jayan.
Dann sog er scharf die Luft ein und wandte den Blick ab. Woher war
das gekommen?
Dann erinnerte er sich daran, dass Lord Dakon ihn
vor Monaten gebeten hatte, Tessia beim Üben zu helfen. Dass Jayan
auch davon profitieren würde, wenn er einem anderen beim Lernen
half. Aber Dakon hatte nicht erwähnt, dass Jayan Tessia
unterrichten solle, was Meisterschülern nicht gestattet
war.
Der Gedanke, dass sie vielleicht sterben könnte,
einfach weil ihre Ausbildung mangelhaft gewesen war, war jedoch
unerträglich. Gewiss waren die Umstände außergewöhnlich
genug, um eine kleine Beugung der Regeln zu rechtfertigen.
Tessia starrte ihn jetzt mit großen Augen an, aber
als er ihrem Blick erneut begegnete, nickte sie schnell.
»Sofort?«
Er sah die anderen an. Sie stopften sich mit
Früchten voll, zu beschäftigt mit ihrem Festmahl, um allzu sehr
darauf zu achten, was Tessia und Jayan vielleicht taten. Er stand
auf. Sie folgte seinem Beispiel und schaute ihn erwartungsvoll an.
Jayan dachte gründlich nach, ging ein Stück von den anderen weg
und überlegte, was er ihr überhaupt beibringen konnte.
»Raffiniertere Verteidigungsmethoden«, sagte er
laut. »Das ist das Naheliegendste, was ich dir zuerst beibringen
muss.«
»Klingt vernünftig«, antwortete sie.
Also begann er ihr zu zeigen, wie sie ihren Schild
verwandeln konnte. Lord Dakon hatte ihr die grundlegenden Dinge
über die Benutzung von Schilden beigebracht, da dies alles war, was
ein neuer und mächtiger Meisterschüler am Anfang wissen musste. Was
hatte er gesagt? »Es hat keinen Sinn, einen neuen Meisterschüler
mit Komplikationen zu verwirren. Bring sie dazu, sich regelmäßig
mit einem starken Schild zu schützen, und wenn sie das können, ohne
nachzudenken, fang mit den Feinheiten an.«
Jayan bemerkte, dass sie Publikum hatten, als eine
Stimme dicht neben ihm laut wurde.
»Das habe ich noch nie versucht. Würdest du es mir
zeigen?«
Er drehte sich um und sah Leoran hinter sich
stehen. Er musterte den Jungen, dann zuckte er die Achseln und
bedeutete ihm, sich neben Tessia zu stellen. »Natürlich.
Dergleichen Dinge könnten dir das Leben retten.«
»Und meins auch?«, fragte Aken.
Der junge Meisterschüler wartete nicht auf eine
Antwort, sondern lief zu Leoran hinüber. Jayan lächelte schief und
drehte sich zu Mikken und Refan um. Sie schüttelten den Kopf.
»Das kenne ich schon«, sagte Mikken.
Während Jayan fortfuhr, sie die verschiedenen
Formen des Schutzes durch Schilde zu lehren, die er kannte, trat
Mikken vor und unterstützte ihn. Der ältere Meisterschüler führte
eine Methode vor, von der Jayan noch nichts gehört hatte, obwohl
sie einige ernsthafte Mängel aufwies. Sie begannen, über die Vor-
und Nachteile zu debattieren, und jeder benutzte die anderen
Meisterschüler, um zu demonstrieren, was er meinte.
»Aufhören! Sofort aufhören!«
Beim Klang der lauten Stimme zuckten alle zusammen.
Als
sie sich umdrehten, sahen sie Mikkens Meister, Lord Ardalen, mit
langen Schritten auf sie zukommen.
»Was tut ihr da«, fragte der Magier scharf. »Ihr
unterrichtet einander, nicht wahr?« Als er sie erreichte, legte er
Mikken eine Hand auf die Schulter. Sein Gesichtsausdruck war
mitfühlend, aber seine Stimme verriet seinen Ärger, als er Jayan
ansah. »Du denkst wahrscheinlich, du würdest Initiative zeigen -
und das tust du auch -, aber du solltest so etwas nicht machen. Es
ist Meisterschülern verboten, andere Meisterschüler zu
unterrichten. Du darfst erst unterrichten, wenn du ein höherer
Magier geworden bist.«
»Und warum?«, fragte Aken mit unüberhörbarer
Enttäuschung.
