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»Sie ist wollig!«, sagte Zora anerkennend.
»Für einen Menschen«, sagte Maude.
Die anderen nickten. Offensichtlich versuchte die Schäferin, ihnen in Sachen Wolligkeit ein Vorbild zu sein. Vielleicht wollte sie auch Cloud ersetzen. Dafür war sie natürlich lange nicht wollig genug.
Rebecca saß auf den Stufen des Schäferwagens, in eine Decke gewickelt, ungewöhnlich dick mit zwei Mänteln übereinander, und darunter - die Schafe konnten es riechen - den populären Wollpullover. Um den Hals hatte sie sich das Stielaugengerät gehängt. Das Stielaugengerät kam sonst nur bei helllichtem Tage zum Einsatz, wenn besonders langbeinige Vögel über die Weide staksten, Reiher oder Störche mit schwarzen Schnäbeln und einmal, im Herbst, ein paar Kraniche in Feierlaune. Dann hielt sich Rebecca das Stielaugengerät vor die Augen und behauptete, es würde die Vögel größer machen. Es war natürlich reine Einbildung, die Schafe sahen sehr genau, dass die Vögel kein bisschen größer wurden, aber die Schäferin hatte ihren Spaß.
Doch heute, mit Decke und Kälte und Dämmerung, sah das Ganze nicht nach Spaß aus.
»Ich finde, du übertreibst!«, dröhnte Mama und reichte Rebecca eine Thermoskanne aus dem Schäferwagen. »Komm rein! Du kannst hier sowieso nicht die ganze Nacht sitzen.«
Rebecca nahm ihr die Kanne aus der Hand.
»Ich weiß. Aber solange ich hier sitzen kann, sitze ich hier. Ich muss doch auf sie aufpassen, wenigstens ein bisschen. Du hättest das sehen sollen, Mama! Ich wusste zuerst gar nicht, was es war, ein Mensch oder ein Tier...«
»Ein Reh«, sagte Mama. »So was kommt vor.«
»So was kommt nicht vor!«, sagte Rebecca und schenkte sich eine Tasse Tee ein. »Nicht so! Es war so kaputt, so ... Wer soll so etwas denn getan haben? Ein Hund? Ein Fuchs? Lächerlich!«
Die Tasse Tee dampfte vor sich hin.
Rebecca fröstelte »Und sieh dir an, wie schnell sie da waren! Vier Autos und ein Inspektor und Hunde mit allem drum und dran. Ich meine: wer tut so etwas für ein Reh? Es war, als... na ja, als hätten sie daraufgewartet, weißt du.«
»Hier ist eben sonst nichts los«, sagte Mama. »Ich mach die Tür zu, ja? Es kommt kalt rein.«
Rebecca nickte und schlürfte Tee. Dann zückte sie das Stielaugengerät.
Die Schafe sahen sich nach langbeinigen Dämmerungsvögeln um, aber da war nichts. Gar nichts. Nicht einmal ein Huhn. Und genau genommen guckte Rebecca auch gar nicht auf die Weide. Rebecca guckte hinauf zum Wald.
»Hoffentlich wird der nicht größer!«, sagte Heide.
Die Schafe sahen kritisch zu den Bäumen hinüber. Der Wald war groß genug!
»Ich glaube, sie sucht Cloud!«, sagte Ramses. »Sie guckt durch das Stielaugengerät, um Cloud größer zu machen! Und wenn sie groß genug ist, können wir sie über den Bäumen sehen!«
Es wäre gar kein so schlechter Plan gewesen, wenn das Stielaugending funktioniert hätte.
Miss Maple schwieg. Sie hatte das Gefühl, dass Rebecca nicht Cloud suchte. Rebecca suchte etwas anderes - etwas, das auf keinen Fall größer werden sollte.
