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Tessia starrte die Wasserschüssel an und
griff nach ihrer Magie. Sie spürte, wie die Macht gehorsam
antwortete und aus ihr hinausströmte, um die Form anzunehmen, die
sie wollte, und sich dorthin zu richten, wohin sie sie lenkte.
Bläschen stiegen auf und zerplatzten, Tröpfchen bespritzten sie.
Sie zuckte zusammen und rieb sich die Haut. Zu heiß.
Dakon hatte ihr vorgeschlagen, die Verwandlung von
Magie in Hitze zu üben, indem sie allmorgendlich ihr Wasser zum
Waschen erwärmte. Die Benutzung von Magie für alltägliche Aufgaben
war eine gute Übung und schärfte den Verstand eines Magiers,
erklärte er ihr. Trotzdem konnte sie sich des Gedankens nicht
erwehren, dass Magier ein faules Völkchen seien, wann immer sie
beobachtete, wie er oder Jayan Magie benutzten, um Türen zu öffnen
oder etwas aus einem anderen Teil des Raums herbeizuholen.
Sie war jedoch nicht so dumm, das Wasser vor dem
Waschen zu erwärmen. Ihr häufigster Fehler im Umgang mit Magie
bestand darin, dass sie zu viel Magie benutzte, und es hatte einige
Tage gegeben, an denen sie warten musste, bis das Wasser genug
abgekühlt war, dass sie sich damit waschen konnte.
Ein Klopfen an der Tür erregte ihre
Aufmerksamkeit.
»Herein«, rief sie.
Die Dienerin Malia trat ein und blickte von der
dampfenden Schüssel zu dem leeren Geschirr von Tessias
Morgenmahlzeit, das aufgestapelt auf dem Schreibtisch stand. Sie
ging zum Tisch und stellte das Tablett ab, das sie beinahe immer
bei sich trug. »Guten Morgen, Tessia.«
Tessia stand auf und reckte sich. »Guten Morgen,
Malia.«
»Habt Ihr wieder geübt?«
»Ja. Gib der Schale einen Augenblick Zeit, damit
sie abkühlen kann, bevor du sie nimmst.«
»Das werde ich tun.« Malia kicherte kläglich.
»Glaubt mir, ich werde Eure Warnung kein zweites Mal ignorieren.
Welche Pläne habt Ihr für den heutigen Tag?«
»Zuerst die Ställe.« Tessia griff nach der kleinen
Tasche mit Verbandszeug und Salben, die ihr Vater ihr dagelassen
hatte. Diese Dinge benutzte sie, wenn sie sich um Hanara kümmerte.
»Dann der Unterricht.«
Tessia ging zur Tür und blieb noch einmal stehen,
um sich nach Malia umzudrehen. Sie hatte erwartet, dass die
Dienerin sich nach Hanaras Befinden erkundigen würde, aber die Frau
sagte nichts.
»Malia, weißt du, ob Hanara sich gut einlebt? Was
halten die Stalldiener von ihm? Und die Dorfbewohner?«
Malia, die soeben die Bettdecken glattgestrichen
hatte, richtete sich auf und sah sie nachdenklich an. »Nun, die
Leute finden ihn im Allgemeinen ein wenig seltsam, aber das war zu
erwarten, nicht wahr? Es wäre schon merkwürdig, wenn er sich wie
ein Kyralier benehmen würde.«
Tessia lächelte. »Ja, das wäre es. Und die
Stalldiener?«
»Sie sagen, er arbeite durchaus hart, härter, als
er es eigentlich tun sollte, nachdem seine Verletzungen noch immer
nicht geheilt sind. Sie sagen, er sei zäh. Und sie sprechen beinahe
bewundernd über ihn.« Malia zögerte. »Aber er sondert sich ab und
beantwortet nicht immer alle Fragen.« Sie zuckte die Achseln und
deutete damit an, dass sie mehr nicht zu erzählen habe.
»Danke.« Tessia lächelte und setzte ihren Weg fort.
Während sie darüber nachdachte, was Malia gesagt hatte, kam sie zu
dem Schluss, dass die Dinge sich für den ehemaligen Sklaven so gut
entwickelten, wie man es erwarten durfte. Er war wahrscheinlich
nicht an freundliches Geplauder gewöhnt, und er würde Zeit
brauchen, um zu lernen, wie man sich mit Menschen
anfreundete.
Nachdem Tessia das Haus verlassen hatte, ging sie
zu den
Ställen und schlüpfte durch die offene Tür. Dann blieb sie stehen,
überrascht von der Szene, die sich ihr bot.
Zwei der Stalldiener pinkelten in einen
Eimer.
Bevor sie sich umdrehen konnte, blickten die jungen
Männer auf. Ein Ausdruck des Entsetzens huschte über ihre Züge, und
die Urinstrahlen kamen vom beabsichtigten Pfad ab - einer der
Männer durchnässte die Hosen des anderen -, während sie sich hastig
bedeckten.
»Hast du gut hingesehen?«, spottete Birren, nachdem
er sich soweit von seiner Verlegenheit erholt hatte, dass er
versuchen konnte, Witze darüber zu reißen.
