20

 

Die Schafe standen lange um die trügerische Karte herum und dachten.

»Etwas, das aussieht wie Silber, aber kein Silber ist«, murmelte Miss Maple. »Warum?«

»Vielleicht hatte er kein echtes Silber?«, fragte Cloud.

»Er hat ein Auto«, sagte Heide. »Er kann echtes Silber kaufen.«

Die Schafe wussten nicht genau, was »kaufen« war, aber sie konnten es sich in etwa vorstellen: man fuhr mit dem Auto über Landstraßen, und wenn man Dinge sah, die einem gefielen, nahm man sie einfach mit. Die Schafe selbst hatten auf ihren Wanderungen viele attraktive Sachen gesehen (einmal sogar einen dicken Sack Rüben), aber weil sie kein Auto hatten, nützte es ihnen meist nicht viel. Bei dem Häher war das anders - mit seinem großen Auto konnte er Silber und Rüben holen, so viel er wollte.

Hinter ihnen wurde das Schäferwagenfenster gekippt, und einige von Mamas unergründlichen Gerüchen und Rebeccas aufgekratzte Stimme entwichen ins Freie.

»...nicht einfach«, sagte Rebecca. »Aber eigentlich ist alles in Ordnung. Naja, vielleicht nicht in Ordnung, Schwarzarbeit ist nicht wirklich in Ordnung, aber es ist nicht das, du weißt schon. Und ein bisschen kann ich ihn auch verstehen, er hat mir alles erklärt. Sein Vater hat ihm nichts als Schulden hinterlassen, und das Schloss verschlingt Unsummen. Ich bin wirklich froh, dass er mir das alles erzählt hat.«

»Wenn es stimmt«, sagte Mama. »Ich könnte ja die Karten ... lass das Fenster noch ein bisschen offen! Du musst zugeben, dass dieser Hund streng riecht.«

»Nicht halb so schlimm wie deine Räucherstäbchen«, sagte Rebecca. »Und es kommt kalt rein. Warum sollte es denn nicht stimmen?«

»Naja«, sagte Mama. »Wenn er ein psychopathischer Irrer ist, dann stimmt es eben nicht.«

Mit einem klagenden Scharnierlaut klappte das Schäferwagenfenster wieder zu.

Die Schafe guckten hinüber zum Schloss, das nur dastand wie immer und rein gar nichts verschlang. Der Häher hatte Rebecca wieder einmal gründlich an der Nase herumgeführt. Aber wenigstens hatte sie noch eine Nase!

Der Himmel war dunkler geworden und der Mond bleicher, heller und voller. Noch eine Nacht oder höchstens zwei, und er würde rund sein, vollkommen rund. Die Schafe spürten, wie ihnen das Mondlicht durch das Fell rann wie Wasser und dabei auf der Haut kribbelte.

Maple dachte an den Häher, wie er Rebecca am Waldrand eine schimmernde Karte falschen Silbers in die Hand gedrückt hatte, und an den Werwolfsjäger, der mit echtem Silber auf die falschen Menschen schoss.

»Es ist ein Trick!«, blökte sie plötzlich.

»Was?«, fragte Maude.

»Der Häher!«, blökte Maple. »Er kennt den Wald. Sein Vater ist durch eine Silberkugel gestorben. Er findet, dass es zu viele Rehe gibt. Er hat Angst vor der Polizei. Er hat Angst vor Tess - und dann wurde Tess vergiftet. Er hat Fenster im Schloss, alle Fenster, und durch diese Fenster kann er hinunter auf die Weide gucken und sehen, so viel er will. Und damit ihm niemand auf die Schliche kommt, verteilt er falsches Silber! Damit ihn der Werwolfsjäger nicht erkennt und es mit echtem Silber versucht!«

Die Schafe schwiegen beeindruckt. Miss Maple war wirklich das klügste Schaf der Herde!

»Und jetzt?«, fragte Cloud.

»Wir hauen ab!«, blökte Ramses.

»Mit dem Auto?«, fragte Lane.

»Bloß nicht!«, sagte Zora.

»Durch den Wald?«, fragte Cordelia zweifelnd.

»Durch das Labyrinth?«, fragte Heide. Mopple hatte ihnen von diesem Rind erzählt, und obwohl sie es nicht so ganz verstanden hatten, wollte niemand von ihnen durch ein Rind hindurch. Bis übermorgen saßen sie hier fest, direkt vor der Nase des Garou!

»Wenn wir nicht verschwinden können - dann muss eben der Garou verschwinden!«, blökte Ramses kühn.

Die anderen sahen ihn erstaunt an.