Rebecca saß auf den Schäferwagenstufen, trank Tee, machte Stielaugen und wurde mit fortschreitender Dämmerung blauer und blauer. Die Schafe grasten. Der Wald flüsterte spöttisch. Das Schloss schwieg. Die Eingangstür zum Turm ging auf, und jemand trat heraus, und weil er außergewöhnlich helle Haare hatte, konnten ihn die Schafe auch in der Dämmerung gut erkennen - Eric. Eric wohnte nicht im Schloss, aber er kam oft vorbei, in einem alten Lieferwagen, und schaffte Ziegenkäse in den Turm. Oder aus dem Turm. Die Schafe mochten, dass er nie etwas Lautes tat. Den Ziegenkäse mochten sie weniger. Jetzt stand Eric einfach nur am Fuße des Schlosses, blickte zum Wald hinüber und sah ein bisschen verwirrt aus. Rebecca winkte. Eric winkte zurück. Dann stieg er in seinen alten Lieferwagen und fuhr davon.
Nach langer Zeit ging die Schäferwagentür wieder auf. Ein langer goldener Streifen Licht fiel auf die Weide, direkt auf Mopple the Whale. Mopple bekam wieder Schluckauf.
»Ich bin jetzt mit der Arbeit fertig!«, sagte Mama. »Komm rein, Kind, du holst dir den Tod!«
Rebecca seufzte. »Meine Güte, ich hoffe so, dass ich sie wieder finde! Ein entlaufenes Schaf allein ist schlimm genug, und jetzt das! Was, wenn ...«
»Wenn du hier draußen herumsitzt, hilft das auch nicht weiter. Komm rein! Trink Tee! Wenn du willst, können wir die Karten...«
»Mama!«
»Frag doch morgen den Tie...« Rebecca war schon von den Stufen aufgesprungen und hatte ihre Teetasse umgestoßen, aber diesmal kam sie nicht rechtzeitig.
»... den Tierarzt«, sagte Mama. »Frag ihn, wie man am besten so ein Schaf...«
Mehr hörten die Schafe nicht. Der Tierarzt kam wieder! Mit seiner spitzen Nadel! Schon morgen! Ramses verlor als Erster die Nerven und galoppierte in panischen Sprüngen über die Weide. Maude und Lane preschten blökend hinterher. Bald rannte die ganze Herde am Weidezaun auf und ab und blökte nach Herzenslust. Sie glaubten nicht wirklich, dass das Rennen gegen den Tierarzt helfen würde, aber es fühlte sich gut an.
Miss Maple war als Einzige nahe beim Schäferwagen stehen geblieben und versuchte, nicht an den Tierarzt zu denken. Rebecca und Mama sprachen von etwas anderem. Sie sprachen davon, und gleichzeitig sprachen sie nicht davon. Sie sprachen darum herum.
Der Tee hatte ein schwarzes Loch in den Schnee geschmolzen.
Rebecca verschränkte die Arme. »Na toll!«, sagte sie. »Was meinst du, was es morgen braucht, um sie noch mal in den Pferch zu kriegen!«
Es würde Futter brauchen, dachte Maple. Mehr nicht. Futter und Geduld. Niemand konnte Futter widerstehen. Außer...
»Ein komischer Kauz ist das«, sagte Mama, um Rebecca von den blökenden Schafen abzulenken.
»Der Tierarzt?« Rebecca zuckte mit den Achseln. »Schon seltsam, dass er es sich nicht angesehen hat«, murmelte sie dann. »Ich meine, als Arzt... Er hat überhaupt nicht hingesehen! Kein einziges Mal. Als... als wäre er gar nicht neugierig. Und er hat versucht, mich festzuhalten.«
»Er wollte eben nicht, dass du es siehst«, seufzte Mama.
»Er wollte, dass es überhaupt niemand sieht. Er wollte nicht, dass ich die Polizei rufe. Als ob sich so etwas vertuschen lässt. Bei der nächsten Zaunkontrolle hätte ich es sowieso gefunden ...«
Rebecca hüpfte von einem Bein auf das andere. Tess sprang aus dem Schäferwagen und tanzte um Rebecca herum. Tanzte und bellte.
»Da!« Mama zeigte auf Tess. »Soll sie doch aufpassen! Wozu hast du den Hund!«
Rebecca hörte auf zu hüpfen.
»Das stimmt«, sagte sie. »Tess würde bellen.«
Sie runzelte ihre dämmerungsblaue Stirn.