»Ja«, folgte Ullan seinem Beispiel. »Sah so aus,
als hättest du uns verglichen. Du warst beeindruckt, nicht wahr,
Tess? Möchtest du’s nicht mal aus der Nähe anschauen?«
Sie schluckte ein Lachen hinunter. Das Geplänkel
war typisch für junge Männer ihres Alters und ganz das, was sie in
dieser Situation erwartet hätte - bevor sie Meisterschülerin
geworden war, und sie brachte es nicht übers Herz, das Unbehagen
der beiden Männer noch zu verstärken, indem sie ihnen ins
Gedächtnis rief, dass sie nicht länger Tessia, die Tochter des
Heilers war. »Ich habe mich gefragt, ob es wahr ist, dass alle
Jungen größer werden, wenn sie älter werden. Sieht nicht so aus,
als wäret ihr viel gewachsen, seit mein Vater und ich euch
behandelt haben. Was hattet ihr noch gleich? Warzen...?«
Sie zuckten zusammen.
»Wir können sie größer machen«, erklärte Birren ihr
grinsend. »Du würdest es mit der Angst bekommen.«
Sie schnaubte verächtlich. »Ich habe, wenn ich
meinem Vater geholfen habe, weit beängstigendere Dinge gesehen. Wo
ist Hanara?«
Ullan setzte zu einer frechen Antwort an, aber
Birren brachte ihn mit einem leisen Zischen zum Schweigen, dann
deutete er mit dem Kopf auf das Ende des Gebäudes. Hanara saß an
einem Tisch und putzte einen Sattel. Sie trat zu ihm. Um ihn herum
lagen weitere Geschirre und Werkzeuge, die darauf warteten,
geflickt oder gereinigt zu werden. Er blickte von seiner Arbeit
auf, und seine Miene wurde ein wenig weicher.
Obwohl das Gesicht des Mannes typisch sachakanisch
war - breit und braun -, unterschied es sich doch deutlich von dem
seines Herrn. Es war feiner und kantiger, jugendlich, aber
vernarbt. Sie war froh darüber, denn obwohl es unmöglich war, nicht
an Takado zu denken, wann immer sie Hanara sah, weckte der
ehemalige Sklave in ihr zumindest keine unangenehmen Erinnerungen
an das Gesicht seines Herrn, wie er sie lüstern angestarrt
hatte.
»Ich bin hier, um deine Verbände zu wechseln«,
erklärte sie.
Er nickte. »Ihr habt nichts Beängstigendes
gesehen«, erwiderte er, stand auf und zog seine Jacke aus. »Nichts
wirklich Beängstigendes.«
Als ihr klar wurde, dass er die Worte der Jungen
mit angehört hatte, seufzte sie und machte sich daran, die Verbände
zu entfernen, die er um die Brust und die Schulter trug.
»Wahrscheinlich nicht, aber sei nicht zu voreilig mit deinem
Urteil. Ich habe mehr vom Inneren der Menschen gesehen als die
meisten Kyralier. Viele abscheuliche Verletzungen und einige
tödliche darunter, die ich wohl nie vergessen werde.«
»Die Toten sind nicht beängstigend. Sie können Euch
nichts antun.«
»Aber sie riechen fast so übel wie die beiden da
hinten.«
Er lächelte schwach, dann wurde er wieder ernst.
»Ihr solltet ihnen nicht erlauben, so zu Euch zu sprechen. Ihr seid
jetzt eine Magierin.«
»Eine Meisterschülerin«, verbesserte sie ihn. »Du
hast wahrscheinlich recht. Aber andererseits hätte ich anklopfen
oder rufen sollen, statt einfach hereinzuplatzen.«
»Ihr solltet es nicht nötig haben
anzuklopfen.«
Sie sah ihn gelassen an. »Dies ist Kyralia. Man
erwartet selbst von Magiern gutes Benehmen.«
Er schaute ihr für einen kurzen Moment in die
Augen, dann senkte er hastig den Blick.
Die Wunden, die er davongetragen hatte, selbst der
Schnitt, den ihr Vater gemacht hatte, um an seine gebrochenen
Rippen heranzukommen, waren zu roten, erhabenen Narben verheilt.
Sie tastete die Stellen ab, an denen seine Knochen gebrochen
gewesen waren, und fragte, ob sie ihm wehtue. Er schüttelte den
Kopf und erweckte nicht den Anschein, als versuche er, irgendeine
Reaktion zu verbergen.
»Für mich wirkst du vollkommen geheilt«, sagte sie.
»Ich glaube nicht, dass du noch weitere Verbände brauchst. Aber gib
acht, dass du nichts Schweres hebst oder Knochen, die gebrochen
waren, über Gebühr beanspruchst.« Sie schüttelte den Kopf. »Es ist
erstaunlich, wie schnell du gesund wirst. Ich bin mir nicht einmal
sicher, ob du unsere Hilfe überhaupt gebraucht hättest.«
»Meine Knochen wären schlecht verheilt, schief.
Euer Vater hat das verhindert.« Er hielt inne. »Danke.«
Tessia lächelte, und ihr wurde leichter ums Herz.