»Es ist gefährlich«, sagte Lord Balvin, Leorans
Meister, der sie nun ebenfalls erreicht hatte. Die anderen Magier
kamen näher, wie Jayan bemerkte. Dakon runzelte die Stirn. Der
Meisterschüler verspürte Gewissensbisse und Furcht, dass er seinen
Meister gekränkt haben könnte.
»Was geht hier vor?«, fragte Lord Dakon, als die
übrigen Magier sich zu ihnen gesellt hatten. Nachdem man ihm die
Situation erklärt hatte, wurde die Falte zwischen seinen Brauen
noch tiefer. »Ich verstehe. Seid aber versichert, dass Jayan dazu
ausgebildet worden ist, andere gefahrlos zu unterrichten. Er steht
kurz vor dem Ende seiner eigenen Ausbildung, daher habe ich
begonnen, ihn auf die Zeit vorzubereiten, da er seinen eigenen
Meisterschüler zu sich nimmt. Eure Meisterschüler sind vollkommen
sicher.«
Zu Jayans Erheiterung begannen die Magier jetzt,
über das Thema zu diskutieren; sie bildeten einen neuen Kreis, der
die Meisterschüler ausschloss. Er sah zu Tessia hinüber, um deren
Lippen ein schiefes Lächeln spielte. Sie begegnete seinem Blick,
zuckte die Achseln und kehrte dann zu der Decke und der beinahe
leeren Schale mit Früchten zurück. Als Jayan ihr folgte, schlossen
sich die anderen Meisterschüler ihm an.
»Das stinkt zum Himmel«, bemerkte Aken, während er
sich mürrisch auf die Decke fallen ließ.
Die anderen nickten.
»Nun...«, begann Jayan. »Meint Ihr, sie hätten auch
etwas dagegen, wenn wir Kyrima spielen würden? Das soll angeblich
gut sein, um strategische Fähigkeiten zu entwickeln.«
Die anderen blickten eifrig auf. Tessias Schultern
sackten herab. »Oh, wie wunderbar«, murmelte sie sarkastisch.
Jayan beachtete sie nicht. Wenn er ihr nur ein
wenig zusetzte, würde sie mitspielen. Und sie war gar nicht mal
schlecht. Als die anderen sich zu Paaren zusammentaten, drehte er
sich zu ihr um.
»Du kannst mich nicht ohne Partner lassen«, sagte
er.
Sie verzog das Gesicht, schnappte sich die Schale
und stand auf. »Du hast wohl meine kleine Ansprache vorhin
vergessen, Jayan? Nicht wenn du der letzte Mann in Kyralia
wärest.«
Es beruhigte Hanara festzustellen, dass viele der
neuen Verbündeten seines Herrn mehr als einen Sklaven mitgebracht
hatten. Einige hatten sogar zehn Sklaven bei sich, obwohl sie nicht
alle Quellsklaven waren. Da er dies nun wusste, gelang es ihm,
Jochara, Takados neuen Quellsklaven, zu dulden. Und es half auch,
dass Takado Hanara schwierigere Aufgaben zuwies, da Jochara, der
mit den Gepflogenheiten ihres Herrn nicht vertraut war, länger
brauchte, um zu begreifen, was von ihm verlangt wurde. Wenn Takado
sie gedrängt hätte, miteinander um seine Gunst zu wetteifern, dann
wäre klar gewesen, dass er nicht zwei Quellsklaven wollte und den
Verlierer töten würde. Aber da Takado und seine Verbündeten ständig
umherzogen, gab es so viel zu tun, dass sowohl Hanara als auch
Jochara vollkommen erschöpft waren, wenn Takado ihnen endlich
gestattete zu schlafen.
Wenn jeder neue Verbündete ihm Geschenke macht,
werden wir bald nicht mehr in der Lage sein, alles zu tragen,
dachte er, während er die Last auf seinen Schultern ein wenig
verschob.
