32
In einem großen, umfriedeten Innenhof eines
der prächtigeren Häuser von Calia hatten sich zwölf Lehrlinge zu
sechs Paaren zusammengefunden. Sie übten sich abwechselnd darin,
einander magisch zu unterstützen. Es wurden nur kleine Mengen an
Magie übertragen, und um die Übung interessanter zu gestalten, ließ
Dakon sie zerbrochene Dachpfannen von dem oberen Rand der hinteren
Mauer herunterziehen.
Jayan, der am Eingang zum Innenhof lehnte, seufzte.
Nur drei Magier hatten sich freiwillig erboten, Ardalens Trick den
Magiern und Meisterschülern zu veranschaulichen, die am Tag zuvor
eingetroffen waren. Auf diese Weise wurde etwas, das
eine schnelle Übung hätte sein sollen, zu einer ganztägigen
Aufgabe. Sie hätten die Magier am Vormittag mühelos in Ardalens
Technik einweisen können. Am Nachmittag hätten sie sich die
Meisterschüler vorgenommen. Doch viele der Magier hatten sich gegen
die Idee gewehrt, dass andere Magier ihre Meisterschüler
unterrichteten. Dakon hatte Jayan erzählt, dass er zwar die meisten
von ihnen von den Vorteilen hatte überzeugen können, dass einige
dieser Magier jedoch erst zugestimmt hatten, als Sabin ihnen seine
Sicht der Dinge erläutert hatte. Die Familien der Meisterschüler
würden es vielleicht nicht wohlwollend aufnehmen, wenn ihre Söhne
und Töchter in der Schlacht ihr Leben ließen, weil ihnen eine
Fähigkeit vorenthalten worden war, zu der alle anderen Zugang
gehabt hatten.
Es war jedoch nicht so einfach gewesen, die
Meisterschüler zu unterrichten. Einige von ihnen hatten ihre
Ausbildung gerade erst aufgenommen, und zwei hatten noch nicht
einmal die volle Kontrolle über ihre Kräfte erlangt.
Als ein unerfahrener Meisterschüler dem jungen
Mann, dem er Magie zu übertragen versuchte, versehentlich
Brandwunden zufügte, hatte Dakon beschlossen, die drei Gruppen neu
zu ordnen, indem er sie nach ihrer jeweiligen Erfahrung einteilte:
Eine Gruppe von Meisterschülern, die die Ausbildung erst jüngst
begonnen hatten, eine für jene, die seit einigen Jahren dabei
waren, und eine für jene, die kurz davor standen, ihre
Meisterschaft zu erlangen. Dakon hatte selbst die unerfahrene
Gruppe übernommen, und sie hatte erheblich länger gebraucht als die
anderen.
Jayan fand das Unterrichten sowohl zermürbend als
auch lohnend. Das hing ganz von dem jeweiligen Meisterschüler ab.
Einige waren aufmerksam und talentiert, andere waren es nicht. Die
Arbeit mit Ersteren war befriedigend, aber er stellte auch fest,
dass es ihm große Genugtuung bereitete, wenn es ihm gelang, ein
Mitglied der letzten Gruppe so lange zu ermutigen - oder zu
schikanieren -, bis es etwas begriff.
Ich dachte immer, dass ich es so lange wie
möglich hinauszögern würde, einen Meisterschüler anzunehmen, aber
jetzt erkenne ich, dass es Vorteile gibt - abgesehen von dem
Zugewinn an Macht.
Die unerfahrenen Meisterschüler waren im Alter
zwischen zwölf - und damit viel jünger als üblich - und achtzehn.
Er vermutete, dass die älteren der neuen Meisterschüler ausgewählt
worden waren, weil ihre Meister es vorzogen, jemanden aus ihrer
eigenen Familie zu unterrichten.
