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20
Der Segen der Erschöpfung war, dass sie
einen Schlaf mit sich brachte, aus dem Tessia trotz der Trauer, der
Scham und der Furcht erst aufwachte, lange nachdem die Sonne
aufgegangen war. Eine gewisse Unruhe im Lager weckte sie, und
anschließend half sie Narvelans Leuten, zusammenzupacken und
Vorbereitungen für den bevorstehenden Ritt zu treffen. Sie würden,
wie Dakon ihr und Jayan mitgeteilt hatte, in ein Dorf in Narvelans
Lehen reiten, das selbst jene, die eingeladen waren, bekanntermaßen
nur unter großen Schwierigkeiten
fanden. Klein und unwichtig wie es war, erschien es sehr
unwahrscheinlich, dass Takado und seine Verbündeten es als
strategisches Ziel betrachten würden - falls sie überhaupt von der
Existenz des Dorfes wussten -, es sei denn, sie begriffen, dass es
als Versammlungsort benutzt wurde. Dort würden sich weitere Magier
des Freundeskreises Narvelan, Dakon und Werrin anschließen, um ihre
nächsten Schritte zu erörtern.
Sie traten die Reise am Abend nach Einbruch der
Dämmerung an, wobei in regelmäßigen Abständen schattenhafte
Gestalten auftauchten, um sicherzustellen, dass den Magiern auf dem
vor ihnen liegenden Weg keine Gefahr drohte. Sie verhielten sich so
still, wie es eine Menge alter, knarrender Karren, gehetzter
Haustiere und gelegentlich unruhiger Säuglinge zuließ.
Die meisten Dorfbewohner waren Tessia fremd, aber
in der Dunkelheit beschlich sie immer wieder das Gefühl, von den
Bewohnern Mandryns umgeben zu sein. Das Brummen einer alten Frau,
das Gelächter zweier kleiner Jungen, die den Befehl zu schweigen
vergessen hatten, die strenge Ermahnung ihrer Mutter - all das
erinnerte sie an die Menschen, mit denen sie aufgewachsen war.
Menschen, die jetzt bis auf wenige Ausnahmen tot waren.
Abgesehen von Tiken, dem Sohn des Schmiedes, der in
Mandryn zurückgeblieben war, hatten sich die Überlebenden Narvelans
Leuten angeschlossen. Zu ihrer Gruppe gehörten jetzt einer der
jungen Stallarbeiter, Ullan, der davongelaufen war, gleich nachdem
Takados Angriff auf das Dorf begonnen hatte, und einige der Kinder,
die sich erfolgreich versteckt hatten. Salia, die Tochter des
Bäckers, hatte zu dem Zeitpunkt eine Schwester auf einem der
Bauernhöfe besucht. Sie hatte doppeltes Glück gehabt, weil Takado
und seine Verbündeten nach dem Angriff auf das Dorf auch viele der
Bauern mit ihren Familien getötet hatten.
Tessia drehte sich um und entdeckte Salia, die
neben einem mit Fässern und Säcken beladenen Karren herging. Sofort
senkte die junge Frau den Blick und biss sich auf die Lippe. Sie
wirkte schuldbewusst, aber das ergab keinen Sinn. Selbst
wenn Salia im Dorf gewesen wäre, hätte sie nicht verhindern
können, was geschehen war. Ullan dagegen schien nicht die
geringsten Probleme damit zu haben, dass er davongelaufen
war.
Warum sollte er auch?, dachte Tessia.
Wenn er geblieben wäre, wäre er ebenfalls gestorben. Wenn er
kein Pferd genommen hätte und zu Narvelan geritten wäre, hätte es
noch länger gedauert, bis die Nachricht von dem Angriff uns
erreichte.
Sein Urteil über Hanara war jedoch vernichtend
gewesen; er hatte gesagt, der Mann sei davongelaufen, um sich
seinem Herrn anzuschließen. Aber niemand hatte Hanara mit Takado
ins Dorf zurückkehren sehen, daher vermutete Tessia, dass er nichts
Schlimmeres getan hatte, als der Stallbursche selbst - er war
geflohen, um sich zu retten. Sie fragte sich, wo er jetzt sein
mochte. Nachdem sich die Nachricht über einen sachakanischen
Angriff verbreitet hatte, war es unwahrscheinlich, dass
irgendjemand ihm helfen würde.
Sie waren einen sanften Hügel hinaufgestiegen,
hatten aber jetzt dessen Kuppe erreicht, und auf der anderen Seite
führte der Weg etwas steiler wieder nach unten. Dakon sah Tessia an
und lächelte.
»Wir sind fast da«, murmelte er.
Jemand dicht hinter ihr fing die Worte auf und gab
sie flüsternd weiter. Und scharrendes Geräusch störte die Stille
der Nacht, als die Wagenfahrer gezwungen waren, wegen des Gefälles
die Bremsen zu benutzen. Tessia lehnte sich im Sattel zurück, und
ihr Rücken berührte die Tasche ihres Vaters, die sicher hinter ihr
festgebunden war.