Die Zahl von Takados Verbündeten war auf zwölf
gestiegen. Sklaven auf dem Pass wiesen ihnen den Weg zu dem
nächsten Posten einer Kette, die quer durchs Gebirge bis zu Takados
Lager führte. Auf jedem der in gleichmäßigen Abständen
eingerichteten und von Sklaven bemannten Posten wusste die
Besatzung lediglich, wo sich die beiden jeweils benachbarten
Standorte befanden. Wenn Takado am Abend sein Lager aufgeschlagen
hatte, schickte er einen Sklaven zum Ende der Reihe, um seine
Verbündeten darüber in Kenntnis zu setzen, wo sie ihn fanden.
In der vergangenen Nacht waren zwei weitere
sachakanische Magier mit ihren Sklaven eingetroffen.
Glücklicherweise waren die Geschenke, die sie mitgebracht hatten,
allesamt zum Verzehr bestimmt. Takado brauchte Proviant für seine
Gefolgsleute und Sklaven dringender als schwere, goldene
Kinkerlitzchen. Sie plünderten zwar einheimische Bauernhöfe und
Dörfer, aber die Siedlungen lagen häufig weit auseinander, und die
meisten Einheimischen waren inzwischen geflohen und hatten die
geringen Vorräte, die sie besaßen, mitgenommen. Selbst jene, die
töricht genug waren zu bleiben, hatten nicht mehr allzu viel in
ihren Vorratskammern, da der Winter gerade erst zu Ende gegangen
war.
Alledings gab es, wo Kyralier geblieben waren,
häufig Vieh, das sie schlachten und verzehren konnten. Davon
abgesehen machten sie Jagd auf wilde Tiere. Glücklicherweise
brauchten sie sich keine Sorgen zu machen, dass Kochfeuer oder
Rauch ihren Standort preisgab, da im Allgemeinen der eine oder
andere Magier das Fleisch mit Hilfe von Magie röstete. Sklaven, die
im Fährtensuchen bewandert waren, informierten die Magier stets
über den Aufenthaltsort und die Zahl der kyralischen Magier.
Als Takado begann, einen steilen Hang in weiten
Serpentinen hinaufzusteigen, beugte Hanara sich vor, um mit seiner
Last das Gleichgewicht zu wahren, und folgte ihm. Er konnte Jochara
hinter sich keuchen hören. Schweiß rann ihm den Rücken hinunter und
durchnässte das Hemd, das der Stallmeister ihm gegeben hatte.
Dieses Leben - seine Zeit in Mandryn - erschien ihm bereits wie ein
Traum. Es war töricht von ihm gewesen zu denken, es könne von Dauer
sein. Es hatte etwas beruhigend Vertrautes, Takado wieder zu
dienen. Es war härter, aber er kannte die Regeln. Er passte in
diese Gesellschaft.
Als er den Gipfel der Anhöhe erreicht hatte, war er
außer
Atem. Takado, der keinerlei Lasten trug, hatte einigen Vorsprung
gewonnen und stand etwas entfernt auf dem Hügel, wo er sich mit
einem Sklaven unterhielt, der einem der anderen Magier gehörte. Der
Junge war schnell und behände, daher wurde er nicht als Träger,
sondern als Späher eingesetzt.
»...das Licht gesehen. Den Knall gehört. Bum, bum«,
sagte der Junge gerade und zeigte auf eine Stelle unter ihnen, wo
die Straße zum Pass wie eine offene Wunde durch den Wald
schnitt.
»Eine magische Schlacht«, bemerkte Takado und
blickte stirnrunzelnd in die Ferne. »Wie lange liegt sie
zurück?«
»Eine halbe Schattenlinie«, antwortete der Sklave.
»Vielleicht länger.«
Wie der Junge ohne Schattenuhr auf diese Weise die
Zeit schätzen konnte, war ein Rätsel. Takado sah Hanara und den
Rest seiner Gruppe an, sagte jedoch nichts, sondern schaute wieder
zum Wald hinab. Hanara konnte erraten, was er dachte. Hatten die
Sklaven auf dem Pass die neuen Verbündeten verfehlt? Waren die
Neuankömmlinge stattdessen auf die Kyralier gestoßen? Hatten sie
gesiegt oder verloren?