Einer der Meisterschüler, der einem anderen Macht
übertrug, heulte plötzlich auf, dann drehte er sich um und
betrachtete die anderen Paare argwöhnisch. Eine junge Frau - die
einzige in der Gruppe und eine von zweien, die mit der Verstärkung
eingetroffen waren - versuchte, ihr Grinsen zu verbergen, aber ihr
Opfer kannte sie offensichtlich gut genug, um zu ahnen, woher der
Angriff gekommen war. Jayan vermutete, dass sie ihm einen kleinen
magischen Stich versetzt hatte. Das Opfer und der Meisterschüler,
dem er gerade Macht übertrug, tauschten einen Blick, dann runzelten
beide finster die Stirn.
Jayan sah Dakon an. Sein Meister beobachtete, wie
die Ziegel von der Mauer flogen, und hatte den Zwischenfall
wahrscheinlich nicht bemerkt.
Ein leises Lachen des Triumphs erklang, diesmal von
dem Gefährten des vorherigen Opfers. Einen Moment später heulte das
Mädchen auf. Sie drehte sich um und funkelte die beiden wütend an.
Als er den Zorn und die Berechnung in ihren Augen sah, fand Jayan,
es sei an der Zeit einzugreifen.
Bevor er die Chance hatte, etwas zu sagen, kam ein
Bote in den Hof geeilt und blieb vor Dakon stehen. Er sprach leise
auf Dakon ein, und dieser nickte. Als der Bote wieder ging, drehte
Dakon sich zu der Gruppe um.
»Ich denke, das genügt jetzt. Ihr scheint es alle
verstanden zu haben. Wenn ihr eine Gelegenheit habt, übt das
Gelernte, aber benützt nur kleine Mengen an Macht. Ihr dürft zu
euren Meistern zurückkehren.« Er ging auf den Eingang des Innenhofs
zu und lächelte kläglich, als er an Jayan vorbeikam. »Noch eine
Zusammenkunft. Wirst du Tessia Bescheid geben, wenn sie
zurückkehrt?«
»Natürlich.«
Die Meisterschüler hatten sich zu einer Gruppe
zusammengeschart,
und als Dakon durch das Tor trat, gingen sie ebenfalls auf den
Eingang zu. Jayan schienen sie nicht zu bemerken - bis auf die
junge Frau. Sie war seiner Schätzung nach zwei oder drei Jahre
jünger als er. Eine gut aussehende junge Frau, aber die Art, wie
sie ihn anlächelte, machte klar, dass sie sich dessen vollauf
bewusst war.
»Meister Jayan, nicht wahr? Ich höre, Ihr wart bei
der Schlacht in Tecurren dabei«, sagte sie und blickte ihn unter
langen Wimpern an.
»Meisterschüler Jayan«, korrigierte er sie. »Und
ja, ich war dabei.«
Als sie den Kopf zur Seite legte und ihn abermals
anlächelte, stieg eine unerwartete Woge von Ärger und Abscheu in
ihm auf. Er kannte diesen Blick. Er war genug weiblichen Magiern
begegnet, um zu wissen, wann eine von ihnen ihn taxierte.
»Wie war es denn?« Ihre Augen weiteten sich. »Es
muss so beängstigend gewesen sein.«
»Wir wussten, dass sie in der Minderzahl war und
wir wahrscheinlich siegen würden.« Er zuckte die Achseln.
Sie trat in den Eingang und blickte hinaus. Die
Gasse war verlassen. »Schaut nur. Sie haben sich nicht die Mühe
gemacht, auf mich zu warten. Begleitet Ihr mich zur
Versammlungshalle?« Sie legte eine Hand um seinen Ellbogen. »Ihr
könnt mir unterwegs alles über die Schlacht erzählen.«
Er nahm ihre Hand und löste sie von seinem
Arm.
Ihre Augen blitzten vor Zorn, aber dann wurde ihre
Miene wieder weicher, und sie nickte, als habe er sie gescholten.
