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Setzt euch erst einmal zusammen
Wenn ich mit anderen zusammenarbeite, dann versuche ich mir vorzustellen, dass wir uns mit einem Satz Karten gegenübersitzen. Mein Impuls dabei ist immer, alle Karten offen auf den Tisch zu legen und der Gruppe zu sagen: »Okay, was können wir gemeinsam aus diesem Blatt machen?«
Sowohl in der Arbeitswelt als auch in der Familie ist es lebenswichtig und unbedingt notwendig, dass man die Kunst des guten Funktionierens in einer Gruppe erlernt. Ich lehrte sie, indem ich meine Studenten grundsätzlich in Teams an Projekten arbeiten ließ.
Im Laufe der Jahre wurde es zu einer regelrechten Obsession von mir, Gruppendynamiken zu verbessern. Am ersten Tag eines jeden Semesters teilte ich meine Studenten in ungefähr ein Dutzend Viererteams auf. Am zweiten Tag gab ich ihnen ein einseitiges Merkblatt mit dem Titel: »Tipps für das erfolgreiche Arbeiten in einer Gruppe«. Wir gingen es Zeile für Zeile durch. Es gab immer Studenten, die solche Tipps unter ihrer Würde fanden und die Augen verdrehten. Sie glaubten längst zu wissen, was Teamwork bedeutete. Das hatten sie schon im Kindergarten gelernt. Sie hatten solche grundlegenden Tipps nicht nötig.
Die selbstbewusstesten Studenten pflegten meinen Rat jedoch anzunehmen. Sie spürten, dass ich ihnen da etwas ganz Grundlegendes beibringen wollte. Ein bisschen war es wie bei Coach Graham, wenn er ohne Football zum Training erschien. Hier ein paar meiner Tipps:
Stelle dich den anderen angemessen vor. Alles beginnt mit der Vorstellung. Tausche Kontaktadressen aus. Gehe sicher, dass du den Namen eines jeden richtig aussprichst.
Finde Gemeinsamkeiten. Es gibt fast immer etwas, was man mit anderen Personen gemein hat, und von dieser Prämisse ausgehend wird es dann sehr viel einfacher, Fragen anzusprechen, bei denen du eine andere Meinung vertrittst. Sport überwindet die Grenzen von Ethnie und Status. Wenn da nichts zu holen ist, dann haben wir noch immer dasselbe Wetter.
Schaffe optimale Bedingungen für Meetings. Stelle sicher, dass niemand hungrig oder müde ist und niemand friert. Lege das Meeting möglichst in die Mittagszeit, denn ein gemeinsames Essen hebt die Stimmung. Deshalb pflegt Hollywood auch das »Do Lunch«.
Lass jeden ausreden. Beende nie den Satz eines anderen. Und dass du lauter oder schneller sprichst, macht deine Ideen kein bisschen besser.
Halte von vornherein die Egos in Schach. Wenn du über Ideen diskutierst, gib ihnen einen Namen und schreibe sie auf. Die Bezeichnung sollte jedoch immer die Idee selbst und nie deren Urheber benennen, also beispielsweise »Die Brückengeschichte«, aber nicht »Janes Geschichte« genannt werden.
Lobt einander. Sage etwas Nettes, selbst wenn es dir weither geholt scheint. Auch bei den schlechtesten Ideen kann es einen Silberstreif am Horizont geben, wenn du nur genau hinsiehst.
Formuliere Alternativen als Fragen. Anstatt »Ich finde, wir sollten A und nicht B tun«, versuche einmal die Wendung: »Was, wenn wir A anstelle von B täten?« Damit gibst du den anderen die Möglichkeit, sich dazu zu äußern, und zwingst sie nicht, ihre Entscheidung zu verteidigen.
Am Ende dieser kleinen Lehrstunde erklärte ich meinen Studenten dann, dass ich ihre Anwesenheit anders als üblich feststellen würde: »Es ist einfacher für mich, wenn ich euch immer nur als Gruppen aufrufe«, sagte ich, und dann begann ich: »Gruppe eins, hebt eure Hände … Gruppe zwei? …«
Beim Aufruf jeder Gruppe schossen die Hände in die Höhe. »Ist gerade jemandem etwas aufgefallen?«, fragte ich dann. Nein, niemandem. Also rief ich die Gruppen erneut auf, und wieder schossen der Reihe nach quer durch den Raum die Hände in die Höhe.
Manchmal muss man zu miesen Taktiken greifen, um zu Studenten durchzudringen, vor allem, wenn es um Fragen geht, bei denen sie längst alles zu wissen glauben. Was tat ich also?
Ich spulte meinen Anwesenheitsdrill so lange ab, bis ich schließlich keine Lust mehr hatte und sie anschnauzte: »Warum um Himmels willen sitzt ihr noch immer alle neben euren Freunden? Warum sitzt ihr nicht längst mit den Mitgliedern eurer Gruppen zusammen?«
So mancher mag begriffen haben, dass mein Ärger Show war, aber ernst nahmen sie mich plötzlich alle. »Ich werde jetzt aus dem Raum gehen«, sagte ich, »und in einer Minute zurückkommen. Und wenn ich wieder da bin, erwarte ich, dass jeder mit seiner Gruppe zusammensitzt! Habt ihr das kapiert?« Dann rauschte ich aus dem Zimmer und konnte die Panik hören, mit der sie alle nach ihren Büchertaschen griffen und nach ihren Teammitgliedern suchten.
Wenn ich den Raum dann wieder betrat, pflegte ich ihnen zu erklären, dass ich mit meinen Tipps für die Gruppenarbeit weder ihre Intelligenz beleidigen noch ihre Reife infrage stellen wollte. Doch da sie schon etwas so Simples nicht begriffen hätten wie die Notwendigkeit, mit ihren Teampartnern zusammenzusitzen, sei ihnen nun gewiss deutlich geworden, dass es nichts schaden könnte, wenn sie sich auch meine anderen Tipps aufmerksam durchlesen würden.
Von dem Moment an saßen meine Studenten (die ja auch keine Dummies waren) immer mit ihren Gruppenmitgliedern zusammen.
Last Lecture - die Lehren meines Lebens
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