»Ich werde deinen Dank meinem Vater ausrichten.«
»Ihr wart ebenfalls daran beteiligt«, erklärte er
und deutete auf die abgenommenen Verbände. »Ihr seid...« Er
runzelte die Stirn und deutete vage auf die Stalltür. »Nicht
wie...«
Sprach er über die Stalljungen, oder hatte er mit
seiner Geste mehr umfassen wollen? Das Dorf vielleicht. Ein Stich
der Sorge durchzuckte sie.
»Behandeln die Dorfbewohner dich gut?«, fragte
sie.
Er zuckte die Achseln. »Ich bin ein Fremder.« »Ja,
aber das ist keine Entschuldigung für... schlechtes Benehmen.
Hanara.« Sie wartete, bis er aufsah und ihrem Blick standhielt.
»Wenn jemand dir ein Unrecht antut, irgendetwas... Unkyralisches,
dann sag es mir. Es ist wichtig. Da du jetzt wie ein Kyralier leben
musst, nach unseren Gesetzen und Idealen, dürfen sie nicht
anfangen, sich zu benehmen wie … wie Sachakaner. Hast du
verstanden? Du brauchst dich nicht damit abzufinden, nur weil du es
früher getan hast.«
Er sah sie an.
»Du verstehst mich doch, oder?«
Er nickte.
Sie stieß einen Seufzer der Erleichterung aus, dann
knüllte sie die alten Verbände zusammen. »Ich muss gehen. Auf mich
wartet mein Unterricht.«
Er nickte abermals und wirkte plötzlich bedrückt.
»Wenn du willst, werde ich ab und zu herkommen und mit dir reden«,
bot sie ihm an.
Obwohl seine Miene sich nicht veränderte, trat ein
Ausdruck von Wärme in seine Augen. Als sie den Stall verließ, hatte
sie das Gefühl, seine Blicke in ihrem Rücken spüren zu
können.
Ich hoffe, ich bringe ihn nicht auf irgendwelche
romantischen Ideen, dachte sie. Ich kann mir Mutters
Entsetzen vorstellen. Sie wird es mir nur mit knapper Not
verzeihen, dass ich nicht versuche, Lord Dakon zu betören, aber
wenn mir ein ehemaliger sachakanischer Sklave Gedichte schreibt,
werde ich nicht mehr ihre Tochter sein.
Als sie wieder ins Haus trat und zu ihrem Zimmer
zurückging, um die Verbände und ihre Tasche dort abzulegen, erwog
sie die Wahrscheinlichkeit, dass Hanara Gedichte für sie verfassen
könne. Wahrscheinlich konnte er nicht einmal schreiben. Aber wenn
er es könnte, wäre es ihr dann willkommen?
Er ist recht attraktiv, auf eine exotische Art
und Weise, überlegte sie. Jetzt, da die Schwellungen
abgeklungen sind. Aber... nein. Ich glaube nicht, dass ich ihn
bereits gut genug kenne, um auch nur entscheiden zu können, ob ich
ihn mag. Er ist viel zu verschlossen und behält seine Geheimnisse
für sich. Dann kicherte sie. Ich schätze, in diesen Romanen
in meinem Zimmer ist das vollkommen falsch dargestellt.
Geheimnisvolle Männer mit rätselhafter Vergangenheit sind doch
nicht unwiderstehlich.
Als sie die Treppe erreichte, hörte sie jemanden
ihren Namen rufen, und drehte sich um. Malia kam auf sie
zugeeilt.
»Euer Vater ist hier, Meisterschülerin Tessia«,
erklärte die Dienerin. »Er sagt, er brauche heute Morgen Eure
Hilfe... irgendein dringender Fall im Dorf.« Sie runzelte die
Stirn. »Ich hoffe, es ist nichts Ernstes.«
»Sag ihm, dass ich gleich dort sein werde. Und
könntest du auch Lord Dakon Bescheid geben?«
»Natürlich.«
Tessia eilte nach oben in ihr Zimmer, legte schnell
die Verbände ab und kehrte dann wieder zurück. Als sie oben an der
Treppe um ein Haar mit Jayan zusammenstieß, mäßigte sie ihr
Tempo. Der junge Mann blieb stehen und sah sie an, und der Ärger
in seiner Miene wich jener glatten Höflichkeit, mit der er ihr in
letzter Zeit begegnete.
»Du scheinst deine Lektionen heute Morgen gar nicht
abwarten zu können«, sagte er.
»Ich werde sie heute versäumen müssen«, erwiderte
sie und wünschte, er würde die Treppe hinuntergehen oder sie
vorbeilassen. »Vater ist hier, und es ist dringend.«
»Ah, wir schwänzen also wieder einmal den
Unterricht, ja?« Er lächelte und schüttelte mit gespielter
Missbilligung den Kopf - oder war es in Wirklichkeit echte
Missbilligung? War dies ein Anflug der wahren Verachtung, die sie
in seinem Tonfall wahrnahm? Ärger stieg in ihr auf.