»Ich meine...irgendjemand muss doch...« Ramses guckte ein bisschen erschrocken in die Runde. Den anderen gefiel der Gedanke, den Garou so einfach verschwinden zu lassen. Andererseits ... wie schwer war es schon gewesen, Yves verschwinden zu lassen - und Yves hatte sich wenigstens kalt, steif und reglos verhalten. Der Häher lief herum, einen Wolf im Leib, und keines der Schafe hätte sich auch nur in seine Nähe getraut.

»Wir könnten ihn zu einem Loch locken«, sagte Zora. »Vielleicht fällt er dann hinein!«

Aber die Schafe hatten kein Loch, das groß genug für den Häher gewesen wäre. Das größte Loch, das sie kannten, lag auf freiem Feld hinter dem Schäferwagen, und nicht einmal das Winterlamm passte hinein.

»Vielleicht muss Mopple nur wieder eine Karte fressen!«, sagte Lane. »Die richtige Karte.«

Wenn sie zurückdachten, hatte die Sache mit den Karten immer hervorragend funktioniert.

Maple dachte an ihre eigene, wenig ermutigende Erfahrung mit Mamas Karten, zuerst an den Geschmack, mehlig und hart und bitter zugleich, und dann an das Bild, den Turm und die Menschen, die durch die Luft flogen, und wollte gerade den Kopf schütteln, als sie auf einmal etwas verstand.

Mama hatte Recht! Die Karten halfen einem wirklich zu sehen.

»Wir haben vielleicht kein Loch!«, sagte sie. »Aber wir haben das Gegenteil von einem Loch! Kommt mit!«

Die Schafe folgten Maple in den Heuschuppen - es war sowieso Zeit - und im Heuschuppen in die Ecke mit Zachs Karton.

Wider Erwarten hatten sich die Springsätze bisher noch nicht vom Fleck bewegt.

»Springsätze!«, erklärte Miss Maple. »Wisst ihr noch, was Zach über die Springsätze gesagt hat?«

»Instinkte!«, murmelte Maude.

»Russen!«, blökte Heide.

»Die geringste Erschütterung, und alles fliegt in die Luft!«, sagte Mopple.

Maple nickte. »Genau! Alles - auch der Garou!«

Die Schafe stellten sich den Häher vor: zuerst drohend, hinkend und wölfisch, und dann auf einmal hilflos in der Luft schwebend, wie eine Seifenblase. Und alles wegen dieser kleinen Springsätze! Es war ein schöner Gedanke. Rebecca hatte einmal Seifenblasen über die Weide gepustet, und Heide, Ritchfield und das Winterlamm waren hinter ihnen hergetrabt, bis der Wind die Blasen davontrug, weit, weit über den Wald hinweg. Das Gleiche sollte auch mit dem Häher passieren! Nur dass hinter ihm niemand hertraben würde - keinen Schritt!

Die Schafe freuten sich. Mopple rupfte zur Feier des Tages extra viel Heu aus der Raufe, Cloud plusterte sich auf und sah auf einmal noch wolliger aus als sonst, Ritchfield begann ein Duell mit einem der Heuschuppenpfosten, und der ganze Heuschuppen bebte. Maude, Cloud und Lane blökten im Chor, das schweigsamste Schaf der Herde funkelte mit den Augen, Heide sang »In die Luft! In die Luft! Luft verpufft!«, und Heathcliff sprang vor Freude ziegenartig durch das Stroh, trotz der Schmerzen.

»Es gibt noch ein paar Probleme«, gab Maple zu.

Die Schafe hörten wieder auf zu singen, zu springen und zu blöken. Cloud wurde ein klein bisschen weniger wollig. Nur Ritchfield donnerte weiter gegen den Pfosten, dass der Heuschuppen wackelte.

»Was für Probleme?«, fragte Heide.

»Nun ja«, sagte Maple. »Die Springsätze sind hier drinnen im Kasten, und der Häher ist irgendwo dort draußen. Wir müssen sie zusammenbringen. Und wir brauchen eine Erschütterung!«

Die Schafe wussten nicht genau, was eine Erschütterung war. Wenn etwas wackelte, so viel war klar. Aber wie sehr musste es wackeln? So wie das Doppelkinn der Fronsac? Oder wie Heides Schwanz, wenn sie gute Laune hatte? Oder wie Megäras Ohr?

Othello blickte zu Ritchfield und dem Pfosten hinüber. »Das ist eine Erschütterung!«, sagte er.

Die Schafe sahen Maple erwartungsvoll an.