Am Fuß des Hangs wichen die Bäume zu beiden Seiten
zurück, und eine Handvoll kleiner Häuser wurde sichtbar, in deren
Fenstern freundliches Licht brannte. Männer und Frauen standen mit
Lampen bereit, um sie zu begrüßen. Tessia hörte überall um sich
herum erleichtertes Seufzen und Murmeln.
Einige von Narvelans Leuten waren vorausgeritten,
um das Dorf von ihrer unmittelbar bevorstehenden Ankunft in
Kenntnis zu setzen und den Dorfbewohnern bei ihren Vorbereitungen
zu helfen. Ruhig und wohlorganisiert wurden die
Besucher auf die Häuser verteilt, wo behelfsmäßige Betten auf sie
warteten. Die Tiere wurden in Pferche gebracht, die Wagen in den
Schutz der Scheunen.
Die Magier und Meisterschüler fanden Quartier beim
Dorfmeister, dessen Haus nicht viel größer war als das, in dem
Tessia ihre Kindheit verbracht hatte. Nach einem herzhaften, aber
einfachen Mahl zogen sich alle in ihre Betten zurück. Crannin und
seine Frau Nivia stellten den Magiern ihr Schlafzimmer zur
Verfügung und hatten zusätzliche Betten hineingezwängt. Der
Dorfmeister und Jayan schliefen im Wohnzimmer auf dem Boden,
während Tessia und die Ehefrau des Mannes sich das Kinderzimmer
teilten. Sie sah keine Spur von den Kindern. Vielleicht kümmerte
eine Nachbarin sich um sie.
Obwohl sie müde war, dauerte es lange, bis Tessia
einschlief. Sie lag wach, lauschte auf den Atem der neben ihr
schlafenden Frau und dachte über all das nach, was geschehen war,
seit sie allein in Dakons Herrenhaus gegangen war und unwissentlich
Magie eingesetzt hatte, um Takado abzuwehren.
Wenn sie nicht davongeschlüpft wäre, um ihren Vater
zu beeindrucken, hätte sie ihre Fähigkeit dann dennoch entdeckt?
Lord Dakon glaubte es. Aber vielleicht wäre es viel später
passiert. Vielleicht wäre sie noch im Dorf gewesen, als Takado
angriff. Vielleicht wäre sie dann jetzt ebenfalls tot.
Und nach Tikens Beschreibung zu urteilen, hätten
Takado oder einer seiner Verbündeten mich vorher wahrscheinlich
missbraucht. Aber vermutlich hätte ich dann auf die gleiche Weise
reagiert und Magie benutzt, um mich zu verteidigen. Nur hätte er
mich nicht am Leben gelassen, nachdem ich Magie gegen ihn
eingesetzt hätte, und ich wäre zu schwach und zu unerfahren
gewesen, um mich zu retten.
Wenn sie ihre Magie nicht genau zu diesem Zeitpunkt
entdeckt hätte, wäre sie wahrscheinlich mit ihren Eltern gestorben.
Es wären ohnehin alle tot gewesen, ob sie nun zurückgeblieben wäre,
als Dakon die Stadt verlassen hatte, oder nicht.
Dann überlegte sie, was geschehen wäre, wäre Dakon
nicht fortgegangen. Tiken war sich nicht sicher gewesen, wie viele
Magier Mandryn angegriffen hatten, aber es waren mehr gewesen
als nur Takado. Er war weggelaufen, um sich zu verstecken, nachdem
er nur zwei von ihnen gesehen hatte, aber er war davon überzeugt,
dass es mehr als zwei gewesen waren. Dakon wäre allein gewesen.
Zwei sachakanische Magier hätten ihn mühelos besiegen können, wenn
sie zuvor große Mengen an Macht von ihren Sklaven aufgenommen
hätten. Sobald Dakon tot gewesen wäre, hätten Takado und seine
Verbündeten die Dorfbewohner ohnehin niedergemetzelt.
Trotz ihrer Verbitterung musste sie dankbar dafür
sein, dass der Angriff erfolgt war, während sie sich in Imardin
aufgehalten hatte. Sonst hätte sie den Angriff unter keinen
Umständen, die sie sich ausmalen konnte, überlebt. Und wie viele
Wenns sie auch in Gedanken durchprobierte - keines hätte ihre
Eltern gerettet.
Es sei denn natürlich, Lord Dakon und einige andere
Magier hätten rechtzeitig von dem Angriff erfahren, um eine
Verteidigungsstrategie dagegen zu entwickeln. Aber es hatte keinen
Sinn, sich diese Möglichkeit vorzustellen. Niemand konnte in die
Zukunft sehen. Nicht einmal Magier.