»Zumindest tue ich mit dem, was ich weiß, etwas
Nützliches«, blaffte sie, hielt seinem Blick stand und forderte ihn
stillschweigend heraus, ihr zu widersprechen.
Seine Augen weiteten sich vor Überraschung. Er trat
zurück, ließ sie vorbeigehen und beobachtete, wie sie die Treppe
hinunterlief. Sie hörte ihn etwas murmeln und fing gerade noch das
Wort »Idiotin« auf.
Er hält mich also für eine Idiotin,
überlegte sie. Arroganter Narr. Ich wette, er kennt nicht mehr
als eine Handvoll Menschen im Dorf, und erst recht schert es ihn
nicht, ob sie leben oder sterben, ob sie krank sind oder Schmerzen
haben. Solange sie die Arbeit im Lehen tun, kümmert es ihn herzlich
wenig. Er ist nicht besser als ein Sachakaner. Sie beschloss,
ihn aus ihren Gedanken zu verbannen.
Wie oft Dakon ihren Vater auch gedrängt hatte, sich
anders zu verhalten, kam Veran stets durch die Dienstbotentür, und
der heutige Tag stellte keine Ausnahme da. Sie fand ihn im Flur vor
der Küche, wo er unruhig auf und ab ging. Als er sie sah, runzelte
er die Stirn, und ihr wurde klar, dass ihr Gesichtsausdruck nach
ihrer Begegnung mit Jayan immer noch düster sein musste.
»Versäumst du heute eine besonders wichtige
Lektion?«, fragte er, während er seine Tasche aufnahm.
Sie schüttelte den Kopf und lächelte. »Nein. Mach
dir keine Sorgen. Es hat nichts zu tun mit Dakon oder Magie oder
Lektionen.
Nur ein kleines Ärgernis. Wo ist Aran?« Sie hatte sich an die
Anwesenheit des neuen Gehilfen ihres Vaters gewöhnt. Aran war ein
stiller Junge, dem ein Unterschenkel fehlte, und der auf einem der
entlegeneren Bauernhöfe aufgewachsen war. Die Behinderung des
Jungen machte es ihm unmöglich, anstrengendere Arbeiten auf dem
Feld zu versehen, obwohl er mit dem Holzbein, das sein Vater für
ihn gemacht hatte, bemerkenswert beweglich war. Er hatte einen
schnellen Verstand, und sie gestand sich widerstrebend ein, dass
ihr Vater mit ihm eine gute Wahl getroffen hatte.
»Er besucht seine Großmutter«, erwiderte ihr Vater.
»Sie hat sich den Arm gebrochen, und er hilft ihr ein wenig.«
»Ah. Also, wen behandeln wir heute?«
Er führte sie aus dem Herrenhaus, bevor er
antwortete. »Jaden, Jornens Sohn. Er hatte heute Morgen Schmerzen
im Bauch. Sie sind schlimmer geworden. Ich nehme an, es handelt
sich um einen entzündeten Blinddarm.«
Tessia nickte. Eine gefährliche Erkrankung. Ihr
Vater würde vielleicht eine Operation versuchen müssen, um das
Organ zu entfernen, und die Gefahr einer Entzündung war groß. Der
Junge konnte ohne weiteres sterben.
Nachdem sie die Hauptstraße erreicht hatten, gingen
sie zu einem der letzten Häuser im Dorf hinunter, das Jornen, dem
Schmied, gehörte. Die Werkstatt des Mannes lag ein kleines Stück
hinter seinem Haus, unten an einem der Bäche, die in den Fluss
mündeten. An den meisten Tagen wehte der Wind den Rauch seiner Esse
von den Häusern weg, aber gelegentlich hüllte der von den
Dorfbewohnern so genannte »Rauchwind« mit bläulichen, metallisch
riechenden Wolken den halben Ort ein.
Tessias Vater trat vor die Tür und klopfte an. Im
Haus wurden schnelle Schritte laut, dann wurde die Tür geöffnet,
und zwei kleine Kinder blickten zu ihnen auf - ein Mädchen und ein
Junge. Das Mädchen rannte zurück ins Haus und rief: »Sie sind da!
Sie sind da!« Der Junge griff nach Verans Hand und führte ihn nach
oben, wo Jornen und Possa, seine Frau, warteten. Ein Säugling lag
in den Armen der Frau.
»Er ist hier drin«, sagte der Schmied und zeigte
auf ein Schlafzimmer.
Es war ein winziger Raum mit drei Etagenbetten.
Jaden, ein Junge von etwa zwölf Jahren, lag zusammengerollt in dem
unteren Bett und stöhnte laut.
Tessia beobachtete, wie ihr Vater Jaden
untersuchte; er tastete sachte seinen Unterleib ab, maß den
Rhythmus seines Herzens und seiner Atmung und stellte Fragen. Die
beiden Kinder, die sie an der Tür begrüßt hatten, erschienen mit
zwei älteren Jungen im Schlepptau. Einer der Neuankömmlinge hatte
ein Seil um den Hals, an dem der andere ihn herumführte.
»Was ist das?«, fragte Possa mit angespannter
Stimme. »Was macht ihr mit diesem Seil?«
»Wir spielen Herr und Sklave«, sagte einer der
Jungen.