»Ja«, sagte Maple zögernd. »Nur soll nicht Ritchfield in die Luft fliegen, sondern der Häher. Ritchfield soll hierbleiben!«

»Ritchfield soll hierbleiben!«, blökten Ramses, Lane, Maude und Cordelia.

Sir Ritchfield bekam mit, dass es um ihn ging, ließ von dem Pfosten ab und senkte geschmeichelt den Kopf.

»Wir brauchen eine Erschütterung ohne Schafe!«, erklärte Miss Maple.

Die Schafe schwiegen und dachten. Es war gar nicht so einfach. Die meisten Dinge in ihrem Leben passierten mit Schafen.

»Wenn etwas vom Baum fällt!«, blökte Heathcliff plötzlich. »Das ist eine Erschütterung!«

Miss Maple stand lange da, mit geschlossenen Augen, und sagte gar nichts.

Und gerade als die anderen überzeugt waren, dass das klügste Schaf der Herde eingeschlafen war, machte sie die Augen wieder auf und sah frisch und munter aus. Und sehr entschlossen.

»Ich habe einen Plan!«, sagte sie dann.

»Hat der Plan einen Haken?«, fragte Heide misstrauisch. »So wie der Plan mit dem Zählschloss?«

Die Schafe sahen Maple fragend an - der Plan mit dem Zählschloss war kein besonderer Erfolg gewesen.

»Nein«, sagte Miss Maple. »Einen Haken nicht. Aber eine Ziege. Mindestens eine.«

»Was kann eine Ziege schon gegen einen Wolf unternehmen?«, fragte Maude.

»Stinken«, sagte Zora trocken.

Maple ließ sich vorsichtig im Stroh nieder, kaute ein bisschen auf einem Strohhalm herum und begann zu sprechen. Die anderen hörten zu. Es war ein komplizierter Plan mit Lane, Heathcliff, einem Springsatz, Hinken, Rennen, Klettern - und einer Ziege. Mindestens einer.

So ganz verstanden sie ihn nicht.

»Aber warum sollte der Häher unter die alte Eiche kommen?«, fragte Heide.

fen.

»Weil er hinter Lane her ist!«, sagte Miss Maple.

»Hinter mir?«, fragte Lane.

»Hinter dir!«, sagte Maple.

»Warum hinter Lane?«, fragte Heathcliff.

»Weil sie die Schnellste ist«, sagte Maple. »Sie kann ihm im Notfall am leichtesten entkommen! Und weil sie hinkt!«

»Ich hinke nicht!«, blökte Lane empört.

»Du wirst so tun«, sagte Miss Maple. »Kein Wolf kann einem hinkenden Schaf widerstehen. Es wird so sein wie Vidocq mit dem Ast. Der Garou wird einfach hinterherlaufen müssen! Und dann musst du ihn unter die alte Eiche locken.«

»Und dann fällt der Springsatz von der Eiche, und er fliegt in die Luft?«, fragte Ramses.

Maple nickte.

»Heureka!«, blökten die Schafe. Dann schwiegen sie.

»Und wie kommt der Springsatz auf die Eiche?«, fragte Othello.

»Heathcliff wird mit dem Springsatz hinaufklettern«, erklärte Miss Maple. »Und wenn der Häher unter der Eiche steht, lässt er ihn fallen!«

»Heu! Heu! Heureka!«, blökten die Schafe wieder.

»Und wie kommen wir an die Springsätze - durch den Deckel der Kiste und ohne Erschütterung?«, fragte Zora.

Miss Maple seufzte. »Ich fürchte, genau dafür brauchen wir die Ziege!«

 

Einige Zeit und viele nervenaufreibende Verhandlungen später sahen die Schafe mit großem Unbehagen zu, wie gleich drei Ziegen durch die lose Latte im Zaun schlüpften und im Gänsemarsch über ihre Weide marschierten - drei junge Ziegen mit langen, spitzen, geraden Hörnern. Amaltee, Circe und Kalliope, die sich Mopple gegenüber für Zoras Geschmack viel zu viele Freiheiten herausnahmen.

Eigentlich brauchten sie nur eine Ziege, aber eine Ziege war keine Ziege, hatten die Ziegen erklärt, und zwei Ziegen waren nur eine halbe. Die Wahrheit war, dass gleich drei spitzhörnige Ziegen den Deckel von der Springsatzkiste entfernen wollten, nachdem die Schafe ihnen Vidocq und den Wähnsinn versprochen hatten. Kalliope rupfte gegen alle Vereinbarungen ein paar Knospen vom Haselstrauch. Die anderen beiden kicherten.

