SIEBEN
Leons Stiefel scharrten durch Scherben zerbrochenen Glases, die auf dem Boden des Kendo-Waffengeschäfts lagen, und rußiger Schweiß rann ihm übers Gesicht, während er Schubladen aufriss. Wenn er nicht sehr schnell .50er-Munition fand, gehörte er der Katz. Die wenigen Waffen, die sich noch in dem verwüsteten Laden befanden, nützten ihm nichts, da sie mit Stahlkabeln gesichert waren. Das Schaufenster war komplett zertrümmert. Die Kreaturen würden nicht lange brauchen, bis sie ihn hier fanden – und er hatte noch eine einzige Kugel und etliche Blocks zurückzulegen.
Komm schon, Kaliber fünfzig Action Express … irgendjemand in Raccoon muss die doch verwendet haben …
„Ja!“
In der vierten Schublade unter dem Jagdgewehr-Display lagen sie: ein halbes Dutzend leerer Clips und ebenso viele Schachteln voll mit Munition. Leon schnappte sich eine davon, drehte sich um und knallte sie auf den Verkaufstresen, während er gehetzt zur Front des kleinen Ladens blickte. Noch war niemand zu sehen – wenn man den Toten auf dem Boden außer acht ließ. Er bewegte sich nicht, aber der Frische des Blutes nach, das aus seinem ansehnlichen Bauch quoll und sein ärmelloses T-Shirt besudelte, durfte Leon sich nicht allzu viel Zeit lassen. Er wusste nicht, wie lange es dauerte, bis die Getöteten sich wieder erhoben – aber er wollte es auch nicht unbedingt herausfinden.
Muss mich sowieso beeilen – ist ja gerade so, als sei ich so was wie ein Leuchtturm für diese Dinger, und dieses Plätzchen hier ist leicht zugänglich …
Leon ließ den Blick zwischen der zertrümmerten Glasfront und seinen zitternden Händen hin- und herfliegen und fing an zu laden.
Mit Glück war er auf den Waffenboden gestoßen, den er bei seiner schwindelerregenden, albtraumhaften Flucht zunächst völlig vergessen hatte. Da der kürzeste Weg zum Revier durch eine Massenkarambolage blockiert war, führte der schnellste Umweg durch Kendo’s. Ein Zufall, der ihm zweifellos das Leben gerettet hatte. Denn obwohl er unterwegs zwei der Untoten niedergestreckt hatte, war er von ihrer schieren Zahl fast überrollt worden.
„Uuunh …“
Eine grässliche, knochendürre Gestalt wankte aus den Schatten der Straße und visierte wie trunken die Vorderseite des Ladens an.
„Verdammt“, murmelte Leon. Irgendwie schafften es seine Finger, sich noch schneller zu bewegen. Einen Clip hatte er fertig, einen wollte er noch aufmunitionieren, und den Rest konnte er mitnehmen. Wenn er sich jetzt zu lange damit aufhielt, würde er tot sein, bevor er überhaupt daran denken konnte, sich bis zum Revier durchzuschlagen.
Plötzlich stand eine weitere lepröse Gestalt vor der zerstörten Ladeneingangstür auf. Die Verwesung an ihren Beinen war so weit fortgeschritten, dass Leon Maden sehen konnte, die sich zwischen den faserigen Muskeln wanden.
… vier … fünf … fertig!
Er schnappte sich die Magnum, warf den Clip aus und lud bereits nach, als der fast leere den Boden berührte. Die madenzerfressene Kreatur zwängte sich zwischen den gezackten Glasscherben hindurch, die noch im Türrahmen steckten. Etwas Flüssiges blubberte dumpf in ihrem Hals.
Eine Tasche! Er brauchte eine Tasche. Leon sondierte fieberhaft den Raum hinter dem Tresen und fand eine ölfleckige Sporttasche, die an einem Stuhl in der hintersten Ecke lehnte. Zwei rasche Schritte und sie gehörte ihm. Während er zu der Anhäufung von Clips und loser Munition auf dem Tresen zurückrannte, schüttete er den Inhalt der Tasche aus. Reinigungsmaterial klapperte auf das Linoleum, während Leon die Clips in die Tasche fegte; die verstreut liegenden Patronen ignorierte er zugunsten der Munitionsschublade.