»Das war zu freimütig von mir. Ich habe nur versucht, freundlich zu
sein.«
Ein weiteres Aufblitzen von Ärger.
»Ach ja?«, fragte er, bevor er sich daran hindern
konnte.
Sie runzelte die Stirn. »Natürlich. Was sollte ich
denn sonst getan haben?«
Er schüttelte den Kopf. »Wir sind im Krieg, nicht
auf einem Fest. Dies ist nicht die Stadt. Nicht der Ort, um... um
zu flirten und nach einem Ehemann Ausschau zu halten. Oder einem
Geliebten.«
Sie verdrehte die Augen. »Das weiß ich, aber...«,
begann sie.
»Und hier sind noch andere junge Frauen. Jüngere,
weniger erfahrene Frauen. Ist dir bewusst, wie deine
›Freundlichkeit‹ auf sie wirken könnte? Dass du junge, männliche
Meisterschüler damit vielleicht ermunterst zu denken, alle
weiblichen Magier seien... leicht zu haben? Oder sollen ältere
Magier annehmen, Frauen seien zu töricht und zu flatterhaft, um
gute Magier abzugeben?«
Ihre Augen weiteten sich vor Erstaunen. Sie öffnete
den Mund, dann schloss sie ihn wieder. Schließlich wurden ihre
Augen schmal, und sie sprach mit zusammengebissenen Zähnen.
»Du bildest dir zu viel ein, Meisterschüler
Jayan.«
Sie reckte das Kinn vor und stolzierte aus dem
Innenhof. Dann blieb sie stehen und blickte über ihre Schulter.
»Junge Männer werden immer törichte Ideen über junge Frauen im Kopf
haben, ganz gleich, wie züchtig oder freundlich diese sind.
Das hast du gerade selbst bewiesen. Bevor du anderen Schuld
zuweist, schau dich einmal selbst gründlich an. Du wärest
vielleicht überrascht festzustellen, wer hier eigentlich die
Törichten, Flatterhaften sind.«
Dann stolzierte sie davon.
Jayan holte tief Luft und seufzte. Der Ärger über
ihre Koketterie war schnell verebbt, und jetzt schämte er sich für
seinen Ausbruch.
»Nun, das war unterhaltsam.«
Die Stimme erklang irgendwo hinter ihm. Als er sich
umdrehte, sah er Tessia an der Tür des Hauses stehen, dann zuckte
er zusammen, als ihm bewusst wurde, dass sie vielleicht nur das
Ende des Wortwechsels gehört hatte.
»Ich habe etwas dagegen, wie ein Losgewinn taxiert
zu werden«, erklärte er. »Wenn sie meinen Vater kennen würde, wäre
sie nicht gar so versessen auf meine Blutlinien.«
Tessia lächelte und kam auf ihn zu. »Es sind nicht
deine Blutlinien, auf die sie versessen ist. Hast du die
Möglichkeit in Betracht gezogen, dass sie es auf dich abgesehen
haben
könnte? Anscheinend bist du - das versichern mir zumindest Avarias
Freundinnen - ein recht gut aussehender Mann. Außerdem hast du eine
Schlacht miterlebt, was dir eine gewisse Art von Ruhm verleiht, zu
der manche Frauen sich hingezogen fühlen.«
Er starrte sie an, außerstande, sich auf eine
Antwort zu besinnen, die nicht töricht oder eitel klingen würde.
Sie lächelte.