Sobald sie eingeschlafen war, schlief sie sehr
tief, und als sie aufwachte, war Crannins Frau fort, und
Kochgerüche erfüllten das Haus. Ein fahles Licht deutete darauf
hin, dass es früh am Morgen war. Ihr Magen knurrte. Nur wenige
Schritte entfernt stand eine Wasserschale auf dem Boden, und
daneben lag ein sauberes Kleid. Eine Woge der Erleichterung und der
Dankbarkeit erfasste sie. Gewaschen und eingehüllt in das zu große
Kleid, band sie sich das Haar zurück und folgte den Gerüchen in die
Küche.
Nivia war dort und half einer Dienerin bei der
Vorbereitung eines Mahls. Die beiden Frauen gestatteten ihr nicht,
sich irgendwie zu beteiligen, sondern stellten stattdessen Fragen
nach den Ereignissen in Mandryn. Tessia ließ die grauenhafteren
Einzelheiten aus und berichtete von Narvelans Gedankenruf, dem
folgenden unbarmherzigen Ritt und dem Zustand des Dorfes, als sie
dort angekommen waren.
»Was denkt Ihr, werden die Magier jetzt tun?«,
fragte die Dienstmagd.
»Ich weiß es nicht genau«, gestand Tessia.
»Höchstwahrscheinlich werden sie die Sachakaner töten. Ich vermute,
sie werden sie finden müssen, und dann wird es einen Kampf
geben.«
Die Augen der Frau weiteten sich. »Werdet Ihr
ebenfalls kämpfen?«
Tessia dachte kurz nach. »Nicht direkt, aber ich
werde wahrscheinlich zugegen sein. Lord Dakon wird gewiss kämpfen,
und er wird Jayan und mich brauchen, damit wir ihm unsere Kraft
leihen können. Und wir dürfen auch nicht getrennt werden
von...«
Als sie einen Ruf von draußen hörte, brach sie ab.
Nivia ließ das Messer fallen, mit dem sie Gemüse gehackt hatte,
wischte sich die Hände ab und eilte aus dem Raum. Tessia folgte ihr
zur Haustür. Die Frau öffnete sie einen Spaltbreit und spähte
hinaus, dann zog sie sie weit auf und trat hinaus. Tessia konnte
jetzt mehrere Männer erkennen, die auf Pferden ins Dorf geritten
kamen. Kyralier, ihrem Aussehen nach. Und aus ihrer Kleidung und
ihrem Gebaren schloss sie, dass dies die Magier waren, die ihnen
helfen wollten.
Im Flur hinter ihnen hallten Schritte, dann schoben
Dakon, Werrin und Narvelan sich an Tessia und Nivia vorbei, traten
hinaus und gingen auf die Neuankömmlinge zu.
»Sie sind hier, nicht wahr?«
Als Tessia sich umdrehte, sah sie Jayan aus dem
Wohnzimmer kommen. Er fuhr sich mit den Händen durch das zerzauste
Haar, verzog das Gesicht und rieb sich die Schulter.
»Es sieht so aus«, antwortete Tessia. »Kennst du
sie?«
Sie trat zurück, und er ging zur Tür.
»Ah. Lord Prinan, Lord Bolvin, Lord Ardalen und
Lord Sudin mit ihren Meisterschülern, wie es scheint. Und jeder hat
einen Diener dabei.«
Als sie über seine Schulter blickte, sah sie die
Männer absitzen. Die schlichter Gekleideten ergriffen sofort die
Zügel der Pferde. Die jungen Männer blieben ein wenig zurück,
während ihre Meister Dakon, Werrin und Narvelan begrüßten.
»Nun, wollen wir unseren neuen Verbündeten
entgegengehen?
«, fragte Jayan. Er wartete ihre Antwort nicht ab, sondern trat
hinaus und schlenderte auf die Gruppe zu.
Tessia folgte ihm widerstrebend. Plötzlich war ihr
nur allzu deutlich bewusst, wie sehr sie sich von diesen anderen
Meisterschülern unterschied. Eine Frau unter all diesen Männern.
Ein Naturtalent aus bescheidenen Verhältnissen unter reichen jungen
Männern, die aus mächtigen Familien ausgewählt worden waren. Eine
Anfängerin unter bereits gut ausgebildeten Schülern. Es war nur
allzu leicht, sich vorzustellen, dass sie alle wie Jayan
waren.
Die Magier würdigten sie und Jayan kaum eines
Blickes, aber die Meisterschüler betrachteten Jayan mit echtem
Interesse. Einige sahen Tessia verwirrt an, dann schienen sie sie
mit einem Achselzucken abzutun. Erst als die Magier einander
begrüßt hatten, stellte Dakon sie und Jayan vor. Alle schauten sie
überrascht an.
Zu spät begriff sie, dass das übergroße Kleid, das
Nivia ihr herausgelegt hatte, ihnen den Eindruck vermittelt haben
musste, sie sei eine der Dorfbewohnerinnen. Die Frau dürfte wohl
kaum in der Lage sein, mir die Art von kostbarer, kunstvoller
Kleidung zur Verfügung zu stellen, wie sie Städterinnen
bevorzugen. Tessia drückte die Schultern durch und antwortete
mit so viel Würde, wie sie aufbringen konnte, wobei sie hoffte,
dass niemandem auffiel, wie verlegen und gehemmt sie sich plötzlich
fühlte.