Das verfaulende Monster schlurfte auf ihn zu, stolperte über die Leiche des schmerbäuchigen Toten, und Leon konnte riechen, wie stark verwest es war. Er riss die Magnum hoch und richtete sie auf das Gesicht des Wesens.
Den Kopf – genau wie bei den beiden draußen!
Unter ohrenbetäubendem Krachen flog der breiige Schädel auseinander. Zähe Flüssigkeit klatschte gegen die Wände und Auslagen des Ladens. Noch bevor das auf diese Weise enthauptete Ding zu Boden schlug, wirbelte Leon bereits herum, ging vor der Munitionsschublade in die Hocke und schaufelte die schweren Schachteln in die Nylontasche. Angst krampfte ihm den Magen zusammen und ließ ihn zittern; Angst, dass sich die Seitengasse gerade jetzt mit weiteren dieser Ungeheuer füllen könnte, die ihm den Weg zu seinem Ziel abschneiden würden.
Fünf Clips pro Schachtel, fünf Schachteln … Okay, jetzt sieh zu, dass du hier rauskommst!
Leon richtete sich auf, schulterte die Tasche und rannte zur Hintertür. Aus den Augenwinkeln sah er, dass es eine weitere Kreatur in den Laden geschafft hatte – und dem Knirschen zerbröselnden Glases nach zu schließen, folgten dieser einen sogar noch weitere unmittelbar auf dem Fuße.
Er öffnete die Tür, schlüpfte hindurch und spähte prüfend nach links und rechts, während die Tür hinter ihm zuglitt und das Schloss mit einem leisen metallischen Klicken einschnappte. Außer Abfalltonnen und Recyclingbehältern, in denen sich schimmeliges Zeug türmte, war nichts zu sehen. Von Leons Standort aus erstreckte sich die Gasse zur Linken und beschrieb dann eine Kurve wieder nach links. Wenn sein innerer Kompass noch funktionierte, würde ihn der enge, vor Müll überquellende Durchlass direkt hinaus auf die Oak Street führen, weniger als einen Block vom Revier entfernt.
Bislang hatte er Glück gehabt – alles, was er tun konnte, war zu hoffen, dass ihm dieses Glück gewogen blieb und ihn das Revier lebend, dazu möglichst in einem Stück, erreichen ließ – wo er dann, so Gott es wollte, ein schwer bewaffnetes Kontingent von Leuten vorfinden würde, die wussten, was zum Teufel hier überhaupt vorging.
Und Claire. Ich hoffe, du bist okay, Claire Redfield, und wenn du vor mir dort ankommst, schließ bitte die Tür nicht zu …
Leon rückte die bleierne Last der Munition auf seinem Rücken zurecht und marschierte die schwach beleuchtete Gasse hinab, bereit, alles in Fetzen zu schießen, was sich ihm in den Weg stellen mochte.
Claire schaffte es, fast ohne einen Schuss abgeben zu müssen. Die Zombies, die nach und nach auf die Straßen herauskamen, waren unerbittlich, aber langsam, und das Adrenalin, das durch Claires Adern pumpte, erleichterte es ihr, ihnen auszuweichen. Sie nahm an, dass die Ungeheuer von den Geräuschen der brennenden Wracks hervorgelockt wurden und dann kurzerhand ihrer Nase folgten – oder eben dem, was von ihren Nasen noch übrig war. Von den etwa zehn Kreaturen, die ihr so nahe kamen, dass Claire sie in allen grausigen Details sehen konnte, befand sich mindestens die Hälfte im Stadium fortgeschrittener Verwesung. Das Fleisch fiel ihnen von den Knochen.
Sie war so damit beschäftigt, die Straße im Auge zu behalten und sich in Gedanken darüber klar zu werden, was alles geschehen war, dass sie fast am Polizeirevier vorbeigerannt wäre. Bei vorherigen Besuchen war sie schon zweimal im RCPD-Gebäude gewesen, um Chris abzuholen, hatte es aber nie durch den Hintereingang betreten – oder in kalter, stinkender Dunkelheit, verfolgt von untoten Kannibalen. Ein verunfalltes Polizeiauto und eine Handvoll in Zombies verwandelter Cops hatten sie in die Enge und über einen kleinen Parkplatz getrieben, dann durch eine Art Geräteschuppen, der auf einen winzigen gepflasterten Hof hinausführte – ein Hof, auf dem sie und Chris einmal zu Mittag gegessen hatten, auf der Treppe sitzend, die zum Heliport des Reviers hinaufführte, der auf Höhe des ersten Stockwerks lag. So hatte sie es schließlich geschafft.