»Sie hat nicht gebellt!«, sagte sie dann. »Es muss gestern oder heute früh passiert sein, und sie hat nicht gebellt!«
»Weil es nicht auf der Weide war«, sagte Mama.
»Aber fast!«, sagte Rebecca. Sie rollte ihre Decke zusammen und stieg die Schäferwagenstufen hinauf.
»Gute Nacht!«, sagte sie zu den Schafen, die sich langsam wieder beruhigten. Der goldene Lichtstrahl kroch zurück in den Schäferwagen, und die Tür schlug zu.
Die Schafe standen schnaufend im Schnee. Gute Nacht! Rebecca hatte leicht reden! Sie würde morgen nicht in den Pferch gelockt und vom Tierarzt verarztet werden!
»Ich gehe morgen einfach nicht in den Pferch!«, verkündete Heide plötzlich.
Die anderen schwiegen. Sie hatten schon öfters beschlossen, einfach nicht mehr in den Pferch zu gehen. Aber wenn der Futtereimer klapperte und der süße, schwere Duft des Kraftfutters über die Weide strömte, gingen sie doch. Jedes Mal.
»Aber der Futtereimer...«, sagte Mopple niedergeschlagen.
»Wir brauchen nur Wollensstärke!«, sagte Heide. Sie hatte es von Mama gehört. Mit Wollensstärke ging alles!
Einige Schafe plusterten sich, um stärker zu wollen. Andere guckten betreten zu Boden. Cloud war das wollensstärkste Schaf der Herde gewesen - und der Tierarzt hatte sie in den Wald gejagt.
»Wir brauchen nicht nur Wollensstärke!«, sagte Maple plötzlich. »Wir brauchen einen Plan!«
»Ich bin mir sicher, das ist ein Schaf!«, erklärte Sir Ritchfield. Der fremde Widder hatte sich zum Schlafen nahe am Apfelgarten an den Zaun gelehnt und sah in der späten Dämmerung alles andere als schafshaft aus, eher wie ein Haufen Laub und Moos, aber Ritchfield schien sich seiner Sache sicher zu sein.
Die Schafe hatten den ungeschorenen Fremden von drei Seiten umzingelt und versuchten, ihn zum Sprechen zu bringen. Der Ungeschorene mochte zottig sein, unförmig und filzig, aber er war zweifellos das wollensstärkste Schaf, das sie je gesehen hatten. Und er wusste etwas Wichtiges: Er wusste, wie man nicht in den Pferch ging, selbst wenn der Futtereimer klapperte und der Duft von würzigem Kraftfutter über die Weide strömte. Sie mussten es nur aus ihm herauslocken.
Aber wie?
Bisher hatten die Schafe immer vermieden, mit dem Fremden zu sprechen. Die Art, wie er sie nicht sah und nicht hörte, machte sie nervös. Was, wenn sie ihn aus Versehen anrempeln würden? Vielleicht würden sie dann durch ihn hindurchlaufen, wie durch Nebel. Die Sache war den Schafen unheimlich.
Othello räusperte sich.
Der Fremde hatte kurz aufgeblickt, als sie alle im Pulk an seinem Schlafplatz aufgetaucht waren, so wie man bei einem Windhauch aufblickt oder einem fernen Geräusch. Aber jetzt stand er wieder da, mit halbgeschlossenen Augen, entspannt und schläfrig. Es war nicht normal. Es ließ die Schafe daran zweifeln, ob sie da waren.
mit Überzeugung.
Nichts.
»Hallo, Widder!«, sagte Cordelia tapfer. »Willkommen auf unserer Weide!« Es war reichlich spät für einen Willkommensgruß - aber besser spät als nie.
Der Ungeschorene bewegte nicht einmal die Ohren.
»Wir wollen nicht stören!«, erklärte Lane. »Wir wollen nur besser wollen!«
Die Augen des Widders fielen noch ein bisschen weiter zu. Er murmelte leise und vertraut, nicht zu ihnen - zu irgendjemand anderem. Die Schafe sahen sich um - da war niemand. Natürlich nicht.
»Widder!«, blökte Ramses. »Wir wollen nicht in den Pferch!«
Die Augen des Widders waren geschlossen. Er summte leise vor sich hin.