»Nun, es freut mich, dass das für mich nicht gilt,
wenn das die Art ist, wie du auf dergleichen Dinge reagierst.« Sie
sah sich auf dem Innenhof um. »Wie ist der Unterricht
gelaufen?«
Erleichtert über den Themenwechsel, deutete er mit
dem Kopf zum Eingang des Innenhofs, dann traten sie beide hindurch
und gingen auf die Hauptstraße zu. »Sie haben ein Weilchen
gebraucht, aber ich denke, die meisten von ihnen haben es
verstanden.«
Sie seufzte. »Dakon gibt endlich eine weitere
Lektion, und es ist etwas, das ich bereits kenne.« Sie verzog das
Gesicht. »Wir werden nicht mehr viele Lektionen bekommen, nicht
wahr?«
Er schüttelte den Kopf. »Nicht jetzt, da Dakon
einer der Ratgeber der Armee ist. Wann immer wir nicht reiten oder
kämpfen, wird er bei Versammlungen sein.«
»So kurz vor dem Ende deiner Ausbildung muss das
furchtbar frustrierend sein.«
»Das ist es auch. Aber wenn ich fertig wäre, wäre
ich vielleicht nur für Wochen oder Tage ein höherer Magier. Und so
hat Dakon zumindest zwei Meisterschüler, von denen er Stärke
beziehen kann.«
»Aber wenn du ein höherer Magier wärest, hättest du
deine eigene Quelle, und die Armee hätte einen weiteren Kämpfer.«
Sie lachte leise. »Und die Frauen hätten noch mehr Grund, dich mit
ihrer Koketterie und ihrem Interesse zu verärgern.« Sie hielt inne
und sah ihn an. »Es würde mich nicht überraschen, wenn Dakon dich
aus genau diesem Grund schon bald in die höhere Magie einweihen
würde.«
Jayans Herz setzte einen Schlag aus. Sie konnte
recht haben. Aber die Möglichkeit weckte in ihm ein unerwartetes
Widerstreben.
Warum? Habe ich Angst davor, auf eigenen Füßen zu stehen? Die
Verantwortung für mein eigenes Leben zu tragen?
Tessia lächelte ihn wissend an. Ich habe ihr nie
erzählt, dass die Verzögerung der Beendung meiner Ausbildung mich
enttäuscht, dachte er. Sie versteht mich. Und ich denke, sie
hat endlich aufgehört, mich zu hassen.
Und dann wurde ihm mit einem Mal klar, warum es ihm
widerstrebte, seine Ausbildung bei Dakon zu beenden. Es würde ihn
von Tessia fortbringen.
Er blinzelte überrascht. Ist das wirklich der
Grund? Empfinde ich tatsächlich so für sie? Er verspürte ein
eigenartiges Gefühl, sowohl angenehm als auch schmerzhaft.
Erstaunlich, dass die Bewunderung, die er immer für sie empfunden
hatte, plötzlich durch dieses neue Bewusstsein verstärkt wurde.
Dann fiel ihm wieder ein, was sie zuvor gesagt hatte.
»Verleiht dir eine gewisse Art von Ruhm, zu der
manche Frauen sich hingezogen fühlen... Nun, es freut mich, dass
das für mich nicht gilt...«
Mutlos ließ er die Schultern sinken.
Es war möglich, dass seine Gefühle sich verändert
hatten. Dann ist es auch möglich, dass ihre Gefühle sich
verändern. Er schob den Gedanken beiseite. Nein. Belass es
dabei. Der Krieg ist keine gute Zeit, um allzu viel für
irgendjemanden zu empfinden oder sich zu wünschen, dass ein anderer
solche Gefühle entwickelt. Irgendwann könnte einer von uns sterben.
Ich möchte es lieber nicht noch schmerzlicher machen - für keinen
von uns. Tatsächlich wäre sie besser dran, wenn sie mich hasste.
Was ein Glück ist, denn ich verstehe mich sehr gut darauf, Frauen
dazu zu bringen, genau das zu tun.
Als Hanara auf das Haus zuging, das Takado in dem
winzigen Dorf für sich beschlagnahmt hatte, kam er an zwei Sklaven
vorbei. Sie trugen die Überreste des Rebers fort, der für das
abendliche Mahl geröstet worden war. Er hielt inne, trat hastig
einen Schritt näher und griff sich einen großen Brocken Fleisch.