Crannin war inzwischen aus seinem Haus gekommen und
lud die Magier ein, mit ihm zu speisen, während sie ihre Pläne
erörterten. Dann entschuldigte er sich, dass für Meisterschüler
leider kein Platz mehr an der Tafel sei, aber man würde so bald wie
möglich einen Tisch und etwas zu essen nach draußen bringen.
Ich werde also einmal mehr von wichtigen
Gesprächen ausgeschlossen, dachte Tessia verbittert, aber
diesmal bin ich zumindest nicht die Einzige.
Als die Magier in Crannins Haus verschwanden,
blieben die Meisterschüler zögernd an der Tür stehen, musterten
einander und sagten nichts. Sie wirkten erschöpft. Tessia
vermutete,
dass sie genauso schnell oder doch fast so schnell hierhergeritten
waren, wie Dakon es getan hatte, um Mandryn zu erreichen.
Nach einigen Minuten kamen Männer aus einem anderen
Haus und brachten Bänke und Tische aus einem Stall. Sie wuschen sie
ab, dann warfen sie Tücher darüber. Aus Crannins Haus kamen einige
Frauen, die Essen und Wein brachten und ein kleines Festmahl
auftischten. Die Meisterschüler setzten sich zum Essen nieder, und
schon bald begannen sie, sich leise miteinander zu unterhalten. All
ihre Fragen, was Mandryn und die Sachakaner betraf, richteten sie
an Jayan, aber Tessia war es zufrieden, Stillschweigen zu bewahren
und das Gespräch ihnen zu überlassen. Zu ihrer Überraschung äußerte
Jayan sich weniger wortreich, als sie es getan hatte, als sie den
Frauen aus dem Dorf von dem Angriff erzählt hatte.
»Ich denke, wir sollten niemandem allzu viel
erzählen«, murmelte er ihr nach einer Weile zu. »Ich bin mir nicht
sicher, wie viel Dakon bekannt werden lassen möchte.«
Ein Stich der Sorge durchzuckte Tessia. Hatte sie
Nivia etwas erzählt, das sie besser für sich hätte behalten
sollen?
»Zum Beispiel?«, hakte sie nach.
»Keine Ahnung«, antwortete er ein wenig gereizt.
Dann drehte er sich zu einem der Dorfbewohner um, der soeben näher
getreten war. Ihr wurde bewusst, dass der Mann sie ansah.
»Meisterschülerin Tessia. Vergebt mir, wenn mein
Anliegen zu kühn ist«, sagte der Mann. Er hielt inne, dann sprach
er hastig weiter. »Ihr habt eine Heilertasche bei Euch.«
»Ja«, bekräftigte sie, als er abbrach. »Woher weißt
du das?«
»Es tut mir leid. Ich konnte die Heilmittel
riechen, daher musste ich hineinschauen. Wem gehört die
Tasche?«
»Meinem Vater«, antwortete sie. »Das heißt, sie hat
ihm gehört. Er... er war der Heiler von Mandryn.«
Enttäuschung zeichnete sich auf den Zügen des
Mannes ab. »Oh. Das tut mir leid. Ich hatte gehofft …
Entschuldigung.«
Als er sich zum Gehen wandte, streckte sie die Hand
nach ihm aus. »Warte. Ihr habt keinen Heiler hier, nicht
wahr?«
Der Mann schüttelte mit grimmiger Miene den
Kopf.
»Ist jemand krank?«
Er runzelte die Stirn. »Ja. Meine Frau. Sie...
sie...«
»Ich war die Gehilfin meines Vaters«, erklärte sie.
»Ich werde vielleicht nichts ausrichten können, aber ich kann sie
mir einmal ansehen.«
Er lächelte. »Danke. Ich werde Euch zu ihr führen.
Und lasst jemanden Eure Tasche hinterherbringen.«
Zu Tessias Überraschung stand Jayan auf und folgte
ihr. Als sie außerhalb der Hörweite der anderen Meisterschüler
waren, hielt er sie am Arm fest.
»Was tust du da?«, fragte er leise. »Du bist keine
Heilerin.«
Sie drehte sich um, um ihn anzustarren. »Na und?
Ich werde vielleicht trotzdem helfen können.«
»Was ist, wenn Dakon nach dir ruft. Du bist jetzt
eine Meisterschülerin, Tessia. Es ist nicht... nicht...«
»Nicht...?«
Er verzog das Gesicht. »Du kannst nicht einfach
davonspazieren und Heilerin spielen, wann immer dir der Sinn danach
steht. Es ist nicht... passend.«
Sie sah ihn mit zusammengekniffenen Augen an.