»Ich glaube, er kann nicht sprechen«, sagte Cordelia.
»Er kann murmeln«, sagte Heide. »Wenn er etwas lauter murmeln würde, könnte er sprechen!«
Sie beschlossen, den Rest der Diskussion Sir Ritchfield zu überlassen. Der schwerhörige Ritchfield war in Sachen laut sprechen ein gutes Vorbild.
Es dauerte eine Weile, bis Sir Ritchfield verstanden hatte, worum es ging.
Dann aber richtete er sich vor dem fremden Schaf zu seiner vollen Leitwiddergröße auf, streckte seine imposanten Hörner in die Nacht und scharrte mit den Hufen im Schnee. Die anderen sahen ihn respektvoll an.
»Widder!«, donnerte Sir Ritchfield würdevoll. »Manche Sachen sind da. Und manche Sachen sind nicht da. Und manche Sachen sind nur manchmal da. Und es ist nicht immer einfach, zu verstehen, was da ist und wann es da ist. Melmoth war da, und jetzt ist er nicht da, und irgendwie ist er doch da, und manchmal...«
Ritchfield brach ab, starrte nachdenklich auf die Muster, die seine Hufe in den Schnee gezeichnet hatten, und dachte an Melmoth das Wanderschaf, seinen Zwilling, seinen Bruder, der damals so einfach über die Klippen verschwunden war. Dann fasste er sich wieder.
»Wichtig ist zu wissen, was ein Schaf ist - und was nicht«, erklärte er dem fremden Widder. »Wir sind Schafe. Und wir sind da. Wie kann man das wissen? Weil wir nicht hier sein wollen! Man kann es immer am Wollen erkennen. Alles. Wenn wir nicht hier wären und nicht Schafe wären, würden wir nicht wegwollen! Aber wir sind da, und wir sind Schafe, und wir wollen nicht in den Pferch!«
Die Schafe staunten. Ritchfield machte es gar nicht so schlecht. Auf einmal waren die Augen des fremden Widders wieder offen, und zum ersten Mal hatten die Schafe das Gefühl, dass er sie bemerkte.
»Tourbe«, sagte er. »Farouche. Grignotte. Boiterie. Sourde. Tache? Aube?«
Die Schafe verstanden kein Wort.
»Aube?«, fragte der Fremde. »Páquerette? Gris? Marcassin? Pre-de-Puce?«
»Er spinnt«, sagte Heide.
Kein Wunder! So viel Wolle überall musste ein Schaf einfach verrückt machen.
»Namen«, murmelte auf einmal das Winterlamm. »Das sind alles Namen.« Das Winterlamm selbst hatte keinen Namen. Die Schafe bekamen erst Namen, wenn sie ihren ersten Winter überstanden hatten.
»Bist du das?«, fragte es. »Farouche Grignotte Gris Marcassin Tache? So viele?«
»Aube!« Der Ungeschorene nickte traurig.
Das Winterlamm sah ihn respektvoll an. Es hätte gerne auch seinen Namen gesagt, wenn es nur einen gehabt hätte.
»Ich bin nur ich«, sagte es leise.
»Ihr seid es nicht«, sagte der Fremde überrascht. »Aber fast! Genauso weiß. Sie waren so weiß, wisst ihr. Aube, Farouche. Sogar Gris. Davor. Wie gut, dass ihr noch weiß seid.«
»Soso«, knurrte Othello.
»Woher?«, flüsterte der Ungeschorene. »Warum?« Seine Stimme klang wie Laub im Wind. Dünn und sanft und sehr weit weg. »Seid ihr... früher? Vorher?«
»Wir sind hier«, sagte Othello. »Jetzt. Darum geht es.«
»Ihr müsst verschwinden!«, blökte der Fremde aufgeregt. »In alle Richtungen! Jeder für sich. Bleibt unter Bäumen! Bleibt im Schatten! Und bewegt euch nicht, wenn ihr ihn seht. Egal was ihr seht! Egal was! Seht weg! Seht weg! Wer flieht, ist sein!«
»Er kann nicht den Tierarzt meinen!«, sagte Heide.