Dann betraten die Ziegen den Heuschuppen und schnaubten in gespielter Bewunderung.

»Ein Fenster!«, meckerte Amaltee. »Schick!«

»Und Stroh!«, sagte Circe und fraß gleich ein paar Halme.

»Da hinten!«, knurrte Othello.

Die Ziegen traten neugierig näher an den Karton heran und machten die Hälse lang.

»Und jetzt?«, meckerte Circe frech.

»Die Kiste hat einen Deckel«, erklärte Mopple the Whale, der sich alles gemerkt hatte. »Der Deckel muss weg. Ihr senkt euren Kopf, wie zum Duell, und steckt eure spitzen Hörner in den Spalt zwischen Kiste und Deckel, und dann bewegt ihr vorsichtig den Kopf nach oben, und der Deckel ist weg! Aber es darf nicht wackeln! Nichts darf wackeln, sonst...«

»Kein Hund, kein Hüten und kein Wahnsinn!«, meckerten die Ziegen folgsam.

»Genau!«, sagte Othello. »Die Graue zuerst!«

Amaltee konnte mit ihren Hörnern nicht in den Spalt treffen.

Circe traf den Spalt, blieb dann aber mit den Hörnern stecken und konnte nur durch aufwändiges Manövrieren wieder von der Kiste getrennt werden.

Kalliope senkte den Kopf, fand mit ihren Hörnern den Spalt, bewegte ihren Kopf vorsichtig nach oben, und schwupp - der Deckel klappte auf und fiel neben der Kiste ins Stroh.

Die Schafe wichen ein paar Schritte zurück und hielten den Atem an. Halb erwarteten sie, dass die Springsätze in hohem Bogen aus dem Karton springen würden wie dicke Flöhe. Aber das Einzige, was sprang - oder besser gesagt: hopste -, waren die Ziegen.

»Tannenzapfen!«, feixten die Ziegen. »Tannenzapfen! Tannenzapfen!«

Die Schafe machten überlegene Gesichter.

»Es sieht aus wie Tannenzapfen«, erklärte Mopple. »Aber es sind Springsätze. Von den Russen. Habt ihr denn gar keine Instinkte?«

Eine der Ziegen furzte. Die anderen beiden kicherten. »Ihr müsst nicht alles glauben, was man euch erzählt«, sagte Kalliope.

Die gescheckte Ziege streckte den Hals und flüsterte Mopple etwas ins Ohr.

»Sie sagt, wir sind alle Indi-Viehduen«, blökte Mopple beleidigt. »Vor allem ich!«

»Sind wir nicht!«, blökten die Schafe im Chor. »Wir sind Schafe!«, fügte Maude würdevoll hinzu. Es war höchste Zeit, die Ziegen wieder loszuwerden.

 

Anschließend trabten die Schafe in der Dunkelheit hinüber zur alten Eiche, um sich die Sache besser vorstellen zu können. Hier der breite, waagrechte Ast, dort der Springsatz, da Lane, da der Häher. So weit, so gut.

Heathcliff sah sich die alte Eiche lange an. Im Mondlicht sah sie besonders alt aus, besonders hoch und ein bisschen feindselig.

»Ich werde nicht auf die alte Eiche klettern«, sagte er plötzlich. »Nie mehr!«

Sie versuchten es mit Bitten, Drohungen und Schmeicheleien, aber Heathcliff blieb stur, und kein anderes Schaf konnte sich vorstellen, auf einen Baum zu klettern.

»Ich könnte eine andere Ziege fragen«, sagte Heathcliff schließlich. »Zum Beispiel Madouc. Ich geh sie holen.«

Milder Wind kam auf, Wind, der den schwebenden Garou weit wegtreiben würde. Ein gutes Zeichen! Während sich die Schafe mit dem Wind die Vorfreude auf ein Leben ohne Garou um die Nasen wehen ließen, schlich wieder ein dunkles, leises Auto die Straße entlang auf den Hof, schauderte und stand still. Aus der Tür des Turmes kamen drei Menschen, ein Mann und eine Frau, die einen dritten Mann stützten. Das Gesicht des dritten Mannes war mit weißen Bändern umwickelt und leuchtete, und obwohl er kaum laufen konnte, sah er noch gefährlicher aus als zuvor. Die Schafe sahen mit einiger Erleichterung zu, wie das Auto mit den dreien sich flüsternd entfernte und das Licht im Turm erlosch.

 

Heathcliff trabte zögerlich hinüber zum Ziegenzaun. Bei Tag wollte er gerne eine Ziege sein, aber bei Nacht war ihm die Gesellschaft anderer Schafe doch deutlich lieber.