Tessia und die Mutter tauschten einen entsetzten
Blick.
»Nimm es ab«, befahl Possa. »Wir sind keine
Sachakaner. Wir versklaven niemanden. Das ist Unrecht.«
Zu Tessias Erheiterung wirkten beide Jungen
enttäuscht, als sie das Seil abnahmen.
»Was ist mit dem Sklaven, den Lord Dakon hat?«,
fragte der Junge, der das Seil um den Hals getragen hatte.
»Er ist kein Sklave mehr«, erklärte Tessia sanft.
»Er ist jetzt frei.«
»Aber er benimmt sich trotzdem komisch«, erwiderte
der andere Junge.
»Das liegt daran, dass er es nicht gewohnt ist,
frei zu sein. Und er kennt unsere Sitten noch nicht. Aber er wird
sich mit ihnen vertraut machen. Tatsächlich ist er sehr nett, wenn
man ihn kennenlernt.«
Die Kinder blickten nachdenklich drein. Als Tessia
ein Schniefen hörte, drehte sie sich um und sah einen zweifelnden
Ausdruck auf Possas Gesicht. Die Frau wandte hastig den Blick ab.
Veran stieß einen leisen Laut der Sorge aus. Dann richtete er sich
auf und stieß sich dabei den Kopf an dem mittleren
Etagenbett.
»Hier habe ich nicht genug Platz zum Arbeiten.
Können wir ihn irgendwo anders hinbringen?«
»In die Küche?«, schlug der Schmied vor und sah
seine Frau an. Sie schüttelte den Kopf. »Zu schmutzig. Im Keller
ist mehr Platz.«
Ihr Mann trat in das Schlafzimmer, hob seinen Sohn
hoch und trug ihn die Treppe hinunter. Die Familie folgte ihm.
Tessia und Veran gingen am Ende der kleinen Gruppe in den unteren
Stock und durch den Flur in den hinteren Teil des Hauses.
Als Tessia durch eine offene Tür schaute, erblickte
sie einen Küchentisch, der sich schier bog unter Kochutensilien,
Gefäßen und Körben, die bis zum Rand mit essbaren Pilzen gefüllt
waren. Sie nickte vor sich hin, froh über Possas Widerstreben,
Jaden in einen Raum zu bringen, der voller Schmutz und Unrat war.
Vielleicht waren die Bemühungen ihres Vaters und ihres Großvaters,
den Dorfbewohnern ein Gefühl für Hygiene zu vermitteln, doch nicht
so nutzlos gewesen, wie sie es häufig geargwöhnt hatten.
Wahrscheinlicher ist, dass sie nicht bei ihrer
Arbeit gestört werden will, wenn es einen anderen Raum gibt, in dem
wir ihren Sohn behandeln können.
Sie gingen eine weitere Treppe hinunter und kamen
in einen kalten Raum, der nach Feuchtigkeit und Schimmel roch. In
der Mitte stand ein von der Zeit dunkel gewordener, alter und
vollkommen verdreckter Holztisch. Mutlos betrachtete Tessia den
Tisch, der ihr für ihren Zweck kaum geeigneter erschien als der in
der Küche.
»Hol die Lampe«, befahl der Schmied, aber in der
Dunkelheit konnte Tessia nicht erkennen, an welches Kind diese
Worte gerichtet waren. Jemand, der kleiner war als sie, stolperte
über ihren Schuh, und sie hörte einen Schmerzenslaut. Als sie einen
Schritt nach hinten machte, hörte sie einen Protest. Sie war einem
anderen auf den Fuß getreten.
Argh! Wir brauchen sofort Licht!,
dachte sie verärgert. Nun, da kann ich jetzt Abhilfe
schaffen...
Sie konzentrierte sich, und der Raum füllte sich
abrupt mit strahlender Helligkeit. Alle Geräusche verebbten. Da sie
erriet, dass die Familie und ihr Vater genauso verwirrt waren wie
sie selbst, konzentrierte Tessia sich von neuem und befahl
dem Ball aus Licht, der unter der Decke schwebte, sanfter zu
leuchten.
Dann sah sie sich um und stellte fest, dass der
Schmied und seine Familie sie anstarrten. Selbst ihr Vater wirkte
erstaunt. Wärme stieg ihr in die Wangen. Dann stöhnte Jaden vor
Schmerz, und alle Blicke richteten sich auf ihn. Tessia seufzte
erleichtert. Der Junge wurde auf den Tisch gelegt. Tessias Vater
reichte ihr seine Tasche, dann trat er neben Jaden. Sie nahm den
Brenner heraus und machte sich daran, ihn auf einen alten Hocker zu
stellen. Die Frau des Schmiedes beäugte Tessia wachsam, dann trieb
sie alle Kinder zusammen und führte sie aus dem Raum.
Beinahe so, als bringe sie sie aus einer
Gefahrenzone.