Nur die Hälfte des Tieres war verzehrt worden, wie ihm auffiel,
daher würden die Sklaven heute Abend gut essen
können. Aber Takado war häufig bis spät in die Nacht wach, um mit
seinen engsten Verbündeten über ihre Strategie zu reden; wenn
Hanara und Jochara sich daher nicht nahmen, was sie konnten, war
nichts mehr übrig, wenn Takado sich für die Nacht zurückzog.
Er nagte weiter an dem Fleisch, während er auf das
Haus zueilte, wo er eine Flasche Wein aus dem Vorrat nahm, den er
im Keller des Hauses gefunden hatte. Er hielt kurz inne, um das
Fleisch aufzuessen, wobei er hastig kaute und schluckte, damit er
sich das Fett von den Händen wischen und das Risiko vermeiden
konnte, die Flasche auf dem Rückweg fallen zu lassen.
Um die verlorene Zeit wieder wettzumachen, rannte
er zurück. Nur Takados drei engste Verbündete saßen noch an dem
Lagerfeuer, das sie in der Mitte der Straße errichtet hatten:
Rokino, sein alter Freund, der Ichani Dachido, und Asara.
Hanara warf sich zu Boden und hielt die Flasche
hoch. Im letzten Moment wurde sie ihm aus der Hand genommen. Takado
sagte nichts. Nach einer kurzen Wartezeit kroch er auf allen vieren
rückwärts, dann setzte er sich auf die Unterschenkel und schaute
sich um. Jochara war nirgends zu sehen.
»Du hast nicht genug Sklaven«, sagte Asara und
blickte zu Takado hinüber. »Ein Anführer sollte mehr Sklaven haben
als jeder andere.«
Takado zuckte die Achseln. »Ich könnte versuchen,
ein paar mehr herbeizuholen, aber ich kann nicht selbst reisen, und
diejenigen, denen ich die Aufgabe anvertrauen würde, brauche ich
hier. Es wäre für sie auch beleidigend, wenn ich darum bäte.«
»Dann nimm einen von meinen Sklaven«, erbot sich
Asara. »Nein, nimm zwei.« Sie drehte sich um und rief: »Chinka!
Dokko!«
Takado blickte über seine Schulter und sah Hanara
mit nachdenklicher, erheiterter Miene an. »Du würdest mir besser
dienen, wenn ich dich nicht ständig so beanspruchen würde, Hanara,
oder?«
Hanara beugte sich vor, um die Stirn auf den Boden
zu drücken.
»Mein Leben gehört Euch, und Ihr könnt es benutzen, wie Ihr
wünscht«, sagte er.
Die Frau lachte. »Ah, da kommen sie.«
Hanara riskierte einen schnellen Blick und sah,
dass Takados Aufmerksamkeit nicht länger ihm galt. Alle vier Magier
betrachteten die zwei Sklaven, die sich vor Asara auf den Boden
geworfen hatten. Eine Frau, hager und stark, und ein großer,
muskulöser Mann.