»Wäre es den ›passender‹, jemanden, der krank ist
oder Schmerzen leidet, nicht zu behandeln oder vielleicht sogar
sterben zu lassen, weil man sich darüber sorgt, was andere
Meisterschüler oder ihre Meister denken könnten?«
Er erwiderte ihren Blick, und seine Miene war
durchdringend und forschend. Dann ließ er die Schultern
sinken.
»Also schön. Aber ich komme mit.«
Sie schluckte einen Protest hinunter, dann seufzte
sie und eilte hinter dem Mann her, dessen Frau krank war. Sollte
Jayan die Frau doch sehen, die er, weil er es für »passend« hielt,
weiter hätte leiden lassen. Sollte er doch sehen, dass hinter der
Heilkunst mehr steckte als der bloße Titel »Heiler«. Sollte er doch
sehen, dass ihre Kenntnisse und Fähigkeiten wertvoll waren, und
wissen, dass sie nicht vergeudet werden sollten.
Sie verzog das Gesicht. Ich hoffe, dass ich
dieser Frau helfen kann, oder ich werde ihn nicht allzu sehr
beeindrucken können.
Das Haus, in das der Mann sie brachte, lag am Rand
des Dorfes. Ihr Führer hielt nur einmal kurz inne, um einen Jungen
zu bitten, die Tasche ihres Vaters zu holen. Sobald sie im Haus
waren, geleitete er sie die Treppe hinauf in ein Schlafzimmer, in
dem eine Frau auf dem Bett döste.
Dass die Frau krank war, ließ sich nicht leugnen.
Sie war so mager, dass die Haut auf ihren Schultern, ihrem Hals und
ihrem Gesicht sich straff über ihre Knochen spannte. Ihr Mund war
geöffnet, und als Tessia eintrat, wischte sie sich hastig und
verlegen ein wenig Speichel vom Kinn.
Tessia trat neben das Bett und schaute lächelnd auf
die Frau hinab.
»Hallo. Ich bin Tessia«, sagte sie. »Mein Vater war
Heiler, und ich war während des größtenteils meines Lebens seine
Gehilfin. Wir heißt du?«
»Paova«, sagte der Mann. »Das Sprechen fällt ihr
schwer.«
Die Augen der Frau waren groß vor Angst, aber sie
brachte ein schwaches Lächeln und ein Nicken zustande.
»Dann lass mich mal sehen«, sagte Tessia.
Die Frau öffnete den Mund. Sofort durchlief Tessia
ein Schaudern mitfühlenden Entsetzens. Eine Seite ihres Mundes war
zur Gänze von einem Geschwür ausgefüllt.
»Ah«, sagte Tessia. »Ich habe so etwas schon früher
gesehen, wenn auch meistens bei Männern. Es tut weh, wenn du isst
oder auch nur essen riechst, nicht wahr?«
Die Frau nickte.
»Kaust und rauchst du Blätter?«
Die Frau sah ihren Mann an.
»Sie hat früher Dunda gekaut, bis dieses Geschwür
es unmöglich machte«, erwiderte er. »Sie kommt aus einer alten
Jägerfamilie, die einige Gepflogenheiten aus den Bergen beibehalten
hat.«
Tessia nickte. »Es ist schwer, von dieser
Gewohnheit loszukommen, habe ich gehört. Dies nennt man
›Jägermund‹. Ich kann den Klumpen herausschneiden und die Stelle
vernähen, aber du musst mir zwei Dinge versprechen.«
Die Frau nickte eifrig.
»Benutze die Mundspülung, die ich dir gebe. Sie
schmeckt absolut abscheulich und trocknet dich so sehr aus, dass du
schwören wirst, du würdest nie wieder einen Tropfen Speichel
produzieren können, aber die Spülung wird verhindern, dass die
Wunde sich entzündet.«
»Sie wird es tun«, erklärte ihr Mann lächelnd. »Ich
werde dafür sorgen.«
Tessia nickte. »Und hör auf, Dunda zu kauen. Es
wird dich umbringen.«
In den Augen der Frau blitzte ein Anflug von
Rebellion auf, aber Tessia starrte sie mit ernster Miene an und
einen Moment später war der Ausdruck aus ihren Augen
verschwunden.
»Auch dafür werde ich sorgen«, sagte ihr Mann
leise.
»Nun lass mich mal sehen.« Tessia tastete sanft die
Innenseite des Mundes der Frau ab. Ihr Vater hatte schon früher
Geschwüre wie dieses behandelt. Obwohl es ihm gewöhnlich gelungen
war, die Geschwüre zu entfernen, wurden einige der Patienten krank
und starben binnen eines oder zweier Jahre. Andere wurden uralt.
Ihr Vater hatte die Theorie gehabt, dies hänge damit zusammen, wie
stark der Klumpen an dem Fleisch ringsum »festgeklebt« war.
Dieser hier fühlte sich lose an, wie ein großer,
leicht matschiger Stein unter der Haut. Vielversprechend. Tessia
zog die Finger heraus und wischte sie an einem Tuch ab, das der
Ehemann der Frau ihr hinhielt. Sie überlegte flüchtig, ob sie
versuchen sollte, das Geschwür herauszuschneiden.