Die nächsten Stunden stellten eine Mischung aus
vertrauten Methoden und Abläufen sowie den weniger vertrauten
Anforderungen einer Operation dar. Einmal blickte ihr Vater zu der
Lichtkugel auf und bat Tessia, sie näher an den Tisch
heranzubringen. Die Tatsache, dass er ihre Benutzung von Magie
akzeptierte, ermutigte sie. Als Veran den ersten Schnitt machte,
gab der Schmied einen erstickten Laut von sich und eilte aus dem
Raum.
Schließlich waren sie fertig. Tessia legte die
letzten Instrumente, die sie in der Flamme gereinigt hatte, in die
Tasche ihres Vaters zurück. Jaden war jetzt bewusstlos, aber der
Rhythmus seiner Atmung und seines Blutes war stetig und stark. Ihr
Vater bedachte das Kind mit einem letzten nachdenklichen Blick,
dann drehte er sich zu Tessia um.
Er lächelte und schaute vielsagend zu der
Lichtkugel hinauf.
»Ein nützlicher Trick, das muss ich dir lassen. Es
ist schön zu sehen, dass du im Unterricht aufpasst.«
Sie zuckte die Achseln. »Es ist so, als lerne man
die richtige Methode, Verbandszeug zu benutzen. Sobald man weiß,
wie man es machen muss, denkt man nicht mehr allzu viel darüber
nach. Es gibt gewiss viel schwierigere Magie zu erlernen.«
Etwas veränderte sich in seinem Blick, und für
einen Moment verschwand die Erheiterung aus seinem Lächeln.
»Gut möglich... Aber ich vermute, dass es für die
Dorfbewohner
beunruhigend wäre, wenn du sie weiter auf solche Weise
überraschst.«
Sie nickte. »Ja. Ich denke, ich habe sie vielleicht
erschreckt. Jetzt, da ich gesehen habe, wie sie reagieren... Ich
glaube nicht, dass ich noch einmal auf solche Weise ihre
Aufmerksamkeit auf mich lenken werde.«
»Nicht, wenn es nicht nötig ist.« Er zuckte die
Achseln. »Ich bin davon überzeugt, dass sie es verstehen würden,
wenn du das Dorf verteidigen oder ein Leben retten müsstest. Und
jetzt gibst du der Familie besser Bescheid, dass wir fertig sind.«
Sie reichte ihm seine Tasche, dann gingen sie zur Tür. Im Flur
stand eine Lampe auf dem Boden. Sie stellte sie neben den Jungen
auf den Boden, dann löschte sie ihr Licht, sodass der Raum nur noch
vom tröstlichen Schein der Lampe erhellt wurde.
»Da waren Fremde.«
Tessia und ihr Vater blieben stehen und sahen
einander an, dann hob sie die Lampe hoch und hielt sie über Jadens
Kopf. Seine Augen waren offen, und sein Blick wanderte zu Veran
hinüber.
»Fremde in den Hügeln«, flüsterte der Junge.
»Das haben die Söhne des Jägers uns erzählt. Vater sagte, wir
sollten Lord Dakon damit nicht behelligen, aber es könnte wichtig
sein. Werdet Ihr es ihm erzählen?«
Tessias Vater sah sie an, dann blickte er zu Jaden
hinüber und nickte. »Natürlich. Wahrscheinlich weiß er es
bereits.«
Der Junge verzog das Gesicht. »Es tut weh.« »Ich
weiß. Ich werde deiner Mutter etwas für dich geben, das die
Schmerzen lindert. Hab Geduld. Sie wird es dir bald bringen.« Er
tätschelte dem Jungen sanft die Schulter, nickte Tessia zu und
folgte ihr zur Tür.
»Es könnte sein, dass er fantasiert. Trotzdem, wenn
sein Vater etwas weiß, werden wir wissen, dass es nichts mit der
Krankheit zu tun hat. Und wenn es so ist, würdest du
dann...?«
Sie nickte. »Ich werde es Dakon mitteilen.«
Er lächelte, dann drehte er sich noch einmal zu dem
Jungen um. Als Tessia durch den Flur ging, spähte die Frau des
Schmiedes durch die Küchentür.
»Ist er...?«
»Es geht ihm gut«, erwiderte Tessia. »Könntest du
uns noch etwas sauberes Wasser bringen?«
Als die Diener die leeren Teller abräumten, öffnete
Lord Dakon die zweite Flasche Wein und schenkte Tessia und Jayan
nach. Die beiden wirkten überrascht, dann hoben sie dankend die
Gläser.
Beide waren an diesem Abend ungewöhnlich still
gewesen. Normalerweise unterhielt sich der eine oder der andere
während des Essens mit ihm, und Tessia verlor im Laufe der Wochen
zunehmend ihre Befangenheit. Allerdings unterhielten die beiden
Meisterschüler sich kaum je einmal miteinander.
Die Kluft zwischen ihnen beunruhigte Dakon. Die
Ablehnung war von Jayan ausgegangen. Der junge Mann war gesellig
und freundlich genug, um mit den meisten Menschen gut auszukommen.
Aber Tessia hatte er vom Augenblick ihrer Ankunft an offenkundig
nicht gemocht.