»Das ist unsere Weide«, sagte Othello ruhig. »Wir fliehen nicht. Wir wollen nur nicht in den Pferch!«
Die anderen Schafe waren ein wenig zurückgewichen. Jetzt, wo er sich so aufregte, hatte der Fremde begonnen, einen strengen und nicht besonders schafshaften Geruch von sich zu geben.
»Wo sind die anderen?«, fragte er. »Farouche? Aube? Paquerette?«
»Ich glaube, er frisst zu wenig!«, sagte Mopple leise. Und hickste.
Mopple the Whale fraß zu viel.
»Wo sind die anderen?«, fragte Cordelia sanft.
Heide nieste. Eine Schneeflocke war mitten auf ihrer Nase gelandet. Eine zweite fuhr ihr wie eine kalte Träne ins Auge. Schon wieder Schnee! Die Vögel saßen still in den Zweigen, dick, flauschig und dunkel wie überdimensionale Palmkätzchen.
Der Schnee brachte den Fremden vollkommen aus der Fassung. Seine Augen rollten. Sein ganzer großer bemooster Körper begann zu zittern. Es sah komisch aus.
»Renn, Farouche!«, blökte er. »Er kommt! Er kommt aus dem Schrank! Gris! Aube! Flieht! Flieht jetzt!«
Er drängte sich an den anderen Schafen vorbei und hetzte in einem seltsamen, schwerfälligen Galopp am Zaun entlang, im Zickzack über die Weide bis zu den Ginsterbüschen am Ziegenzaun. Dort blieb er stehen.
Die Schafe äugten nervös nach allen Seiten, aber da war nichts. Nur der Schnee.
»Gute Nerven hat er ja nicht«, sagte Zora schließlich.
»Nein«, sagte Othello. »Das ist ein mutiger Widder. Ein sehr mutiger Widder.«
Othello war ein Meister des Duells. Er wusste, was Mut war. Nicht das Gegenteil von Furcht jedenfalls. »Etwas Schlimmes ist mit seiner Herde passiert. Mit Farouche und Aube und Päquerette. Und ich denke, dass es hier passiert ist.«
»Er mochte Aube«, sagte Mopple the Whale.
»Ich glaube, das war ein... Schaf«, blökte Sir Ritchfield plötzlich.
Die anderen seufzten. Ritchfield war wirklich nicht mehr der Jüngste.
Die Schafe sahen sich an. In ihren Legenden war Jack-der-ungeschoren-Davongekommene eine heroische Figur, ein Schafsheld, der Schäfer an der Nase herumführte, ihrer Schere um Haaresbreite entkam und mit wild wehender Wolle in die Abenddämmerung trabte. Ein Held der Wollensstärke. Der Ungeschorene hingegen konnte ihnen noch nicht einmal erklären, wie man nicht in den Pferch ging.
»Heuschuppen!«, sagte Othello, und die Schafe trabten stumm hinüber zum Stall.
Nur Mopple stand weiter einfach so im Schnee herum, in einem seltenen Anfall von Appetitlosigkeit. Mopple hatte ein phänomenales Gedächtnis, so groß und dick wie er selbst. Was er sich einmal gemerkt hatte, vergaß er nie. Hick. Ob er wollte oder nicht. Nicht dass er glaubte, was die Ziege und das fremde Schaf erzählt hatten. Hick. Das nicht. Nur... es war alles auf die gleiche Art verrückt gewesen. Es hing zusammen wie zwei Pflanzen, die aus derselben Wurzel kamen. Irgendwo tief unten. Man konnte es schmecken. Hick. Und jetzt lag es ihm im Magen wie ... wie ... wie Blähgras. Lag herum und gärte. Und die Ziege hatte ihnen Wünsche erfüllt. Ganz so übel konnte sie da doch nicht sein. Und vielleicht hatte sie sogar noch ein bisschen Kraftfutter im Fell! Hick. Hick. Wenn es nur nicht die falschen Wünsche gewesen waren ... und dieser Schluckauf!