Sich an den beiden uniformierten, umherstolpernden Leichen vorbeizudrücken, die ziellos über den L-förmigen Hof schlurften, hatte sich als einfach erwiesen. Aber Claire war so erleichtert, an einem Ort zu sein, den sie kannte und zu wissen, dass sie beinahe in Sicherheit war – dass sie die Frau nicht sah, bis es fast zu spät war.
Eine wimmernde Tote mit einem schlaff herabhängenden Arm und einem blutigen, zerfetzten Pullunder, die aus den Schatten am Fuß der Treppe nach ihr grabschte und Claires Arm mit kalten, schorfigen Fingern streifte.
Claire gab einen erstickten Aufschrei von sich, wich stolpernd vor der ausgestreckten Hand des Wesens zurück – und lief beinahe einem anderen in die Arme, einem hünenhaften verwesenden Mann, der unter den Metallstufen hervorgekommen war, täppisch, aber lautlos.
Sie duckte sich zur Seite weg, richtete die Neunmillimeter auf den Mann, trat einen Schritt zurück –
– und spürte, wie ihr Unterschenkel das harte Geländer der rückwärtigen Treppe, die zum Dach hinaufführte, berührte. Die Frau befand sich anderthalb Meter rechts von ihr, ihr zerrissenes, blutiges Oberteil entblößte eine hängende Brust, die Hand ihres noch intakten Armes fasste nach Claire. Noch einen Schritt weiter, dann würde sich der Mann in Reichweite befinden, und sie konnte nicht weiter zurückweichen.
Claire drückte ab. Es gab einen monströsen Knall. Die Pistole sprang ihr fast aus der Hand. Die rechte Hälfte des schlaffen, welken Gesichts vor ihr verschwand in einer Explosion dunkler Flüssigkeiten, die aus dem zerschmetterten Schädel des Hünen spritzten.
Claire riss die Pistole herum und schloss ihre Finger fester um den Griff, während sie auf das bleiche Gesicht der unablässig stöhnenden Frau zielte. Eine weitere ohrenbetäubende Explosion, und das anschwellende Wimmern verstummte wie abgeschnitten, die wächserne Stirn verschwand in einem Wirbel aus Blut und Knochensplittern. Die Frau kippte nach hinten und krachte auf das Pflaster wie –
– wie tot, was sie ja ohnehin schon waren. Davon werden sie sich nicht mehr erholen.
Claire war, als hätte sie endlich alles eingeholt, als hätte es des Abdrückens bedurft, um ihr die Realität ihrer Situation endlich in aller Konsequenz bewusst zu machen. Einen Moment lang konnte sie sich nicht bewegen. Sie starrte hinab auf die beiden verkrümmten Bündel aus verheertem Fleisch, auf die beiden Menschen, die sie gerade erschossen hatte, und hatte das Gefühl, dass sie nur eine Idee davon entfernt war, auszurasten. Sie war mit Waffen aufgewachsen, war Dutzende Male auf Schießständen gewesen – aber dort hatte sie mit einer.22er Sportpistole auf Papierscheiben geschossen. Ziele, die nicht bluteten oder Hirn verspritzten wie die Menschen, die sie gerade –
Nein, unterbrach eine kühle Stimme sie, die aus ihrem Innersten zu kommen schien. Das sind keine Menschen, nicht mehr. Mach dir nichts vor und verschwende keine Zeit für falsche Reue. Und denk dran, wenn S. T. A. R. S. hinzugezogen wurde, könnte Chris auch hier sein.
Als ob das noch nicht Motivation genug sei, waren jetzt auch noch die beiden Zombie-Cops, denen Claire zuvor auf dem Hof aus dem Weg gegangen war, unterwegs zu ihr. Stiefel schlurften und schleiften über die Pflastersteine. Es war Zeit zu gehen.
Claire trabte die Stufen hoch. Wegen des Brausens in ihren Ohren konnte sie das metallene Klappern ihrer Schritte kaum hören. Das zweimalige Krachen der Neunmillimeter hatte ihr Gehör vorübergehend betäubt – was erklärte, warum sie auf den Hubschrauber erst aufmerksam wurde, als sie fast schon auf dem Dach angelangt war.