Tessia hatte ein oder zwei Wochen gebraucht, um das
zu begreifen. Jayan war kein Mensch, der schäbig oder grausam war.
Aber seine Ungeduld und Geringschätzung verrieten ihn schließlich,
und seither war sie auf stille Weise trotzig gewesen und hatte ihn
ignoriert, wann immer sie konnte. Gelegentlich schlug sie, wenn er
sie provozierte, mit einer köstlich schneidenden Bemerkung
zurück.
Dakon genoss es beinahe, die beiden zu beobachten.
Beinahe.
An diesem Abend schien irgendetwas Tessia zu
beschäftigen. Jayan dagegen zeigte ungewöhnliches Interesse an ihr
und sah sie von Zeit zu Zeit nachdenklich an. Es war gut, dass
Tessia so geistesabwesend war, da Dakon davon überzeugt war, dass
dieses Verhalten seines älteren Meisterschülers Ärger und Argwohn
in ihr geweckt hätte.
»Ich habe eine Ankündigung zu machen«, erklärte er
ihnen und lächelte dann, als sie sich beide aufrichteten und ihn
mit erwartungsvoller Neugier ansahen. »In einer Woche werden wir
nach Imardin reisen.«
Tessias Augen weiteten sich. Jayan dagegen lehnte
sich entspannt auf seinem Stuhl zurück und lächelte mit
offenkundiger Freude.
»Imardin?«, fragte Tessia leise.
»Ja, ich reise jedes Jahr dorthin«, erklärte Dakon,
»um Handelsgeschäfte zu erledigen, einzukaufen, was wir hier in
Mandryn nicht bekommen, und Freunde zu besuchen.«
Sie nickte. Dies war keine Überraschung für sie,
das wusste er. Wie alle Dorfbewohner musste ihr aufgefallen sein,
dass er jedes Jahr für einige Zeit verschwand und bei seiner
Rückkehr für gewöhnlich Heilmittel und Zutaten für ihren Vater
mitbrachte. Ihre Überraschung galt der Neuigkeit, dass sie ihn
begleiten würde, und ihre nächste Frage bestätigte das.
»Werden wir beide mit Euch reisen?«, fragte sie und
sah Jayan an, der ihre Worte mit einem Stirnrunzeln
quittierte.
»Natürlich. Jayan besucht für gewöhnlich seine
Familie. Der König verlangt von allen Magiern, ihn zu verständigen,
wenn sie einen Meisterschüler annehmen wollen. Obwohl du ein
Naturtalent bist und niemand dich daran hindern kann, Magie zu
erlernen, nicht einmal der König, sollte ich ihm zumindest die
Gelegenheit geben, dich kennenzulernen.«
Sie sah wieder zu Jayan hinüber. »Ich hoffe, dies
ist eine dumme Frage, aber was würde geschehen, wenn das Dorf
angegriffen würde, während Ihr und Jayan fort seid?«
Dies war nicht die Frage, die Dakon als nächste
erwartet hatte, aber wenn sie sich um die Sicherheit ihrer Familie
sorgte, war es durchaus verständlich, dass dieses Thema sie mehr
interessierte als die Aussicht darauf, den König
kennenzulernen.
Jayans Stirnrunzeln war verschwunden, wie Dakon
bemerkte. Er wirkte, als bemühe er sich um eine ausdruckslose
Miene.
»Darum wird sich Lord Narvelan kümmern«,
versicherte Dakon ihr, »geradeso wie ich mich um jedwede Probleme
in seinem Lehen kümmere, während er abwesend ist.«
Sie nickte, aber zwischen ihren Augenbrauen stand
immer noch eine Falte. Sie holte tief Luft und blickte dann wieder
zu ihm hoch.
»Als wir heute den Sohn des Schmiedes behandelt
haben, hat er uns erzählt, dass einige Kinder von Jägern behaupten,
sie hätten Fremde in den Bergen gesehen. Er meinte, dass Ihr davon
wissen solltet.« Sie breitete die Hände aus. »Es könnte Unfug sein.
Der Schmied hat das Ganze als eine Geschichte abgetan, die Kinder
erfunden haben, um andere Kinder zu erschrecken.«
Dakon ließ sich äußerlich nichts anmerken, während
er ihre Worte überdachte. Es war möglich, dass dies nur ein Gerücht
war oder eine erfundene Geschichte, wie sie es angedeutet hatte.
Oder diese Fremden konnten einfach kyralische Reisende sein oder
sogar gesetzlose Banditen. Vielleicht war es nur Narvelans Angst
vor einer Invasion, die diese Neuigkeit so bedrohlich klingen
ließ.
Oder Hanaras Überzeugung, dass Takado zurückkehren
würde, um ihn zu holen. Dakon hatte an diesem Morgen die Gedanken
des Mannes gelesen, nachdem er zu dem Schluss gekommen war, dass es
töricht wäre, das Dorf zu verlassen, ohne sich zumindest davon zu
überzeugen, dass der ehemalige Sklave nichts Unrechtes plante.