Er hätte gerne mit Miss Maple darüber gesprochen. Nicht über den Schluckauf, aber über den Rest. Miss Maple war so klug, dass einem davon schwindelig werden konnte. Oder mit Othello? Am liebsten mit Zora. Mopple sprach gerne mit Zora über Dinge. Sie hatte Hörner und ein hübsches schwarzes Gesicht, und sie interessierte sich für Abgründe - und Wurzeln. Mopple beschloss, zu ihr hinüberzutraben, sobald er den idiotischen Schluckauf losgeworden war.
Genau genommen gab es im Heuschuppen gar kein Heu, nur gelbes Stroh am Boden und - hoch über ihren Köpfen - ein Fenster ohne Scheiben, durch das Schneeflocken wehten, aber sie hatten früher in Irland in einem Heuschuppen geschlafen, und daran sollte Europa nicht so einfach etwas ändern.
Der Schuppen stand mitten in der jungen Nacht, und im Schuppen standen die Schafe und atmeten. Zora drehte den Kopf zum Fenster und sah nach den Sternen. Sir Ritchfield hustete. Othellos Vorderhuf scharrte im Stroh. Maude witterte. Das Winterlamm schabte sich an einem Pfosten.
Niemand schlief. Niemand hatte Lust, sich morgen vom Tierarzt über die Weide hetzen zu lassen. Die Nacht kam ihnen kälter vor ohne Cloud.
»Vielleicht sollten wir uns doch verstecken?«, sagte Cordelia nachdenklich.
Der Plan gefiel ihnen.
»Aber wo?«, fragte Maude.
»Hinter der alten Eiche!«, blökte Ramses aufgeregt.
Die alte Eiche war der einzige nennenswerte Baum auf ihrer Weide, und sie lag praktisch, mit Fluchtmöglichkeiten in drei Richtungen und dem Ziegenzaun als Rückendeckung. Die Schafe trabten los, um es auszuprobieren. Doch egal, wie dicht sie sich aneinanderpressten: selbst in der Dunkelheit war der Stamm der alten Eiche kein besonders überzeugendes Versteck.
»Wir könnten uns auf der alten Eiche verstecken!« Ramses ließ nicht locker.
Die anderen verdrehten die Augen.
Sie versuchten das Verstecken hinter dem Schrank - katastrophal! -, hinter dem Heuschuppen oben am Hang - besser! -, hinter dem Schäferwagen - na ja - und schließlich hinter der Futterkammer. Hinter der Futterkammer roch es gut, aber besonders versteckt kamen sie sich auch nicht vor. Das Problem war: jedes Mal, wenn sie nach einer Seite versteckt waren, waren sie nach drei Seiten nicht versteckt.
Maude behauptete, die beste Art, sich zu verstecken, wäre, die Augen ganz fest zuzukneifen. Sie probierten auch das, aber egal, wie fest Maude die Augen zukniff- die anderen konnten sie ganz hervorragend sehen.
»Ich hab's!«, blökte Mopple the Whale, der sich wieder zu den Schafen gesellt hatte. »Wir verstecken uns in der Futterkammer!«
»Was ist, wenn Rebecca in die Futterkammer geht?«, fragte Lane. »Dann sitzen wir in der Falle!«
»Sie wird nicht in die Futterkammer gehen!«, sagte Mopple. »Sie geht nur in die Futterkammer, um uns zu futtern. Und wenn wir nicht da sind, kann sie uns nicht futtern!«
Es war ein brillanter Plan. Die Sache hatte nur einen Haken: den Haken an der Futterkammertür. An diesem Haken hing ein Schloss. Ein Schloss, das man nur durch Zählen öffnen konnte. Die Schafe konnten nicht besonders gut zählen, aber einen Versuch war es wert.
»Drei!«, sagte Heide.
»Acht!«, schnaubte Othello.
»Vier!«, blökte das Winterlamm.
Das Futterkammerschloss zeigte sich wenig beeindruckt von ihren Zählkünsten.
»Vielleicht müssen wir etwas zählen?«, sagte Maude. »Zum Beispiel... Beine!« Sie blickte nach unten auf ihre Hufe. »Eins... zwei. Zwei!« Maude blickte stolz in die Runde.
