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Wie man
null G erreicht
Es ist wichtig, konkrete Träume zu haben.
Als ich in der Grundschule war, wollten viele
Kinder Astronauten werden. Mir war schon früh klar, dass mich die
NASA nicht nehmen würde. Ich hatte gehört, dass Astronauten keine
Brillenträger sein dürfen. Damit hatte ich mich abgefunden. Im
Grunde genommen wollte ich diese ganze Astronautenorgie auch gar
nicht. Ich wollte nur das Schweben.
Es stellte sich heraus, dass die NASA ein
Flugzeug besitzt, das sie benutzt, um künftige Astronauten mit der
Schwerelosigkeit vertraut zu machen. Jeder nennt es den Vomit Comet, den »Kotzkometen«, auch wenn die NASA
es vorzieht, vom Weightless Wonder zu
sprechen, aber das dient nur der PR, um vom Offensichtlichen
abzulenken.
Wie man es auch nennt, dieses Flugzeug ist
jedenfalls ein sensationelles Stück Technik. Es fliegt Parabeln und
geht am Scheitelpunkt jeder Parabel in den Sturzflug. Dabei
erreicht man dann zirka fünfundzwanzig Sekunden lang einen Zustand,
der ungefähr mit der Schwerelosigkeit vergleichbar ist. Während die
Maschine der Erde entgegenfällt, fühlt man sich wie in einer
Achterbahn, die außer Kontrolle geraten ist, hebt vom Boden ab und
schwebt.
Dann kam für mich die Möglichkeit, meinen Traum
wahr zu machen. Ich erfuhr, dass es bei der NASA ein Programm für
Collegestudenten gibt, die Vorschläge für Experimente auf diesem
Flugzeug einreichen dürfen. Im Jahr 2001 schlug ein Studententeam
der Carnegie Mellon University ein Forschungsprojekt aus dem
Bereich der Virtual Reality vor.
Schwerelosigkeit ist ein Gefühl, das schwer zu
begreifen ist, wenn man sein ganzes Leben als Erdling verbringt.
Bei null Gravität ist das fürs Gleichgewicht zuständige Innenohr
nicht mehr ganz synchron mit dem, was deine Augen dir sagen. Der
Erfolg ist häufig Übelkeit. Könnten Trockenübungen mithilfe der
Virtual-Reality-Technik am Boden auf diese Erfahrung vorbereiten
und die Übelkeit bekämpfen helfen? Das war die Fragestellung bei
unserem Vorschlag, und er gewann. Wir wurden ins Johnson Space
Center nach Houston eingeladen, um an einem Flug
teilzunehmen.
Ich war wahrscheinlich aufgeregter als meine
Studenten. Schweben! In einem schon weit fortgeschrittenen Stadium
des Prozesses bekam ich jedoch eine schlechte Nachricht. Die NASA
stellte eindeutig klar, dass Fakultätsbetreuer unter keinen
Umständen ihre Studenten auf dem Flug begleiten durften.
Ich war am Boden zerstört, aber keineswegs ruhig
gestellt. Ich würde einen Weg um diese Mauer finden. Also beschloss
ich, mir die Literatur über das Programm mit der Lupe anzusehen und
nach möglichen Schlupflöchern zu suchen. Und ich fand eines: Die
immer eifrig um gute Publicity bemühte NASA gestattete es den
Studenten, einen Reporter aus ihrer Universitätsstadt auf dem Flug
mitzunehmen.
Ich rief einen offiziellen NASA-Vertreter an und
bat ihn
um seine Faxnummer. »Was wollen Sie uns faxen?«, fragte er. Ich
antwortete: »Meine Kündigung als Fakultätsbetreuer und die
Bewerbung als begleitender Reporter. Ich werde meine Studenten in
meiner neuen Funktion als Mitglied der Presse begleiten.«
»Das ist ziemlich durchsichtig, finden Sie
nicht?«

Ich wollte nur schweben
»Klar«, erwiderte ich, versprach ihm aber sofort,
dass ich eigens neue Websites mit Informationen über unser
Experiment einrichten und Filmmaterial über unsere
Virtual-Reality-Tests
an populärere Journalisten schicken würde. Ich wusste, dass ich
ihn damit überzeugen konnte und dass es eine Win-win-Situation für
uns beide war. Er gab mir seine Faxnummer.
Nebenbei bemerkt enthält das Ganze auch eine
Lehre: Sorge immer dafür, dass du etwas auf den Tisch legen kannst,
denn dann wirst du wesentlich willkommener sein.
Meine Erfahrung mit null G war spektakulär (und,
nein, ich habe nicht gekotzt, danke der Nachfrage). Allerdings
holte ich mir ein paar blaue Flecke, denn wenn dich am Ende dieser
magischen fünfundzwanzig Sekunden die Schwerkraft wiederhat, bist
du praktisch ums Doppelte schwerer. Da kann man ziemlich hart auf
den Boden knallen. Deshalb sagte man uns auch dauernd: »Füße nach
unten!« Man sollte da wirklich lieber nicht auf die Wirbelsäule
krachen.
Aber es war mir gelungen, in dieses Flugzeug zu
steigen, fast vier Jahrzehnte nachdem Schweben zu einem meiner
Lebensziele geworden war. Es beweist, dass man nur irgendwo ein
Schlupfloch finden muss, um sehr wahrscheinlich auch einen Weg zu
finden, wie man hindurchschweben kann.