Glücklicherweise hatte Hanara sich der Prozedur bereitwillig
unterzogen. Dakon war sich nicht sicher, was er getan hätte, hätte
der Mann anders reagiert. Es hatte ihn gefreut festzustellen, dass
er recht hatte: Hanara hegte keine Heimtücke gegen Mandryn.
Tatsächlich deutete Hanaras Furcht vor einer Rückkehr seines Herrn
darauf hin, wie sehr er sich wünschte, in Kyralia zu bleiben; es
war unwahrscheinlich, dass er zu seinem Herrn zurückkehren würde.
Dakon konnte in den Erinnerungen des ehemaligen Sklaven keine
Beweise dafür finden, dass der sachakanische Magier irgendwie zu
erkennen gegeben hatte, dass er eine Rückkehr plante.
Dennoch bin ich angesichts dieser Gerüchte froh
darüber, dass Narvelan so gewissenhaft ist. Ich sollte der
Angelegenheit nachgehen. Und ihm Mitteilung von möglichen
Neuigkeiten machen.
»Ich werde jemanden zu den Jägern schicken, um
festzustellen, ob an der Sache etwas dran ist«, sagte er zu
Tessia.
Sie nickte und wandte den Blick ab. Einen Moment
lang
wartete er ab, um herauszufinden, ob sie sich an seine Worte über
den König erinnerte, aber sie bewahrte Stillschweigen; entweder
hatte sie seine Bemerkung nicht gehört oder vergessen.
»Gibt es noch weitere Fragen?«, hakte er
nach.
Tessia runzelte die Stirn. »Wie lange werden wir
fort sein?« »Mindestens einen Monat. Zu dieser Zeit des Jahres, da
die Straßen noch durchweicht sind vom Regen, braucht man eine Woche
für die Reise in die Stadt.«
Die Falte zwischen ihren Brauen wurde tiefer. Wohl
wissend, dass sie sich immer noch darüber Sorgen machte, ob ihr
Vater ohne sie zurechtkommen würde, lächelte er. Nach allem, was
man hörte, lernte der neue Gehilfe des Heilers sehr schnell. Er
beschloss, das Thema zu wechseln.
»Du bist noch nie zuvor gereist, nicht wahr?«
Sie schüttelte den Kopf.
»Dann wird es eine neue Erfahrung für dich sein.
Ich werde deinen Unterricht während der Reise fortsetzen. Das wird
uns unterhalten und deine Ausbildung vorantreiben. Ich fürchte,
Jayan und ich haben die Reise so oft unternommen, dass wir
wahrscheinlich nur den Regen und die Kälte bemerken werden.
Wir werden auf dem Weg durch zwei ländliche Lehen
bei den jeweiligen Lords Unterkunft finden. Davon abgesehen werden
wir bei dem Stadtmeister der jeweiligen Stadt, die wir gerade
erreichen, übernachten. In Imardin werden wir dann bei einem Freund
von mir wohnen, bei Lord Everran und seiner Frau, Lady Avaria. Er
hat eins der großen Häuser der Stadt geerbt, ein ziemlich
gewaltiges, halbleeres Gebäude. Sie sind beide Magier; es wird
vielleicht interessant für dich sein, mit einer anderen Magierin zu
reden, obwohl Lady Avaria wahrscheinlich größeres Interesse daran
haben dürfte, dich in sämtliche Läden der Stadt zu schleppen und
mit ihren Freundinnen bekannt zu machen, die dich allesamt
ermutigen werden, das Taschengeld, das du von mir bekommst,
auszugeben.«
Tessias Augen weiteten sich. »Ihr braucht mir
nichts...« »Oh, glaub mir, genau das muss ich tun«, erwiderte er.
»Oder
Avaria wird mir ewig damit in den Ohren liegen. Außerdem könnte
ich Jayan wohl kaum ein wenig Geld für kleinere Anschaffungen
geben, ohne dir denselben Gefallen zu erweisen.« Er drehte sich zu
Jayan um. Der junge Mann zuckte die Achseln. »Möchtest du
vielleicht noch etwas fragen?«
Jayan schüttelte den Kopf, dann zögerte er. »Ist
noch Wein da?«
Dakon lachte und griff nach der Flasche. »Ich
denke, es ist noch so viel drin, dass jeder von uns ein weiteres
halbes Glas bekommen kann. Danach sollten wir Tessia vielleicht
einige unserer Reisegeschichten erzählen.«
»Haltet Ihr das wirklich für klug?«, fragte Jayan
und sah zu Tessia hinüber. »Wir wollen doch nicht, dass sie am Ende
keine Lust mehr hat, uns zu begleiten.«
Dakon machte eine abschätzige Handbewegung. »Oh, es
ist niemals etwas passiert, das wirklich gefährlich oder
unerfreulich gewesen wäre.«
»Nein?«, erwiderte Jayan, dessen Gesichtsausdruck
deutlich zeigte, dass er anderer Meinung war.
»Das heißt, nichts, das beabsichtigt gewesen wäre
und nicht anschließend eine gute Geschichte ergeben hätte.«
Als Tessia die Augenbrauen hochzog, grinste Dakon.
»Nun, da war diese Reise, während der ich Jayan geholfen habe,
Feuerbälle zu üben...«