»Das sind zwei meiner besten«, erklärte Asara
stolz. »Sie sind in guter Verfassung. Chinka hat früher in den
Küchen gearbeitet, aber sie ist auch sonst sehr nützlich; sie kann
putzen, Kleider und Schuhe flicken, geringfügige Verletzungen
behandeln, leichte Lasten tragen und andere allgemeine Aufgaben
erledigen. Dokko ist ein guter Handwerker - nützlich für mehr als
nur schwere Arbeit -, und er kann gut mit Pferden umgehen.« Sie
wandte sich wieder zu Takado um. »Wobei es mich überrascht, dass du
dir noch keine zugelegt hast. Mit Pferden würden wir schneller
vorankommen.«
»Ach ja?« Takado schüttelte den Kopf. »Pferde
brauchen Futter, Ruhe und Sklaven, die sich um sie kümmern. Und
solange wir keine Pferde für unsere Sklaven haben, werden wir nicht
schneller reisen können, als wir es jetzt tun.«
»Aber wir brauchen unsere Sklaven nicht immer bei
uns zu behalten. Wir könnten zügig und ohne Vorwarnung angreifen
und zu ihnen zurückkehren.«
Takado nickte. »Ja, es gibt Zeiten, da das Risiko,
sie allein und verletzbar zurückzulassen, sich als lohnend erweisen
wird. Für den Augenblick ziehe ich es vor, mich nicht um Pferde
kümmern zu müssen.«
»Das müsstest du auch nicht, wenn du meine Sklaven
nimmst.«
Takado verfiel in Schweigen, und seine Miene war
nachdenklich. Hanara hielt den Atem an. Wie würden zwei weitere
Sklaven seine eigene Situation verändern? Es würde weniger Arbeit
geben. Es wäre ihm gewiss willkommen, weniger tragen zu müssen,
obwohl das vielleicht nicht so bleiben würde, wenn Takados
Besitztümer sich vermehrten. Aber Hanara besaß
keine Fähigkeiten, die die Muskeln und das Geschick des Mannes
oder die Nützlichkeit der Frau wettmachen konnten. Und wenn Takado
die Frau mit in sein Bett nahm …
Aber ich bin ein Quellsklave, dachte er.
Allein deswegen werde ich immer einen höheren Rang
bekleiden.
Takado nickte. »Ich nehme dein Angebot an. Ich
danke dir, Asara. Ein aufmerksames Geschenk. Es sind offensichtlich
wertvolle Sklaven, die du da verlierst.«
Die Frau machte eine anmutige Handbewegung. »Ich
werde sie vermissen, aber ich erkenne jetzt, dass ich zu viele
Sklaven mitgenommen habe. Du brauchst sie dringender als
ich.«
»Chinka. Dokko«, sagte Takado. »Steht auf und setzt
euch hinter Hanara.«
Während die beiden gehorchten, hielt Hanara den
Blick gesenkt. Er hörte, wie sie sich hinter ihm niederließen.
Einen Moment lang dachte er, einer der beiden hätte sich Takados
Befehl widersetzt und neben ihm Platz genommen, aber als er
aufblickte, sah er, dass Jochara zurückgekehrt war. Der junge Mann
trug eine Metallröhre mit der Karte von Kyralia, die Takado
mitgebracht hatte.
»Ihr werdet beide - und das gilt auch für dich,
Jochara - Hanaras Befehlen Folge leisten, es sei denn, sie
widersprächen meinen. Habt ihr verstanden?«
Alle drei murmelten einige bestätigende Worte.
Hanara starrte mit großen Augen auf den Boden. Er hat mir die
Verantwortung übertragen! Sein Herz begann zu hämmern. Es war
eine erschreckend große Verantwortung. Was ist, wenn sie mir
nicht gehorchen? Was, wenn sie etwas falsch machen? Werde ich dafür
bestraft werden?
Eine unvertraute Stimme durchbrach seine von Panik
erfüllten Gedanken.
»Magier... kommen...«, keuchte ein Sklave, noch
während er sich zu Boden warf. »Viele. Schnell. Magier vom
Kai...ser. Tragen Ringe.«
Die Magier hatten sich nicht gerührt, aber ihr
Lächeln war verschwunden. Keiner von ihnen sprach die Sorgen aus,
die ihnen ins Gesicht geschrieben standen. Hatte der Kaiser Truppen
geschickt, um Takado aufzuhalten? Würden sie angreifen? Von den
Spähern vor dem Dorf kamen Pfiffe.
Takado erhob sich. Er blaffte Befehle und schickte
Hanara und die anderen Sklaven davon, um alle Magier zu
verständigen, auch die Sklaven jener Magier, die bereits schliefen,
da diese Sklaven am besten wussten, wie sie ihre Herren wecken
konnten. Schon bald drängten sich Magier und Sklaven auf der Straße
zusammen. Hanara hielt sich einen Schritt hinter Takado. Dachido
und Asara standen links und rechts von Takado.