Claire erreichte die vorletzte Stufe und blieb wie angewurzelt stehen. Peitschender Wind hämmerte rhythmisch gegen ihre nackten Schultern, als das riesenhafte schwarze Vehikel in ihr Blickfeld schwebte, halb in Schatten gehüllt. Es befand sich nahe des alten Wasserturms, der den Heliport in der südwestlichen Ecke begrenzte, aber sie wusste nicht, ob der Hubschrauber gerade abgehoben hatte oder zur Landung ansetzte. Sie wusste es nicht, und es war ihr egal.
„Hey!“, schrie sie und riss die linke Hand hoch. „Hey, hier drüben!“
Ihre Worte verloren sich in dem aufgewehten Staub, der über das Dach wirbelte, ertranken in dem steten Wummern der Rotorblätter. Claire winkte wie wild und fühlte sich, als hätte sie gerade in der Lotterie gewonnen.
Jemand ist gekommen! Gott sei Dank – danke!
Im Mittelteil der stählernen Libelle ging ein Suchscheinwerfer an, der Strahl wanderte über das Dach, aber in die falsche Richtung, von ihr weg! Claire winkte noch heftiger, holte tief Atem, um abermals zu schreien –
– und sah, was der Suchscheinwerfer erfasst hatte. Sie erkannte es im selben Moment, da sie das verzweifelte, überwiegend unverständliche Rufen durch das Gebrüll des Helikopters hindurch hörte. Ein Mann, ein Polizist, stand mit dem Rücken gegen einen erhöhten Teil des Daches gedrängt in jener Ecke des Heliports, die der Treppe gegenüberlag. In Händen hielt er etwas, das wie ein Maschinengewehr aussah, und er wirkte überaus lebendig.
„… kommt hier rüber …!“
Der Polizist schrie in Richtung des Hubschraubers, Panik schwang in seiner Stimme mit – Claire erkannte, weshalb, und spürte, wie ihre Erleichterung erlosch.
Zwei Zombies taumelten durch die Finsternis des Heliports und hielten auf ein gut beleuchtetes Ziel zu: den gestikulierenden Polizisten. Sie hob die Neunmillimeter und ließ sie dann hilflos wieder sinken, weil sie fürchtete, versehentlich den in die Enge getriebenen Mann zu treffen.
Der Scheinwerfer zitterte nicht, tauchte den Horror in gleißendes Licht. Dem Cop schien nicht klar zu sein, wie nahe die beiden Zombies waren, bis sie nach ihm griffen – eingeschlossen in die Balken aus weißem Licht ihre sehnigen Arme nach ihm ausstreckten.
„Zurück! Weg! Kommt nicht näher!“, brüllte der Mann, und wegen des puren Entsetzens in seiner Stimme konnte Claire ihn perfekt verstehen. Genauso wie sie seinen heulenden Schrei hören konnte, als die beiden verwesenden Gestalten ihr die Sicht nahmen und gleichzeitig nach ihm griffen.
Das Geräusch seiner Automatikwaffe dröhnte über den Heliport, und selbst über das Geräusch des Helikopters hinweg konnte Claire das jaulende Ting umherjagender Kugeln vernehmen. Sie ließ sich fallen. Ihre Knie schlugen gegen die oberste Stufe. Das Rattern der Waffe wollte kein Ende nehmen.
Am Geräusch des Hubschraubers änderte sich etwas – ein seltsames Summen mischte sich hinein, das sich rasch zu einem mechanischen Kreischen steigerte. Claire schaute auf und sah, wie das gigantische Vehikel herabsank, das Heck in einem unkontrollierten, ruckhaften Bogen herumschwingend.
Jesus, er hat den Kopter getroffen!
Die Suchscheinwerfer des Hubschraubers schienen in sämtliche Richtungen zugleich zu leuchten, blitzten über Metallrohre und Beton und über die nachlassenden Bemühungen des Polizisten, der es irgendwie schaffte, immer noch zu schießen, obwohl die beiden Monster unerbittlich an ihm zerrten.
Und dann stürzte der Helikopter mit Schieflage herunter, und die Rotorblätter droschen unter gewaltigem Getöse in die Ziegel der ansteigenden Dachkonstruktion. Bevor Claire auch nur blinzeln konnte, schlug die Schnauze des Kopters auf und pflügte in einem Schleier von Funken und umherfliegenden Glassplittern über den Heliport.