Takado und seine Verbündeten hatten die Gruppe von
Kyraliern, die ihnen folgten, nicht als ernsthafte Bedrohung
angesehen, da sie nur zu siebt waren gegen zwölf Sachakaner. Aber
Takado wollte es vermeiden, kyralische Magier zu töten, bis die
Zahl der Männer und Frauen an seiner Seite erheblich größer war und
sie jedweden Vergeltungsmaßnahmen, die gewiss folgen würden,
standhalten konnten.
Jetzt scheuchte Takado den Späher weg und stieg den
Hang hinab, auf die Straße und das Schlachtfeld zu. Hanaras Magen
krampfte sich zusammen, und er hörte Jochara hinter sich fluchen.
Die anderen drei Ichani in Takados Gruppe erhoben keinen Protest,
obwohl sie ihren Sklaven den Befehl gaben, zu schweigen und
keinerlei Geräusche zu machen.
Die Zeit dehnte sich. Mit jedem Schritt suchte
Hanara den Wald und den unebenen Boden vor sich ab. Er lauschte auf
Stimmen oder die Pfiffe, mit denen die Sklaven einander
gelegentlich Zeichen gaben. Takado gab ein gemäßigtes Tempo vor
und setzte jeden Schritt mit Bedacht. Sie erreichten den Fuß des
Hügels. Dann machten sie sich auf den Weg quer durch das Tal, dem
die Straße folgte.
Je näher sie der Straße kamen, umso wilder raste
Hanaras Herz. Er versuchte weiter, seine Atmung zu beruhigen, indem
er in flachen Stößen atmete, aber die Anstrengung, Takados Habe
tragen zu müssen, war zu groß, und schon bald ertappte er sich
dabei, dass er keuchte.
Schließlich blieb Takado stehen und hob die Hand,
um den anderen zu bedeuten, seinem Beispiel zu folgen. Hanara
stellte fest, dass sie jetzt in Sichtweite der Straße waren.
Schweigend warteten sie ab.
Von einem Ort irgendwo vor ihnen wehten Stimmen
herbei. Takado bewegte sich nicht. Langsam entspannten sich seine
Schultern, und er verlagerte sein Gewicht auf ein Bein. Dann
verschränkte er die Arme vor der Brust.
Um eine Biegung der Straße kamen zwei Männer
geritten. Vor ihnen ging ein prächtig gewandeter Mann, der mit
einem Seil gefesselt war und an der Schläfe blutete. Hinter ihnen
folgten vier Sklavenmädchen, gebeugt und hager.
Die Haare in Hanaras Nacken stellten sich auf, als
er die Reiter erkannte. Es waren zwei von Takados Freunden, die
beiden Ichani Dovaka und Nagana. Beide waren inzwischen seit
einigen Jahren Ausgestoßene, und sie waren gebräunt und abgehärtet
von der Notwendigkeit, in den nördlichen Bergen und der Aschewüste
zu überleben. Der ältere, Dovaka, hatte etwas an sich, das Hanara
beunruhigte. Sein Magen zitterte, und er bekam eine Gänsehaut. Es
war nicht nur der Umstand, dass seine Sklaven immer halb
verhungerte, eingeschüchterte und verängstigte junge Frauen waren.
In seinen Worten lag stets eine solche Gier nach Gewalt, dass
selbst andere Ichani sich von ihm abgestoßen fühlten. Als Takado
aus den Bäumen auf die Straße trat, ließ Hanara mutlos die
Schultern sinken. Der Rest der Gruppe folgte.
»Takado!«, rief Dovaka, als er sie erblickte. »Ich
habe ein Geschenk für dich.« Er sprang von seinem Pferd, dann
packte er den gefesselten Mann am Kragen und stieß ihn vor, bis er
vor
Takado auf die Knie fiel. »Kaiser Vochiras Bote. Wir haben gehört,
dass er vor uns durch den Pass geritten war, daher haben wir ihn
eingeholt, um festzustellen, was er übermitteln wollte.«
»Ein Bote?«, wiederholte Takado.