Interessant, dachte Hanara. Rokino kennt
Takado am längsten, aber er ist ein Ichani. Dachido und Asara
stehen im Rang über ihm und sind erheblich klüger als Takados
Ichani-Freunde. In letzter Zeit schätzt Takado ihre Gesellschaft
und ihre Meinung höher als die der anderen.
Während die Nachzügler sich der Schar um Takado
anschlossen, kam eine große Gruppe von Männern um eine Biegung in
der Straße geritten. Lichtkugeln schwebten über ihnen und ließen
ihre Waffen und die perlenbesetzten Kleider glitzern. Hanara hielt
Ausschau nach den Ringen des Kaisers und bemerkte hie und da ein
Funkeln von Gold.
Es mussten mindestens vierzig Magier sein. Von
ihren Sklaven war nichts zu sehen.
Der Mann an der Spitze der Gruppe war
hochgewachsen, faltig und hatte weiße Strähnen in seinem dunklen
Haar. Er führte die Männer näher heran und blieb in zehn Schritten
Entfernung stehen. Mit durchgedrücktem Rücken und hocherhobenem
Kopf ließ er den Blick über Takados Leute gleiten, bis er seine
Aufmerksamkeit wieder auf Takado selbst richtete.
»Kaiser Vochira sendet seine Grüße«, sagte er. »Ich
bin Ashaki Nomako.«
»Willkommen, Ashaki Nomako«, erwiderte Takado.
»Soll ich dem Kaiser meine Grüße durch Euch übermitteln lassen,
oder habt Ihr die Absicht, zu bleiben und Euch uns
anzuschließen?«
Irgendwie gelang es dem Mann, sich noch höher
aufzurichten.
»Kaiser Vochira hat beschlossen, die Bemühungen, Kyralia wieder
unter den Einfluss des Reiches zu bringen, zu unterstützen, und er
hat mir den Befehl gegeben, Euch alles an Hilfe zur Verfügung zu
stellen, was benötigt wird, einschließlich dieser Armee von Sachaka
treu ergebenen Magiern.«
»Das ist überaus großzügig von ihm«, sagte Takado.
»Mit Eurer Hilfe können wir Kyralia schneller erobern und mit
geringerer Gefahr für meine Gefährten. Wenn die Eroberung mit der
Unterstützung des Kaisers stattfindet, umso besser. Unterstützt der
Kaiser auch meine Führung dieser Armee?«
»Selbstverständlich«, antwortete Nomako. »Ehre, wem
Ehre gebührt, das ist sein Motto.«
»Dann seid mir doppelt willkommen«, sagte Takado.
Er trat vor, überwand den Abstand zwischen ihnen und streckte die
Hand aus. Nomako saß ab und ergriff sie. Dann ließen beide Männer
die Hände sinken, und Takado deutete mit dem Kopf auf Nomakos
Gefolgschaft. »Habt Ihr schon gegessen? Wir haben früher am Abend
einen ganzen Reber geröstet, und es ist vielleicht noch etwas davon
übrig.«
»Nicht nötig«, antwortete Nomako. »Wir haben bei
Sonnenuntergang gegessen. Unsere Sklaven warten darauf, dass wir
nach ihnen schicken...«
Während Nomako über praktische Angelegenheiten
sprach, fiel Hanara auf, dass der Blick des Mannes sich veränderte,
wann immer Takado wegsah. Berechnend, dachte Hanara. Er
ist nicht hierhergekommen, weil er mit Takado übereinstimmt. Wir
wussten immer, es würde Kaiser Vochira nicht gefallen, dass Takado
die Dinge selbst in die Hände genommen hat. Ein Schauder böser
Ahnung überlief Hanara. Dieser da wird versuchen, die Macht für
den Kaiser zurückzugewinnen. Und es wird ihm nicht so leicht
fallen, wie er denkt.