Er kam an dem ungeschorenen Fremden vorbei, der unter einem Ginsterbusch schlief.

»Aube!«, blökte der Fremde ermutigend, und Heathcliff trabte ein klein wenig entschlossener weiter zum Zaun.

Keine Ziege weit und breit, schon gar keine schwarze. Doch da! Dort hinten auf der Kommode saß die alte blinde Ziege und käute wieder. Und wieder. Und wieder.

»Ich suche Madouc«, blökte Heathcliff. Seine Stimme klang dünn und zottig im Mondlicht.

»Irrtum!«, meckerte die alte Ziege. »Niemand sucht Madouc.«

»Ich doch!«, blökte Heathcliff tapfer.

»So?«, hustete die Ziege. »Hat sie dir die Geschichte vom Fuchs erzählt? Dem Fuchs, dem sie entkommen ist?«

Ihre weißen Augen schimmerten wie Monde. Volle Monde.

Heathcliff nickte. Es war die erste Lektion in Sachen Zie-genhaftigkeit gewesen. Dann fiel ihm ein, dass die blinde Ziege sein Nicken gar nicht sehen konnte.

»Und wie hat sie es angestellt, ihm zu entkommen, hmm? Hat sie dir das auch erzählt?«

»Sie hat den Kreis verlassen«, murmelte Heathcliff.

Die Ziege auf dem Sofa gab ein Geräusch von sich. Ein Lachen? Es klang wie Husten und trockenes Laub.

»Und glaubst du das, du Schaf? Glaubst du, dass ein neugeborenes Zicklein so einfach aus einem Fuchskreis herausspazieren kann? Entkommen ist sie ihm, das raffinierte schwarze Ding, das muss man zugeben, aber nicht, weil sie den Kreis verlassen hat. Sie hat den Kreis verändert. Und wie verändert man einen Kreis, hmmm, Kleiner?«

Heathcliff hatte keine Ahnung. Anfressen wäre wahrscheinlich seine Methode gewesen.

»Man findet ihm einen neuen Mittelpunkt«, hustete die Ziege. Speichel und Wiedergekäutes rannen ihr aus dem Maul. »Einen kleinen, schwarzen, hübschen Mittelpunkt. Einen unbewegten Mittelpunkt. Ein Zwillingszicklein vielleicht, ein schwaches, zartes Geschwisterchen!«

Heathcliff stand da und starrte die blinde Ziege ungläubig an.

Plötzlich trat eine zweite Ziege hinter der Kommode hervor, die Ziege mit nur einem Horn. »Wir bilden uns das alles nur ein!«, erklärte sie Heathcliff, machte ein überlegenes Gesicht und zwinkerte.

Heathcliff drehte den beiden den Rücken zu und ging davon, langsam und vorsichtig, damit sie erst gar nicht auf den Gedanken kamen, ihm zu folgen.

Doch die Stimme der blinden Ziege holte ihn mühelos ein.

»Was, Kleiner, meinst du, wird sie tun, um dem Wolf zu entkommen?«

Wie Windgeflüster. Mit etwas Mühe konnte Heathcliff sich einreden, dass er nur Windgeflüster gehört hatte. Jemand stupste ihn von der Seite. Heathcliff erschrak.

»Hallo, Heathcliff«, sagte Madouc und trabte neben ihm her, zurück zur alten Eiche.

Die kleine Ziege ließ sich alles sehr genau von Maple erklären, und als sie verstanden hatte, tat sie einen kleinen Sprung in die Luft.

»Das ist ein ganz wundervoller, verrückter Meckernismus, den ihr da gefunden habt!«, sagte sie. »Macht euch keine Sorgen! Ich klettere für euch auf den Baum! Und wir treffen den Garou, den Garou, Garou im Nu!«

Die Schafe waren froh, dass sie den Springsatz doch noch hinauf in die Eiche bekommen konnten, selbst unter Mithilfe einer Ziege, aber sie wollten nicht, dass Madouc ihn auch über die Weide trug - Madouc konnte keine zehn Schritte tun ohne Hopsen, Hüpfen und Erschütterung.

Schließlich erklärte sich Heathcliff bereit, den Springsatz vorsichtig vom Heuschuppen bis zur Eiche zu tragen - Heathcliff, der seit seinem Sturz Erschütterungen ganz besonders gut fühlen konnte.

Das war es also: bald würde der Garou über den Wald hinwegschweben, hilflos wie eine Seifenblase, wenn auch nicht ganz so schillernd.

Jetzt mussten sie nur noch üben.