»Ja. Er hat dies hier bei sich getragen.«
Dovakas Augen leuchteten auf, als er Takado einen
Metallzylinder hinhielt. Takado nahm ihn entgegen, schnitt das Ende
ab und zog eine Pergamentrolle heraus. Er entrollte sie und las,
und seine Mundwinkel verzogen sich zu einem schiefen Lächeln.
»Der Kaiser schickt also Magier aus, die sich
unserer annehmen sollen«, sagte er und blickte über die Schultern
zu seinen Verbündeten hinüber. »Oder er will zumindest, dass der
kyralische König das glaubt.« Er richtete seine Aufmerksamkeit auf
den Boten. »Ist das wahr?«
»Würdet Ihr mir glauben, wenn ich Eure Frage
bejahte?«, antwortete der Mann trotzig.
»Wahrscheinlich nicht«, erwiderte Takado.
Er umfasste den Kopf des Mannes mit beiden Händen
und starrte ihn eindringlich an. Alles war still, bis auf den
gelegentlichen Ruf eines Vogels und das ferne Bellen irgendeines
Tieres. Dann richtete Takado sich auf.
»Du glaubst, es ist die Wahrheit.« Er hielt inne
und betrachtete den Mann. »Ich werde dich am Leben lassen, wenn du
dich uns anschließt.«
Der Mann blinzelte, dann wurden seine Augen schmal.
»Was bringt Euch auf den Gedanken, dass ich mich nicht bei der
ersten Gelegenheit davonstehlen würde?«
Takado schüttelte den Kopf. »Weil du versagt hast,
Harika. Deine Aufgabe bestand darin, die Nachricht dem kyralischen
König zu überbringen. Aber was noch wichtiger war, du solltest
verhindern, dass die Nachricht uns erreichte. Kaiser Vochira
mag das zwar nicht direkt gesagt haben, aber du weißt, dass es wahr
ist. Selbst wenn es dir gelänge, zum kyralischen König vorzudringen
und ihn davon zu überzeugen, dass du nicht lügst, was den Inhalt
der Nachricht betrifft, die
wir dir abgenommen haben, und selbst wenn es dir gelänge, nach
Hause zurückzukehren, wird Vochira dich töten lassen oder zum
Ausgestoßenen erklären.« Takado lächelte. »Ich fürchte, ganz
gleich, was geschieht, du wirst am Ende tot sein oder ein
Ichani.«
Der Bote senkte mit gefurchten Brauen den
Kopf.
»Du kannst dich uns genauso gut anschließen«,
stellte Takado fest. »Ich kann dir versprechen, was der Kaiser
nicht kann: dass du, wenn wir Erfolg haben und du überlebst, nicht
länger ein landloser, sklavenloser Lakai sein wirst. Du kannst Land
für dich selbst fordern, das Ansehen, das du verloren hast,
zurückgewinnen, und dafür sorgen, dass dein Sohn etwas zu erben
hat.«
Der Bote holte tief Luft, seufzte und nickte
langsam. »Ja«, sagte er. Er hob den Kopf und sah Takado an. »Ich
werde mich Euch anschließen.«
»Gut.« Takado lächelte, und die Fesseln fielen von
den Handgelenken des Mannes. »Steh auf. Mein Sklave wird sich diese
Schnittwunde ansehen.«
Takado drehte sich um und winkte Hanara heran.
Hanara drängte das starke Verlangen beiseite, Dovaka nicht näher zu
kommen, setzte seine Last ab und holte sauberes Wasser und ein
Tuch, um Harikas Wunde zu reinigen. Während er arbeitete,
beobachtete er, wie Takado und Dovaka sich ein wenig von den
anderen entfernten. Ihr Gespräch war zu leise, als dass er es hätte
belauschen können, doch ihre Haltung und ihre Gesten wirkten
entspannt und freundlich. Aber in Takados Bewegungen lag etwas
Bedächtiges, als zwinge er sich, den Eindruck von Ruhe zu
erwecken.
Er ist wütend auf sie, wahrscheinlich weil sie
nicht dorthin gegangen sind, wohin die Sklaven sie geschickt
haben, überlegte er. Er wird es nicht leicht haben, Dovaka
und Nagana unter Kontrolle zu halten. Irgendwann wird Dovaka
Takados Autorität infrage stellen, und wenn er das tut, hoffe ich,
dass ich weit weg bin.