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Die vergessene Kunst der Dankschreiben
Dankbarkeit zu zeigen ist eines der einfachsten und zugleich wirkungsvollsten Dinge, die Menschen füreinander tun können. Ungeachtet meiner Vorliebe für Effizienz finde ich, dass Dankschreiben am besten auf altmodische Weise mit Papier und Füller geschrieben werden.
Wer Bewerbungsgespräche führt oder für Zulassungen zuständig ist, der kriegt eine Menge Bewerber zu Gesicht und liest Tonnen von Lebensläufen von »A«-Studenten mit vielen Fähigkeiten. Aber handschriftliche Dankschreiben sieht er nicht viele.
Wenn du ein »B+«-Student bist, wird dich ein handschriftliches Dankschreiben zumindest in den Augen des künftigen Chefs oder Zulassungsbeamten um einen halben Grad höher steigen lassen und ergo zu einem »A« machen. Eben weil handschriftliche Briefe so selten geworden sind, werden sie sich an dich erinnern.
Wenn ich meinen Studenten diesen Rat gab, dann nicht, um sie zu berechnenden Ränkeschmieden zu machen. Natürlich weiß ich, dass es einige von ihnen genau so auffassten. Aber mir ging es darum, ihnen zu vermitteln, dass es eine gute Art des respektvollen und überlegten Umgangs gibt, der vom Adressaten immer geschätzt werden wird, und dass sich letztlich immer nur Gutes durchsetzt.
Es gab einmal eine junge Frau, die sich am ETC bewarb und deren Ablehnung wir bereits beschlossen hatten. Sie hatte große Träume: Sie wollte ein Disney-Imagineur werden. Ihre Noten, ihre Examina und ihr Portfolio waren gut, aber nach den Auswahlkriterien, die sich das ETC leisten konnte, eben nicht gut genug. Bevor wir ihre Unterlagen auf den »Nein«-Stapel legten, beschloss ich, sie noch einmal durchzublättern. Dabei fiel ein handschriftliches Dankschreiben heraus, das zwischen die Seiten gesteckt worden war.
Es war weder an mich noch an Kodirektor Don Marinelli oder irgendein anderes Fakultätsmitglied gerichtet, sondern an irgendjemanden, der oder die an der Universität angestellt war, um Studenten bei der Vorbereitung ihrer Besuche zu helfen. Diese Person hatte nicht den geringsten Einfluss auf die Bewerbung, folglich war es auch kein Schleimerbrief. Es waren einfach nur ein paar Dankworte an jemanden, der der Bewerberin persönlich unbekannt war, weshalb sie den Brief ihren Bewerbungsunterlagen beigelegt hatte. Und ich hatte ihn nun Wochen später gefunden.
Nachdem ich also zufälligerweise entdeckt hatte, dass sie jemandem dankte, einfach nur, weil das die nette Art war, hielt ich inne und dachte nach. Sie hatte es per Hand geschrieben. Das gefiel mir. »Das sagt mir mehr als alles andere in ihren Akten«, sagte ich zu Don. Ich las mir ihre Unterlagen noch einmal durch. Ich dachte über sie nach. Und weil mich ihr Dank beeindruckt hatte, entschied ich, dass sie eine Chance verdient hatte. Don stimmte zu.
Sie kam ans ETC, machte ihren Magister und arbeitet heute als Disney-Imagineur.
Ich habe ihr diese Geschichte erzählt, und sie erzählt sie heute anderen. Trotz allem, was mittlerweile mein Leben bestimmt, trotz all der medizinischen Probleme, versuche ich noch immer, handschriftliche Briefe zu schreiben, wenn es mir wichtig scheint. Es ist einfach die nette Art. Und man kann nie wissen, welche Wunder geschehen können, nachdem sie jemand in seinem Briefkasten fand.
Last Lecture - die Lehren meines Lebens
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