»Zwei?«, fragte Lane. »Nur zwei?«
»Es müssen mehr sein!«, sagte Cordelia.
»Ich sehe nur zwei«, sagte Maude störrisch.
Miss Maple sah Maude kritisch an. »Vier«, sagte sie dann.
Das Schloss rührte sich nicht.
Die Schafe zählten Sir Ritchfields Ohren (zwei!) und Othellos Hörner (vier!), sie zählten die Astlöcher in der Futterkammertür (drei!), die Blätter der alten Eiche (drei!) und die Schneeflocken, die vom Himmel flockten (mindestens sieben!).
Doch das Zahlenschloss machte keinen Mucks.
Die Tür des Schäferwagens ging auf, und Rebecca sah misstrauisch zu ihnen herüber. Die Schafe taten so, als würden sie sich nur für den Haferkeksmond interessieren, und Rebecca machte die Tür wieder zu.
Frustriert trabten die Schafe zurück zum Heuschuppen. Es gab kein Entrinnen. Der Tierarzt würde heute Nacht ungebeten auf ihren Traumweiden erscheinen und eine Hufschneideschere schwenken, und morgen würde er sie aus dem Pferch zerren, eines nach dem anderen, bis auf Maude, die heute Morgen schon vor Cloud dran gewesen war.
»Was, wenn wir den Futtereimer nicht hören?«, sagte Othello auf einmal.
»Ritchfield vielleicht...«, murmelte Heide.
»Niemand!«, sagte Othello. »Der Tierarzt kommt - wir gehen. So einfach ist das.«
»Aber...«, blökte Zora. »Das ist unsere Weide! Wir fliehen nicht! Du hast es selbst gesagt!«
»Wir fliehen auch nicht«, sagte Othello. »Wir gehen einfach weg.«
Die Schafe sahen ihren Leitwidder respektvoll an.
»Und Rebecca?«, fragte Lane.
»Rebecca wird nachkommen«, sagte Othello.
So hatte es bisher funktioniert: die Schafe waren losgetrabt, in die Richtung, aus der es am appetitlichsten roch, und Rebecca war mit hochrotem Gesicht nachgekommen. Dieser Teil des Wanderschafslebens hatte immer gut geklappt.
»Wir warten bis zum Morgengrauen. Dann kann Rebecca unseren Spuren im Schnee folgen. Wir gehen in den Wald und suchen Cloud. Und wenn wir sie gefunden haben, gehen wir weiter.«
Die Schafe schwiegen. Es war ein kühner Plan. Und er war nicht so attraktiv wie der mit der Futterkammer.
»Wohin gehen wir denn?«, fragte Cordelia zögerlich. »Weg«, antwortete Othello.
»Was ist, wenn es schneit?«, fragte Ramses. »Es wird nicht schneien«, sagte Othello. »Was ist, wenn wir Cloud nicht finden?«, fragte Lane. »Wir finden Cloud«, sagte Othello entschlossen. Die Schafe guckten beeindruckt. Othello hatte an alles gedacht.
»Und wie kommen wir in den Wald?«, fragte auf einmal das Winterlamm. »Rebecca hat gerade erst den Zaun kontrolliert.«
»Das weiß ich noch nicht«, sagte Othello leise. »Aber wir kommen in den Wald.«
Mopple schnarchte. Heide nieste. Ritchfield murmelte leise und sanft. Durch das leere Stallfenster tanzten ein paar einsame Schneeflocken auf die Schafe herab.
»Ich weiß, wie wir in den Wald kommen könnten«, blökte das Winterlamm.
»Das dachte ich mir«, sagte Othello. Niemand glaubte weniger an Zäune als das Winterlamm.
»Wir können nicht durch den Drahtzaun«, sagte das Winterlamm mit glänzenden Augen. »Aber im Lattenzaun zwischen uns und den Ziegen ist eine Latte locker. Ich habe gesehen, wie die schwarze Ziege hindurchgeschlüpft ist. Und niemand hat den Zaun auf der Ziegenweide kontrolliert!«
Mopple schwieg. Ritchfield schnarchte.
Draußen hatte es aufgehört zu schneien.