Wie Jayan gesagt hat, ich bin keine Heilerin.
Aber ich habe diese Prozedur beobachtet. Ich weiß, wie man es
macht. Es wird nicht lange dauern, bis der Klumpen so groß wird,
dass sie entweder verhungern oder ersticken wird. Ich habe die
erforderliche Ausrüstung... Nun, bis auf die Kopfklammer. Ihr
Vater benutzte eine Klammer, die er selbst entworfen und von dem
Schmied hatte anfertigen lassen. Damit hatte er den Mund der
Patienten offen gehalten, wenn er Zähne behandelt oder ähnliche
Dinge getan hatte. Die Klammer verhinderte, dass sie ihn aus
Schmerz oder Panik bissen.
Als es an der Tür klopfte, verließ der Mann den
Raum, und
einen Augenblick später kehrte er mit der Tasche ihres Vaters
zurück. Sie bat ihn, den Tisch neben dem Bett abzuräumen, und
während er das tat, nahm sie die allgemeine Untersuchung vor; ihr
Vater hatte stets das Herz und die Atemrhythmen der Patienten
beobachtet, bevor er solche Eingriffe vorgenommen hatte. Als der
Tisch abgeräumt war, öffnete sie die Tasche und nahm Instrumente,
Salben und ein beruhigendes Stärkungsmittel heraus.
»Du solltest dies hier zuerst einnehmen«, erklärte
Tessia der Frau und gab ihr das Stärkungsmittel. »Dann musst du
dich auf die Seite legen. Gleich hier auf die Bettkante. Leg Kissen
hinter dich und unter deinen Kopf. Blut und Speichel werden
hinauslaufen, daher werdet ihr das Bett sicher mit Tüchern schützen
und eine Schüssel auf den Boden stellen wollen.« Die beiden folgten
ihren Anweisungen, ohne Fragen zu stellen, was sie aus irgendeinem
Grund verunsicherte. Sie verließen sich auf sie. Was, wenn sie es
falsch machte?
Denk nicht darüber nach. Handele
einfach.
Eingedenk des Rates ihres Vaters,
Familienmitglieder mit einzubeziehen, wies sie den Mann an, eine
betäubende Salbe auf die Innenseite und die Außenseite der Wange
der Frau zu streichen. Dies hatte den zusätzlichen Vorteil, dass
Tessias eigene Hände nicht ebenfalls von der Salbe betäubt
wurden.
Sie nahm mehrere Klingen heraus und überprüfte
deren Schärfe, aber als sie den Brenner aus der Tasche holte, hörte
sie Paova wimmern. Sie blickte auf und stellte fest, dass die
Atmung der Frau sich plötzlich beschleunigt hatte. Paovas Blick war
auf die Klingen gerichtet. Ein Stich des Mitgefühls durchzuckte
Tessia.
»Es wird alles gut«, erklärte sie der Frau. »Es
wird wehtun. Was das betrifft, will ich dich nicht belügen. Aber
die Salbe hilft, und ich werde so schnell machen, wie ich kann. Du
wirst es bald hinter dir haben, und dann wirst du nur noch einen
säuberlich genähten Schnitt im Mund haben.«
Die Atmung der Frau verlangsamte sich ein wenig.
Ihr Mann setzte sich hinter sie aufs Bett und begann ihre Schultern
zu massieren. Tessia holte tief Luft und wählte eine Klinge
aus. Dann wurde ihr bewusst, dass sie noch keins der Instrumente
über der Flamme gereinigt hatte.
Und ihr wurde klar, dass sie nicht mehr allzu lange
zögern durfte, denn dann würde die Furcht die Oberhand über die
Vernunft gewinnen.
Kein Problem, dachte sie, und mit einem
geringen Aufwand an Willen und Magie sterilisierte sie die Klinge,
die sie in der Hand hielt. Dann machte sie sich ans Werk.
Es war nicht leicht, aber es geschah auch nichts
Unerwartetes oder Katastrophales. Nach einer halben Stunde hatte
sie den Klumpen abgelöst, die Wunde vernäht und eine schützende
Paste aufgetragen. Dann überprüfte sie noch einmal die Rhythmen der
Frau und erklärte, dass ihre Arbeit erfolgreich gewesen sei. Als
die Frau sich auf den Rücken drehte, erschöpft von Angst und
Schmerz, stand Tessia auf und taumelte. Ihr war plötzlich
schwindlig vor Erschöpfung.
»Setz dich.«
Sie blinzelte überrascht, als sie Jayans Stimme
hörte. Sie hatte ganz vergessen, dass er da war. Er bot ihr einen
kleinen, hölzernen Hocker an. Dankbar ließ sie sich nieder, und
sofort ebbte der Schwindel ab. Sie zog die Tasche ihres Vaters
näher heran, stöberte darin und nahm einen vertrauten Wundreiniger
heraus.
