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Der Input
anderer
Seit sich meine Last Lecture im Internet zu
verbreiten begann, schrieben mir viele Menschen, die ich im Laufe
meines Lebens kennengelernt hatte, beispielsweise Nachbarn aus
Kindertagen oder Bekannte aus grauer Vorzeit. Ich bin dankbar für
ihre warmen Worte und guten Gedanken.
Es war eine Freude, Nachricht von ehemaligen
Studenten und Kollegen zu erhalten. Ein früherer Mitarbeiter
erinnerte sich an einen Rat, den ich ihm gab, als er noch kein
festes Fakultätsmitglied war: Er sollte selbst den unbedeutendsten
Bemerkungen von Lehrstuhlinhabern Beachtung schenken. (Er erinnerte
sich an meine genauen Worte: »Wenn der Professor nebenbei erwähnt,
dass du vielleicht in Betracht ziehen könntest, dies oder das zu
tun, dann solltest du dir lieber gleich einen Viehtreiber
vorstellen.«) Ein ehemaliger Student mailte mir, dass ich es
gewesen sei, der ihn dazu inspiriert habe, seine persönliche
Entwicklung auf einer Website festzuhalten (unter der Überschrift
»Stop Sucking and Live a Life of Abundance«: »Hör auf zu nerven und
lebe das Leben in vollen Zügen«), um anderen, die weit unter ihren
Möglichkeiten blieben, zu helfen. Das klang durchaus nach meiner
Lebensphilosophie, wenn es auch gewiss nicht die Worte waren, die
ich gewählt hätte.
Und um auch die Dinge aus der
»Manches-ändert-sich-nie«-Abteilung ans Licht zu bringen, sei
vermerkt, dass mir ein Schwarm aus meiner Highschool-Zeit schrieb
(das Schwärmen war unerwidert geblieben), um mir alles Gute
zu wünschen und mich sanft daran zu erinnern, weshalb ich damals
viel zu doof für sie gewesen sei (und dann noch nebenbei zu
bemerken, dass sie schließlich einen echten
Doktor geheiratet habe).
Auch Tausende von fremden Menschen haben mir
geschrieben und mir mit ihren guten Wünschen Auftrieb gegeben.
Viele berichteten, wie sie und ihre Lieben Situationen von Leben
und Tod bewältigten.
Eine Frau, die ihren achtundvierzigjährigen
Ehemann an den Pankreaskrebs verlor, erzählte, dass er seine »Last
Lecture« vor nur kleinem Publikum gehalten habe: vor ihr, ihren
Kindern, seinen Eltern und Geschwistern. Er dankte ihnen für ihre
Hilfe und Liebe, erinnerte an Orte, die sie gemeinsam besucht
hatten, und erzählte ihnen, was ihm am wichtigsten im Leben gewesen
war. Die Frau schrieb, dass professionelle Beratung ihr und ihrer
Familie nach dem Tod ihres Mannes geholfen habe: »Nach dem, was ich
heute weiß, werden Mrs. Pausch und Ihre Kinder das Bedürfnis haben,
zu reden, zu weinen und sich zu erinnern.«
Eine andere Frau, deren Mann an einem
Gehirntumor starb, als ihre Kinder drei und acht waren, bot
Einsichten, die ich an Jai weitergeben sollte: »Sie können das
Unvorstellbare überleben«, schrieb sie. »Ihre Kinder werden Ihnen
ein enormer Quell des Trostes und der Liebe sein, und sie werden
der beste Grund sein, um jeden Morgen mit einem Lächeln
aufzuwachen.«
Sie fuhr fort: »Nehmen Sie jede angebotene Hilfe
an, solange Randy lebt, damit Sie Ihre Zeit mit ihm genießen
können. Nehmen Sie jede angebotene Hilfe an, wenn er nicht mehr da
ist, damit Sie Kraft für das haben werden, was wichtig ist. Treffen
Sie sich mit anderen, die einen ähnlichen Verlust erlebt haben. Sie
werden Ihnen und Ihren
Kindern Trost spenden.« Diese Frau riet Jai auch, unseren Kindern
im Laufe ihres Älterwerdens immer wieder zu versichern, dass sie
ein ganz normales Leben führen würden, dass es Schulabschlüsse und
Hochzeiten geben werde und dass sie eines Tages selbst Kinder haben
würden. Denn »wenn ein Elternteil stirbt, während die Kinder noch
so klein sind, können sie leicht glauben, dass für sie nun auch
alles andere, das zum normalem Leben gehört, nicht mehr stattfinden
wird«.
Ein Mann Anfang vierzig, der schwere
Herzprobleme hat, erzählte mir von Krishnamurti, der 1986 starb.