Die Explosion ereignete sich erst, als die riesige Maschine in der südwestlichen Ecke nach ihrem Rutsch bereits zum Halten gekommen war – direkt vor dem inzwischen zu Boden gegangenen Cop und seinen Mördern. Im Fauchen der Flammen, das dem schnaubenden Donner folgte, erstarb denn auch endlich das Knattern des Maschinengewehrs. Über dem Dach lag glutrotes Leuchten. Im selben Moment gab etwas mit reißendem Knirschen nach, und die Nase des Hubschraubers bohrte sich in eine Ziegelmauer, wo sie außer Sicht geriet.
Claire erhob sich auf Beinen, die sie kaum noch spürte, und starrte ungläubig auf das tanzende Feuer, das fast die Hälfte des Heliports bedeckte. Alles war viel zu schnell vonstattengegangen, als dass sie hätte begreifen können, dass es wirklich passiert war, und der rauchende, brennende Beweis vor ihr verstärkte dieses Gefühl von Unwirklichkeit nur noch. Beißender, widerlich süßer Geruch verbrennenden Fleisches wehte auf einer Woge heißer Luft zu ihr herüber, und in der plötzlichen Stille konnte sie das leise Stöhnen der Zombies vom Hof herauf hören.
Sie warf einen Blick hinunter und sah, dass sich die beiden untoten Cops am Fuß der Treppe befanden, blind und sinnlos gegen die unterste Stufe tretend. Wenigstens konnten sie nicht Treppen steigen …
… können – nicht – Treppen – steigen.
Claire wandte ihren angstvollen Blick der Tür zu, die in das RCPD-Gebäude führte, vielleicht zehn Meter von den sich kräuselnden, hochschlagenden Flammen entfernt, die langsam das Wrack auffraßen. Neben der Treppe war dies der einzige Weg zum Dach. Und wenn Zombies nicht Treppen steigen konnten …
… dann stecke ich echt tief in der Scheiße. Das Revier ist nicht sicher!
Nachdenklich starrte Claire auf den Brandherd und wog ihre Möglichkeiten gegeneinander ab. In der Neunmillimeter steckten noch etliche Patronen, und sie hatte noch zwei volle Clips – sie konnte zur Straße zurückkehren, nach einem Auto suchen, in dem der Schlüssel steckte, damit wegfahren und Hilfe holen.
Nur, was ist mit Leon? Und dieser Cop hat noch gelebt – was ist, wenn da noch mehr Leute drin sind und einen Ausbruch planen?
Claire fand zwar, dass sie sich bislang allein ganz gut gehalten hatte, aber sie wusste auch, dass sie sich sicherer gefühlt hätte, wenn ein anderer ihr die Verantwortung hätte abnehmen können – ein Einsatzkommando wäre okay, aber sie würde sich auch mit irgendeinem kriegszernarbten, bis an die Zähne bewaffneten Polizeiveteranen zufrieden geben. Oder Chris – Claire wusste nicht, ob sie ihn im Revier antreffen würde, aber sie glaubte fest daran, dass er noch lebte. Wenn jemand das Zeug dazu hatte, in einer Situation wie dieser auf sich aufzupassen, dann ihr Bruder.
Aber ob sie nun jemanden fand oder nicht, es wäre falsch gewesen zu verschwinden, ohne Leon Bescheid zu sagen – wenn sie das nicht tat, stattdessen aus der Stadt floh und er auf der Suche nach ihr ums Leben käme, Himmel, dann …
Ihre Entscheidung stand fest. Den Flammen vorsichtig ausweichend und die flackernden Schatten nach Bewegung absuchend, lief Claire auf den Eingang zu. Als sie die Tür erreichte, schloss sie für einen Moment die Augen, während ihre schweißnasse Hand schon den Griff berührte.
„Ich kann das“, sagte sie ruhig, und obwohl ihre Stimme nicht so zuversichtlich klang, wie sie es sich gewünscht hätte, zitterte oder versagte sie doch immerhin nicht. Claire öffnete erst die Augen, dann die Tür – und als ihr aus dem gedämpft erhellten Gang nichts entgegensprang, schlüpfte sie hinein.