»Hast du einen sauberen kleinen Krug mit einem
Deckel?«, fragte sie den Ehemann. »Und eine Schale sauberes
Wasser?«
Der Mann förderte die gewünschten Dinge zutage, und
sie stellte sicher, dass der Krug sauber war, indem sie ihn in das
Wasser tauchte, das sie mit Magie hatte aufkochen lassen. Der Mann
beobachtete sie gelassen und ohne jedweden Kommentar, als sei es
etwas ganz Gewöhnliches, dass das Wasser von selbst zu kochen
begann.
Dann gab sie einige Tropfen des Reinigungsmittels
in eine abgemessene Menge Wasser. Sie belehrte den Mann über die
Anwendung und erklärte ihm, wann er die Nähte aufschneiden und
entfernen solle. Er holte einen Beutel hervor, und sie hörte das
Klappern von Münzen.
»Nein, du brauchst mich nicht zu bezahlen«, sagte
sie.
»Aber wie sonst kann ich dich für deine Mühe entlohnen?«, fragte
er.
»Dein ganzes Dorf versorgt uns mit Nahrung und
Quartieren. Das belastet gewiss euer aller Vorräte. Außerdem wäre
mein Meister nicht einverstanden damit, wenn ich dafür Geld
nähme.«
Widerstrebend steckte er den Beutel wieder ein.
»Dann werde ich dafür sorgen, dass ihr beide zum Abendessen einen
meiner fettesten Rassooks bekommt«, erwiderte er lächelnd.
»Also, das könnte ich nicht so leicht
ablehnen«, stellte sie mit einem Lächeln fest. »Und jetzt sollten
wir besser zurückkehren, falls unser Meister uns braucht.«
Sie blickte auf Paova hinab. Die Frau schlief; ihr
Mund war geschlossen und ihr Gesicht entspannt. »Und vergiss nicht,
kein Dunda mehr.«
»Ich werde es nicht vergessen. Wann immer sie
doch...« Er zuckte die Achseln. »Ich werde tun, was ich kann, um
ihr beim Aufhören zu helfen.«
In behaglichem Schweigen gingen sie erschöpft zu
den übrigen Meisterschülern zurück. Nach den Schatten der Bäume zu
urteilen, vermutete sie, dass nur wenige Stunden verstrichen waren.
Paovas Mann brachte auf ihre Bitte hin die Tasche ihres Vaters in
Crannins Haus statt zu den Ställen. Wenn das nächste Mal jemand
einen Blick hineinwarf, würde er vielleicht nicht so vernünftig
oder respektvoll mit dem Inhalt umgehen.
Als sie sich den Meisterschülern näherten, wurde
ihr bewusst, dass Jayan sie beobachtete, und sie sah ihn an. Er
musterte sie mit fragender Miene.
»Was ist?«, fragte sie.
»Ich, ah, ich bin beeindruckt«, antwortete er
errötend. »Was du dort getan hast... Ich hätte sie als unrettbar
aufgegeben.«
Sie spürte, dass ihr Gesicht warm wurde. Er
erkannte ihre Fähigkeiten an, wie sie es sich gewünscht hatte, aber
aus irgendeinem Grund triumphierte sie nicht. Es war ihr nur …
peinlich.
»Es hat lediglich beeindruckend ausgesehen«,
antwortete
sie und wandte den Blick ab. »Aber eigentlich war es einfach. Eine
alltägliche Arbeit.«
»Ah«, sagte er in einem Tonfall, als leuchteten ihm
ihre Worte ein.
Nein, es war nicht einfach! hätte sie gern
gesagt. Ich weiß nicht, warum ich das gesagt habe! Aber
seine Aufmerksamkeit hatte sich bereits den anderen Meisterschülern
zugewandt, und selbst wenn ihr eine Möglichkeit eingefallen wäre,
wie sie sich hätte korrigieren können, ohne wie eine Närrin zu
klingen, wäre es jetzt zu spät dafür gewesen.
Als die Magier aus Crannins Haus kamen, färbten
bereits die letzten Sonnenstrahlen die obersten Blätter des Waldes.
Ein Festmahl begann, serviert auf behelfsmäßigen Tischen im Freien
und erhellt durch zahlreiche Fackeln und Lampen. Als man Tessia und
Jayan jeweils einen großen, fetten Rassook vorsetzte, machte Jayan
die Bemerkung, dass Tessia eindeutig großartig mit den
Dorfbewohnern umgehen könne und es ihn nicht überraschen würde,
wenn sie mit ihrem Charme Taschendiebe dazu bewegen könnte, Geld
in ihre Börse zu stecken.
Erst nachdem die Mahlzeit vorüber war, fand Dakon
einen Moment Zeit für ein persönliches Gespräch mit Jayan und
Tessia. Er führte sie vom Haupttisch weg, ging zum Ende des Dorfes
hinunter und dann wieder zurück. Wie die Dorfbewohner, Magier,
Meisterschüler und Diener lachten, schwatzten und tranken, hätte
man den Eindruck gewinnen können, es sei ein Festtag. Aber es
machte den Schmerz und die Schuldgefühle über den Verlust Mandryns
nur noch schwerer zu ertragen. Er wandte sich zu Tessia und Jayan
um. Beide wirkten müde, obwohl sie den Tag nicht im Sattel
verbracht hatten.