Als ihn einmal jemand fragte, was er zu seinem sterbenden Freund
sagen könne, antwortete Krishnamurti: »Sage deinem Freund, dass mit
seinem Tod auch ein Stück von dir stirbt und mit ihm geht. Wo immer
er hingeht, gehst auch du hin. Er wird nicht allein sein.« Der Mann
versicherte mir in seiner Mail: »Ich weiß, Sie sind nicht
allein.«
Bewegt haben mich auch die guten Worte und
Wünsche einiger namhafter Persönlichkeiten, die sich nach meiner
Last Lecture mit mir in Verbindung setzten. Die
TV-Nachrichtenmoderatorin Diane Sawyer zum Beispiel half mir nach
einem Interview, als die Kameras aus waren, mir darüber klar zu
werden, was ich meinen Kindern hinterlassen möchte, damit sie sich
an etwas festhalten können. Sie gab mir einen unglaublich guten
Rat. Dass ich den Kindern Briefe und Videos hinterlassen würde,
hatte ich bereits beschlossen. Sie aber erklärte mir noch, das
Wichtigste dabei sei, dass ich ihnen jene ganz persönlichen
Eigenheiten vermittle, die mein Bild von jedem von ihnen prägen.
Darüber habe ich sehr viel nachgedacht. Und ich entschied, jedem
meiner Kinder solche Sachen zu sagen wie: »Ich liebe die Art, wie
du deinen Kopf zurückwirfst, wenn du
lachst.« Ich werde für jedes von ihnen etwas Besonderes
festhalten, an das sie sich klammern können.
Dr. Reiss, die Therapeutin, die Jai und ich
besuchen, unterstützte mich dabei, Strategien zu finden, die mir
helfen, mich nicht im Stress meiner periodischen
Computertomografien zu verlieren und mich mit offenem Herzen,
Optimismus und fast meiner gesamten Aufmerksamkeit meiner Familie
widmen zu können. Die längste Zeit meines Lebens habe ich an der
Effektivität von Therapien und Beratungsgesprächen gezweifelt.
Heute, da ich mit dem Rücken zur Wand stehe, erlebe ich selbst, wie
ungemein hilfreich sie sein können. Ich wünschte, ich könnte in
jedem Krankenhaus durch die Flure der Onkologie streifen und es
allen Patienten sagen, die versuchen, das Ganze mit sich allein
auszumachen.

Viele, sehr viele Menschen haben mir religiöse
Dinge geschrieben. Ich bin so dankbar für ihre Worte und
Gebete.
Ich wurde von Eltern aufgezogen, die den Glauben
für etwas sehr Persönliches hielten. Über meine Religion sprach ich
nicht in meiner Last Lecture, weil ich über universelle Prinzipien
reden wollte, die auf jeden Glauben zutreffen, und weil ich das
mitteilen wollte, was ich durch meine Beziehungen zu anderen
Menschen gelernt habe.
Tatsache aber ist, dass einige dieser
Beziehungen durch die Kirche entstanden sind. M. R. Kelsey, eine
Frau aus unserer Kirchengemeinde, kam nach meiner Operation elf
Tage lang tagtäglich ins Krankenhaus, einfach nur, um neben meinem
Bett zu sitzen. Auch unser Pastor war seit meiner Diagnose eine
große Hilfe. Wir pflegten ins selbe Schwimmbad in Pittsburgh zu
gehen. An dem Tag, an dem
ich erfahren hatte, dass sich meine Krankheit im Endstadium
befindet, waren wir zufälligerweise beide dort. Er saß am
Beckenrand, und ich kletterte auf das Sprungbrett. Ich winkte ihm
zu und machte einen Kopfsprung.
Als ich dann zu ihm schwamm, sagte er: »Du
wirkst wie das Bild eines gesunden Mannes, Randy.« Ich erwiderte:
»Das ist kognitive Dissonanz. Ich fühle mich gut und sehe prima
aus, aber jetzt haben wir erfahren, dass der Krebs zurück ist, und
die Ärzte sagen, ich hätte nur noch drei bis sechs Monate.«
Seither haben wir oft darüber gesprochen, wie
ich mich am besten auf den Tod vorbereiten kann.
»Du hast eine Lebensversicherung, ja?«
»Ja, alles, wie es sein soll«, versicherte ich
ihm.
»Na schön, aber du brauchst auch eine
Gefühlsversicherung.« Dann erklärte er, dass ich die Prämien für
meine Gefühlsversicherung nur mit meiner Zeit und mit keinem Geld
der Welt bezahlen könne.
Damit das klappte, bedeutete er mir, müsse ich
Stunden damit verbringen, Videos von mir mit den Kindern zu machen,
damit sie einmal etwas hätten, das sie daran erinnern würde, wie
wir gemeinsam spielten und lachten. Irgendwann, in Jahren, würden
sie dann sehen können, mit welcher Ungezwungenheit wir einander
berührten und miteinander umgingen. Er teilte mir auch seine
Gedanken über die Dinge mit, die ich für Jai tun und wie ich ihr
einen Beweis meiner Liebe hinterlassen könne.
»Wenn du die Prämien für deine
Gefühlsversicherung jetzt zahlst, während du dich noch okay fühlst,
dann wird in den Monaten, die du vor dir hast, weniger Last auf dir
liegen. Du wirst mehr Frieden finden.«
Meine Freunde. Meine Lieben. Mein Pastor. Total
Fremde. Jeden einzelnen Tag bekomme ich Input von Menschen, die
mir wohlgesonnen sind und meinem Lebensgeist neue Kraft geben. Es
war mir wirklich vergönnt, das Beste zu bekommen, was die
Menschheit zu bieten hat, und dafür bin ich unendlich dankbar. Ich
habe mich nie allein gefühlt auf dem Weg, den ich jetzt gehe.