»Also, was könnt Ihr uns erzählen?«, fragte Jayan,
und obwohl er leise sprach, war die Anspannung in seiner Stimme
deutlich zu hören.
Dakon seufzte. Wie viel kann ich ihnen
erzählen? Die Magier waren übereingekommen, dass Geheimhaltung
für den Erfolg ihrer Pläne notwendig sei, aber aus den Bemerkungen
einiger von ihnen ging hervor, dass sie die Absicht hatten, ihre
Meisterschüler
dennoch in groben Zügen einzuweihen. Dakon hielt es nicht für
gerecht oder weise, einen Meisterschüler in Gefahr zu bringen, ohne
dass dieser davon wusste.
»Wir werden Mandryn wieder aufbauen«, stellte er
fest.
Zwei Paar Augenbrauen zuckten in die Höhe.
»Aber...« Jayan hielt inne, um zu Tessia
hinüberzuschauen. »Aber wer wird dort leben? Fast alle sind
tot.«
»Die Menschen werden aus anderen Teilen des Lehens
kommen oder aus anderen Lehen, sobald bekannt wird, dass keine
Gefahr mehr droht. Und wir werden irgendwann einen Ort zum Leben
brauchen.«
»Irgendwann«, wiederholte Jayan. »Und in der
Zwischenzeit?«
»Kümmern wir uns um die Sachakaner.« Dakon zuckte
die Achseln. »Was natürlich bedeutet, dass wir sie finden und dann
aus Kyralia vertreiben müssen. Außerdem müssen wir Wachen auf den
Bergpässen postieren, um sicherzustellen, dass sie nicht
zurückkehren.«
»Sie vertreiben?« Tessia blickte überrascht drein.
»Ihr wollt sie nicht töten?«
Er sah sie an und fragte sich, ob sie enttäuscht
oder wütend war. Ob sie Rache wollte. Sie erwiderte seinen Blick,
aber ihre Miene wurde unsicher.
»Nein, wir werden sie nicht töten, es sei denn, sie
zwingen uns dazu«, antwortete Dakon. »Werrin sagt, der König
befürchte, ein solcher Schritt unsererseits würde Takado nur noch
mehr Unterstützung eintragen. Selbst wenn das nicht der Fall wäre,
würden Verwandte jener Magier, die wir töten, vielleicht Rache
suchen. Und wir wären verpflichtet, Gerechtigkeit für weitere Tode
zu suchen. Daraus könnte ein Kreislauf von Vergeltung erwachsen.«
Er verzog das Gesicht. »Ein solcher Teufelskreis könnte der Anfang
eines Krieges sein.«
Seine beiden Meisterschüler nickten, und er hoffte,
dass diese Geste Verstehen bedeutete.
Was wäre mir lieber? fragte er sich.
Würde ich um der Vergeltung für den Verlust Mandryns willen
einen Krieg riskieren? Oh, ich will Gerechtigkeit für den Tod
meiner Leute, für die Zerstörung
des Hauses, in dem ich aufgewachsen bin. Der Gedanke an die
seltenen, unersetzlichen Bücher, die verbrannt waren, schmerzte,
aber nicht so sehr wie der Gedanke an gewöhnliche Männer, Frauen
und Kinder, die in seiner Abwesenheit gefoltert und niedergemetzelt
worden waren. Diener, die er so lange gekannt hatte, dass sie wie
Familienangehörige gewesen waren. Menschen, die seinen Vater
gekannt und geliebt hatten. Was für eine jämmerliche Feigheit zu
warten, bis ich fort war. Oder hatte Takado keine Ahnung, dass ich
nicht da war? Nun, der König hätte gewiss nicht solches
Widerstreben gezeigt, dass wir irgendwelche Sachakaner töten
könnten, wenn ein Mitglied einer der mächtigsten Familien Kyralias
ermordet worden wäre. Das wäre ein kriegerische Akt
gewesen.
Dakon verstand jedoch die Vorsicht des Königs. Die
Sachakaner würden es höchstwahrscheinlich begrüßen, wenn Kyralia
einige ihrer missliebigen Ichani einfing und aus dem Land warf.
Aber wenn Kyralier es wagten, Sachakaner zu töten, lediglich weil
sie ein einziges kleines Dorf angegriffen und einfache Leute
niedergemetzelt hatten, könnten die Sachakaner zu dem Schluss
kommen, das Kaiserreich müsse seinen Nachbarn auf seinen Platz
verweisen.
Und wenn der sachakanische Kaiser sein Volk
wirklich so schlecht im Griff hatte, wie man munkelte, würde nicht
einmal er in der Lage sein, sie aufzuhalten.